Budo und die Ideologisierung der Kampfkünste

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
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tutor!
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Budo und die Ideologisierung der Kampfkünste

Beitrag von tutor! »

In einem anderen Faden (http://dasjudoforum.de/forum/viewtopic. ... 038#p65038) habe ich jüngst darauf hingewiesen, dass viele Begriffe, insbesondere Budo, einem Wandel des Begriffsverständnisses unterliegen und dass es aufgrund der Diskontinuität der Bedeutung immer wichtig sei, den geschichtlichen Kontext der Begriffsverwendung zu beachten. Wer einen Text so verstehen möchte, wie der Autor ihn gemeint hat, muss nun mal die verwendeten Begriffe vor dem Hintergrund des Begriffsverständnisses des Autors interpretieren.

Warum ist Budo ein so schwieriger Begriff?

Der Begriff Budo ist jung. Es wurde zwar wohl vereinzelt bereits in der Edo-Zeit verwendet, in den Mainstream der japanischen Sprache ist er allerdings erst im 20. Jahrhundert gelangt. Budo ist eng mit einem anderen, vielleicht noch viel problematischeren Begriff - nämlich Bushido - verknüpft. Vereinfacht lässt sich sagen, dass Budo - als Oberbegriff für die Kampfkünste - das hauptsächliche Vehikel war, mit dem "Bushido" vermittelt werden sollte. Der "Bushido" in seiner damaligen Interpretation beschrieb Loyalitätsbeziehungen zum Tenno (jap. Kaiser) und formulierte Erwartungen an das Verhalten jedes einzelnen - bis hin zur Bereitschaft, sein Leben auf dem Schlachtfeld zu opfern. Über allem stand die "Kokutai"-Ideologie, die den Tenno als absoluten Herrscher "von göttlicher Abstammung" betrachtete.

Die Kampfkünste wurden auf diese Weise ab den 1930er Jahren zunehmend zum Mittel der ideologischen Indoktrination. Leider ist die Aufnahme von "Budo", in Form von Judo oder Kendo als Pflichtfach in Schulen 1931 auch in diesem Zusammenhang zu sehen. In der Folge erfuhren die Kampfkünste eine immer stärker werdende ideologische Ausprägung, die während des 2. Weltkriegs ihren Höhepunkt fand. So sind zum Beispiel im offiziellen Lehrbuch zu Judo aus dem Jahr 1941 die Kinder nicht im Judogi, sondern in kurzen Hosen und einer Art T-Shirt, aber mit Stirnband abgebildet. Auch sollte auch die Abwehr gegen Katana geübt werden (als ob die japanischen Kriegsgegner Katana verwendet hätten). Es ging schlicht um die Erziehung zum "kleinen Samurai".... natürlich mit all den Eigenschaften, die man den Samurai zuschrieb.

Ähnlich wie in Deutschland war das gesamte gesellschaftliche Leben in Japan gleichgeschaltet. Was den Deutschen die Rassenlehre war, war den Japanern das "Kokutai". So wie der Sportunterricht in Deutschland der Kriegsvorbereitung und der Rassenreinhaltung diente, diente auch in Japan der Sportunterricht der Kriegsvorbereitung und zentral der ideologischen Indoktrination im Sinne Kokutai/Bushido.

Kano stand in Opposition zu diesen Entwicklungen und hatte seine eigene Morallehre geschaffen und massiv zu verbreiten versucht. Aufgrund seiner überragenden gesellschaftlichen Stellung gelang es ihm mittels einer direkten Eingabe beim Tenno, eine gewisse Unabhängigkeit für den Kodokan zu erhalten. Die Ideologisierung des Judo außerhalb des Kodokan und vor allem nach seinem Tod konnte er jedoch nicht verhindern. Wie auch?

Kanos letztlich nicht erfolgreiche Strategie war eine doppelte.

Zum einen versuchte er, andere Kampfkünste unter dem kurz zuvor (1920er Jahre) entwickelten ideologischen Dach des Kodokan zu integrieren. In diesen Kontext fällt auch das hier schon öfters thematisierte Bojutsu-Training am Kodokan, der Versuch, prominente Lehrer anderer Systeme als Lehrer an den Kodokan zu holen usw. Gleichzeitig versuchte er der zunehmend in Frage gestellten Tauglichkeit des Judo für den "echten Kampf" - hierzu gibt es einige Forschungsarbeiten - entgegen zu wirken und so das Bröckeln der Reputation des Judo aufzuhalten. Letztlich hat er versucht Judo massiv zu pushen und weiter zu verbreiten - das war auch im Interesse der Ultras - jedoch versuchte Kano verzweifelt, seine Philosophie mit zu verbreiten.

Für mich gibt es keinen Zweifel, dass die japanische Budoszene eine Vergangenheitsbewältigung zu betreiben hatte und wahrscheinlich teilweise auch noch hat. Das japanische Budo muss sich als Bewegung dazu äußern, worin es seine Ziele sieht und wo es seinen Stellenwert in der heutigen japanischen Gesellschaft sieht. Das japanische Budo muss also sein Selbstverständnis klar äußern. Das ist z.B. in den von mir angesprochenen Textstellen im Ausgangsfaden (http://dasjudoforum.de/forum/viewtopic. ... 038#p65038) erfolgt. (Wichtig: vollkommen davon unberührt bleibt natürlich die individuelle Motivation und Sichtweise des Einzelnen; hier geht es um das Leitbild einer Institution)

Das Kodokan-Judo hatte es hierbei etwas einfacher als die ein oder andere Disziplin. Kano hatte ja bereits zu Lebzeiten vor der radikalen Ideologisierung seine Vorstellung von den Zielen des Judo entwickelt. Man brauchte also nur darauf zurückzugreifen und den ursprünglichen philosophischen Kontext wieder herzustellen. Dies geschah ganz massiv zu Beginn der 1960er Jahre, u.a. durch umfangreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des Judo und zu J. Kano im Rahmen der Olympischen Spiele in Tokio 1964.

Die Nippon Budokan-Stiftung schloss sich später weitgehend den Vorstellungen Kanos an, wonach das Ziel des Budo ein ständiger Prozess der Selbstperfektionierung sei, letztlich mit dem Ziel einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft zu leisten.

Vorstellungen vom "Wesen des Budo" bzw. des darin verwurzelten "Bushido" waren Teil der ideologischen Indoktrination einer ganzen japanischen Generation. Aus diesem Grund müssen wir mit Äußerungen gerade dieser Generation zum Wesen des Budo ausgesprochen vorsichtig sein. Man findet dort das gesamte Spektrum von Verherrllchung bis zur radikalen Ausblendung und Abwendung. Mit ein Grund dafür, warum Teile des Budo in der japanischen Gesellschaft noch heute in der rechten Ecke gesehen werden.

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Lesetipp zu Bushido: http://dasjudoforum.de/forum/viewtopic.php?f=20&t=6211
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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