Asterix hat geschrieben: ↑07.06.2017, 00:18(...) Für euch ist es wahrscheinlich schwer, meine Fragen nachzuvollziehen. Dazu muss man aber den "luftleeren Raum" nach der Wende und das extrem zähe Zusammenfließen der einzelnen PO's und die bis heute schwierige Akzeptanz selbiger bei den Leuten selbst erlebt haben, sonst kann man das nicht nachvollziehen. Wie ihr aus meiner Begründung im Faden weiter oben erkennt, sind das Fragen, die bis heute in den Köpfen der Leute, die länger dabei sind, herumschwirren. Ich will wenigstens hier im Kleinen ein wenig Ordnung reinbekommen.(...)
Nein, zumindest für mich ist es überhaupt nicht schwer, dies nachzuvollziehen, gerade weil ich dieses - wie Du es schreibst - äußerst zähe Zusammenfließen erlebt habe, wenngleich aus einer gewissen Distanz.
Asterix hat geschrieben: ↑07.06.2017, 00:18Ich interessiere mich halt einfach für die Entwicklung des Ganzen.
Dann will ich die Fragen einmal ein wenig ganzheitlicher betrachten.
Die neuen Länder waren dabei in einer besonderen Situation. Einerseits war man im Spitzensport erfolgreicher als der Westen gewesen und man war auch im Bereich der Forschung und Lehre an der DHfK Leipzig gut aufgestellt. Zudem gab es ein Sichtungs- und Fördersystem, das klarer strukturiert war, als im Westen - anders wären die Erfolge ja auch nicht möglich gewesen. Das "Ost-Judo" hatte also einige Gründe selbstbewusst zu sein.
Auf der anderen Seite stand der Übergang von einem politischen System zum anderen auf der Agenda, was sich insbesondere im Bereich der Pädagogik als Herausforderung darstellte. "Mündigkeit" und "Emanzipation" waren und sind Erziehungsziele, die in der DDR - sagen wir einmal - weniger gefragt waren als in einer Demokratie westlicher Prägung. Das Bestreben, Judo als Erziehungssystem zu verstehen und zu stärken, löste natürlich Debatten über genau die entscheidenden Fragen aus: Erziehung wozu, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln? Hier empfanden sich die maßgeblichen Vertreter des Ost-Judo auf dünnem Eis und es war schon eine deutliche Verunsicherung zu spüren. Dies galt insbesondere für die Diskussion um Judo als Schulsport. Hinzu kam, dass die damals führenden Köpfe der Pädagogikdiskussion im Judo sich durch ihre berufliche Sozialisation sehr stark und kritisch mit Fragen des Zusammenhangs zwischen Sportdidaktik und gesellschaftlichen determinierten Erziehungsabsichten auseinandergesetzt hatten.
In diesen Kontext hinein fiel der Paradigmenwechsel von einer reinen Prüfungsordnung zu einer Ausbildungs- und Prüfungsordnung. Allerdings waren die gesellschaftlichen Umwälzungen dieser Zeit in keiner Weise ursächlich für diesen Paradigmenwechsel, sondern wie ich weiter oben ausgeführt habe, gab es diesen Gedanken schon vorher. Es handelt sich also um eher zufällig zusammenfallende Ereignisse.
Der erste Aufschlag 1994 ist von daher aus mehreren Gründen deutlich in die Hose gegangen. Es ist aus meiner Sicht ein Konglomerat aus unterschiedlichen Gedanken gewesen, das letztlich
- durch eine Kopplung von Techniken und Bewegungsvorgaben eine in der Praxis nicht zu bewältigende Unmenge an Ausbildungsinhalten hervorgerufen hat,
- durch die unglückliche Formulierung von "eine Form von..." Unverbindlichkeiten produziert hat
- "neue" Techniknamen eingeführt hat (z.B. O/Ko-uchi-barai)
- von Übungsleitern als Bevormundung und als Abwertung ihrer bisherigen Arbeit verstanden wurde.
Eine wie auch immer gestaltete Ausbildungsordnung eines Verbandes muss jedoch von denen, die sie umsetzen sollen, mit "dem Herzen getragen" werden. Eine Ausbildungsordnung, die keine Akzeptanz findet, kann unmöglich positiv umgesetzt werden. In diesem Sinn ist es nicht gelungen, die Basis mitzunehmen. Gerade der letzte Punkt der Aufzählung passte nicht... in Westdeutschland übrigens auch nicht.
Es wurde hüben wie drüben schlicht an der Basis kein Mehrwert gegenüber der vorigen Praxis gesehen.