Der Niedersächsische Judo-Verband hat die Regeln im Jugendbereich geändert. Abschließend ist zu lesen:
"Unser Gesamtprojekt ist in einer einjährigen Vorbereitungszeit separat von den Beschlüssen der JVV ausgearbeitet worden und durch alle Gremien bis hin zur Mitgliederversammlung nahezu einstimmig verabschiedet worden.
Diese Regeln gelten nur für den Bereich des Niedersächsischen Judoverbandes.
Alle die an dieser Entscheidung mitgearbeitet haben, sind überzeugt von der Richtigkeit dieser Vorgehensweise. Das gesamte Trainerteam und unser Ausbildungsbereich hat sich einstimmig dafür ausgesprochen und bedank sich für die breite Unterstützung und die positive Entscheidung durch die Mitgliederversammlung."
Ein solches Vorgehen hätte ich mir auch bei der Entwicklung der Gedanken der DJB-Jugendtrainer gewünscht. Mehr vorangehende Diskussion in der Breite, Abstimmung nicht nur unter den für den Wettkampfsport Verantwortlichen, sondern auch diejenigen Judolehrer/-trainer einbeziehen, die für die ÜL- und Trainerausbildung in den Landesverbänden zuständig sind, als auch eine Anhörung derjenigen, die sich um die Kyu- und Danprüfungsordnung Gedanken gemacht haben (und damit meine ich nicht nur den DJB-Lehrwart, der die letzten Änderungen der DJB-Kyo-PO entwickelt hat).
Die von der Jugendvollversammlung verabschiedeten Änderungen der Wettkampfregeln für den Altersbereich U15 betreffen die mitgliederstärkste Altersgruppe im DJB, wobei wir davon ausgehen müssen, dass ganz sicher nicht mehr als 15-20 % dieser Jahrgänge regelmäßig an Wettkämpfen teilnehmen. Und von diesen sind es maximal 20% (also 1/5 der überhaupt an Wettkämpfen teilnehmenden), die sich zweimal oder gar mehr in der Woche regelmäßig auf Wettkämpfe vorbereiten. Insgesamt also maximal 5% aller DJB-Mitglieder (so meine ganz persönliche Schätzung nach den Zahlen in unserem Verein mit knapp 550 Judoka, von denen keine 30 sich systematisch auf Wettkämpfe vorbereiten).
Wenn es also um Regeln geht, die den gesamten Bereich der Altersstufe unter 15 Jahren betreffen, werden durch die am Hochleistungssport orientierten neuen Regeln sehr viele Kinder in ihrer Ausbildung unnötig eingeschränkt.
In meinem Judobuch "Judo lernen" steht unter "Ziele der Judo-Grundausbildung" unter Punkt 7: "Der Judoka soll grundlegende Judotechniken im Stand und am Boden erfahren, erlernen und anwenden (mit dem Körper begreifen)".
Wenn sich inzwischen die Auffassung darüber geändert haben sollte, was "grundlegende Judotechniken" für die jungen Judoka sind, so ist das an mir vorbei gegangen. Oder aber es ist die Diskussion darüber nicht in einer Art und Weise geführt worden, die die meisten Trainer/Judolehrer im DJB mitnimmt (wie auch die Beschlüsse aus Niedersachsen zeigen).
In den in "Judo lernen" veröffentlichten Rahmentrainingsplänen für die 7-10-jährigen wird von 1-2 x pro Woche 60-90 Minuten Training gesprochen. Gibt es Erfahrungen darüber, ob in dieser Altersstufe mit diesem Trainingsumfang die gewünschten Techniken mit Ärmel-Kragengriff (O-soto-gari, Tsuri-komi-goshi, Tai-otoshi, O-uchi-gari, Ko-uchi-gari etc.) wettkampfstabil (für diesen Altersbereich) unterrichtet werden können?
Mit welchen Maßnahmen sollen die Trainer, die in den vergangenen 20 Jahren anders ausgebildet worden sind "umgeschult" und motiviert werden, die gewünschten neuen Regeln inhaltlich umzusetzen, wenn die für ihre Schüler notwendigen Techniken schwerer zu erlernen sind und viele dieser Schüler keine Wettkampforientierung haben?
Ich möchte keine einschränkenden Regeln mehr (es sind in den vergangenen drei, vier, fünf Jahren schon zu viele gewesen!) und sehe mich damit ganz sicher nicht alleine, wie Gespräche mit zahlreichen Kollegen in der vergangenen Woche gezeigt haben.
Andererseits gibt es auch durchaus kompetente und erfahrene Kollegen, die eine frühere Einführung des Ärmel-Kragengriffs befürworten und auf verstärkte Wettkampferfolge dadurch langfristig hoffen.
Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, wenn diese Kollegen mit ihren Gruppen verstärkt diesen Thema in ihrem Arbeitsfeld "beackern" - aber deswegen muss es doch keine neue Regeln geben, mit denen alle diejenigen Trainer, die mit ihren bisherigen didaktisch-methodischen Entscheidungen erfolgreich waren, zu anderem Handeln zwingen, ohne dass eine Einsicht darin vorliegt.
Wenn ich den aktuellen Spitzensport Judo betrachte, dann finde ich bisher kein Argument, was dafür spricht, in Zukunft
alle unsere jungen Judoka
nur ausschließlich mit dem Ärmel-Kragengriff ins Judo einzuführen.
Ich bin nach mehr als vierzig Jahren Tätigkeit im Judo-Wettkampfsport (und mindestens 25 Jahren davon auch als Trainer im Nachwuchsbereich) überzeugt, dass nach wie vor "viele Wege nach Rom" führen und wir keinen dieser Wege versperren sollten. Unsere jungen Judoka lernen aus ihren Kämpfen ganz sicher, was gut und richtig für sie ist, zu ihnen passt, mit ihrem Körper und ihrem Spirit funktioniert und erfolgreich ist.
So ist die Welt beschaffen, auch die Judowelt: was funktioniert wird weiter geführt und ausgefeilt, was nicht funktioniert wird vergessen.
Und wenn die Welt nicht so wäre (auch die Judowelt) hätte sich Judo nicht weiter entwickelt. Auch unsere jungen Judoka lernen ständig dazu und entwickeln sich - wenn man sie lässt und ihre Erfahrungen nicht beschneidet.
Judokämpfer entwickeln ihren "Stil" alleine - Trainer können sie bei ihren Erfahrungen unterstützen und begleiten.
Einengen sollten sie diese Judoka nicht.
Ulrich Klocke
Judoka, Judolehrer, Judotrainer, Judobuch-Autor