Biomechanik bei Hebeln

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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Kumamoto
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Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Kumamoto »

Hallo,
ich möchte hier einen Thread eröffnen, in dem hoffentlich viele Fragen gestellt und auch beantwortet werden.
Vor Allem aber weil ich selbst eine Frage habe:

Warum hebelt man beim Juji- Gatame in Richtung des kleinen Fingers? Das hat sicher was mit Biomechanik zu tun...

Danke für die Antworten.
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derLichtschalter
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von derLichtschalter »

Kumamoto hat geschrieben:Warum hebelt man beim Juji- Gatame in Richtung des kleinen Fingers? Das hat sicher was mit Biomechanik zu tun...
Ich bin kein Biomechaniker, aber eine gewisse Vorstellung von zumindest dieser Frage habe ich schon. Grundsätzlich hat man ja zwei Möglichkeiten, ein Ellbogengelenk zu bewegen. Der natürliche Bewegungsspielraum ist zwischen "angewinkelt" und "gestreckt" - die natürliche Bewegung ist das Anwinkeln. Und natürlicherweise befindet sich der Daumen eher an der "Innenseite" (also in der Richtung in der man den Arm anwinkelt) und der kleine Finger eher an der "Außenseite" (also in der Richtung, in der man den Arm streckt). Wenn du deinen Arm locker so vor dir ausstreckst, dass der Ellbogen genau nach unten zeigt, wird deine Handfläche zwar nach oben zeigen, aber eher in Richtung des kleinen Fingers gekippt sein (der Versuch, die Handfläche waagerecht zu halten, wirkt dann unnatürlich). Das ist wie beim Bierkrug-Anheben, da zeigt der Daumen auch nach oben ;-)
Würdest du den Arm in Richtung des Daumens hebeln, würdest du deinem Partner also bei seinen Bemühungen, den Arm anzuwinkeln, eher entgegenkommen.
Man bewegt den Arm also entgegen seiner natürlichen Bewegungsrichtung ("anwinkeln") und streckt ihn so lange, bis es weh tut. Bei "Aikido-Hebeln" wird das entsprechende Gelenk (meist ja das Handgelenk) übrigens so lange in der natürlichen Bewegungsrichtung bewegt (also eben angewinkelt), bis es dann doch weh tut. Es geht also in beide Richtungen. Juji-garami kann man als Anwendung dessen sehen.
yatagan

Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von yatagan »

Weil das Ellbogengelenk ein Scharniergelenk ist.
Will man es überdehnen, bewegt man es entgegen der natürlichen Bewegungsrichtung. Aufgrund der Struktur des Gelenks und der Lage der Elle ist die Hebelrichtung vorgegeben - immer in Richtung Handkante/kleiner Finger.
tutor!
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von tutor! »

Kumamoto hat geschrieben:Warum hebelt man beim Juji- Gatame in Richtung des kleinen Fingers? Das hat sicher was mit Biomechanik zu tun...
Da waren einige schneller.... deshalb nur eine Ergänzung.

Der kleine Finger ist quasi die Verlängerung der Elle. Diese wiederum endet in einer hakenförmigen Nut, die beim Beugen und Strecken in einer Rille am Oberarmknochen verläuft.

Wenn Dein Arm gestreckt ist und Du ihn drehst, dreht sich die Elle mit dem kleinen Finger mit - und damit auch die Achse, in der sich der Ellenbogen beugt und streckt. Das Ganze stimmt zwar in den Endlagen der Drehungen bei gestrecktem Arm nicht mehr ganz, aber eben noch hinreichend gut, dass die gewünschte Hebelwirkung eintritt. Du kannst es übrigens an Deinem eigenen Ellenbogen problemlos ertasten.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
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Makikomi Kid
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Makikomi Kid »

Man hebelt nicht in Richtung des kleinen Fingers.
Der Zug/ Druck am Handgelenk geht in Richtung des kleinen Fingers. Die Hebelwirkung selbst kommt allerdings nicht unbedingt durch diesen Zug, der bei einem rotierten Handgelenk ja auch um bis zu 90 Grad von der Beugerichtung des Ellenbogens abweichen würde, sondern durch die Manipulation des Gegenlagers nahe des Ellenbogens.

Beim Juju Gatame zum Beispiel durch Anheben der Hüfte.

Der Zug in Richtung des kleinen Fingers sorgt nur für eine ausreichende Verriegelung dieser Seite, er sorgt auch dafür, dass bei einer Drehung des Unterarms / Schulter die Kontrolle aufrecht erhalten werden kann. Oder anders gesagt: Der Arm tendiert bei Druck zur Kleinfingerseite zur Streckung, bei Druck zur Zeigefingerseite hin zur Beugung.

Experiment: Den leicht gebeugten Arm an der Hand einmal Richtung Kleinfinger, einmal Richtung Zeigefinger schieben und versuchen diesem Druck durch Bewegung im Ellenbogen nachzugeben.

Das sollte verdeutlichen, warum bei Streckhebeln ein Zug oder Druck in Richtung des kleinen Fingers hin empfohlen wird.
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Fritz
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Fritz »

Speiche und Elle stehen dann sozusagen übereinander in Hebelrichtung gesehen.
Damit entstehen größerer "Zerreißkräfte" im Ellbogen-Gelenk. Wenn ich einen rechteckigen
Pappstreifen senkrecht zur Oberfläche biege, knickt er "nur". Wenn ich ihn hochkant halte
und parallel zur Oberfläche biege, dann zerreißt er.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Makikomi Kid
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Makikomi Kid »

Ein Pappstreifen ist aber nun mal kein Scharniergelenk (*).

Ein Scharniergelenk geht kaputt wenn du es über das mögliche hin belastest. Kräfte die nicht in diese Richtung wirken, sondern sogar rechtwinklig dazu stehen, tragen nicht dazu bei. Das lassen die Winkelfunktionen leider nicht zu.

(*) Und auch bei dem Pappstreifen ist der Grund des Reissens die entstehenden Torsionskräfte, weil du es nicht mehr schaffst, die Kraft wirklich senkrecht zur Oberfläche zu übertragen. Das Analog dazu wäre aber kein Streckhebel, sondern ein Drehstreckhebel oder eine andere Variante, bei der die Torsion Grund der Wirkung ist. Da Du ja Elle und Speiche erwähnst, wäre der Handdrehhebel sicherlich eine Erwähnung wert, insbes. die Variante, bei der die unterstützende Hand in umgekehrter Richtung dreht und somit eine Torsionsspannung auf Elle und Speiche aufbaut.
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Fritz
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Fritz »

Ein Pappstreifen ist aber nun mal kein Scharniergelenk (*).
Ok, dann stell Dir ein Scharnier vor, wo zwei ausreichend lange Latten angebracht sind.
In die eine Richtung kannst Du die Latten fein zusammenklappen. In der anderen Richtung ist irgendwann
Schluß (nehmen wir mal an), also ein Anschlag, biegst Du weiter, verbiegt sich das Scharnier und gibt etwas nach, bleibt aber
eigentlich noch ganz.
Biegst Du aber die Latten ausreichend stark quer zum Scharnier, also so, wie sich das Scharnier gar nicht bewegen kann -
was wird passieren: Richtig - die Schrauben reißen aus. Und man braucht zwar eine gewisse Kraft, aber diese nur über
eine kleine "Auslenkung".
Und es im Gegensatz (um wieder zum Arm zu kommen) zur üblichen Scharnierbewegung (auf, zu) ist eigentlich kaum Muskulatur
vorhanden, die gegenarbeiten kann, es geht direkt auf die haltenden Bänder (also die Konstruktion-Bestandteile des Gelenks, im Beispiel
halt die Schrauben und der Scharnierstift). Damit ist die nötige Kraft dann gar nicht mal so hoch...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Makikomi Kid »

Du definierst also einen Streckhebel durch größtmögliche Kraftwirkung rechtwinklig zum Gelenk? Weil irgendwann gehts sicherlich mal kaputt? Man muss nur fest genug zerren?

Bin mir da jetzt nicht sicher, ob das dem entspricht, was ich mal als "über den natürlichen Bewegungsgrad hinaus" gelernt habe :)
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Fritz
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Fritz »

Makikomi Kid hat geschrieben:Du definierst also einen Streckhebel durch größtmögliche Kraftwirkung rechtwinklig zum Gelenk? Weil irgendwann gehts sicherlich mal kaputt? Man muss nur fest genug zerren?

Bin mir da jetzt nicht sicher, ob das dem entspricht, was ich mal als "über den natürlichen Bewegungsgrad hinaus" gelernt habe :)
Nun ja, wenn du es so sehen möchtest :-) Der Witz ist ja gerade, daß man gar nicht so fest ziehen muß.
Eben weil keine Muskulatur dagegen hält.
Denn die Muskeln sind ja eigentlich dafür da, den Arm im Gelenk zu knicken und zu strecken und könnten also bei einer Bewegung
in Gelenkrichtung (also in dem Fall der Streckung) noch gut gegenhalten (in dem die Knick-Muskeln arbeiten)...
Tja, Judo ist schon recht brutal, wenn man es sich so überlegt...

Darum sind z.B. Kniehebel ja auch sehr gefährlich und im üblichen Judo-Randori verboten und im Sambo u. BJJ wohl auch
begrenzt auf die Gelenkrichtung, eben weil anderweitig das Gelenk recht schnell zerstört werden kann.
Das Ellbogen-Gelenk ist da wohl geringfügig "robuster", d.h. der Abstand: Schmerz - Schaden ist in der Regel noch groß genug, um
rechtzeitig aufgeben zu können...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
pmhausen

Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von pmhausen »

Fritz, ich glaube, Du bist hier auf dem Holzweg.

Beim Armstreckhebel wird das Ellbogengelenk überstreckt. D.h. die Bewegung findet in derselben Ebene statt, in der das Gelenk auch freiwillig bewegt wird, allerdings über den per Muskelkraft zur Verfügung stehenden Bereich (Kieser nennt das neudeutsch Range of Motion) hinaus. Das Ellbogengelenk ist doch ein Scharnier mit einem Anschlag bei 180 Grad und kein Klavierband mit nahezu 360 Grad Spielraum.

Und dass man sich da so schlecht gegen wehren kann, liegt an den ungünstigen Hebeln, wenn der Arm vollständig gestreckt ist. Bei gestrecktem Arm sind ja Oberarm, Unterarm und der Bizeps, der die beiden eigentlich aufeinander zu ziehen sollte, beinahe in einer Linie. Deshalb sind wir in dieser Stellung am schwächsten. Ist der Arm rechtwinklig gebeugt, kann der Bizeps da ganz prima ziehen und wir sind viel stärker. Ist der Arm noch stärker gebeugt, werden wir wieder schwächer, weil der Bizeps irgendwann seine maximale Kontraktion erreicht. Ganz einfache Mechanik.

Grüße,
Patrick
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kastow
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von kastow »

Ich denke, ich weiß, was Fritz meint und versuche es einmal mit anderen Worten: Wenn ich den Hebel angesetzt habe und alle Kontaktpunkte korrekt sitzen, kann ich den Arm leicht zur Seite ziehen (zum kleinen Finger eben), anstatt ihn gerade zu strecken. Bei mir kommt er so auch immer besser und mit weniger Kraftaufwand. Dazu muss der Arm nicht einmal komplett gestreckt sein. So überrasche ich gerne Gegner, die glauben, es bestünde noch keine Gefahr, weil der Arm noch leicht angewinkelt sei.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
stoneaway
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von stoneaway »

.
Zuletzt geändert von stoneaway am 01.10.2012, 08:47, insgesamt 1-mal geändert.
Kumamoto
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Re: Biomechanik bei Hebeln

Beitrag von Kumamoto »

Danke für Eure Antworten.

Ich hab mich mal ein bisschen schlau gemacht, danach ist das Ellenbogengelenk ein sog. Drehscharniergelenk ( also eine Mischung zwischen Drehgelenk

und Scharniergelenk

Ein wirksamer Hebel funktioniert also so, dass beide Gelenkarten entgegen ihrer normalen Bewegungsrichtung bewegt werden.
Das Scharniergelenk hat ja einen natürlichen Schutz gegen Überstreckung ( bei 01:30), das olaecranon ulnae, daher muss der Arm um gehebelt zu werden noch zusätzlich entgegen der normalen Bewegungsrichtung des Drehgelenks bewegt bzw. gedrückt werden. Das scheint wohl die Richtung "kleiner Finger" zu sein, wohl bedingt durch den Knubbel auf der Speiche (s.http://vsv.zhdk.ch/media/DOKUMENTE/Stud ... 20expl.jpg) . So hab ich das jedenfalls verstanden.... :dontknow
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