Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendlichen

Hier könnt ihr alles posten was mit Judo zu tun hat

Jupp
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendliche

Beitrag von Jupp »

Asakusa schreibt:
"Zum Thema Sportlehrer: Der Unterricht scheint wirklich nur noch rudimentär möglich zu sein, da jegliche Art von pädagogischem Druck, der auf die teilnehmenden Schüler ausgeübt wird, in einer Beschwerde bei der Schulleitung zu enden scheint. So etwas wird jedenfalls häufig im Rahmen der Schulkooperationen berichtet. Das ist allerdings Hörensagen meinerseits. Ich fürchte allerdings... wahr..."

Ich war als Sportlehrer 33 Jahre an einem Gymnasium tätig. Ich galt wohl als ein Lehrer mit eher "autokratischen" Führungsstil, d.h. ich erwartete von meinen Schülern im Sportunterricht, dass sie -falls nicht körperliche oder sonstige Hindernisse entgegen standen - in meinem Unterricht aktiv mitmachten, egal welche der ca. 10-12 verschiedenen Sportarten in in einem Schuljahr gerade unterrichtete. Ich habe in diesen 33 Jahren an unserer Schule nicht eine Beschwerde von Seiten der Eltern erhalten und auch wir hatten Eltern, die "übervorsichtig" waren. Auch ich hatte einige schwere Unfälle in diesen 33 Jahren, aber auch in diesem Zusammenhang niemals offizielle Beschwerden.

Die Klagen darüber, dass die jeweils gerade aktive Generation von Kindern (Schülern) nicht mehr das körperliche/geistige(soziale/emotionale/usw. Niveau hat, wie die jeweils vorhergehenden ist alt wie die Welt/Unterricht/Schule/Ausbildung existiert.

Wenn alle diese Klagen tatsächlich zutreffen würden, wäre die Menschheit schon lange ausgestorben!

Aufs Judo bezogen:

1. Früher war nicht alles besser - es war einfach früher anders!

2. Die Kinder im Judo kommen immer früher in unsere Vereine. Die jüngeren Kinder (4-6) lernen anders, anderes und langsamer Judo als diejenigen, die mit 7-9 beginnen - da ist es eigentlich selbstverständlich, dass eine solche Differenz auffällt.

3. Die Judolehrer/Trainer haben zumeist nur ein "Gefühl", dass alle schlechter geht, statistische Unterlagen existieren meines Wissens bisher kaum. Und Gefühle sind - wie übrigens auch die Erinnerungen - mehr als trügerisch!

Ich setze nach wie vor auf unsere Jugend. Sie können viel und leisten viel - wenn man nur einmal kurz überlegt, wieviele Stunden pro Woche sie mit Schule, Lernen und Hausaufgaben verbringen müssen. Da würde manch Erwachsener die Gewerkschaft anrufen wegen "beruflicher Ausbeutung".

Vielleicht kann einer der Forumsteilnehmer einmal angeben, was konkret Kinder in welchem Alter an allgemeinen koordinativen Fähigkeiten und (allgemeinen) technischen Fertigkeiten können sollten. Dann hätten wir doch einmal Grundlagen, die wir diskutieren könnten und kämen von den Gefühlen weg zu Meinungen. Über Meinungen könnte man dann diskutieren, aber eben in Bezug auf konkrete Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man eventuell auch in Frage stellen könnte...

Jupp (Rentner)
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Fritz
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendliche

Beitrag von Fritz »

Jupp hat geschrieben:Ich war als Sportlehrer 33 Jahre an einem Gymnasium tätig.
War das nicht eine Privatschule? Also so was, wo Leute ihre Kinder hinschicken, wenn sie es sich a) leisten können und
b) den staatlichen Schulen nicht so recht trauen?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Jupp
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendliche

Beitrag von Jupp »

Fritz fragt: "War das nicht eine Privatschule? Also so was, wo Leute ihre Kinder hinschicken, wenn sie es sich a) leisten können und
b) den staatlichen Schulen nicht so recht trauen?
"

Zunächst einmal Kompliment für Dein Erinnerungsvermögen. Stimmt, ich war an einer staatlich anerkannten Privatschule, die sich ihre Lehrer selber aussuchen konnte.
Aber: Wir mussten - um nicht die staatliche Förderung von ca. 90 % der schulbezogenen Kosten zu verlieren - nach den in NRW gültigen Lehrplänen unterrichten und auch unsere (Abi-) Prüfungen abhalten, was kontrolliert wurde (die Eltern bezahlten damals ca. 90.- € monatlich, die verwendet wurden, um die 10% Defizit auszugleichen).

Auch: wir konnten uns unsere Schüler aussuchen und hatten deswegen ganz sicher deutlich weniger Probleme als andere.

Auch: Bonn ist sicherlich nicht ein "Hotspot" wie z.B. Duisburg, was soziale Probleme angeht. Daher haben wir vielleicht in unserem Verein auch weniger Schwierigkeiten, obwohl wir ca. 30% Ausländeranteil haben - in meinem Mittwochstraining haben wir mitunter bei knapp 25 Teilnehmern mehr als 10 verschiedene Nationalitäten im Training. 2014 haben wir den Integrationspreis des LSB NRW erhalten.

So wie ich die vorangehenden "Klagen" jedoch verstanden habe, hätten wir bei unserem Klientel doch viel mehr von diesen "Helikoptereltern" haben müssen, die sich übermäßig um ihre überversorgten, überbetreuten und über-unsportlichen Kinder kümmern.

Dem war aber weder im Verein noch in der Schule so...

Was ich von meiner Frau weiß, die vorübergehend in einer Bonner Hauptschule unterrichtete, ist, dass es dort bei noch höherem Ausländeranteil als in unserem Verein keine Klagen über mangelnde körperliche Fähigkeiten der Kinder gab. Allerdings behauptete meine Frau, bevor sie dort aufhörte, dass ihre Judokentnisse als Braungurt während des Unterrichts wichtiger waren als ihre pädagogischen Fähigkeiten (und für die Schüler wohl auch interessanter).

Macht das Klientel meiner Schule und meine Tätigkeit mit meinen Erfahrungen dort meine Aussagen weniger wert?

Jupp
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Fritz
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendliche

Beitrag von Fritz »

Jupp hat geschrieben:Macht das Klientel meiner Schule und meine Tätigkeit mit meinen Erfahrungen dort meine Aussagen weniger wert?
Hilft durchaus beim Einordnen... Ich geh nämlich schon davon aus, daß bei Euch a) die Schüler insgesamt motivierter waren und b) auch
die Lehrer. Zumindest war das mein Eindruck, den ich immer hatte, wenn ich mit Leuten aus eurem "Schwester-Pädagogium" zu tun hatte ;-)
Jupp hat geschrieben:So wie ich die vorangehenden "Klagen" jedoch verstanden habe, hätten wir bei unserem Klientel doch viel mehr von diesen "Helikoptereltern"
haben müssen, die sich übermäßig um ihre überversorgten, überbetreuten und über-unsportlichen Kinder kümmern.
Das glaub ich nicht... Die Eltern mit dem "das brauchst Du nicht!", welche "Sono-Mama" anführt, sind wohl eher solche,
für die es bequemer ist, ihr Kind vor Fernseher zu parken, anstelle es auf dem Spielplatz evt. zu beaufsichtigen... Und dem Kind gegenüber
ihr Versagen dann "schönreden" - die geben auch kein Geld u. Mühe für ne Privatschule aus ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendliche

Beitrag von Asterix »

Ich glaub, der Kernsatz hier heißt "eigenes Interesse". Das lässt bei vielen Kindern (und Eltern) heute leider zu wünschen übrig. Da ist das Smartphone dann doch interessanter (gilt auch wieder für Kinder und Eltern).

Nach einigen Jahren Enthusiasmus und dem Anspruch, alle mitziehen zu wollen, hatte ich auch ein wenig resigniert und trenne meine Gruppen mittlerweile. Alle, die wollen und interessiert sind, bekommen die volle Unterstützung, der Rest... naja. Da wir mittlerweile, entgegen dem Trend, eine recht hohe Auslastung der Gruppen haben, können und müssen wir selektieren. Wenn dann von Eltern die typische Mail kommt: "Also der Arzt/Psychologe hat uns empfohlen, dass..." kann es schon mal passieren, dass diese im Papierkorb landet. Die gegensätzliche Aussage dazu ist: "Mein Kind will...". Sicherlich immer alles mit gewissem Fingerspitzengefühl. Es kommt auch vor, dass wir Kindern und Eltern nahelegen, die Trainingsgruppe auf Dauer zu verlassen.

Erstaunlicherweise regeln sich plötzlich viele Probleme von ganz alleine und die Arbeit mit den Gruppen macht wieder richtig Spaß. Und es ist so, dass man des Öfteren die Kinder quasi von der Matte scheuchen muss, weil leider irgendwann die Hallenzeit zu Ende ist. ;)

Wer jetzt meint, das entspricht aber nicht dem Erziehungsgedanken vom Judo... ja, so hab ich auch mal gedacht.
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Skipper1
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendlichen

Beitrag von Skipper1 »

Ahoi zusammen,

Wir haben bei uns einen quasi Mehrspartenverein, d.h Fußball, Judo, Steppaerobic, und Neigungsgruppen, die auch mit dabei sind.
Mutter-Kind Turnen, Kinderturnen , Mädchenturnen.
Schaue ich genau hin, sind es nur "Kinderbespassungsgruppen" nach dem Motto: "Hauptsache a weng Bewegung "

Schau ich mir die Mitgliederzahlen des DJB, BJV an: im allgemeinen fallend.
Frage ich im Eltern- und Kinderkreis, was man von Judo denkt, ist die erste Antwort: Da muss man kämpfen, da wird geprügelt, das ist nicht pazifistisch genug, das ist zu brutal....... Und was sonst noch an Ausflüchten und Ausreden kommt.

Meine Überlegung ist es:
a) durch die "kalte Küche" sozusagen durch entweder Übernahme oder engste Zusammenarbeit mit den Turntrainern, die Turnkids als Vorstufe zum Judo zu führen, oder
b) im Rahmen der Eigenwerbung für Anfänger das Turnen in den Vordergrund zu stellen und Judo nach und nach einfließen zu lassen.

Hat hier im Forum jemand Erfahrungen mit diesem Einstieg gesammelt, und vielleicht auch schon mal damit Mitgliederwerbung betrieben?

Ahoi

Skipper1
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendlichen

Beitrag von Baumstamm »

Ja, und zwar konnte ich den Fussballtrainer der Bambinis überzeugen, dass das richtige fallen sehr wichtig ist, auch im Fussball :eusa_dance
und so konnte ich ein bis zwei auch von Judo begeistern.
Ein Baumstamm wird nicht gefällt, indem Mann dagegen läuft, dazu braucht Mann Kuzushi, Tsukuri, Kake, oder notfalls eine Axt.
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Re: Fehlende turnerische Fähigkeiten bei Kindern/Jugendlichen

Beitrag von Sono-Mama »

Hallo,

ja, bei einem der Vereine in dem ich trainiere (Mehrspartenverein), ist es so, das wir mit den Turnern ein Agreement haben, das wir Judoka die Kinder erst mit 7 aufnehmen dürfen, im Gegenzug vermitteln uns die Turner die Kinder, die 7 Jahre alt werden, automatisch in das Judo. Da bleiben immer ein paar hängen.

Gruß

Sony-mama
Was du mir sagst, das vergesse ich. Was du mir zeigst, daran erinnere ich mich. Was du mich tun lässt, das verstehe ich.

- Konfuzius

Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.

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