Es geht also um das immerwährende Thema "Leistungssport versus Erziehungssystem". Ist das nun ein Gegensatz, oder kommt es auf das "wie" an? Mitesco selbst hat auf seiner Homepage eine Menge dazu zusammengetragen. Ich möchte wirklich jedem Interessierten empfehlen, seine Gedanken nachzulesen (http://mitesco.awardspace.com/)Mitesco hat geschrieben:Meiner Meinung nach ist Judo eigentlich überhaupt keine Leistungssportart... nicht nur wegen den Regeln, sondern prinzipiell. Leider sind die Trainer immer mehr interessiert, die jungen Judoka mit Pokalen nach Hause zu schicken, statt sich um die Erziehung zu kümmern.
Zunächst einmal müssen wir uns fragen, ob Judo als Leistungssport grundsätzlich den Ideen Kanos widerspricht, oder ob es nur Exzesse im Leistungssport sind, die mit Kanos Ideen nicht vereinbar sind.
Letztere finden wir zweifellos - so wie Kano sie schon zu seiner Zeit gefunden hat. Drei Kritikpunkte stechen besonders heraus:
- egozentrische Erfolgstypen widersprechen dem Judo-Geist, der von jedem einen Beitrag zum Allgemeinwohl fordert,
- "dirty tricks" verhelfen vielleicht zum Sieg, stellen aber einen Verstoß gegen den Judo-Geist dar, weil sie gegen die Idee der Selbstperfektionierung verstoßen
- das Eingehen gesundheitlicher Risiken und einseitiges Training ist ebenfalls nicht im Sinne Kanos.
Wie sieht die Realität des heutigen Leistungssports Judo eigentlich aus? Sind diese Kritikpunkte uneingeschränkt aufrecht zu halten? Gibt es auch andere Beispiele?
Fangen wir mit den gesundheitlichen Risiken an. Die heutigen Kader werden regelmäßig sportärztlich untersucht und genießen eine deutliche bessere medizinische Versorgung als in früheren Jahrzehnten. Viele ehemalige Leistungssportler haben Spätschäden davon getragen. Daran gibt es leider keine Zweifel. Aus diesen Problemen hat man aber in den Verbänden massive Konsequenzen gezogen. Die Gesundheit der Sportler steht zum Glück - zumindest bei den Bundes- und den meisten Landestrainern - im Vordergrund.
"Dirty tricks" - es gibt sie, aber immer weniger. Auf Spitzenniveau kommt man mit miesen Touren eh nicht weiter. Abgesehen davon wachen auch die Kampfrichter darüber, dass alles fair zu geht.
Egozentriker: auch die gibt es, aber ist das eine Voraussetzung für Erfolg? Ich beobachte viel mehr, dass erfolgreiche Judoka Team-Player sind. Wer die Spitzenleute in den Leistungszentren beim Training beobachtet wird erkennen, dass sie gerne dem Nachwuchs fragen beantworten und ihr Wissen und Können teilen. Ich glaube, dass es keine andere Sportart gibt, in der der Nachwuchs so dicht an die Spitzenleute herankommt wie im Judo. Auch wenn es egozentrische Judoka gibt: die Mehrzahl der Spitzenkönner demonstriert einen anderen Geist.
Weit überwiegend sehe ich gerade in den derzeitigen Leistungsträgern gute Vorbilder und guten Judo-Geist!
Erziehung ist ein anderes, ganz weites Feld. Erziehung - das weiß man heute - funktioniert in erster Linie durch Schaffen von Erfahrungsfeldern, in den Menschen agieren und mit ihrem Umfeld in Interaktion stehen. Je nachdem, wie stark die Reaktionen des Umfelds gesteuert sind, kann man von stärker oder schwächer intendierter Erziehung sprechen.
Leistungssport ist ein solches Feld, in dem unterschiedliche Erfahrungen gemacht werden können, z.B. dass Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit zu Erfolg führen, während Nachlässigkeit das Gegenteil zur Folge haben kann. Das "Erziehungsfeld Leistungssport" muss so gestaltet werden, dass genau jene erzieherisch wirksamen Erfahrungen gemacht werden, die die Entwicklung den Zöglings in gewünschter Weise beeinflussen.
Leistungssport kann also auch als Erziehungsmittel gesehen werden - und damit nicht automatisch im Gegensatz zu einem Erziehungsgedanken. Entscheidend ist der Sinn, dem man dem Leistungssport zuschreibt: geht es um (Selbst-)Perfektionierung - was Judo in Reinkultur darstellen würde - oder nur um externe Anerkennung?
Es kommt daher IMHO in erster Linie auf das "wie" an und auf die geistige Haltung, die hinter dem Tun steht.