Technik-Namen im Judo

Hier könnt ihr alles posten was mit Judo zu tun hat

Sollten wir zukünftig ausschließlich die Kodokan-Technikklassifizierung verwenden?

ja
31
72%
nein
8
19%
weiß nicht
4
9%
 
Insgesamt abgegebene Stimmen: 43

tutor!
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Technik-Namen im Judo

Beitrag von tutor! »

In letzter Zeit kommt mir ein Gedanke immer häufiger in den Sinn. Es geht um die Namensbezeichnungen, die wir im Judo verwenden. Der Kodokan hat ein Namenssystem, das er verwendet. Dort sind alle gebräuchlichen Technikbezeichnungen erfasst. (http://www.kodokan.org/e_waza/index.html).

Wir weichen in Deuthland mehr oder weniger stark von dieser Klassifizierung ab. Bei den Bodentechniken ist dies deutlich stärker ausgeprägt, als bei den Wurftechniken. Ich frage mich, ob wir uns in Deutschland nicht dazu entschließen sollten, künftig ausschließlich die Klassifizierung des Kodokan zu verwenden und alle anderen Namen - nicht die Techniken selbst(!) - ad acta legen sollten und die Techniken mit den Kodokan-Namen bezeichnen sollten.

Bitte stimmt ab und schreibt Eure Gedanken und Gründe für die eine oder andere Seite auf. Ich selbst bin mir nicht 100% schlüssig.
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Reaktivator »

100% dafür!

Eine Begründung findet man hier:
http://217.24.217.137/www.judo-world.ne ... he=deutsch
Ein Forenmitglied ohne Signatur ist wie ein Forenmitglied ohne Namen.
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Jupp »

Das ist ein wirklich schwieriges Thema. Bezüglich der 67 Namen für Wurftechniken gibt es mit dem Daigo-Buch ja mittlerweile wenigstens auf Englisch eine - wenn auch eingeschränkte, verkürzte - Quelle zum Nachschlagen und Vergleichen. Die vollständige deutsche Übersetzung der drei Daigo-Bücher aus dem japanischen wird sicher noch einige Jahre vollständig auf sich warten lassen.
Für die Bodentechniken hat Wolfgang Hofmann Ende der 60-er Jahre eine sehr brauchbare und übersichtliche Zusammenfassung der 5 (4?) Haltegriffe, 7 Armhebel und 7 Würgegriffe zusammengestellt, mit der im DJB bis heute gearbeitet wird.
Die Kodokan-Systematisierung sieht dahingegen 7 Haltegriffe, 12 (11!) Würgegriffe und 10 Hebeltechniken vor.
Beide Systematisierungen sind nicht durchgängig stringent und widerspruchsfrei, wobei ich inhaltlich jedoch eher (aus Gewohnheit?) zu Hofmann tendiere. Woher in seiner Systematisierung allerdings die Klassifikation "Kannuki-gatame" (begrifflich und historisch) kommt, ist derzeit - trotz Recherchen - nicht mehr auszumachen.
Warum Kodokan bei den Haltegriffen nur zwei "Kuzure" gestattet und bei den Würgern drei "Juji-jime" prinzipiell unterscheidet leuchtet mir (u.a.) auch nicht so recht ein.

Ähnlich kann man übrigens auch bei den Wurftechniken argumentieren. Allerdings haben die 67 Wurftechniken (bis auf zwei Ausnahmen) auch die Legitimation der IJF (Weltjudoverband), was für eine weltweite Übernahme sprechen würde. Dennoch lassen sich nicht alle technischen Entwicklungen des modernen Judo meiner Ansicht nach ausreichend durch die 67 Kodokan Wurftechniken beschreiben. Genannt sind hier z.B. Khabarelli, von außen eingedrehte Hüft- oder Schulterwürfe, sowie zahlreiche Ausheber der Te-guruma Art oder den Kata-guruma Abtaucher-Varianten.

Das Argument, dass man den Dingen (also auch den Judotechniken) einen Namen geben muss, damit sie behalten werden ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings sollten es nicht 83 verschiedene Namen für Bodentechniken sein, wie sie - in durchaus guter Absicht und ordentlicher Qualität - auf einer DVD zu "Ne-waza" kürzlich zusammengestellt wurden.

Namen geben ist - auch im Judo - ein Machtinstrument. Wer den Techniken einen Namen geben darf, hat große Macht. Daher ist die Namensgebung und Systematisierung von Judotechniken sicherlich nichts, was man über eine Abstimmung in einem Judoforum "regeln" könnte.

Ein nachdenklicher
Jupp
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Fritz
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Fritz »

Meine Meinung ist die:
Da wofür es Kodokan-Namen gibt, sollte diese auch verwendet werden.

Wo Kodokan-Namen nicht ausreichen bzw. extrem unscharf sind (Bspw. bei den Bodentechniken)
dann sollte halt die einschlägigen Namen, welche in der Literatur von Japanern
zu finden sind z.B. bei Kano, Mifune, Kawaishi usw., ergänzend benutzt werden.
Der Mensch braucht halt Begriffe, um sich zu orientieren.

Keinesfalls sollten wir aufgrund rudimentärer Möchtegern-Japanisch-Kenntnisse
uns selbst irgendwelche jap. klingenden Phantasie-Bezeichnungen zusammenreimen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
BadenIkkyu

Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von BadenIkkyu »

Ich habe mit nein gestimmt wegen dem Wort ausschließlich.
1. gibt es nicht zu allem in Deutschland gebräuchlichen Techniken Kodokan-Bezeichnungen.
Wo es eine gibt, ok, ansonsten der gebräuchliche Name (unter dem die meisten die Technik kennen). Dieser kann auch deutsch sein.
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Mitesco »

Ja, wegen der Einheit des Judo weltweit und der Ursprünge.

Mitesco (http://www.mitesco.nl)

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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von kastow »

Aus den gleichen Gründen wie Mitesco ebenfalls dafür - mit einer kleinen Einschränkung. Für Varianten sollten Zusätze genutzt werden dürfen.
Beispiel:
Kodokan - Uchi-mata
DJB - Ashi-uchi-mata, Koshi-uchi-mata
So bliebe der weltweite Standart erhalten, die Grundtechnik sprachlich klar erkennbar und dennoch könnten viele Varianten klar benannt werden. Dafür sollte es einen Experten-Ausschuss geben, in dem Leute mit entsprechenden technischen und sprachlichen Kompetenzen sitzen. (Mit dieser Fähigkeiten-Kombination wird es wohl nicht allzuviele Leute in Deutschland geben.)
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von tutor! »

Ich danke Euch allen erst einmal für Eure Gedanken. Das Zwischenergebnis ist natürlich mangels Masse nicht repräsentativ für Judo-Deutschland, aber die Tendenz ist eindeutig. Wenn ich einmal versuche, die Gedanken zusammenzufassen, dann habe ich folgendes gelesen:

Mitesco weist darauf hin, dass wir nicht nur national agieren, sondern in einem internationalen Verbund. Dies leuchtet mir auf der Stelle ein, denn wenn wir z.B. Bücher oder andere Medien - wozu ich jetzt jede Form der Kommunikation wie z.B. internationale Foren zähle - für unsere Information und Weiterbildung benutzen, die sich naturgemüß nicht an unserem Sprachrahmen orientieren, dann gibt es zumindest damit ein Problem, dass wir uns erst in die Terminologie anderer eindenken müssen, um angemessen kommunizieren zu können und umgekehrt. Man stelle sich nur vor, in jedem Land würden länderspezifische Bezeichnungen kreiert - das Durcheinander wäre über kurz oder lang nicht mehr beherrschbar.

Auf der anderen Seite kann ich auch das Argument nachvollziehen, dass so manche Bezeichnungen aus dem Kodokan als schwammig empfunden werden. Das kommt daher, dass der Kodokan sein Namenssystem selbst als ein Klassifizierungssystem betrachtet, indem Techniken - wie der Name andeutet - klassizifiert werden. Es ist gar nicht das Ziel, jede denkbare Variante mit genau einem eindeutigen Namen zu belegen, sondern eben das Prinzip der Technik, das auf unterschiedliche Weise praktisch umgesetzt werden kann.

Der Kodokan kommt in seinen Veröffentlichungen offenbar mit weniger Bezeichnungen aus, als wir in Deutschland, was mir persönlich zu denken gibt. Praktizieren wir Techniken (und fordern sie für Kyu- und Danprüfungen), die im Kodokan in den letzten Jahrzehnten niemanden wirklich interessiert haben und die daher aus dem Technik-Curriculum des Kodokan gestrichen wurden, oder werden diese Techniken im Kodokan nur unter anderen Namen gelehrt?

Besonders nachdenklich macht mich die Äußerung von Jupp zum Thema "Namensgebung und Macht". Aber dieser Aspekt erscheint mir in der Debatte von besonderer Bedeutung zu sein. Wenn etwas einen Namen bekommen hat, dann ist es auch definiert. Wer den Namen vergibt, hat die Definitionshoheit. Wenn wir in Deutschland jemandem zubilligen, Namen für Judotechniken zu vergeben, dann legitmieren wir auch die Definitionshoheit desjenigen (oder der Gruppe) über die Techniken. Steht dann diese Technik irgendwann in einem Prüfungsprogramm, dann definiert auch diese Gruppe, was genau darunter zu verstehen ist. Damit legitmieren wir auch, dass sich die Anforderungen an unsere Prüflinge von internationalen Standards - wie dem Kodokan - weg bewegen.

Das ist jetzt natürlich sehr zugespitzt formuliert, aber ich hoffe - und denke - dass dies auch Jupps Gedanken wiederspiegelt.

Kastow hat ein Beispiel genannt: "Ashi-uchi-mata" und "Koshi-uchi-mata". Der Kodokan differenziert hier nicht. Auch das beste japanische Judo-Buch, das ich habe (Vital Judo von Okano), zeigt viele Variationen von Uchi-mata - darunter genau die von uns mit unterschiedlichen Namen für unterschiedliche Kyu-Grade geforderten Ashi- und Kochi-Uchi-mata - aber dennoch wird immer nur die Bezeichnung "Uchi-mata" verwendet.

Dasselbe finden wir bei O- bzw Ko-uchi-gari resp. O- bzw. Ko-uchi-barei. Letzteres existiert in Japan nicht als Bezeichnung, sondern ist eine europäische Erfindung (zu erst veröffentlicht von A. Geesink).

Dabei schleichen sich natürlich auch Fehler ein. "Koshi-uchi-mata" suggeriert, dass es sich bei dieser Ausführung nicht mehr um eine ashi-waza handelt, sondern um eine koshi-waza ("Uchi-mata als Hüfttechnik"). Damit wird die Technik aber in eine vom Kodokan abweichende systematische Zuordnung gebracht. Da nun aber in Japan nicht zwischen "ashi-uchi-mata" und "koshi-uchi-mata" differenziert wird, sondern beide Varianten grundsätzlich unter "Uchi-mata" subsummiert werden, legt dies den Schluss nahe, dass die vom Kodokan verwendete Systematisierung zumindest partiell falsch sei. Aber: ist ein "koshi-uchi-mata" wirklich eine Hüfttechnik?

"Koshi-uchi-mata" ist ungefähr genauso viel eine Hüfttechnik wie Sase-tsuri-komi-ashi eine Te-waza ist - nämlich gar nicht. Niemand wird wohl ernsthaft behaupten, dass eine ashi-waza ausschließlich mit den Füßen und eine te-waza auschließlich mit den Händen geworfen wird. Gerade beim Sasae-tsuri-komi-ashi haben die Hände eine herausragende Bedeutung. Es ist jedoch immer der ganze Körper beteiligt. Die Frage ist nur: welches Körperteil ist dominant? Ohne jetzt ein Fass aufmachen und verschiedene Techniken diskutieren zu wollen: aber beim "koshi-uchi-mata" ist es das Schwungbein, das den Wurf ermöglicht. Die Hüfte ist auch beteiligt, aber eben nur sekundär. Insofern bleibt auch ein "koshi-uchi-mata" eine Ashi-waza.....

In der Frage von O/Ko-uchi-gari/barei spitzt sich die Situation noch mehr zu. Durch die in Deutschland vorgenommene, aber in Japan nicht existente Differenzierung kann es vorkommen, dass ein Kodokan-sensei uns einen ko-uchi-gari zeigt und dieser in Deutschland schlicht als falsch bezeichnet wird.

Es geht mir - und das muss ich ausdrücklich betonen nicht um die Techniken (genauer: Varianten) selbst. Auch und erst recht nicht um die Frage, ob sie vermittelt werden sollten oder nicht. Dem würde ich sofort zustimmen! Mir geht es um die dafür verwendeten Bezeichnungen.

Ich bekomme immer mehr Bauchschmerzen damit, dass wir japanische Bezeichnungen verwenden, um Varianten bestehender Techniken zu benennen. Bezeichnungen, die in Japan nicht gebräuchlich sind, sondern von uns - durchaus auch im Verbund mit anderen Ländern - eingeführt wurden.

Wenn wir glauben, sprachlich differenzieren zu müssen, so fände ich es angemessener, dies ausschließlich über deutschsprachige Ergänzungen zu machen, um nicht zu suggerieren, es handele sich hierbei um legitimierte japanische Begriffe.

Auf der anderen Seite sind die Begriffe so schön praktisch, wenn man sie mit einiger Gelassenheit als das nimmt, wie sie gemeint sind - als praktische und nützliche Präzisierungen. Wenn man also nicht anfängt, irgendwann Haarspalterei zu betreiben, können sie sehr praktisch sein.
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Lin Chung »

Mein Gedanke ist, die alte Bezeichnung "Uchi Mata" wieder in der PO einzuführen, aber dennoch die unterschiedlichen Varianten "Ashi-uchi-mata" und "Koshi-uchi-mata" zuzulassen.
So kann der Prüfling selbst bestimmen, was er eine für ihn ausführbare Technik zeigt.

Warum ich so argumentiere, es gibt einen Spruch:
"Eine KKst muss sich dem Ausführenden anpassen und nicht der Ausführende der KKst, sonst ist es keine KKst" ... und das wollen wir doch oder?
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Reaktivator »

Bei bislang nur relativ wenigen Beiträgen findet sich doch schon wieder erstaunlich viel "Offtopic"-Diskussionsstoff in diesem Faden, den man vielleicht besser herauslösen sollte...?
Nur zwei kleine Beispiele:
Jupp hat geschrieben:Für die Bodentechniken hat Wolfgang Hofmann Ende der 60-er Jahre eine sehr brauchbare und übersichtliche Zusammenfassung der 5 (4?) Haltegriffe, 7 Armhebel und 7 Würgegriffe zusammengestellt, mit der im DJB bis heute gearbeitet wird.
Die Kodokan-Systematisierung sieht dahingegen 7 Haltegriffe, 12 (11!) Würgegriffe und 10 Hebeltechniken vor.
Durch diese Gegenüberstellung sowie das Wort "dahingegen" wird hier der Eindruck erweckt, Hofmann hätte weniger und der Kodokan mehr Techniken namentlich benannt. Aber hier werden Äpfel mit Birnen verglichen - denn genau das Gegenteil ist der Fall:
Hofmann führt in seiner Übersicht (1973/85: S. 168) 16 Haltegriffe namentlich auf - der Kodokan (2007: S. 57) hingegen nur 7, also weniger als die Hälfte. (Merke: Weniger ist manchmal mehr - auch im Judo. Vgl. dazu: http://217.24.217.137/www.judo-world.ne ... he=deutsch)
Jupp hat geschrieben:(...) Hofmann (...). Woher in seiner Systematisierung allerdings die Klassifikation "Kannuki-gatame" (begrifflich und historisch) kommt, ist derzeit - trotz Recherchen - nicht mehr auszumachen.
Ich weiß natürlich nicht, welche Recherchen angestellt wurden - aber ein einfacher Blick in Hofmanns Buch reicht aus, um zu sehen, daß er "die 24 Armhebel des Systems KAWAISHI" zu "sieben verschiedenen Gruppen von Armhebeln" zusammenfaßt (1973/85: S. 200). Und ein weiterer einfacher Blick in Kawaishis Buch ("ma methode de JUDO": S. 211 + 257) reicht aus, um zu sehen, daß darunter auch Kannuki-gatame ist.

Zur Sache:

Man muß bei der Diskussion auf alle Fälle differenzieren zwischen der Benennung von Techniken (d.h. der Frage nach Verwendung bestimmter Namen) und der Klassifikation bzw. Systematisierung von Techniken - letztere könnte theoretisch auch ganz ohne Verwendung japanischer Bezeichnungen erfolgen.

Ich persönlich bin gegen eine zu extensive Verwendung japanischer Techniknamen, jedenfalls an "offizieller" Stelle (Prüfungsordnungen o.ä.). Für letztere sollten wir uns - weltweit - am Kodokan orientieren. Deshalb habe ich bei dieser Abstimmung mit "ja" gestimmt ("100% dafür!").

Für Trainingszwecke bleibt es ja jedem freigestellt, zusätzlich auch noch andere Bezeichnungen zu verwenden, sei es japanische (und durchaus auch von Japanern verwendete) Namen wie etwa "Kannuki-gatame" (s.o.), rein deutsche (und international deshalb natürlich vollkommen unbekannte) Namen wie etwa "Marhenke-Würger", oder aber von mir aus auch von Deutschen erfundene "japanische" (bzw. japanisch klingende) Phantasienamen - das sehe ich völlig emotionslos und würde es auch nicht überbewerten...
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von tutor! »

In der Tat - es ergeben sich eine Menge Anknüpfungspunkte.....
Reaktivator hat geschrieben:Ich persönlich bin gegen eine zu extensive Verwendung japanischer Techniknamen, jedenfalls an "offizieller" Stelle (Prüfungsordnungen o.ä.). Für letztere sollten wir uns - weltweit - am Kodokan orientieren. Deshalb habe ich bei dieser Abstimmung mit "ja" gestimmt ("100% dafür!").
Für die Fälle, in denen wir in "offiziellen" Schriften abweichen, könnte ja auf der DJB-Homepage eine Sektion eingerichtet werden, in der genau diese Abweichungen detailliert erklärt und begründet werden. Das würe sichern, dass diese Abweichungen nicht irgendwo versteckt erläutert stehen, dass sie allgemein zugänglich und auch leicht auffindbar wären und vor allem, dass sie wirklich durchdacht sein müssen.
Reaktivator hat geschrieben:Für Trainingszwecke bleibt es ja jedem freigestellt, zusätzlich auch noch andere Bezeichnungen zu verwenden, sei es japanische (und durchaus auch von Japanern verwendete) Namen wie etwa "Kannuki-gatame" (s.o.), rein deutsche (und international deshalb natürlich vollkommen unbekannte) Namen wie etwa "Marhenke-Würger", oder aber von mir aus auch von Deutschen erfundene "japanische" (bzw. japanisch klingende) Phantasienamen - das sehe ich völlig emotionslos und würde es auch nicht überbewerten...
Ich denke, man könnte das in der Tat sehr emotionslos sehen, wenn diese Bezeichnungen nicht in "offiziellen" Schriften verwendet würden - und auch ihre Kenntnis nicht z.B. bei Prüfungen vorausgesetzt bzw. abgefragt wird.

Letztlich geht es ja auch um Transparenz und darum, dass Sprache/Begriffe/Bezeichnungen eindeutig für alle Beteiligten sein und gelten muss/müssen, wenn es denn der Kommunikation und nicht etwas anderem dienen soll.
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von kastow »

Ursprünglich hat Weinmann doch in seinem Judo-Brevier alle Gokyô-Techniken kurz definiert. Ist so etwas eigentlich für die folgenden PO ab 1994 bzw. die im DJB als eigenständig geltenden Techniken fortgeführt worden?
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:Ursprünglich hat Weinmann doch in seinem Judo-Brevier alle Gokyô-Techniken kurz definiert. Ist so etwas eigentlich für die folgenden PO ab 1994 bzw. die im DJB als eigenständig geltenden Techniken fortgeführt worden?
Das erfordert eine längere Antwort.

Wolfgang Weinmann war:
  • Mitglied und zeitweise auch Vorsitzender der "Bundeskommission Judo des DDK", jener Gruppe, die für alle Fragen des Graduierungswesens verantwortlich war
  • Buchautor des "Judo-Breviers" und einiger anderer Judo-Bücher
  • Inhaber des Verlages, in dem diese Bücher erschienen sind.
In meiner Ausgabe (24. Auflage, 1984) heißt es: "Die vom Autor erarbeiteten Definitionen..." (Seite 6).

Ich konnte an keiner Stelle einen Hinweis finden, dass es sich beim Judo-Brevier um eine Veröffentlichung des damals innerhalb des DJB für Prüfungen zuständigen DDK handeln würde. Stets ist nur von W. Weinmann als Autor die Rede, wenngleich seine (damaligen) Funktionen im DDK erwähnt bleiben. Über das Rechtsverhältnis zwischen DDK und W. Weinmann als Autor bzw. dem Weinmann-Verlag bezüglich der Übernahme und Veröffentlichung aller Ordnungen rund um das Prüfungswesen (Prüfungsordnung, Verfahrensordnung usw.) sowie über das Rechtsverhältnis zwischen eventuellen Mitautoren bzw. im Judo-Brevier veröffentlichten Arbeitsgruppenergebnissen des DDK ist mir nichts bekannt. (Zur Erläuterung: Alle genannten Ordnungen sind urheberrechtlich geschützt und eine Veröffentlichung bedarf der Zustimmung der Rechteinhaber).

Da diese Arbeit also keine Arbeit des DJB oder des DDK war, konnte sie also auch nicht direkt fortgesetzt werden. Jedoch gibt es eine inidrekte Fortsetzung in Gestalt der "offiziellen" Lehrmaterialien zur Prüfungsordnung, nämlich der DVDs (Lippmann/Kessler) und der Bücher (Klocke). Von diesen Materialien kann ich sagen, dass a) es eine klare Vereinbarung mit dem DJB gibt und b) diese Materialien sofern sie konkrete Ausführungen beschreiben, die Auffassungen der Autoren wiederspiegeln und - U. Klocke hat es hier im Forum einmal selbst erläutert - nicht im Detail eine Ratifizierung eines Gremiums erfahren haben.

Es gibt schlicht im DJB weder einen "technischen Direktor", der im Namen des DJB Techniken verbindlich definieren darf, noch ein Gremium, dass über Technikdefinitionen abstimmt und diese so legitimiert. Dasselbe gilt übrigens zum Glück auch für den Kata-Bereich, wenngleich einige genau diese Rolle für sich in Anspruch zu nehmen scheinen oder von anderen in diese Rolle gedrängt werden. Der DJB orientiert sich in diesem Fall am Kodokan - oder sollten wir genauer sagen: die Gremien sind gehalten, sich am Kodokan zu orientieren!

Jedoch ist es nicht so, dass das Verständnis über einzelne Techniken nicht kommuniziert würde und sich im sozusagen luftleeren Raum entwickeln würde. Will man dem nachgehen, muss man zu allererst verstehen, dass der DJB nur eine Rahmenkompetenz hat und dass die Landesverbände für die Durchführung des Prüfungswesens verantwortlich sind.

Es gibt alljährlich eine zweitägige Tagung der Lehr- und Prüfungsreferenten, an denen die dringend erforderlichen Abstimmungsprozesse stattfinden und auf denen auch alle anstehenden Fragen diskutiert werden. Dort erhalten die Lehr- und Prüfungsreferenten detaillierte Erläuterungen zu allen Fragen der Prüfungsinhalte, der Prüfungsaufgaben, der Vorgaben für die Trainer-Ausbildung etc. Nur die Umsetzung ist dann deren Aufgabe. Blöd ist nur, wenn einige Referenten der Landesverbände nicht erscheinen, wenig mitbekommen, die Zeit absitzen oder einfach auch nicht das verstehen, was sie vermittelt bekommen. Das trifft allerdings nur für einige zu, ich möchte jetzt hier keine allgemeine Schelte der Referenten vornehmen. Außerdem tauchen manche Probleme erst in der Praxis auf, so dass vor Ort eigene Entscheidungen gefällt werden müssen.

Auf diese Weise klärt sich auch auf, dass der DJB als Verband z.B. keine eigene Lehrmeinung darüber hat, was z.B. einen Uki-waza von einem Yoko-otoshi unterscheidet. Erstens gilt für den DJB ohnehin der Kodokan, so dass gar keine Notwendigkeit besteht, selbst Definitionen vorzunehmen oder zu versuchen, und zweitens mangelt es dem DJB an der Zuständigkeit in der Umsetzung der Lehre: das ist Aufgabe der Länder.

Was jedoch die konkret angesprochenen Techniken und Technik-Bezeichnungen betrifft: Sie wurden mit kompletter Begründung des "wie und Warum" den Referenten erläutert. Dem DJB - bzw. den verantwortlichen Personen - ist in dieser Hinsicht kein Vorwurf zu machen.
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HBt

Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von HBt »

Tutor hat geschrieben:Was jedoch die konkret angesprochenen Techniken und Technik-Bezeichnungen betrifft: Sie wurden mit kompletter Begründung des "wie und Warum" den Referenten erläutert.
Das ist ein interessanter Punkt, der in jede Richtung Interpretationsspielraum läßt, was 'erläutern' so bedeutet. Ok, verständliche Begründungen sorgen für Transparenz, die wir ja bekanntlich alle brauchen.
Entscheidend ist doch aber mehr die Tatsache (Behauptung): für uns gelten die Vorgaben und Vorstellungen des Kodokan oder möchte man keine Verantwortung übernehmen?

Eine handlungsfähige Expertengruppe des DJB halte ich schon für sinnvoll und wichtig.
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von tutor! »

HBt hat geschrieben:Das ist ein interessanter Punkt, der in jede Richtung Interpretationsspielraum läßt, was 'erläutern' so bedeutet.
Ich kann hier nur versichern, dass die Erläuterungen jeweils so eindeutig waren, dass sie auch der letzte Anwesende hätte verstehen müssen! Es gab und gibt stets schriftlich vorbereitetes Material, Schulungsmaterial zur Verwendung in den Ländern, Erläuterungen anhand von Videobeispielen, Praxis auf der Matte und reichlich Gelegenheit zu Rückfragen. Aber manche Referenten sind auch keine besseren Teilnehmer als diejenigen, über die sich diese Referenten vor Ort mit Recht beklagen....

So gab es z.B. separate Implementierungskurse als die Nage-no-Kata in das Kyu-Prüfungsprogramm aufgenommen wurde. Alle Landesverbände waren gehalten, Multiplikatoren dorthin zu entsenden, BEVOR die neue PO in Kraft gesetzt wurde. Es gab ausführliche Erläuterungen zu Sinn und Zweck des neuen Prüfungsfaches, zur Methodik der Vermittlung an Kyu-Grade, zu Schwerpunkten der Vermittlung (worauf also mehr und worauf weniger Wert gelegt werden soll), zum "Erwartungshorizont" (also welches Niveau realistisch zu erwarten ist), zu Bewertungskriterien usw. Schade, dass die meisten Länder nicht ihre Kata-Beauftragten dorthin geschickt haben. Die komplette Kata-Kommission des DJB glänzte damals durch Abwesenheit.
HBt hat geschrieben:Entscheidend ist doch aber mehr die Tatsache (Behauptung): für uns gelten die Vorgaben und Vorstellungen des Kodokan oder möchte man keine Verantwortung übernehmen?
Man möchte aus vollkommen richtigen Gründen auf jeden Fall vermeiden, sich in Widerspruch zum Kodokan zu setzen. Die Verantwortung besteht daher nicht in der Erstellung eigener Definitionen, sondern darin, die entsprechenden Inhalte des Kodokan exakt zu verstehen und weiterzugeben - ohne sie durch eigene Vorstellungen zu verwässern. Dies gelingt leider nicht immer...

Als ausgesprochen ungünstig hat sich jedoch herausgestellt, dass in der APO gewünschte und für sinnvoll erachtete Varianten von Techniken nicht mit deutschen Erläuterungen beschrieben wurden, sondern dafür japanische Begriffe gewählt wurden (z.B. Seoi-otoshi oder O-soto-otoshi).
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Fritz
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Fritz »

quote hat geschrieben:Als ausgesprochen ungünstig hat sich jedoch herausgestellt, dass in der APO gewünschte und für sinnvoll erachtete Varianten von Techniken nicht mit deutschen Erläuterungen beschrieben wurden, sondern dafür japanische Begriffe gewählt wurden (z.B. Seoi-otoshi oder O-soto-otoshi).
Das war meiner Meinung nach gar nicht mal der Fehler,
der Fehler ist, diese Vorformen von Techniken
nicht deutlich als solche gekennzeichnet zu haben und später in der PO nicht
die vollständige Technik abzufragen... :evil:
Abgesehen davon, bleibt die Notwendigkeit von diesen Vorformen doch auch eher zweifelhaft.
Die Formulierung "eine Form von" aus der vorhergehende PO hielt ich dahingehend schon für besser.

Hier überschneidet es sich aber allerdings mit dem Nomenklatur Faden:
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... =21&t=3919 wenn man diese Name eh nur als
Namen von Prinzipien ansehen möchte, ist eh alles gezeigte "eine Form von".
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von tutor! »

Wir verstehen uns immer besser ;)
Fritz hat geschrieben:
quote hat geschrieben:Als ausgesprochen ungünstig hat sich jedoch herausgestellt, dass in der APO gewünschte und für sinnvoll erachtete Varianten von Techniken nicht mit deutschen Erläuterungen beschrieben wurden, sondern dafür japanische Begriffe gewählt wurden (z.B. Seoi-otoshi oder O-soto-otoshi).
Das war meiner Meinung nach gar nicht mal der Fehler,
der Fehler ist, diese Vorformen von Techniken
nicht deutlich als solche gekennzeichnet zu haben und später in der PO nicht
die vollständige Technik abzufragen... :evil:
Denn exakt das war die Folge davon - und deshalb schrieb ich "als ungünstig herausgestellt"....
Fritz hat geschrieben:Abgesehen davon, bleibt die Notwendigkeit von diesen Vorformen doch auch eher zweifelhaft.
Die Formulierung "eine Form von" aus der vorhergehende PO hielt ich dahingehend schon für besser.
.... daher auch meine neutrale Formulierung "für sinnvoll erachteten Varianten"
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Ronin
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Ronin »

tutor! hat geschrieben:
Fritz hat geschrieben:Abgesehen davon, bleibt die Notwendigkeit von diesen Vorformen doch auch eher zweifelhaft.
Die Formulierung "eine Form von" aus der vorhergehende PO hielt ich dahingehend schon für besser.
.... daher auch meine neutrale Formulierung "für sinnvoll erachteten Varianten"
"Eine Form von" hat leider bei vielen Prüfern dazu geführt, dass jeder der irgendwas gezeigt hat, die Prüfung bestanden hat, da es ja eine Form von war. War nicht die Schuld der PO sondern der Prüfer, aber es ging sogar soweit, dass bei einem Prüfer, den ich kenne, die Meinung da war, dass jetzt keiner mehr durchfallen kann....

Das ist nicht Sinn der Sache. Ich bin daher für exakte Benennung. Je näher am Kodokan-Jargon desto besser. Ich denke, um Varianten einzuarbeiten, muss man sie nicht benennen, wenn es keine Bezeichung dafür gibt. Die Formulierung wäre dann z.B. gewesen zwei/drei Variationen von Seoi-Nage zeigen etc...
Das hätte dem hier gewünschten Ergebnis vollkommen genügt.
Jupp
3. Dan Träger
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von Jupp »

Ich möchte mich wieder einmal für einen ziemlich langen Artikel entschuldigen, der jetzt folgt. Aber vielleicht hilft er, die verschiedenen Ebenen, die in der Diskussion über Namen immer wieder enthalten sind, ein wenig auseinander zu halten.
Der Grund, diesen Artikel vor drei Jahren zu schreiben, bestand auch darin, Techniken unterscheidbar zu benennen und -weltweit - einheitlich zu kennzeichnen.


Judotechnik – zwischen abstraktem Prinzip und konkreter Bewegung
Überlegungen zum Technik-Begriff

Da ich bei meinen Lehrgängen in den vergangenen Jahren häufig mit dem Problem konfrontiert worden bin, dass mir Lehrgangs-Teilnehmer vorhielten, so wie ich die Technik zeige, dürften sie diese bei einer Gürtelprüfung nicht demonstrieren, möchte ich zum Thema „Judotechnik“ und deren Benennung einige Überlegungen vorstellen.

1. Gedanken von Jigoro Kano

Lassen wir jedoch zunächst noch einmal den Judo-Begründer Jigoro Kano zu Wort kommen: „Im Judo hat jede Bewegung eine Bedeutung. Randori ist nicht die reine Wiederholung von fest vorgegebenen Bewegungen, sondern eine unendliche Kombination von verschiedenen Bewegungen, die die Kämpfer auswählen, um den Anforderungen der jeweiligen Situation gerecht zu werden, ....Wiederum passt diese unendliche Variabilität der Bewegungen im Judo zur körperlichen Entwicklung und die Variabilität der Wege mit den man Judo trainieren kann und macht es passend für Jeden ob alt oder jung, robust oder schwächlich.“ (Jigoro Kano: „Judo- the Japanese Art Of Self Defence“,: http://judoinfo.com/kano2.htm)

Jigoro Kano studierte seine Judotechniken „wissenschaftlich“, versuchte „Prinzipien einer neuen Idee (herauszufinden), erprobte sie in der Praxis und wenn die Idee stetig funktionierte, machte er daraus das fundamentale Prinzip einer neuen Judotechnik. Wie man sieht, war Kanos Art zu denken sehr rational und wissenschaftlich.
Aus der Art, wie er Ju-jutsu ausübte, wird offenkundig, dass er – im Gegensatz zu seinen Ju-jutsu Kollegen, die sich wenig Gedanken über die verschiedenen Techniken machten – sie stets im vollen Bewußtsein der zugrunde liegenden Prinzipien benutzte. Darüber hinaus fügte er eigene Einfälle hinzu und falls sie seinen Erwartungen entsprachen, hörte er nicht auf, sondern untersuchte die Gründe und die Basis für ihren Erfolg. Hatte er einmal Gründe für ihr Funktionieren herausgearbeitet, so übernahm er sie als definierte Technik. So entwickelte er ein System für die Techniken des Ju-jutsu.“ (Mineo Maekawa: „Jigoro Kanos Gedanken über Judo“ in Bulletin of the Asociation for the Scientific Studies on Judo, Kodokan, Report V, 1978 Tokyo; aus: http://www.bstkd.com)


2. Meine Überlegungen zur Judotechnik

Man kann an einer Judotechnik nach meinem Verständnis mehrere Aspekte unterscheiden:
a) der Ippon: den individuellen, momentanen, situativen Aspekt (z.B. den konkreten Ippon)
b) die Tokui-waza: den individuellen, überdauernden Aspekt (z.B. den Koga-seoi-nage)
c) das Prinzip: den überindividuellen, prinzipiellen Aspekt (Ippon-seoi-nage, wie er prinzipiell ausgeführt werden sollte)
d) die Variation: den überindividuellen, reduzierten Aspekt (z.B. Seoi-nage für Kinder, die mit 9 Jahren Judo beginnen)

zu a) Technik ist in einem individuellen und situativen Sinne etwas ganz einmaliges, keinen Ippon gibt es identisch zweimal. Ich kann nicht „zweimal in denselben Fluß steigen“ und von daher hat der englische Judolehrer Geof Gleeson sicher recht mit seiner provokanten Behauptung „Technik im Judo gibt es nicht!“. Damit meint er Technik als eine Vorstellung von etwas Festem, präzise in der äusseren Form Wiederholbarem. Das lehnt er ab, denn keine Situation, in der eine Judotechnik angewendet wird, wird sich in der gleichen Form jemals wiederholen.

zu b) Technik ist auch einmalig in ihrer jeweils besonderen Präsentation durch einen ganz bestimmten Menschen mit all seinen physischen, psychischen, emotionalen, sozialen, konditionellen Besonderheiten, an die er die jeweilige Technik angepasst hat und dabei auch noch im Laufe seiner Judojahre stetig verändert hat. Also hat sich auch der Mensch im Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden Kräfte (Muskelkraft, Schwerkraft, Trägheitskraft) verändert
Wenn wir also eine bestimmte Judotechnik von Jemandem sehen, so ist dies zwar (im Sinne von a) immer nur ein momentaner, flüchtiger Eindruck und dennoch stecken in dieser Demonstration auch Anteile des Menschen und der Technik, die er sich Jahre zuvor angeeignet hat. Und diese (überdauernden) Anteile sind erkennbar. Es gibt also auch so etwas wie eine situations-überdauernde Erkennbarkeit einer bestimmten individuellen Technik, wie den „Adams-Juji-gatame“, den „Quellmalz-Tai-otoshi“, den „Sugai Uchi-mata“ , den „Koga-seoi-nage“ usw., einzelne Varianten der Technik, die von bestimmten Judoka in wiederkehrenden, d.h. vom Anforderungsprofil ähnlichen Situationen in annähernd „gleicher“ (d.h. wiedererkennbarer, vergleichbarer) Weise ausgeführt wurden.

zu c) Darüber hinaus besitzen Bewegungen im Judo aber auch so etwas wie eine „überindividuelle“ Charakteristik, die sie bei allen Ausführenden vergleichbar und identifizierbar werden lässt. Wenn man auf diesem Hintergrund nicht von „dem“ Uchi-mata sprechen kann, so gibt es dennoch aber den „Uchi-mata“, einen Wurf, der in seiner spezifischen Besonderheit sich von anderen unterscheiden lässt. Auch wenn die Grenzen – einerseits zu Hane-goshi, andererseits zu O-goshi/Koshi-guruma/Tsuri-komi-goshi – verschwimmen, so stimmen doch die meisten Beobachter in ihrem Urteil bei der Technikanalyse überein. Man sieht in all den individuellen Ausprägungen, in den unterschiedlichen Ausgangssituationen, Grifftechniken, Eingangsvarianten, Kontaktstellen und Abwurfmöglichkeiten dennoch Gemeinsamkeiten, die aus allen gezeigten Würfen „Uchi-mata“ werden lassen. Der Sportwissenschaftler Arturo Hotz spricht in diesem Zusammenhang vom „Bewegungskern“, der Biomechaniker Ulrich Göhner von der „Hauptfunktion“ der Bewegung.

zu d) Für die Vermittlung von Judo-„Techniken“ stellt sich nun das Problem, die „überindividuellen Charakteristika“, „die ideale Form“, „den Bewegungskern“, „die Hauptfunktion“ mit den jeweiligen subjektiven Voraussetzungen der Teilnehmer zu verknüpfen. Technikverständnis oder Technikanalyse hat ja ihren Sinn nur darin, Bewegungen zu sehen, zu verstehen und zu vermitteln, um sie an die konkreten Schwierigkeiten der lernenden Menschen anpassen zu können. So wird aus dem „Abstraktum“ der Idealtechnik (so wie sie prinzipiell ausgeführt werden sollte) das „Konkretum“ der jeweiligen Ausführung durch die lernenden Menschen in der jeweils konkreten Situation und Zeit (Zieltechnik nach ökonomischen und individuellen Gesetzmäßigkeiten).


3. Meine Zusammenfassung: Die Judotechnik zwischen „abstrakter Idee“ und „konkretem Tun“

1. Die immer richtige Judotechnik, z.B. den Seoi-nage gibt es nicht!
2. Es gibt jedoch ein (überindividuelles) Prinzip, Seoi-nage technisch (d.h. mit bestem Einsatz von Geist und Körper) ideal auszuführen. Dieses Prinzip ist jedoch eine Idee, ein Gedanke, der sich in jeder Ausführung immer neu „materialisiert“, d.h. durch den Judoka konkretisiert werden muss.
3. Dieses Prinzip muss jeder Übende sich selbst mit dem Üben erwerben und seinem Körper „verständlich“ machen. Man muß im konkreten Üben das abstrakte Prinzip verstehen lernen.
4. Durch langjähriges Üben und vielfältiges Anwenden wird aus dem abstrakten Prinzip der Technik die individuelle Technikausführung, „mein“ Spezialwurf (mit spezifischem Griff, besonderen Eingängen und dem Gefühl für „meinen“ Moment).
5. Das Prinzip (z.B. wie man Morote-seoi-nage macht) kann auf unterschiedliche Art beschrieben werden. Zum einen (sehr stark reduziert) auf den Bewegungskern, die Hauptfunktion. Damit kann das Prinzip an die verschiedensten Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen (Kinder, Wettkämpfer, Hobbysportler etc.) angepasst werden. Zum anderen kann sich das Prinzip aber auch in einer bestimmten Bewegungsform manifestieren, z.B. in den Techniken der Go-kyo, die stets mit demselben Standard-Ärmel-Kragengriff in Ai-yotsu (rechts gegen rechts) und Kodokan-Eingang ausgeführt werden. Judolehrer, die eine Technik „prinzipiell“ verstehen (und weitergeben) wollen, müssten – so mein Technikverständnis heute - das (abstrakte) Prinzip dann in dieser (konkreten) standardisierten Form studieren.
6. Judotechnik als abstrakte Idee (die der Kodokan oder auch andere mit einem bestimmten Namen benannt haben), jemanden auf eine ganz bestimmte Art und Weise kontrolliert und absichtsvoll mit Kraft und Schwung auf den Rücken zu werfen, bedarf der konkreten Ausführung.
Judotechnik als konkreter Ippon (bzw. Wurf) ausgeführt ist einmalig, auch wenn die Idee (das Prinzip, der Grundgedanke, der Bewegungskern...) dahinter zu erkennen ist.

Ich hoffe, ihr konntet meinen Gedankengängen folgen, was sicher nicht immer ganz einfach ist.

Abschließend möchte ich festhalten:
- Es ist nicht ganz leicht, die Prinzipien hinter den Namen der Judotechniken wirklich körperlich zu verstehen und dann auch selber auszudrücken.
- Die Diskussion um Prinzip, Grundidee, Grundform, "eine Form von...", Bewegungskern, Hauptfunktion usw. ist noch nicht zu Ende geführt. Ja wir haben uns nicht einmal gemeinsam sprachlich auf einen wirklichen Gegenstand einigen können.
- Eins ist sicher: die perfekte Judotechnik gibt es nicht - sie existiert als Ideal, aber leider wohl in jedem Kopf der Judoka weltweit ein wenig anders. Denn auch unser Denken ist ohne unser fühlen nicht machbar.
- Recht hat immer der, der den dicksten Knüppel hat (d.h. seine Auffassung - auch gegen Widerstände - durchsetzen kann)
- Recht hat auch der, dem Niemand in seinem Umfeld widerspricht! (das gilt für den Diskussionskreis Judoforum, den Verein, den Landesverband, den DJB, die EJU, die IJF und den Kodokan, ja selbst für das Dörfchen Preetz...)
- Wer also Wert darauf legt, jede Technik genau beannt zu haben und präzise von jeder anderen immer unterscheiden zu können, der muss sich beugen: nämlich der Meinung derjenigen, die bestimmen, was gilt. Ansonsten bleibt uns leider nur: beständig unterschiedliche Meinungen auszutauschen und in Bewegung zu bleiben.
- Eine letzte Klarheit gibt es also niemals!

Leider auch nicht für mich oder durch mich!!
Jupp
tutor!
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Re: Technik-Namen im Judo

Beitrag von tutor! »

Ein herzlichen Dank, lieber Jupp! Gedanken, die jeder verinnerlichen sollte!
Jupp hat geschrieben:Die Diskussion um Prinzip, Grundidee, Grundform, "eine Form von...", Bewegungskern, Hauptfunktion usw. ist noch nicht zu Ende geführt. Ja wir haben uns nicht einmal gemeinsam sprachlich auf einen wirklichen Gegenstand einigen können.
... und jeder Versuch einer sprachlichen Einigung auf den Gegenstand als Voraussetzung für eine weitere Diskussion scheint leider immer wieder neue sprachliche Missverständnisse herbei zu führen....
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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