Ich habe die Dateien, die von der "Japan Judo Accicent Victims Association" (JJAVA) zur Verfügung gestellt wurden, mittlerweile gelesen.
Für mich sind zwei Aspekte bedeutsam, die im Judounterricht - auch in Deutschland - eine Rolle spielen können:
1. Didaktisch-methodische sowie pädagogische Fehler beim Unterrichten von Judotechniken (d.h. fachliches Fehlverhalten!).
2. Mentaler, seelischer und/oder körperlicher Missbrauch (durch Gewalt) als Bestrafung (aus Sicht der Lehrenden/Trainierenden) für unerwünschtes Verhalten (menschliches Fehlverhaten).
Zu erstem Bereich zählte ich einige der Dinge, die der Erziehungsminister Hirofumi Hirano benennt, wenn er bemerkt, dass "Lektionen (im Judo) nicht begonnen werden dürften, bevor die Vorbereitungen dazu abgeschlossen sind." Vorher waren genannt worden:
a) die Bedeutung des Fallens,
b) das Schützen des Kopfes und
c) wichtige Fertigkeiten (des Lehrers) im Unterrichten von Würfen.
Als Gründe für Todes- und Verletzungsfälle mit lang anhaltenden Kopfbeschwerden im Judo für das Jahr 2011 waren angegeben worden:
- zwei Studenten schlugen mit dem Kopf bei O-soto-gari auf den Boden (ohne zu verdeutlichen, ob durch den Trainer oder einen anderen Schüler geworfen)
- einer starb an Hitzschlag
- drei Junior/Senior-HighSchool-Studenten hatten lang andauernde Schäden nach Judo-Unfällen ("accidents").
Die Hinweise des japanischen Erziehungsministeriums auf notwendige Sicherheits- und Vorsichtsmaßnahmen im Judounterricht erscheinen mir aus Sicht des DJB wirklich merkwürdig. Sollte es etwa keinerlei Ausbildung für Judotrainer an Schulen in Japan geben oder wird Judotraining in Schulen für Kinder (bis 14 Jahren) immer noch wie ein kleines Erwachsenentraining für die Studenten an den Universitäten durchgeführt?
Im Lehrplan des DJB (Kyuprogramm) sind einige der wichtigsten Punkte für Vorsichtsmaßnahmen im Judounterricht mit Kindern (also auch an Schulen) angesprochen:
1. Man lernt zuerst Fallen und dann Werfen
2. Werfen und Fallen lernen ist ein gemeinsamer Prozeß gegenseitiger Verantwortung, d.h. es wird die Fallübung gelernt, die man für den anschließend zu erlernenden Wurf benötigt.
3. O-soto-gari als Technik für Anfänger ist durch O-soto-otoshi abgelöst worden, weil Tori dabei sein Gleichgewicht besser bewahren und Uke leichter beim Fallen unterstützen kann.
4. Kuzure-kesa-gatame wird als erster Haltegriff unterrichtet, weil bei Kesa-gatame das Einklemmen des Kopfes von vielen Anfängern (d.h. auch von sehr vielen Schülerinnen und Schülern) als im Wortsinne "beklemmend" erlebt wird.
Diese Dinge werden selbstverständlich in der Übungsleiterausbildung des DJB im Zusammenhang mit der Anfängerausbildung thematisiert und unterrichtet.
Ob es eine vergleichbare Ausbildung im Kodokan oder der Alljapanischen Judo-Federation gibt, vermag ich nicht zu sagen.
Der eingangs genannte 2. Punkt betrifft jedoch den Aspekt "Missbrauch", unter dem jegliche körperliche, seelische, geistige aber auch sexuelle Gewalt zu verstehen ist, die von einem Lehrenden auf Lernende ausgeübt wird.
Darunter kann ein Tatbestand fallen, in dem ein Judotrainer einen Schüler mit O-soto-gari hart wirft, um diesen zu strafen, "aufzuwecken" oder anderswie disziplinär zu "behandeln". Fällt dabei das Kind oder der Schüler - z.B. wg. mangelnder falltechnischer Vorbereitung - auf den Hinterkopf, so ist dies - aus meiner Sicht - Missbrauch! Denn der Lehrende hat seine Stellung missbraucht, um bei dem ihm anvertrauten Lernenden Gewalt auszuüben.
Dies scheint in Japan an (einer?) Schule geschehen zu sein (ich drücke dies sehr vorsichtig aus, weil dies nicht ganz klar wird!).
Daher gibt es eine Aufforderung der JJAVA "die Kette der Missbrauchshandlungen zu durchbrechen"!
Die Kritik dieser Vereinigung richtet sich in diesem Zusammenhang gegen den Begriff "der körperlichen Züchtigung" (corporal punishment). Damit ist eine Bestrafung gemeint, bei "der Eltern oder Lehrer zu erzieherischen Zwecken Studenten oder Kinder durch körperliche Schmerzen unter ihre Kontrolle bringen". Durch diese körperlich schmerzhafte Behandlung sollen Kinder oder Studenten lernen, was sie falsch gemacht haben. Dieses Verständnis von "körperlicher Züchtigung" würde immer noch von vielen in Japan geteilt oder unterstützt. In diesem Zusammenhang wiest die JJAVA augenscheinlich auf ein gesamtgesellschaftliches Problem hin - was ich als Japan-Laie jedoch nicht beurteilen kann.
"Körperliche Züchtigung" im oben beschriebenen Sinne ist niemals eine erzieherische Maßnahme, sondern ganz einfach Gewalt, ein offenkundiger Akt des Missbrauchs!
Dies gilt nach meiner Auffassung nicht nur in Japan, sondern auch hier bei uns in Deutschland.
Auf diesem Hintergrund dieses Verständnisses von Missbrauch sind meiner Auffassung nach auch die Verfehlungen des japanischen Frauen-Nationaltrainers zu beurteilen, über den 15 japanische Wettkämpferinnen aus dem Nationalkader sich beim Nationalen Olympischen Kommittee (NOC) beschwert haben, nachdem ihren Klagen vom Management der Alljapanischen Judo Federation nicht berücksichtigt wurden ("the core of AJJF refused our complaine"). Die jungen Frauen schreiben abschließend: "Wir hoffen von Herzen, dass unser Statement dazu beitragen kann, ein zuverlässiges System zu entwickeln, indem Gewalt und Missbrauch offensichtlich verboten ist und die Athleten, die Weltspitze werden wollen sowie diejenigen, die die ihren Sport lieben und sich daran erfreuen in der Lage sein werden, ihre Sorgen und Nöte ohne Furcht auszudrücken."
Dies war offensichtlich bisher nicht der Fall!
Mich machen die gelesenen Artikel sehr betroffen, nicht nur wegen des Leids, das darin zu spüren ist.
Ich frage mich immer auch, ob wir (d.h. die Judolehrenden in Deutschland) genug dafür getan haben, genügend aufgeklärt und immer auch genügend hingeschaut haben, dass solche Klagen sich bei uns nicht entwickeln bzw. auch innerhalb eines Vereins, Verbands oder Team eine Chance haben, angemessen gehört zu werden.
Die Probleme in Japan müssen die japanischen Judoka lösen - wir können aus den Berichten nur lernen.
Für uns!
Jupp
Erschreckend: Judo-Unfälle in Japan
Re: Erschreckend: Judo-Unfälle in Japan
Im Zusammenhang mit der Entlassung des japanischen Frauen-Trainers sei nur folgendes angefügt:
Beim Judo Grand-Prix in Düsseldorf wurden Japans Frauen von einem weiblichen Coach am Mattenrand betreut. Übrigens auch die Frauen aus Korea.
Jupp
Beim Judo Grand-Prix in Düsseldorf wurden Japans Frauen von einem weiblichen Coach am Mattenrand betreut. Übrigens auch die Frauen aus Korea.
Jupp
Re: Erschreckend: Judo-Unfälle in Japan
Mit freundlichem Gruß
Fritz
Fritz