Jûdô und Waffen

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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tutor!
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

tom herold hat geschrieben: "Defense against attack" - und genau das wird eben nicht (mehr) gelehrt.
Ein Angriff ist eben nicht auf das zu reduzieren, was im Wettkampf auf der Matte stattfindet ...
Genau an der Stelle - sie ist IMHO der Schlüsselaspekt Deiner Argumentation - möchte ich Dir einerseits Recht geben, andererseits auch widersprechen. "Attack and Defence" darf zwar nicht auf Wettkampf oder Randori reduziert werden, wird aber genau dort gelehrt und praktiziert. Randori war DIE Übungsform für Kano, um "attack and defence" zu entwickeln.

Das "Sportjudo", wie Du es bezeichnest, ist damit auch ein Weg im Judo. Kein wirklich vollständiger, aber auch kein Irrweg, wenn man nicht ausschließlich hinter Pokalen und Medaillen her rennt und auch die traditionellen Kata studiert. Damit wird es (fast) wieder rund.
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Reaktivator »

Kaum ist man mal einen Tag nicht da, schon gibt es hier statt einer Sachdiskussion mit nachprüfbaren Fakten und Quellen schon wieder wilde Spekulationen und Mutmaßungen.... :-(
Fritz hat geschrieben:Frage an Reaktivator: Hast Du den originalen jap. Text zu o.g. Zitat und wenn ja, könntest Du
überprüfen, ob die obige englische Übersetzung korrekt ist?
Werde ich gerne machen - da ich hier im Büro allerdings keinen Zugriff auf mein Judo-Archiv habe, werde ich den Text frühestens heute oder morgen abend heraussuchen können.

Vorab deshalb zunächst nur eine allgemeine Bemerkung, da die Diskussion in einem Punkt doch ziemlich abgedriftet ist:

Das Schwert hatte besonders in der Vor- und Kriegszeit eine besondere Bedeutung in Japan - völlig unabhängig vom Jūdō und auch völlig unabhängig von Kanōs Ideen und Taten:

Jeder Offizier hatte ein Schwert (sogenanntes "Guntō" = "Armee-Schwert"), und zwar schon seit der Meiji-Zeit (1868-1912):
Ab 1872 (D.h. lange vor Gründung des Kōdōkan und des Kōdōkan-Jūdō!) in Form des "Kyū-guntō" (Altes Armee-Schwert), seit 1934 dann beim Heer und seit 1937 bei der Marine das sogenannte "Shin-guntō" (Neues Armee-Schwert), letzteres aufgrund des hohen Bedarfs übrigens zum Großteil maschinell gefertigt. (Höhere Offiziere durften ihre eigenen Schwerter benutzen, die dann z.T. höherwertiger waren - einfache Offiziere mußten in der Regel mit der billigen Massenware Vorlieb nehmen.)

Per Dekret sollte den Soldaten der Bushidō-Kodex nahegebracht werden. Das Schwert war in dieser Zeit ein Synonym für den "wahren japanischen Geist" (Yamato-damashii) bzw. das "wahre japanische Herz" (Yamato-gokoro).
Jeder Japaner - unabhängig von seiner Abstammung - sollte sich als kleiner Samurai fühlen - selbstverständlich verbunden mit der durch den Ehrenkodex vorgegebenen Pflicht zur Aufopferung für "Volk und Vaterland" (bzw. Kaiser und Vaterland).

Fotos japanischer Offiziere mit Schwert sind aus dieser Zeit hinlänglich bekannt - u.a. auch von Kleinst-U-Boot-Besatzungen, die zu ihrer Selbstmordfahrt mit Schwertern an Bord gingen (obwohl die Wahrscheinlichkeit für einen Schwerteinsatz im Zweikampf unter Wasser wahrscheinlich gegen Null ging....), oder aber auch von zahlreichen Offizieren, die ihre Schwerter grausam an Kriegsgefangenen oder Zivilisten "erprobten".

Daß es bei mehr als 5 Millionen Soldaten (mit anteilig vielen Offizieren) alleine in den letzten Kriegsjahren und einem entsprechend hohen Stellenwert, den der Schwertkampf generell in der japanischen Gesellschaft genoß, sowie der großen staatlichen Unterstützung (z.B. durch Schwert-Training nicht nur bei Polizei und Militär, sondern u.a. auch in den normalen Pflichtschulen und Universitäten!), sehr viele Japaner gab, die mit dem Schwert umgehen konnten, ist doch überhaupt nicht verwunderlich (Und das bezieht sich logischerweise auch auf jemanden wie Tokio Hirano, der in dieser Zeit aufgewachsen ist und 1941 an die Takushoku-Universiät ging). Aber was hat das, bitte schön, speziell mit Jūdo zu tun?
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

Tutor ! schrieb schon, dass der Umgang mit der Katana
tief in der Gesellschaft verwurzelt und so etwas wie Allgemeingut
Also nichts Neues. Ich hatte einen Link gepostet,
dort steht:
Bôken, Bôkken oder Bokken, ein aus schwerem Holz nachgebildetes Samurai-Schwert. Es wird im Aikido als Lerninstrument zu Uebungszwecken verwendet um die Bewegungsabläufe der Techniken präziser einzustudieren.
Hoffe, du hast ihn gelesen. Wenn man dann noch weiss, dass die Kampfkünste damals auch zum Gebrauch auf dem Schlachtfeld gedacht waren, kann man sich denken, dass man eben oben genanntes auch ausgeführt hat. Weiterhin ist Judo eine Synthese einiger alter Kampfkünste (Jujutsu-Stile) und.......
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Reaktivator »

tutor! hat geschrieben:"Attack and Defence" darf zwar nicht auf Wettkampf oder Randori reduziert werden, wird aber genau dort gelehrt und praktiziert. Randori war DIE Übungsform für Kano, um "attack and defence" zu entwickeln.
Genau so ist es!
Lin Chung hat geschrieben:Wenn man dann noch weiss, dass die Kampfkünste damals auch zum Gebrauch auf dem Schlachtfeld gedacht waren, kann man sich denken, dass man eben oben genanntes auch ausgeführt hat.
Also "damals" waren sie das bestimmt nicht! Denn die Zeit, über die wir hier reden, sind die 1920er bis 1940er Jahre - und da standen sich definitiv nirgendwo irgendwelche Samurai- oder gar Ninja-Streitkräfte gegenüber, die sich auf dem Schlachtfeld mit traditionellen Kampfkünsten bekämpft hätten.
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Wlad »

Meiner unwichtigen Meinung nach sollte man nicht fragen:"Was das ganze mit Judo zu tun hat", sondern sich mal vielleicht überlegen, warum so viele traditionelle Stile Waffenarbeit als wichtig für den waffenlosen Teil betrachten, z.B. für die Förderung der Körperstruktur.

Just my 2 cents...
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Reaktivator »

Wlad hat geschrieben:Meiner unwichtigen Meinung nach sollte man (...) sich mal vielleicht überlegen, warum so viele traditionelle Stile Waffenarbeit als wichtig für den waffenlosen Teil betrachten, z.B. für die Förderung der Körperstruktur.
Gute Idee. :eusa_clap
Dann mach doch einfach einen neuen Faden auf mit dem Titel: "Warum so viele traditionelle Stile Waffenarbeit als wichtig für den waffenlosen Teil betrachten"

Hier in diesem Faden hingegen geht es, wie der Titel schon sagt, um "Jûdô und Waffen".

Und deshalb ist die Frage
Wlad hat geschrieben:(...) "Was das ganze mit Judo zu tun hat" (...)
doch wohl berechtigt....
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Wlad »

Dazu hat Tom Herold schon mehrmals etwas geschrieben, wird irgendwie nur ignoriert...
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Reaktivator »

@Wlad: Dann war Dein Vorschlag, "mal vielleicht" zu "überlegen", ja wohl etwas vorschnell. Dann brauchst Du doch eigentlich nur diese Texte zu lesen, wenn sie Dir bekannt sind....
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

Also "damals" waren sie das bestimmt nicht! Denn die Zeit, über die wir hier reden, sind die 1920er bis 1940er Jahre - und da standen sich definitiv nirgendwo irgendwelche Samurai- oder gar Ninja-Streitkräfte gegenüber, die sich auf dem Schlachtfeld mit traditionellen Kampfkünsten bekämpft hätten.
...wir reden hier allgemein vom traditionellen Judo und damit ist auch die Zeit vor 1920 gemeint oder beginnt bei dir das Judo erst ab 1920? Dann mach doch bitte dazu einen neuen Faden auf.
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Jupp »

Wenn wir nun einmal annehmen (d.h. wir vermuten, denn es ist ja bisher nirgendwo schriftlich und eindeutig von Kano festgehalten worden), dass Waffentechnik ein wichtiger Teil des Judo sei, warum wird dies dann in den wichtigsten, veröffentlichten Quellen des Kodokan (d.h. vor allem den Büchern der Darstellung des Kodokan-Judo) so nicht auch präsentiert?
Warum spielen dann vor allem die Wurftechniken und die Grifftechniken in den Darstellungen des Kodokan Judo eine so überragende Rolle, während Waffentechniken überhaupt nicht erwähnt werden und den Atemi-waza nur eine mehr als bescheidene Darstellung zugestanden wird?
Kann es vielleicht doch sein, dass das Kodokan-Judo, so wie es heute vom Kodokan in Tokyo praktiziert und propagiert wird, das Judo ist, was Jigoro Kano zum Zwecke der "Erziehung der Jugend" (in einer modernen Welt nach 1860!) sich gewünscht hat?

Um meine Fragen zu beantworten, muss man allerdings ein Verständnis des heutigen Kodokan-Judo haben, welches sich nicht auf den Begriff "Sportjudo" einschränken lässt. Es umfasst nämlich (u.a.):
- "Bewegungsjudo" für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
- "Kata-Judo" für Jugendliche, Erwachsene und "Oldies"
- Judo als Selbstverteidigung für alle über 14 Jahre
- Judo als Wettkampf, Leistungs- und Hochleistungssport (man beachte die Dreiteilung!!)
- Judo als therapeutisches Mittel für geistig, körperlich oder emotionale behinderte Menschen
- Judo als Teil des Sportunterrichts an unseren Schulen
- Judo als Lebensweg mit all den oben genannten Spektren in verschiedenen Lebensphasen und mit unterschiedlicher persönlicher Schwerpunktsetzung
- Judo als Philosophie sein Leben, seine Arbeit und seine Beziehungen zu gestalten
- usw.

Alle diese Arten, Judo zu betreiben und zu leben, sind nach meinen Verständnis gleichberechtigt. In all diesen Ausprägungen lassen sich (bei entsprechend langem Studium) wichtige Erfahrungen machen. All diese Facetten lassen sich in Aus- und Weiterbildung des DJB wieder finden, in unterschiedlichen Qualitäten und Ausprägungen - aber es gibt sie. Judo im DJB (oder im heutigen Kodokan) deswegen nur auf den einen (für einen Sportverband im DOSB durchaus wichtigen) Aspekt des "Judo als geregelte Sportart" zu reduzieren ist unangemessen.

Der Begriff "Sportjudo" passt überhaupt nicht, weil er durch seine Art der Benutzung zu einem diskriminierenden "Schimpfwort" für "falsches" Judo geworden ist.

Kann es sein, dass jemand, der ein so facettenreiches Verständnis von Judo, wie es weiter oben beschrieben wird, hat (und dies auch in Wort, Schrift und Lehre verbreitet) und glaubt, dass er all die möglichen Inhalte des Judo in einem "Judoleben" überhaupt wird erfassen können, vielleicht doch ein Ahnung davon hat, was Judo wirklich sein könnte?

Über den niederländische Zahnarzt "Opa" G.F.M. Schutte schreibt sein Biograf Antoon Geels, dass er Judo als "Sport, Spiel und Kunst" betrachtete und Judo als eine Orange beschrieb, von der nur ein Stück das Wettkampfjudo sei und der wahre Geschmack der "ganze Apfelsine" sich nicht nur an einem kleinen Stück wiederfinden lasse.

Besser kann man es auch heute nicht ausdrücken.

Jupp
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Kodokan Judo

Beitrag von HBt »

Ulrich hat geschrieben:Über den niederländische Zahnarzt "Opa" G.F.M. Schutte schreibt sein Biograf Antoon Geels, dass er Judo als "Sport, Spiel und Kunst" betrachtete und Judo als eine Orange beschrieb, von der nur ein Stück das Wettkampfjudo sei und der wahre Geschmack der "ganze Apfelsine" sich nicht nur an einem kleinen Stück wiederfinden lasse.
Besser kann man es auch heute nicht ausdrücken.
Ein wunderschöner und sehr treffender Vergleich; ein unendlich breites Spektrum, scheinbar gar nicht in der Gänze zu erfassen. Eine Reduktion auf das Eine oder Andere verbietet sich dem zur Folge. Was Prof. Kano sich für sein Judo in der Zukunft gewünscht hat, sollte sich in Erfahrung bringen lassen ...
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Fritz »

Jupp hat geschrieben:Wenn wir nun einmal annehmen (d.h. wir vermuten, denn es ist ja bisher nirgendwo schriftlich und eindeutig von Kano festgehalten worden), dass Waffentechnik ein wichtiger Teil des Judo sei, warum wird dies dann in den wichtigsten, veröffentlichten Quellen des Kodokan (d.h. vor allem den Büchern der Darstellung des Kodokan-Judo) so nicht auch präsentiert?
Die Zitate in Mind over Muscle und im Niehaus sind meiner Meinung nach doch aussagekräftig.
Die Kime-No-Kata enthält Waffentechniken.
Was u. Warum das Kodokan etwas (nicht) veröffentlicht, werden wir hier nicht klären können,
aber es besteht in der Judowelt weitgehend Konsens darüber, daß das Kodokan Informationen
zurückhält.
Warum spielen dann vor allem die Wurftechniken und die Grifftechniken in den Darstellungen des Kodokan Judo eine so überragende Rolle, während Waffentechniken überhaupt nicht erwähnt werden und den Atemi-waza nur eine mehr als bescheidene Darstellung zugestanden wird?
Warum findet man in heutigen Judo-Büchern nur sehr wenig bis gar keine Genick- u. Beinhebel
(vom Ashi-Garami in Zusammenhang mit der Katame-No-Kata mal abgesehen)?
Kawaishi, Yerkov z.B. dagegen sind voll davon?
Ansonsten gibt es ein Kano-Zitat, das aussagt, es solle mit Nage-Waza begonnen werden, da diese
sehr kompliziert sind und viel Zeit bis zum Beherrschen benötigen. Tom kann sicherlich
das Zitat nachliefern...
Der Begriff "Sportjudo" passt überhaupt nicht, weil er durch seine Art der Benutzung zu einem diskriminierenden "Schimpfwort" für "falsches" Judo geworden ist.
Dann hast Du die Diskussionen nicht richtig verfolgt, der Begriff "Sportjudo" wurde herausgearbeitet,
um einen sprachliche Unterscheidung zum Jûdô im traditionellen Sinn (also mit Atemi, Beinhebel usw...)
zu schaffen, damit nicht jeder Leser bereits geführte Diskussionen neu beginnen muß.
Es ist Konsens hier, daß "Sportjudo" nur einen eingeschränkten Teilbereich des Judo abdeckt.
(Tom läßt ja auch kaum einen Beitrag aus, um darauf hinzuweisen, daß da noch mehr sei ;-) )
Wie man in einem solchen (aus der Notwendigkeit der sprachlichen Genauigkeit geborenen) Begriff
als Schimpfwort ansehen kann, erschließt sich mir nicht ...
Und ja, manche Techniken im Wettkampfjudo werden offensichtlich "falsch" gelehrt,
wenn man sich die verschlissenen, Knie u. Wirbelsäulen und sonstigen Gelenke ansieht...
Jupp hat geschrieben:Über den niederländische Zahnarzt "Opa" G.F.M. Schutte schreibt sein Biograf Antoon Geels, dass er Judo als "Sport, Spiel und Kunst" betrachtete und Judo als eine Orange beschrieb, von der nur ein Stück das Wettkampfjudo sei und der wahre Geschmack der "ganze Apfelsine" sich nicht nur an einem kleinen Stück wiederfinden lasse.
Ich habe dieses Zitat vor Jahren mal von Jürgen Hatzki gehört.
Wie wir in dieser Diskussion nun herausgefunden haben, ist eine dieser Spelzen nun auch die
Beschäftigung mit den japanischen Waffen.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
HBt

Die wichtigste Mission

Beitrag von HBt »

Und ja, manche Techniken im Wettkampfjudo werden offensichtlich "falsch" gelehrt,
wenn man sich die verschlissenen, Knie u. Wirbelsäulen und sonstigen Gelenke ansieht...
...die Hüfte, die Liste ist sehr lang.

Hallo Fritz,
Du bringst es auf den Punkt, neben allem Anderem ist die Gesundheit und Erhaltung der Selben das Wichtigste.
Dieses geht offensichtlich nur, wenn man die komplette Frucht erkennt, warum also keine Waffen ? Ich nehme an,
uns täte der Umgang mit dem Jo ... recht gut.


PS Kawakami, war ebenfalls sehr versiert im Umgang mit Waffen und seine Wurftechniken brilliant
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Reaktivator »

Ja, genau!
Das ist übrigens das, was "Lin Chung" und andere immer zu Recht als "Blick über den Tellerrand" bezeichnen. Was spricht dagegen?
Das hat früher Jigoro Kano schon genauso gemacht und auch seinen Schülern empfohlen...
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

Mich erschreckt es erheblich, dass in einer historischen Frage munter spekuliert wird und letztlich jeder "Belege" für das angibt, was er IMHO glauben will.

Welche Argumente wurden bisher angeführt - und was sagen sie wirklich aus? Ich habe die Aussagen aus den bisherigen Beiträgen extrahiert, jedoch aus Zeitgründen keine Links auf die Beiträge gesetzt. Aber man braucht ja nur ein wenig zurückblättern.

1. Kano hat den Umgang mit traditionellen Waffen auf hohem Niveau gelernt.
Das sagt erst einmal gar nichts darüber aus, ob er Waffentechniken in das Judo integriert hat oder nicht.

2. Im SV-Bereich des Kodokan-Judo gibt es zahlreiche Abwehraktionen mit bloßer Hand gegen bewaffnete Angriffe.
Dies sagt aus, dass nach Kanos Überzeugung eine alltagstaugliche SV Abwehren gegen die damals gebräuchlichen Waffen beinhalten musste, aber sagt eben nicht aus, dass deren aktive Verwendung bei der Verteidigung oder gar zum Angriff Teil des Kodokan-Judo war. Dies impliziert ferner, dass der Angreifer (Uke) mindestens so gut mit den Waffen umgehen kann, damit Tori in die Lage kommt, die Abwehr zu üben.

3. Kano sagt, dass ein Judo-Lehrer Fertigkeiten im Umgang mit Schwert und Langstock haben sollte.

Logisch und unbestritten erscheint, dass man - um einen Angriff abzuwehren - mögliche Angriffe mit dieser Waffe kennen muss um eine qualifizierte Anleitung zu deren Abwehr geben zu können.

4. Zahlreiche Vorkriegs-Judoka konnten hervorragend mit traditionellen japanischen Waffen umgehen

Dies sagt nichts darüber aus, wo sie diese Fertigkeiten erworben haben - wie wir wissen organisierten Polizei, Militär, Schulen und Universitäten deratiges Training, so dass die Beherrschung von Waffentechniken als Alltagskultur in Japan angesehen werden konnte. Damit ist dies ein gänzlich ungeeigentes Indiz für Waffentraining am Kodokan, wohl aber ein Indiz dafür, dass ihre Abwehr erfordelich für ein SV-Programm war.

5. Kano schreibt sinngemäß: Kendo sollte in einer gewissen Form in Judo integriert werden.

Das sagt ziemlich eindeutig, dass es das zum Zeitpunkt des Zitats nicht war - und zwar in keiner Form.

6. Am Kodokan wurde regelmäßig bojutsu betrieben, das separat ausgewiesen war und in einem historischen Werk als "Kodokan-bojutsu" bezeichnet wurde.
Dies sagt aus, dass am Kodokan bojitsu gemacht wurde, aber nicht, dass es Teil des Judo-Trainings war, sondern eher, dass es eine separate Veranstaltung war.

7. Kano gründete am Kodokan eine Organisation zum Erhalt und zur Pflege der Koryu-Stile. Auch schickte er zahlreiche Schüler aus, um Koryu-Stile zu lernen.
Das bedeutet mindestens, dass Kano das Studium der Koryu-Stile ernst genommen hat, aber auch, dass die Koryu-Stile nicht vollständig in Judo assimiliert wurden, denn dann würde es keinen Sinn machen, sie separat zu bewahren. Judo ist eine Synthese zahlreicher Koryu-Stile, aber eben nicht die Summe aller in ihnen gepflegten Techniken. Die offene Frage: worin bestehen auf der Inhaltsebene die Unterschiede?

8. Es macht für das allgemeine Verständnis z.B. auch von Wurftechniken oder der Entwicklung von Distanzgefühl Sinn, sich mit Waffen auseinanderzusetzen.
Dies sagt - wenn man sich dem anschließen möchte - ebenfalls nicht aus, ob und in welcher Form, Waffentechniken Eingang in das Judo-Curriculum gefunden haben.

Schwierig und vor allem aus meiner Sicht sehr schwerwiegend sind folgende Punkte:

9. In keinem Judo-Buch - auch nicht in den Vorkriegsbüchern, in denen Bein-/Genickhebel oder auch Kuatsu beschrieben ist- finden sich Beschreibungen über die Handhabung von Waffen, die über die Abwehr von Angriffen mit diesen hinaus gehen

10. Im Kodokan-Curriculum finden sich keinerlei Hinweise darauf, welche Waffen und vor allem welche Techniken mit diesen Waffen erlernt werden sollten.

11. Bis hinauf zum Prüfungsprogramm für den 8. Dan finden sich keinerlei Anforderungen zur Handhabung von Waffen über die Abwehr bewaffneter Angriffe hinaus.

Für keinen der Punkte 9-11 habe ich bislang einen auch nur halbwegs plausiblen Erklärungsansatz gelesen.

Letztlich erbitte ich eine Antwort auf die Frage, warum Kano das gesamte Technikrepertoire der ihm bekannten Koryu-Stile in das Judo integriert haben soll und dabei gleichzeitig so gründlich dafür gesorgt haben soll, dass nur ein verschwindend kleiner Teil dieser Techniken der breiten Masse zugänglich geworden ist.

Bereits vor dem Krieg gab es viele tausend Judoka am Kodokan und es ist doch sehr verwunderlich, dass nur so wenige Menschen etwas von diesen Waffentechniken mitbekommen haben sollen.

Für mich mündet alles in die These, dass es innerhalb des Kodokan-Judo technische Bereiche gegeben haben soll, die nur einer kleinen Minderheit zugänglich waren und die im Geheimen trainiert wurden. Die breite Masse durfte Waffen nur abwehren - deren korrekter Gebrauch wurde jedoch im Verbrogenen trainiert? Anders kann ich mir die fehlenden Veröffentlichungen nicht erklären, finde diesen Gedanken jedoch absurd.

Was habe ich übersehen?
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tom herold »

Reaktivator schreibt:
Kaum ist man mal einen Tag nicht da, schon gibt es hier statt einer Sachdiskussion mit nachprüfbaren Fakten und Quellen schon wieder wilde Spekulationen und Mutmaßungen.... :-(
Ja, ja, du bist sooo wichtig - und kaum bist du mal nicht da ...
Ich habe Zitate von Kano zum Thema Waffen angeführt und durch Quellen belegt.
Was bitte schön ist denn daran "wilde Spekulation"? Sind Kanos Worte etwa KEINE nachprüfbaren Fakten ...?
Das hätte ich doch gern mal erklärt ...

Du fragst zum wiederholte Mal, was das Schwert mit Jûdô zu tun hat.
Muß ich nun wirklich noch einmal das hier schon angeführte Zitat wiederholen, in welchem Kano erklärt, was er unter einem idealen Jûdô-Lehrer versteht?
Sagt Kano da etwa NICHT, daß ein solcher auch Kenntnisse im Umgang mit Schwert und Langstock haben MUSS?

Oder interpretierst du Kanos Worte anders?

Zur Frage von "attack and denfense":

Muß ich wirklich daran erinnern, was Kano zum Randori schreibt?
Ja, Randori lehrt "attack and defense". Habe ich etwas anderes behauptet? Nöö.
ABER ich erlaube mir, noch einmal Kano zu zitieren:
Randori Practice

The reaseon for the kinds of abuses that have arisen today is that people have forgotten that randori practice means fighting in earnest. If one fights in earnest, a stance in which you lower your hips, spread your legs, and tilt your head forward is extremely disadvantageous. Both your face and your chest are vulnerable to your opponent's atemi.
(Kano in: Mind over Muscle, S. 139, Hervorhebung von mir)

So, ist das auch wieder eine meiner Fehlinterpretationen von Kanos Absichten, ja?
Und wenn da steht: "... randori practice means fighting in earnest", dann hat das nun mal nichts mit Sport zu tun - denn sonst würde da "competition" stehen.

Weiter:
The Samurai Spirit

Because judo developed based on the martial arts of the past, if the martial arts practitioners of the past had things that are of value, those who practice judo should pass all those things on. Among these, the samurai spirit should be celebrated even in today's society.
(ebenda, S. 126, Hervorhebung von mir)

So, und soweit wir wissen, drückt sich das, was Kano "Samurai Spirit" nennt, im Schwert aus - das zu bestreiten wäre albern.

Natürlich muß man Kanos Worte nicht zur Kenntnis nehmen, wenn sie unbequem sind ...

Jupp schreibt:
Wenn wir nun einmal annehmen (d.h. wir vermuten, denn es ist ja bisher nirgendwo schriftlich und eindeutig von Kano festgehalten worden), dass Waffentechnik ein wichtiger Teil des Judo sei, warum wird dies dann in den wichtigsten, veröffentlichten Quellen des Kodokan (d.h. vor allem den Büchern der Darstellung des Kodokan-Judo) so nicht auch präsentiert?
Was, bitte, sind denn die von mir hier angeführten Zitate Kanos - etwa KEIN Beweis? So nach dem Motto: "Kano kann ja viel erzählen", oder wie?
Hat Kano da etwa NICHT eindeutig schriftlich festgehalten, was er in Bezug auf Schwert und Langstock zumindest von Jûdô-Lehrern erwartet?
Was - ich wiederhole mich - ist mit Shimizu Takagi, dem "Jô-Jutsu-Instructor of Kodôkan" (1912)??

Ansonsten hat Fritz bereits die Fragen gestellt, die ich auch gestellt hätte.
Mit den Waffentechniken scheint es zu sein wie mit den Atemi-Waza: erst wird jahrzehntelang bestritten, daß es "so etwas" überhaupt gibt, dann wird es kleingeredet ("nicht so wichtig"), wenn man es nicht mehr leugnen kann.

Cunningham bspw. (und nicht nur er!) weist darauf hin, daß es im Kodôkan die (heute ebenfalls geleugnete) Tradition des "okuden" gab. Soll heißen, nicht jeder bekam auch alles erklärt und gezeigt.
(Warum etwa schuf Kano 10 Grade, wenn angeblich nur die ersten 5 davon mit einem überprüfbaren Zuwachs an Wissen einhergehen?)

Ich bleibe dabei: was Jupp schreibt, sind Ausflüchte, um nicht zugeben zu müssen, daß er das Schwert nicht handhaben kann. Den Bô übrigens auch nicht ...

Das sture Ausklammern der Waffentechniken aus dem Jûdô ist unsinnig.
Fritz hat bereits dargelegt, daß der Kodôkan viele Dokumente zurückhält.

Natürlich können wir uns derzeit nur auf Indizien stützen, wenn es um die Waffentechniken des Jûdô geht.
Zu diesen Indizien gehören aber Kanos eigene Worte, das Wissen darum, daß es keine "waffenlosen" Ryû der Koryu gab, das Wissen darum, daß Kano sein Jûdô aus diesen Koryû extrahierte.
Zu diesen Indizien gehört das Wissen, daß es die Kobudô Kenkyukai gab.
Wir haben Kime-no-Kata, und die alte, authentische Form (erst nach Kanos Tod verändert!!) der Goshinjutsu-no-Kata, in der es ganz selbstverständlich Waffen gibt, und wir haben Koshiki-no-Kata.
Wieso Koshiki-no-kata? Da kommen doch gar keine Waffen vor ...?
Mal drüber nachgedacht, woher diese Kata stammt? Richtig: aus einer Ryû der Koryû. Mal drüber nachgedacht, WAS dort trainiert wird?
Es geht um Yoroi Kumi Uchi (Ringen in Rüstungen). Und WANN kam es dazu ...? Und vor allem WO? Richtig, auf dem Schlachtfeld im Nahkampf.
Yoroi Kumi Uchi war das "letzte Mittel" - NACH dem Einsatz der Waffen.
Wer Yoroi Kumi Uchi lehrt, der muß auch lehren, wie man dahin kommt ... und davor stehen eben die Waffen.

Aber wie immer wird es Leute geben, die ihr Bild des (rein sportlichen) Jûdô, das ja angeblich so facettenreich ist, ganz einfach bedroht sehen, wenn von Waffen im Jûdô die Rede ist.
Ich behaupte, daß dies etwas damit zu tun hat, daß solche Leute niemals das Schwert zu führen gelernt haben.
Ich darf dazu Wilhelm Busch zitieren:
"Wir mögen keinem gerne gönnen, daß er was kann, was wir nicht können."

Ich hatte ja eigentlich erwartet, daß bspw. Jupp die Größe aufbringen würde, über die goldene Brücke zu gehen, die ich ihm gebaut hatte, und einfach mal zugeben würde, daß er zwar im Bereich des Sportjudo durchaus als Experte gelten kann, aber sonst wenig bis keine Ahnung von der Geschichte und den Lehrinhalten des traditionellen Jûdô hat.
Aber dazu gehört Mut und Aufrichtigkeit, nicht wahr ... und der Wille zur Verständigung.
Ich persönlich habe kein Problem damit, zuzugeben, daß ich im Sportjudo keine Größe bin (und auch nie war).
Also glaubt einfach weiter, daß es im Jûdô nie Waffen gab.

Übrigens: auch die Existenz der angebllich von Klaus Hanelt "entdeckten" Go-no-Kata wurde in Sportjudo-Kreisen lange energisch bestritten ... (Was belegbar ist!).

Ganz egal, was Jupp hier über das angeblich so facettenreiche "moderne Judo" schreibt: auf der ersten der von Kano genannten Ebenen besteht es - so jedenfalls habe ich Jupp verstanden - nur aus Wurftechniken und Bodengriffen. Unangenehm berührt läßt man sich noch zu dem Zugeständnis herab, daß es da wohl auch so etwas wie Atemi gebe, die seien aber nicht wichtig ...
Woher kommt diese mangelnde Neugier? Statt alles daranzusetzen, herauszufinden was nun zum Jûdô gehört, lehnt man sich bequem zurück und leugnet, bis die Wände wackeln ...
Weil man es selbst nicht kann?

@tutor:
Das "Sportjudo", wie Du es bezeichnest, ist damit auch ein Weg im Judo. Kein wirklich vollständiger, aber auch kein Irrweg, wenn man nicht ausschließlich hinter Pokalen und Medaillen her rennt und auch die traditionellen Kata studiert. Damit wird es (fast) wieder rund.
Einverstanden, wenngleich mit Einschränkungen.
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Re: Jûdô und Waffen

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tom herold hat geschrieben:
Randori Practice

The reaseon for the kinds of abuses that have arisen today is that people have forgotten that randori practice means fighting in earnest. If one fights in earnest, a stance in which you lower your hips, spread your legs, and tilt your head forward is extremely disadvantageous. Both your face and your chest are vulnerable to your opponent's atemi.
(Kano in: Mind over Muscle, S. 139, Hervorhebung von mir)
Ob Du es jetzt glaubst oder nicht: genau aus diesem Grund - neben der mangelnden Attraktivität - wurden jetzt die Wettkampf-Regeln dahingehend geändert, dass es für abgebeugtes Kämpfen eine Bestrafung gibt.
tom herold hat geschrieben:Natürlich können wir uns derzeit nur auf Indizien stützen, wenn es um die Waffentechniken des Jûdô geht.
Eben - wenngleich unstrittig ist, dass die Abwehr bewaffneter Angriffe mit bloßen Händen Teil des Kodokan-Judo ist. Für alles, was darüber hinaus geht, bleiben allerdings wirklich nur Indizien.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
tom herold
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tom herold »

Hallo Tutor, du schreibst:
Die breite Masse durfte Waffen nur abwehren - deren korrekter Gebrauch wurde jedoch im Verbrogenen trainiert? Anders kann ich mir die fehlenden Veröffentlichungen nicht erklären, finde diesen Gedanken jedoch absurd.

Was habe ich übersehen?
Und dabei gibst du selbst die Antwort:
Dies impliziert ferner, dass der Angreifer (Uke) mindestens so gut mit den Waffen umgehen kann, damit Tori in die Lage kommt, die Abwehr zu üben.
So - wenn man also mit Angreifern fertigwerden mußte, welche den Umgang mit diesen Waffen beherrschten (und genau darum ging es!), wie sinnvoll wäre es dann gewesen, mit jemandem zu üben, der den Umgang mit diesen Waffen NICHT beherrschte und nur damit herumfuchtelte?
Und da die Übungspartner ebenfalls Jûdôka waren ... ergibt sich daraus zwingend, daß sie mit diesen Waffen umgehen können mußten, wenn das Training irgend einen Sinn haben sollte.
Wenn sie aber mit diesen Waffen umgehen konnten ... und wenn das üblich war (und das war es!), warum um alles in der Welt will man dann unbedingt darauf bestehen, diese Fähigkeiten hätten sie "anderswo" erworben?
Logisch und unbestritten erscheint, dass man - um einen Angriff abzuwehren - mögliche Angriffe mit dieser Waffe kennen muss um eine qualifizierte Anleitung zu deren Abwehr geben zu können.
Richtig! Man mußte mit diesen Waffen umgehen können, und zwar auf hohem Niveau.
5. Kano schreibt sinngemäß: Kendo sollte in einer gewissen Form in Judo integriert werden.
Das sagt ziemlich eindeutig, dass es das zum Zeitpunkt des Zitats nicht war - und zwar in keiner Form.
Kendô: stimmt. Aber das gilt eben für KENDO (eine Disziplin des Gendai Budô), nicht für das in den traditionellen Ryû gelehrte und von Ryû zu Ryû verschiedene Kenjutsu.
6. Am Kodokan wurde regelmäßig bojutsu betrieben, das separat ausgewiesen war und in einem historischen Werk als "Kodokan-bojutsu" bezeichnet wurde.
Dies sagt aus, dass am Kodokan bojitsu gemacht wurde, aber nicht, dass es Teil des Judo-Trainings war, sondern eher, dass es eine separate Veranstaltung war.
Was soll denn das? Das ist doch Haarspalterei! Es wurde im Kodôkan nachweislich Bojutsu trainiert, aber das soll nichts mit Jûdô zu tun gehabt haben? Wieso denn nicht? Dieses Bojutsu muß gemäß Kanos Maxime des Seiryoku Zenyo unterrichtet worden sein, ansonsten hätte es keinen derartigen Unterricht gegeben. Das aber macht es zu einem Bestandteil des Jûdô.
7. Kano gründete am Kodokan eine Organisation zum Erhalt und zur Pflege der Koryu-Stile. Auch schickte er zahlreiche Schüler aus, um Koryu-Stile zu lernen.
Das bedeutet mindestens, dass Kano das Studium der Koryu-Stile ernst genommen hat, aber auch, dass die Koryu-Stile nicht vollständig in Judo assimiliert wurden, denn dann würde es keinen Sinn machen, sie separat zu bewahren. Judo ist eine Synthese zahlreicher Koryu-Stile, aber eben nicht die Summe aller in ihnen gepflegten Techniken. Die offene Frage: worin bestehen auf der Inhaltsebene die Unterschiede?
Eine sehr vernünftige Frage. Wie man Cunningham, Tripp uva. entnehmen kann, übernahm Kano in sein Jûdô vor allem Prinzipien anderer Ryû. Natürlich mußten diese Prinzipien durch konkrete Techniken ausgedrückt und angewandt werden, und so übernahm Kano auch diese. ABER: er paßte all diese Techniken stets an die oberste Maxime des Jûdô an, wodurch sich die Technik durchaus auch veränderte.
In der Kobudô Kenkyukai ging es aber um etwas ganz anderes: nämlich darum, das Erbe der Koryû (jedenfalls der Ryû, die Kano zugänglich waren) unverfälscht und vor allem unverändert zu bewahren - als Bestandteil der japanischen Kultur und Geschichte.
9. In keinem Judo-Buch - auch nicht in den Vorkriegsbüchern, in denen Bein-/Genickhebel oder auch Kuatsu beschrieben ist- finden sich Beschreibungen über die Handhabung von Waffen, die über die Abwehr von Angriffen mit diesen hinaus gehen
Soweit wir wissen, jedenfalls ... Und auch das sagt nur das aus, was da steht: wir kennen kein Buch über Jûdô, in welchem auf die Waffentechniken des Kodôkan eingegangen wird.
Daraus zu schlußfolgern, es gebe diese Waffentechniken nicht, halte ich für unzulässig. Es gab (und gibt!) ja auch keinerlei historische Aufzeichnungen, auch nicht von Kano selbst, über Go-no-Kata, nicht wahr?
Bereits vor dem Krieg gab es viele tausend Judoka am Kodokan und es ist doch sehr verwunderlich, dass nur so wenige Menschen etwas von diesen Waffentechniken mitbekommen haben sollen.
Mooooooment ... die Antwort darauf gibst du selbst:
Zahlreiche Vorkriegs-Judoka konnten hervorragend mit traditionellen japanischen Waffen umgehen
Dies sagt nichts darüber aus, wo sie diese Fertigkeiten erworben haben - wie wir wissen organisierten Polizei, Militär, Schulen und Universitäten deratiges Training, so dass die Beherrschung von Waffentechniken als Alltagskultur in Japan angesehen werden konnte. Damit ist dies ein gänzlich ungeeigentes Indiz für Waffentraining am Kodokan, wohl aber ein Indiz dafür, dass ihre Abwehr erfordelich für ein SV-Programm war.
Also da widersprichst du dir.

Und WARUM sollen diese zahlreichen Vorkriegs-Jûdôka ihre Fähigkeiten im Umgang mit Waffen nun unbedingt WOANDERS erworben haben, wenn es doch im Kodôkan darauf ankam, genau diese Fähigkeiten wenigstens als Uke einzusetzen ...?
Wo etwa sollte denn Mifune den Umgang mit dem Schwert erlernt haben, wenn er doch nie etwas anderes als Jûdô trainiert hat??
(Nebenbei: ich bin echt sauer auf Jupp, weil der hier im Forum im "Tai-Otoshi"-Faden den Blödsinn erzählt hat, daß Mifune aus einer anderen Schule des "Jiu Jitsu" stammen würde als Kano ...)

So, lieber Tutor, zum Schluß möchte ich dich mit einigen Gedanken vertraut machen, die einer unserer japanischen Sensei (ich habe ihn schon erwähnt) dazu äußerte. Er sagte sinngemäß, daß es für das Fehlen eines "Waffen-Curriculums" im Kodôikan mehrere Gründe geben könne.
Zu Zeiten seines Großvaters, der um 1900 zum Jûdô kam, war es selbstverständlich, daß die traditionellen Waffen zu allem gehörten, was sich "Gendai Budô" nannte (zu den Koryû ja sowieso).
Es existierten (und existieren) zahlreiche hervorragende Werke, in denen der Umgang mit Schwert, Langstock und anderen Waffen ausführlichst dargestellt wird. Diese Werke beruhen auf den empirisch gewonnenen Erfahrungen vieler Jahrhunderte.
Spekulation: Kano sah es nicht als notwendig an, diesen Werken ein weiteres hinzuzufügen, welches letztlich doch nur (anders als bei den Wurftechniken) Altbekanntes extemporierte.
Der Einsatz der traditionellen Waffen gegen Menschen ist nicht an das Schlachtfeld gebunden.
Ein Schwertschlag ist ein Schwertschlag, ob der Gegner nun eine Rüstung trägt oder nicht ...
Weiter schreibt Sensei, daß Kano sich sehr dagegen wehren mußte, daß das Militär aus dem Kodôkan eine Militärakademie machte. Möglicherweise hat das etwas damit zu tun, daß Kano nichts über die Waffentechniken des Jûdô veröffentlichte (jedenfalls soweit wir bisher wissen!).
Sodann ist es in der heutigen japanischen Gesellschaft Konsens, die Zeit von 1928-1945 möglichst nicht zu thematisieren. Sensei verwies mich auf die Wiederzulassung des Jûdô 1947 und darauf, daß diese nur zustandekam, weil man den Besatzern vorgaukelte, Jûdô sei eine harmlose Ringkampfsportart.
Die meisten Jûdô-Lehrer waren im II. WK gefallen. Und die wenigen Übriggebliebenen, die über nennenswerte Kenntnisse verfügten, sahen sich mit der Ansicht konfrontiert, Jûdô solle sich nunmehr zu einer harmlosen Sportart "weiterentwickeln".

Ich denke, daß dies alles eher dafür spricht, daß bis heute Lehrinhalte des Jûdô einfach vergessen oder bewußt versteckt wurden.
Nein, das hat nichts mit "Verschwörung" zu tun.

Ich frage mich dennoch, warum einige ein so überaus starkes Interesse daran haben, die Frage, welche (nicht OB) Waffentechniken es im Jûdô gab, vom Tisch zu wischen oder für unwichtig zu erklären.

Ich frage mich, warum der konkrete Nutzen dieser Waffentechniken nicht erkannt oder sogar geleugnet wird.
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Fritz
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Fritz »

Tom Herold hat geschrieben:Wieso Koshiki-no-kata? Da kommen doch gar keine Waffen vor ...?
Dazu gibt es eine Aussage von Cichorei Kano im englischen Forum:

http://JudoForum.com/index.php?s=&showt ... t&p=331529
Mit freundlichem Gruß

Fritz
HBt

WW II: Mc Arthur fragen

Beitrag von HBt »

Tom hat geschrieben:Sodann ist es in der heutigen japanischen Gesellschaft Konsens, die Zeit von 1928-1945 möglichst nicht zu thematisieren. Sensei verwies mich auf die Wiederzulassung des Jûdô 1947 und darauf, daß diese nur zustandekam, weil man den Besatzern vorgaukelte, Jûdô sei eine harmlose Ringkampfsportart.
Die meisten Jûdô-Lehrer waren im II. WK gefallen. Und die wenigen Übriggebliebenen, die über nennenswerte Kenntnisse verfügten, sahen sich mit der Ansicht konfrontiert, Jûdô solle sich nunmehr zu einer harmlosen Sportart "weiterentwickeln".
Für mich persönlich ist exakt dieses der springende Punkt, den wir immer wieder (und in jeder Betrachtung) ausblenden.

Vor einigen Jahren hat Andreas W. (Aikidoka aus Sehnde) einmal sinngemäß gesagt: "Aikido" kann man nur lernen, wenn man auch das Schwert führen kann. Er demonstrierte daraufhin seine Fertigkeiten und kritisierte massiv das damalige Aikido in Deutschland (1988!).
Beeindruckend. Parallelen?
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