makoto hat geschrieben:Zusammenfassend lässt sich de facto also sagen, dass Kata-Meisterschaften in Bezug auf shu-ha-ri eigentlich völlig sinnlos sind, weil auf der ri-Ebene jeder etwas "anderes" (seine persönliche Interpretaion, Erkenntnis, Ideal) praktiziert und diese einzelnen persönlichen Ansichten der Dinge lassen sich wohl kaum über EINEN Kamm scheren... oder?!
ich hab den (alten) Faden noch einmal gelesen und Revue passieren lassen - wie Du aus dem Geschriebenen auf diese zusammenfassende Schlussfolgerung kommst, erschließt sich mir nicht wirklich.
Kritische Diskussionsbeiträge über Kata-Meisterschaften gibt es häufiger. Schaut man einmal hinter die persönliche Erfahrung der Diskutanten in diesem Feld, dann stelle ich zumindest fest dass:
- einige von ihnen an Kata-Meisterschaften teilgenommen, sich aber ungerecht bewertet gefühlt haben
- andere noch nie etwas mit Kata-Meisterschaften zu tun hatten
Die letztgenannte Gruppe stützt sich dann häufig auf Beiträge der erstgenannten Gruppe, weil sie diese ganz offenbar als besonders kompetent empfinden. Aufhänger sind häufig Binsenweisheiten, bei denen ins Groteskte übertrieben wird. Wenn z.B. in den Regeln der Kata-Meisterschaften steht, dass Grundlage der Bewertung die offiziellen Materialien des Kodokan - einschl. der DVD sind - dann wird da schnell draus gemacht, dass die Aktiven nichts anderes tun würden, als mehr oder weniger hirnlos das zu kopieren, was auf diesen DVDs zu sehen ist. Dabei würde die Qualität der Darstellungen auf den offiziellen Materialien niemals für eine Qualifikation zu einem internationalen Finale reichen. Die (erfolgreichen) Aktiven gehen in Sachen Präzision und Können (mittlerweile) weit über den Stand der Materialien hinaus.
Ein anderes Problem ist die Qualifikation der Wertungsrichter. Nicht alle sind in der Lage, funktionale Bewegungsabläufe wirklich zu erkennen und zu bewerten. Für viele ist der optische Eindruck die zentrale Bewertungsgrundlage. Bei schlechten Wertungsrichtern kann es also vorkommen, dass nicht sachgerechte Entscheidungen herauskommen. Aber dann muss man auch sagen, dass das Problem die schlechten Wertungsrichter sind.
Was hat das nun mit Shu-Ha-Ri zu tun? Shu-Ha-Ri bezeichnet Entwicklungsstufen eines Judoka. Auf der Shu-Ebene macht er vorgegebene Bewegungen und versucht, sich die Funktionalität zu erschließen. Auf der Ha-Ebene versucht er durch Veränderung der Bewegung die Funktionalität in variablen Situationen in Praxis umzusetzen, während er auf der Ri-Ebene in der Lage ist, in mehr oder weniger unbekannten Situationen Bewegungsformen, die auf fundamentalen Prinzipien beruhen, spontan zu entwickeln.
Shu-Ha-Ri ist also im Kern ein Methodenkonzept "von der geschlossenen Form zur freien Anwendung", geht aber darüber hinaus, weil es nicht nur die Bewältigung äußerer (=situativer) Anforderungen beschreibt, sondern den Entwicklungsstand. Ein sehr kundiger japanischer Freund erzählte mir einmal von einer alten Lehre der Kito-ryu, die besagt "wenn Du die Kata verstanden hast, brauchst Du sie nicht mehr". Aber das führt jetzt vom Thema weg.
Die Frage ist, ob jemand, der auf der Ri-Stufe - nehmen wir die einmal als die ultimative Meisterschaften im Judo an - angekommen ist, in der Lage ist, eine Kata nicht nur mehr oder weniger stark variiert, sondern auch(!) gemäß eines grundlegenden Standards ausführen kann. Oder man fragt im Umkehrschluss danach, warum ausgerechnet jemand, der eine Kata besonders gut durchdrungen hat, sie nicht mehr in ihrer grundlegenden Form machen kann?
Von jemandem, der besonders tief in eine Kata eingedrungen ist, muss man doch gerade erwarten können, dass er - wenn es die Situation erfordert (Kata-Meisterschaft oder Unterricht) - die grundlegende Form mit größerer Perfektion demonstrieren kann, als jemand, der noch dabei ist, halb Verstandenes zu kopieren.
Wenn jemand sich also dann einem Kata-Wettkampf stellt und - vorausgesetzt er wurde nicht verschiedst - an Leuten scheitert, denen er ein geringeres Verständnis und Können der Kata unterstellt als sich selbst, hat er sich möglicherweise überschätzt und wähnt sich auf einem Niveau, das er nicht hat. Dann wäre aber nicht lamentieren, sondern studieren und trainieren angemessener.
Aber noch einmal, damit es wirklich klar ist: die Fähigkeiten und der Leistungsstand der Aktiven - zumindest auf internationaler Ebene - überfordern sehr viele Wertungsrichter bei der Beurteilung. Das spricht aber nicht gegen Kata-Meisterschaften generell, denn die Aktiven haben den Stand ja irgendwie erreicht - es spricht für eine intensivere Arbeit an der Qualifikation der Wertungsrichter.