Nachdem ich eben in dem allseits bekannten Niehaus'schen Werk gestöbert habe, brennt mir eine Frage auf der Seele: was wäre, wenn Herr Kano 100 Jahre später und in einem Land Europas geboren (worden) wäre?
Welches Amt hätte er inne - und was wäre seine zentrale Botschaft ..?
Die Gedanken sind frei.
Gruß,
HBt.
(Ich glaube, Kodokan Judo (bzw. der Judosport) ist am Ende seines/ihres Lebenszyklus angekommen.)
Jigoro Kano heute (*1960 bis +2038), ein Zeitversatz
Re: Jigoro Kano heute (*1960 bis +2038), ein Zeitversatz
Welches Amt oder Funktion er innehaben würde? Keine Ahnung!
Diese Fixierung und Orientierung auf olympische Spiele als DIE Veransstaltung in einem Sportlerleben ist mir ein Rätsel. Diese Machenschaften bei der Vergabe, dieses sinnlose Vergeuden von Ressourcen für Spielstätten, die danach nie wieder genutzt werden und verfallen? Warum einigt man sich nicht auf einen Ort? Alle vier Jahre trift sich die olympische Welt in Griechenland, das wäre dann halbwegs nachhaltig. Den Sportlern dürfte es doch egal sein, wo sie ihren Sport betreiben.
Und hier schließt sich dann der Kreis, würde Kano heute noch im olympischen Komitee sitzen (wollen)?
Da stimme ich Dir zum Teil zu. Das Judo an sich interessiert mich nach wie vor sehr, mit dem kommerziellen Wettkampfquatsch habe ich meine Probleme, bzw. das bedeutet mir nichts, bringt mich und mein Judo nicht weiter.Ich glaube, Kodokan Judo (bzw. der Judosport) ist am Ende seines/ihres Lebenszyklus angekommen.
Diese Fixierung und Orientierung auf olympische Spiele als DIE Veransstaltung in einem Sportlerleben ist mir ein Rätsel. Diese Machenschaften bei der Vergabe, dieses sinnlose Vergeuden von Ressourcen für Spielstätten, die danach nie wieder genutzt werden und verfallen? Warum einigt man sich nicht auf einen Ort? Alle vier Jahre trift sich die olympische Welt in Griechenland, das wäre dann halbwegs nachhaltig. Den Sportlern dürfte es doch egal sein, wo sie ihren Sport betreiben.
Und hier schließt sich dann der Kreis, würde Kano heute noch im olympischen Komitee sitzen (wollen)?
Re: Jigoro Kano heute (*1960 bis +2038), ein Zeitversatz
Ich vermute,Joerch hat geschrieben:(...) hier schließt sich dann der Kreis, würde Kano heute noch im olympischen Komitee sitzen (wollen)?
er würde es nicht wollen und er würde dort (völlig unabhängig vom Wunsch) auch nicht Mitglied sein. Wahrscheinlich hätte er sich vollständig ins Privatleben zurückgezogen, möglicherweise wäre er ein Vollzeitpolitiker oder ein Unternehmer ...
Bedenken muss man das komplette Zeitgeschehen zwischen 1960 und 2022 - in Europa. Hätte Jigoro Kano im Jahrzehnt der Tschernobyl-Katastrophe, betrachten wir einmal dieses Jahrzehnt*, so etwas wie den Kodokan oder das Kodokan-Judo ins Leben gerufen? Ich kann es mir nicht vorstellen.
HBt.
*1980 bis 1990
(Irak-Iran, Falklandkrieg, Gaddafi, Polen, UDSSR, DDR, BRD, England, Jugoslavien, ... HIV / AIDS, Waldsterben / Saurer Regen, Hausbesetzungen, Terroranschläge, Arbeitslosigkeit, Morde ..., Bagwan, Scientology ...)
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- 2. Dan Träger
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- Registriert: 13.02.2009, 00:36
Re: Jigoro Kano heute (*1960 bis +2038), ein Zeitversatz
Oder er hätte mit ausreichend Durchsetzungsstärke das IOC von dubiosen Elementen gereinigt und die Ehrlichkeit und Fairniss durchgesetzt. Auf jeden Fall hätte er die Verunstaltung der Judo-Regeln (Verbot von Griffen in die Beine, Hebel und Würge im Stand) verhindert. Möglicherweise auch gäbe es eine international einheitliche Prüfungsordnung.
- nur_wazaari
- 2. Dan Träger
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Re: Jigoro Kano heute (*1960 bis +2038), ein Zeitversatz
Etwas unromantisch:
Was* heute nicht kommerzialisiert wird oder sich nicht kommerzialisieren lässt geht, mehr oder weniger, früher oder später flöten. Entweder man entwickelt ein "Produkt" in diese Richtung oder es degeneriert zu reiner Liebhaberei, die sich nicht selten durch Teilnahme nur wenige Individuen auszeichnet - die immer älter und immer weniger werden. Investitionen von Liebhabern müssten gesetzt dieser Annahme im Zeitverlauf immer größer werden, um ein Bestehen zu sichern - in einer Welt, in der nahezu jeder Mensch in irgendeiner Weise von der Wiege bis zur Bahre zunehmend beschäftigt erscheint.
Sobald daher kein idealerweise monetärer oder zumindest messbarer, privat förderbarer Mehrwert in bestimmter Höhe generiert wird, ist es irgendwann aus damit*. Das "Produkt" muss sich früher oder später zumindest selbst tragen können, sich entwickeln, den Erfordernissen der "modernen" Welt adäquat anpassen. Öffentliche Förderungen sind bekanntermaßen auch nicht leicht zu bekommen und setzen de facto oft auch eine Professionalisierung voraus.
Eine Transformation versuchen die internationalen Judoverbände (nicht nur die) mit teilweise fragwürdigen Investitionen und noch adressatengerechten sportartspezifischen Modifizierungen.
Losgelöst von diesem nur teilweise fruchtbaren Monopolbeanspruchung bilden sich ebenso losgelöst vom "Kodokan-Judo" oder eben dem "IJF-Judo" völlig durchkommerzialisierte Derivate - es bilden sich auf einem Markt zusehends ziemlich professionell organisierte Konkurrenzunternehmen, gegen derer Leistungen gemeinnützige Vereine unter immer erschwerteren Bedingungen bestehen müss(t)en.
Diese Entwicklungen offenbaren Potenziale, es gibt sicherlich auch deutliche Reserven.
Ein Potential könnte, richtig eingesetzt und mit gerecht verteilter Möglichkeit zur Teilhabe versehen, die zunehmende Professionalisierung sein.
Eine Reserve ist zum Beispiel die sich zunehmende Auswüstung der Vereinslandschaft mit ihren zahlreichen Mehrwerten, die sich nicht monetär messen lassen und einer modernen Vermarktung offenbar immer schwerer zugänglich sind.
Der Verein als BGB-Gesellschaft ist meiner vorsichtigen Prognose nach in Deutschland ein Auslaufmodell, ihre Hüllen halten sich aber mitunter lange, werden aber oftmals nie wieder florieren.
*Das Produkt - ist Sport das Produkt? Die Leistung an sich? Was wird uns verkauft?
Was* heute nicht kommerzialisiert wird oder sich nicht kommerzialisieren lässt geht, mehr oder weniger, früher oder später flöten. Entweder man entwickelt ein "Produkt" in diese Richtung oder es degeneriert zu reiner Liebhaberei, die sich nicht selten durch Teilnahme nur wenige Individuen auszeichnet - die immer älter und immer weniger werden. Investitionen von Liebhabern müssten gesetzt dieser Annahme im Zeitverlauf immer größer werden, um ein Bestehen zu sichern - in einer Welt, in der nahezu jeder Mensch in irgendeiner Weise von der Wiege bis zur Bahre zunehmend beschäftigt erscheint.
Sobald daher kein idealerweise monetärer oder zumindest messbarer, privat förderbarer Mehrwert in bestimmter Höhe generiert wird, ist es irgendwann aus damit*. Das "Produkt" muss sich früher oder später zumindest selbst tragen können, sich entwickeln, den Erfordernissen der "modernen" Welt adäquat anpassen. Öffentliche Förderungen sind bekanntermaßen auch nicht leicht zu bekommen und setzen de facto oft auch eine Professionalisierung voraus.
Eine Transformation versuchen die internationalen Judoverbände (nicht nur die) mit teilweise fragwürdigen Investitionen und noch adressatengerechten sportartspezifischen Modifizierungen.
Losgelöst von diesem nur teilweise fruchtbaren Monopolbeanspruchung bilden sich ebenso losgelöst vom "Kodokan-Judo" oder eben dem "IJF-Judo" völlig durchkommerzialisierte Derivate - es bilden sich auf einem Markt zusehends ziemlich professionell organisierte Konkurrenzunternehmen, gegen derer Leistungen gemeinnützige Vereine unter immer erschwerteren Bedingungen bestehen müss(t)en.
Diese Entwicklungen offenbaren Potenziale, es gibt sicherlich auch deutliche Reserven.
Ein Potential könnte, richtig eingesetzt und mit gerecht verteilter Möglichkeit zur Teilhabe versehen, die zunehmende Professionalisierung sein.
Eine Reserve ist zum Beispiel die sich zunehmende Auswüstung der Vereinslandschaft mit ihren zahlreichen Mehrwerten, die sich nicht monetär messen lassen und einer modernen Vermarktung offenbar immer schwerer zugänglich sind.
Der Verein als BGB-Gesellschaft ist meiner vorsichtigen Prognose nach in Deutschland ein Auslaufmodell, ihre Hüllen halten sich aber mitunter lange, werden aber oftmals nie wieder florieren.
*Das Produkt - ist Sport das Produkt? Die Leistung an sich? Was wird uns verkauft?
.
Empfundene Verzerrungen (?)
Ich selbst, HBt. hat geschrieben:Nachdem ich eben in dem allseits bekannten Niehaus'schen Werk gestöbert habe, brennt mir eine Frage auf der Seele: was wäre, wenn Herr Kano 100 Jahre später und in einem Land Europas geboren (worden) wäre?
Er hätte also 1982 das europäische Judozentrum eröffnet - und, wie Holger andeutet,
die Verzerrungen der letzten Jahrzehnte (teils bereits vor seiner Geburt!) eliminiert, bzw. von Grund auf verhindert.Holger König hat geschrieben:(...)
Auf jeden Fall hätte er die Verunstaltung der Judo-Regeln (Verbot von Griffen in die Beine, Hebel und Würge im Stand) verhindert. Möglicherweise auch gäbe es eine international einheitliche Prüfungsordnung.
Interessant.
Professionalisierung mit Teilhabe / Mehrwert
Kleinere Keimzellen, Ableger eines Wirtschaftsunternehmens ...nur_wazaari hat geschrieben:Etwas unromantisch:
(...)
Diese Entwicklungen offenbaren Potenziale, es gibt sicherlich auch deutliche Reserven.
Ein Potential könnte, richtig eingesetzt und mit gerecht verteilter Möglichkeit zur Teilhabe versehen, die zunehmende Professionalisierung sein.
Eine Reserve ist zum Beispiel die sich zunehmende Auswüstung der Vereinslandschaft mit ihren zahlreichen Mehrwerten, die sich nicht monetär messen lassen und einer modernen Vermarktung offenbar immer schwerer zugänglich sind.
1882 war die Intention vermutlich etwas anders.
Volle Zustimmung von meiner Seite, leider.Der Verein als BGB-Gesellschaft ist meiner vorsichtigen Prognose nach in Deutschland ein Auslaufmodell, ihre Hüllen halten sich aber mitunter lange, werden aber oftmals nie wieder florieren.
Am Rande:
Yoshimitsu Yamada scheint Aiki-Do ebenfalls als Auslaufmodell zu erkennen; wenigstens interpretiere ich einige seiner lesbaren Äußerungen im iNetz so.
Das Massenprodukt ...
interessiert mich nur noch herzlich wenig.
Ein Produkt, welches sich auf meine persönlichen und momentanen Bedürfnisse anpasst - und trotzdem in Verbindung mit anderen Lernenden steht , könnte mir gut gefallen. Professionalisierung in Richtung einer therapeutischen, ganzheitlichen Ausrichtung, in der das Individuum (mit seinen Stärken und Schwächen) im Vordergrund steht - so wünsch(t)e ich mir modernes Judo des 21. Jahrhunderts. Also keinen kommerziellen Sport, sondern eine Art von Schule. Vielleicht sogar eine Begegnungsstätte (der Generationen) ...
Und Kano? Was würde Jigoro sich wünschen?
HBt.
#
Falls wir Judoka uns als eine Art der Familie verstehen sollten, eine besondere Art der Elite oder der Schüler, der Lehre ... stellt sich mir die Frage, ob man die damit verbundenen Wünsche kaufen kann? Bedürfnisse und Abhängigkeiten wären die Schattenseiten ...
Ein Produkt, welches sich auf meine persönlichen und momentanen Bedürfnisse anpasst - und trotzdem in Verbindung mit anderen Lernenden steht , könnte mir gut gefallen. Professionalisierung in Richtung einer therapeutischen, ganzheitlichen Ausrichtung, in der das Individuum (mit seinen Stärken und Schwächen) im Vordergrund steht - so wünsch(t)e ich mir modernes Judo des 21. Jahrhunderts. Also keinen kommerziellen Sport, sondern eine Art von Schule. Vielleicht sogar eine Begegnungsstätte (der Generationen) ...
Und Kano? Was würde Jigoro sich wünschen?
HBt.
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Falls wir Judoka uns als eine Art der Familie verstehen sollten, eine besondere Art der Elite oder der Schüler, der Lehre ... stellt sich mir die Frage, ob man die damit verbundenen Wünsche kaufen kann? Bedürfnisse und Abhängigkeiten wären die Schattenseiten ...