Na dann will ich dem auch einmal ein paar Zitate entgegenstellen:
„ ... KANO erklärte Pierre de Coubertin, daß das Jûdô als olympische Disziplin ungeeignet sei, da es kein Sport, sondern eine Schule des Lebens wäre. Jûdô, so sagte KANO, wäre kein Spiel, Kodôkan Jûdô, so KANO, wäre eben keine Sportart, kein Spiel, sondern eher mit einer Religion oder Morallehre vergleichbar, da es einen wesentlich größeren moralischen Anspruch verkörpere als dies eine Sportart tun könne.“
(Louka / Cook, „Memories of the Great Masters : Minoru Mochizuki“, New York 1998)
KANOS im Jahre 1933 diesbezüglich an den jungen britischen Jûdôka Trevor Leggett gerichteten Worte waren ebenfalls eindeutig (nachzulesen bei Leggett selbst).
Dazu Leggett:
„ ... sportliche Tradition hat nichts gemeinsam mit Dr. KANOS Prinzip der maximalen Effektivität, und es würde ganz sicher ausgehöhlt werden durch sportliche Professionalität. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß Dr. KANO schon aus diesem wichtigen Grunde dagegen war, Wettkämpfe und Meisterschaften im Jûdô abzuhalten. Er war der Meinung, daß dies die charakterformenden Aspekte des Jûdô zerstören würde. Er hatte mit seiner Befürchtung leider Recht.“
(Leggett, T.P., „Memories of Jigoro Kano’s Visit to the London Budokwai 1933“, Journal of Combative Sports 2000)
KANO meinte, daß er selbst nicht generell gegen Wettkämpfe sei, denn diese hätten durchaus einen Nutzen. Er lehne jedoch Meisterschaften prinzipiell ab, da Meisterschaften die Kämpfer herabwürdigten aufgrund der absoluten und ausschließlichen Fixierung auf den Sieg.
Auch äußerte sich KANO während eines Empfangs im Pan Pacific Club am 14. Juni 1935 in einer von ihm gehaltenen Rede dahingehend, daß die Überbetonung des Wettkampfes, etwa im Rahmen von Meisterschaften, das Jûdô verändern und einschränken würde. Wer eine Meisterschaft gewinnen wolle, der würde im Kampf jedes Maß verlieren. Viele wichtige Techniken könnten daher nicht mehr angewandt werden, da sie zu erheblichen Verletzungen führten. Das aber führe vom eigentlichen Sinn des Kodôkan Jûdô weg.
(Japan Times, 16. Juni 1935)
Unter Wettkampf verstand KANO Jigoro allerdings etwas anderes als das, was dieser Begriff im westlichen Sinne beschreibt. Es ging ihm nicht vordergründig um Sieg oder Niederlage, vielmehr legte KANO besonderen Wert auf die Möglichkeit, durch den Sport die Ausbildung einer sittlichen Grundhaltung (Dotoku) zu befördern.
Wettkämpfe, die nur darauf fokussiert waren, in einer bestimmten Disziplin den Sieger zu ermitteln, lehnte er ab:
„ ... folglich kommt den Wettkämpfen ein vergleichsweise geringer Wert zu, löst man sie von der Ausbildung der Sittlichkeit (Dokusei no kanyo).“
(KANO Jigoro in: “Das Ziel der Wettkämpfe und die Methode der Umsetzung“, Tokyo 1925)
KANO selbst äußerte sich im Jahre 1932 dazu wie folgt:
„Ich bin verschiedentlich gefragt worden, ob Jûdô möglicherweise in die Reihen der olympischen Disziplinen aufgenommen werden sollte. Ich würde es bevorzugen, mich dazu eher nicht zu äußern. Wenn einige Mitglieder (des IOC, d. Übers.) dies wünschen, werde ich keine Einwände erheben. Ich fühle mich jedoch in keiner Weise veranlaßt, in dieser Hinsicht irgendwie aktiv zu werden. Zum einen ist Jûdô in Wahrheit alles andere als ein Sport oder ein Spiel. Ich schuf es als ein Lebensprinzip, als Wissenschaft, als Kunst. Es dient in der Tat der eigenen, auch kulturellen Vervollkommnung. Nur eine einzige Form des Jûdôtrainings, das Randori, könnte eventuell als eine Form des Sports angesehen werden.“
(KANO Jigoro in: „Budôkwai Bulletin“, veröffentlicht im April 1947)
Ich bin mir tatsächlich - auch wenn ich das Niehaus Buch sehr schätze - nicht sicher, ob er hier die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Insbesondere das letzte Zitat ist, wie ich finde, für einen Japaner (wir wissen ein direktes Nein wird man nie hören) eine außerordentlich starke Ablehnung. Vor dem Hintergrund, dass er Meisterschaften an sich ablehnt, halte ich eine Wunsch Kanos nach einer Aufnahme von Judo ins Olympische Programm für sehr fragwürdig.
Ich interpretiere die genannten Niehaus-Zitate eigentlich eher in die Richtung, dass Kano sich wünschte, dass die Spiele mehr von Spirit des Judo aufnehmen würden und das ganze vielleicht ein bisschen Hand in Hand geht.