Ahoi, hier, ich melde mich mal als jemand, der Judo und Aikido macht. Dazu kurz: Ich habe vor etwa 12 Jahren als kleines Kind mit Judo angefangen, bin seit ein paar Jahren 1. Kyu (also Braungurt). Allerdings war das für mich viele Jahre nur ein Hobby, das ich für gewöhnlich 1x und einige Jahre auch 2x in der Woche je zwei oder vier Stunden je Trainingsabend verfolgt habe und ansonsten nicht weiter. Natürlich erwarten die wenigsten Trainer von einem Kind und Jugendlichen im Breitensport mehr als das, seltenst wird zur Beschäftigung mit (anderen) Kampfkünsten außerhalb des Trainings geraten - man will ja die Leute bei sich halten^^
Nunja, vor... - ich weiß nicht genau - etwa anderthalb Jahren packte mich eine regelrechte... Faszination für verschiedene Dinge im Bereich der Kampfkünste. Ich weiß auch noch, wie ich dazu kam, auch wenn ich gerade echt nachdenken musste, wie das wirklich ablief. Initiator des ganzen war wohl Eiji Yoshikawas Buch "Musashi", das ich - ein zweites Mal nach einigen Jahren - damals gelesen habe. Das hat mich für japanische Kultur und besonders Bu(shi)do begeistert und die Begeisterung hat sich gehalten. Ich habe zuerst sehr viel im Internet gelesen, wegen eines Mangels an Geld eben eher weniger in Büchern. Wie auch du fand ich Aikido plötzlich unheimlich faszinierend, besonders angeregt durch einen Bildband von Heinz Patt, ehemals Schüler von Meister Asai (der Bundestrainer vom Aikikai Deutschland), der hier zu Hause rumlag (der Bildband, nicht der Meister oder Herr Patt). Meine Mutter hatte sich den aus reiner Neugierde vor Jahren mal gekauft. Ich habe mich dann also genauer informiert. Vor allem das Internet (mit seinen vielen Videos und Texten) hat hier natürlich eine wichtige Rolle gespielt, aber auch die interessante Korrespondenz mit einem Bekannten, selbst 4. Dan Aikido, hat meinen Willen, Aikido zu machen, sehr bestärkt und zu einer Art unwiderstehlichem Drang werden lassen. Wie auch dir gefielen mir vor allem die dynamischen, runden Bewegungen. Eine Kampfkunst wie Karate anzufangen, erscheint vielen ja sinnvoller, weil man (in den meisten Trainingsgruppen) im Judo seltenst mit Atemi (Schlagtechniken) arbeitet, aber genau diesen Fokus hatte ich überhaupt nicht.
Im August des letzten Jahres (2009 also) habe ich dann endlich mit Aikido angefangen. Und ich hatte anfangs unglaubliche Schwierigkeiten. Das banalste Problem war: Seit 12 Jahren stehe ich im Judo bei der Vorwärtsrolle mit beiden Füßen auf. Im Aikido schlägt man beim Aufstehen ein Bein ein. Seit 12 Jahren falle ich im Judo rückwärts, während ich noch auf beiden Füßen stehe. Im Aikido schlägt man zum Rückwärtsfallen ein Bein ein. Und das waren noch die grundlegendsten Probleme. Andererseits habe ich in diesen wenigen Monaten Aikido so erhebliche Fortschritte bspw. eben in der Fallschule gemacht, dass ich mich über mich selbst wundere. Ich dachte eigentlich, dass ich mich dadurch, dass ich mit Gewohnheiten breche, insgesamt verschlechtern würde, und am Anfang war das auch der Fall, da ich mich einfach des öfteren verhaspelte, wenn mein Kopf das neue wollte und mein Körper das alte oder umgekehrt. Aber ich habe mich durchgekämpft und bin da gelandet, wo ich jetzt bin.
Ich bin jetzt 5. Kyu Aikido (im Aikikai Deutschland e.V.), immer noch 1. Kyu Judo, habe durch mein Aikido meine Art mich zu bewegen fast grundsätzlich verändert (auch im Alltag), meine Haltung (Rücken und so) ist um einiges gerader geworden, ich bewege mich flüssiger, kontrollierter und dynamischer. Auf Lehrgängen lobt man mich des öfteren (oder ich bekomme erzählt, dass man mich gelobt hat) wegen meines schönen und kraftvollen Aikidos (was ich übrigens sehr überraschend fand. Ich dachte eher, ich wäre einer der schlechteren Vertreter) - ein Verdienst meiner guten Lehrer, denke ich mal. Ich habe durch das Aikido und die Beschäftigung mit Budo eine ganz andere Art gewonnen, an Spiritualität und Philosophie heranzugehen, meine Lebenseinstellung ist eine andere geworden - wobei ich dazu sagen muss, dass die Lektüre von "Mind Over Muscle" (Texte von Kano Jigoro, Begründer des Judo) da ebenfalls sehr... einschneidend war und mich sehr beeinflusst hat. Gelesen habe ich es allerdings erst, als ich bereits Aikido machte. Das soll übrigens nicht heißen, dass ich Judo vernachlässigt hätte - im Gegenteil: Ich gehe mittlerweile viel lieber ins Judo-Training als früher und meine Beschäftigung mit Judo ist auch stärker als meine Beschäftigung mit Aikido. Was ich an Aikido von Anfang an übrigens auch sehr toll fand, war der Umgang mit Besteck (die Kombination Stock-Schwert-Messer), den man lernt. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich das mittlerweile zugunsten des "normalen" Aikido-Trainings (das ist bei uns gegliedert: montags Stock/Schwert, ansonsten "normal") etwas vernachlässigt habe. Vor ein paar Tagen habe ich mir allerdings mal eigenes Gehölz gekauft (bei Kingfisher Woodworks in den USA, soll hervorragende Hardware sein) und will damit wieder anfangen, regelmäßig die Waffen sprechen zu lassen
Prinzipiell kann ich eigentlich nur sagen: Aikido und Judo sind eine wundervolle Kombination. Ob es in deinem speziellen Fall sinnvoll ist, beides gleichzeitig zu machen oder mit dem einen zu warten, kann ich natürlich nicht genau sagen, allerdings gab es auch hier im Forum mal jemanden, der mit beidem gleichzeitig angefangen hat und damit anscheinend gut zurecht kam. Ein Aikidoka, den ich jetzt auf dem Aikikai-Osterlehrgang in Hamburg kennengelernt habe, ist 2. Dan Aikido und... irgendein Yudansha im Judo (Kodansha meines Wissens nicht). Er scheint auch ganz gut mit der Kombination zurechtzukommen. Von daher: Einen Versuch ist es immer wert, schaden kann es eigentlich nicht. Und wenn doch, dann kannst du das eine ja auch wieder zurückstellen. Fremdgehen ist es übrigens nicht. Ueshiba Morihei (Begründer des Aikido) und Kano Jigoro haben meines Wissens auch eine gewisse Zeit lang zusammengearbeitet. Auch gibt es Tomiki-Aikido, dessen Begründer Tomiki Kenji lange Jahre bei Kano Jigoro und Ueshiba Morihei trainiert und dann irgendwann seinen eigenen Stil begründet hat - der auch Elemente aus dem Judo enthält. Und mal ganz nebenbei gibt es im Aikido auch Koshi Nage. Und eine Variation der Prüfungstechnik im Aikikai Deutschland ist ganz simpel Uki Goshi wie im Judo (wobei der ganz so simpel ja auch nicht ist^^).
Ich wünsche dir - solltest du das Wagnis eingehen - viel Erfolg und vor allem natürlich viel Spaß an der ganzen Sache
