Fritz hat geschrieben:tutor! hat geschrieben:Außerdem ist das nicht notwendigerweise ein Widerspruch. Man müsste danach fragen, was der ursprüngliche Autor unter Tai-Otoshi verstand. Erst danach kann man die Korrektheit der Aussage beurteilen.
Das mag sein. Deswegen auch der letzte Absatz in meinem vorigen Beitrag.
Pauschal formuliert ist die Aussage offensichtlich aber falsch.
Lesen heißt zunächst, die Gedanken desjenigen, der sie in Schriftform gebracht hat, so zu verstehen, wie der Verfasser sie gemeint hat.
Ganz offensichtlich ist es doch so, dass der Verfasser zum Ausdruck bringen wollte, dass sich das technische Spektrum im Randori durch die gänderten Jacken verändert hat. Der Autor macht dies an Beispielen deutlich und erwähnt dabei Tai-otoshi. Dabei hat er mit Sicherheit eine konkrete Vorstellung von dem, was Tai-otoshi für ihn ist.
Wenn wir nun diese Aussage lesen, beziehen wir sie - was ganz natürlich ist - auf das, was wir unter Tai-otoshi verstehen. Wenn nun hiermit unterschiedliche Dinge - wenn auch nur in Nuancen - gemeint sind, werden wir seine Kernaussage, nämlich das veränderte Technikrepertoire im Randori anders verstehen, als es vom Verfasser gemeint war.
Wenn wir nun eine Aussage eines Autors anders verstehen, als sie gemeint war, und gehen dann den Schritt weiter und sagen, dass diese Aussage falsch sei, so tun wir nichts anderes als festzustellen, dass das, was wir verstanden haben falsch sei. Dies kann nun an zwei Dingen liegen: nämlich daran, dass der Verfasser tatsächlich einen Denkfehler hat, oder einfach daran, dass es uns nicht gelungen ist, die Gedanken des Verfassers so zu erschließen, wie sie von diesem gedacht waren. Dann ist nicht dessen Aussage falsch, sondern unsere Lesekompetenz beschränkt.
Liest man sich den Text unter der Hauptfrage durch, nämlich den Einfluss des Schnitts eines Gi auf die Entwicklung von Techniken, so müsste sich eigentlich jedem erschließen, dass der Verfasser nicht pauschal behaupten wollte, dass Tai-otoshi in jeglicher Form mit der bis dahin üblichen Kleidung nicht möglich gewesen sei, sondern dass sich der Tai-otoshi als im Randori erfolgreiche Technik erst mit den neuen Gi entwickelt habe.
Dem widerspricht überhaupt nicht, dass es auch schon vorher Tai-otoshi gab, die Frage ist nur - Du sprichst es ja auch an - wie dieser Tai-otoshi aussah. Der Tai-otoshi, wie wir ihn heute kennen und er weit verbreitet ist, wurde erst später entwickelt und wurde vor allem von einem Kämpfer erst Jahrzehnte später auf das höchste Niveau gebracht: Tokio Hirano, wie wir alle wissen. Wir müssen doch davon ausgehen, dass ein 1994 geschriebener Aufsatz, indem es um die Entwicklung von Techniken geht, mit der Bezeichnung einer Technik die zum Zeitpunkt des Verfassers vorherrschende Art der Ausführung meint, sofern nichts anderes explizit benannt wird. Wenn der Verfasser also in etwa geschrieben hätte " ein Tai-otoshi, wie er heute zumeist gemacht wird, war mit kurzen Ärmeln nicht möglich", hätte es doch gar keinen Widerspruch gegeben. Hinzu kommt, dass es sich auch hier wieder um eine Übersetzung handelt und wir nicht wissen, wie strikt es im Original formuliert war (nicht möglich / kaum möglich / schwer möglich usw.).
Ferner bezieht sich Todo ausdrücklich auf Tenjin-shinyo-ryu und Kito-ryu sowie auf die Anwendung im Randori, was eine weitere Einschränkung ist.
Was mich stört - und zwar relativ massiv - ist eine Wortglauberei, die hier immer wieder festzustellen ist und immer wieder nach dem selben Muster abläuft.
Anstatt nach dem Sinn und Kern einer Aussage zu fragen, wird ein Zitat aus dem Kontext gerissen, mit eigenen Interpretationen von Begriffen versehen anstatt sich um das Begriffsverständnis des Verfassers zu bemühen, um anschließend in einer fast schon typisch deutschen Besserwisserei und Rechthaberei diese Aussage als falsch zu bezeichnen und damit die Kompetenz des Verfassers zu negieren. In einer Klausur in der Schule würde zu Recht mit rot daneben stehen: "Du hast die Aussage des Textes nicht korrekt verstanden".
Man täte also viel besser daran, erst einmal verstehen zu wollen, was ein Verfasser mit einer Aussage inhaltlich tatsächlich meint - vielleicht könnte man so auch einmal sich einen interessanten Gedanken zu eigen machen und etwas daraus lernen.