Randori???

Hier geht es um die Trainingsgestaltung,-methodik,-formen.
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HBt

Somatische Amnesie

Beitrag von HBt »

Ulrich hat geschrieben:(..) wenn man älter, schwerer und weniger beweglich ist als die anderen um einen herum?
Lieber Ulrich,
hier sprichst Du einen Punkt an, der mich wiederum auf den Plan ruft, dass Alter. Niemand wird durch das Älterwerden
unbeweglich. Es hat vielmehr mit der Lebensqualität zutun - wie führe ich mein/ein Leben? Muß ich dem Menschenbild eines ü40 entsprechen? Was wird von uns tatsächlich erwartet?

Erwartet wird: a) entspreche den Konventionen, b) gehe regelmäßig zum Arzt [er wird etwas finden, Du bist Patient ...], c) sorge für Konsum, d) denke nicht, e) benutze auf gar keinen Fall deinen Verstand, f) konsumiere fleißig, ...

Judo, z.B. durch Randori sollte ebenso wie weiterführende Ideen und Maßnahmen die 'Qualität des Lebens/Älterwerdens' verbessern. Wie? Durch den koordinativen Anspruch, u.s.w.

@Jean-Jacques,
mich würde ebenso interessieren wie Du oder Klaus heute Randori praktizieren, wo liegt der Unterschied zur Praxis in den frühen 70ern [Bundesliga]. Gab es anno ... methodische-didaktische Aspekte, die Ihr beachtet hab/solltet [HanHoSan!, Trainer fragen] ... und heute?! Motivation heute ...

Viele Grüße
Helge Bartelt
Jupp
3. Dan Träger
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Beiträge: 829
Registriert: 31.01.2007, 15:53

Re: Randori???

Beitrag von Jupp »

Hallo HBT,

natürlich wird man nicht zwangsläufig unbeweglicher, weder in körperlicher, noch in geisitger Hinsicht. Auch für Ältere gilt das alte Sprichwort: "Use it or lose it!" - also, was man nicht regelmäßig benutzt, verkümmert mit der Zeit.
Hier liegt genau das Problem! Wen man älter wird, ändern sich nicht nur die körperlichen Gegegenheiten (man wird einfach schwächer!) sondern vor allem die Prioritäten, wie man sein Leben gestaltet. In dieser Hinsicht hast Du völlig Recht! Das bedeutet aber auch, dass man nicht nur auf sich, sondern auch auf die einem nahe stehenden Menschen zu achten hat. Man lebt in einen sozialen Kontext, für dessen Wohlergehen man ebenfalls Verantwortung übernommen hat.

Was dies alles mit Judo und Randori zu tun hat?

Sehr viel!

Denn nur, wer akzeptiert, dass Judo zunächst ein Erziehungssystem ist, das später (vielleicht bei einigen) zu einer Lebenseinstellung wird, der kann verstehen, dass Alter und soziale Verantwortung auch mitbestimmen, wie intensiv man Judo betreiben kann/will/darf, ohne das soziale Bindungen und persönliches Wohlbefinden gefährdet werden. Wer nur an sich denkt (denken musss), der hat dieses Problem nicht. Wer Familie hat, hat es.

Randori sollte deshalb immer so betrieben werden, wie man es leisten und sich leisten kann. Oder anders formuliert: mach soviel Judo, wie Du Dir erlauben kannst. Dann ist es richtig!

Auch das versteht Kano unter dem Hinweis darauf, dass Judo eine Reifung der Persönlichkeit bewirken sollte, die einem Beitrag zum Wohlergehen der Welt leistet.

Jupp

PS: alles Gute den Forumlesern und -mitgliedern in 2009
HBt

Ablaß oder Konstruktivismus

Beitrag von HBt »

@Ulrich, Tutor!

Das ist mir persönlich alles zu weich und entschuldigend formuliert. Es bleibt ein "ja, aber" ...

- Mit dem Älterwerden wird man nicht zwangsläufig "schwach oder schwächer"
- Die sozialen und beruflichen Gegebenheiten muß man nicht fatalistisch hinnehmen
- Vieles muß man akzeptieren, auf andere Rücksicht nehmen, ja ... mehr aber auch nicht

Eine Frage (wenn wir uns kurz von der technischen Seite trennen): Wie stellt sich dieses Erziehungssystem Judo dar, wie wirkt es, auf wen wirkt es, ... ? Deren Aspekte, das Randori betreffend?

Der Ablaß und die Bedeutung für das tägliche, wöchentliche Randori - keinen? Die Erkenntnis der Reife (des Alterns) oder der brutalen Wirklichkeit darf keine Ausrede für ein "nicht strukturiertes, methodisches ... geführtes Randori" sein. Die tägliche Frage lautet: Was kann ich neues lernen? Oder, habe ich meine Stärken (seine/ihre Stärken)-Kompetenzen verbessern können? Wenigstens eine, wenn auch langweilige Erhaltungsladung.
tutor!
Moderator
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Re: Randori???

Beitrag von tutor! »

Du wirfst Fragen auf, die mit Randori nichts mehr zu tun haben - bzw. weit darüber hinaus gehen. Wenn Du Dir mal den Niehaus nimmst und im Anhang Kanos Vortrag von 1889 liest, müssten Dir eigentlich folgende Fragen kommen:

- Welchen Stellenwert soll Judo im Rahmen der gesamten Erziehung haben?
- Welche erzieherischen Werte schreibt Kano dem Judo zu?
- Welche erzieherischen Werte sind in der tatsächlichen Umsetzung auch realistisch?
- Wirkt Judo schon alleine durch eine "richtige" Ausübung oder wie muss Judo vermittelt und betrieben werden, damit die erzieherischen Werte auch Wirkung zeigen können?

Gerade die letzten beiden Punkte müssen sorgfältig geprüft werden. Hinzu kommt, ob wir uns mit allen Erziehungszielen Kanos auch tatsächlich identifizieren können (muss bei der Erziehung zu einem japanischen Patriotismus mindestens diskutiert werden). Auch Kano war sich der Problematik der Umsetzung bewusst, weshalb er ja mahnend die notwendigen Eigenschaften eines idealen Judo-Lehrers beschrieben hat.

Der DJB hat vor einigen Jahren in Bad Blankenburg einen großen Kongress zu pädagogischen Fragen des Judo veranstaltet. Vielleicht kannst du ja noch irgend woher eine Kongressdokumentation bekommen. Die damals Beteiligten waren aus dem Kopf und sicher unvollständig: Prof. Funke-Wienecke, H. Janalik, Ralf Pöhler, Sigrid Happ, Martin v.d. Benken, Ulrich Klocke, Wolfgang Dax-Romswinkel, Volker Gössling, Felix Hoff. Das damalige Einführungsreferat ist hier zu finden:
http://www.judo-praxis.de/Artikel/A_Pae ... _disk.html

Was das Randori betrifft: Ich mache seit 40 Jahren regelmäßig Randori und hoffe, das auch noch sehr lange fortführen zu können. Aber es wäre falsch zu sagen, dass dies nicht auch einem Wandel unterliegt. Heute bin ich in der Wahl meiner Partner für das Randori wählerischer, weil ich weiß, dass die Verletzungsgefahr größer ist, als noch vor 20 Jahren.

Letztlich ist Randori mit jedem Partner anders - es kommt auf die Charaktere und auf die Konstitution (Größe, Gewicht, Bewegungsverhalten usw.) an. Bei dem einen schaue ich zu, dass ich mir nicht weh tue, beim anderen suche ich gelassen nach der Chance zu werfen, beim nächsten muss ich aufpassen, dass ich nicht "unter die Räder" komme oder dass ich plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen habe.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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