guk fragt:
"Da würde mich interessieren, wie (und wo) der Begriff "große Technik" definiert ist (im Begleitscript zur DAN-PO wird er nicht erwähnt). Es steht auch nirgendwo, dass nur Seoi-otoshi, Uchi-mata, Seoi-nage (Varianten) sowie O-soto-gari als Tokui-waza genommen werden dürfen (kann auch nicht sein, bei den mir bekannten Prüfungen wurde z.B. häufig Tai-otoshi oder Kata-guruma erfolgreich gezeigt - von Wettkämpfern). Wo genau liegt der Unterschied der Beurteilung z.B. zwischen O-soto-gari und O-uchi-gari?"
1. Definition "große Technik"
Ich versuche mich selbst daran: "Unter einer großen Technik im Judo versteht man solche Wurftechniken, bei deren erfolgreicher Anwendung es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Ippon kommt, die eine große Bewegungsamplitude haben und einen großen Fall von Uke (zumeist nach vorne) bewirken.
Sie liegen in der statistischen Häufigkeit der Techniken, mit denen Ippon im Wettkampf erzielt wurde, zumeist im vorderen Drittel."
(Ich hoffe, man kann diese Definition als Ausgangspunkt für weitere Diskussionen nutzen. Vielleicht findet jemand noch eine andere, brauchbarere aus berufenem Munde.)
Als ich vor über vierzig Jahren mit dem Judo begann, war der Begriff "große Technik" im Gegensatz zum Begriff "kleine Technik" den Mitgliedern meiner Trainingsgruppen (also den Gruppen, in denen ich am Training teilnahm) durchaus geläufig, da meine Trainer ihn häufig benutzten, um die Bedeutung der Techniken im Verlauf des "Judo-Lernens" herauszustellen.
Man könnte auch noch hinzufügen, dass sich "große Techniken" zumeist auch gut mit anderen Techniken kombinieren lassen, weil Uke zur Vermeidung des Geworfen-werdens eine starke Reaktion zeigen muss, die dann eventuell mit einer anderen großen Technik (zur selben oder anderen Körperseite) oder mit einer kleinen Technik in eine andere Wurfrichtung ausgenutzt werden kann.
Wenn wir heute über bestimmte Kämpfer sprechen, dann verbionden wir ihre Erfolge ganz oft mit ihren erfolgreichsten Würfen, die eben ganz oft "große Techniken" sind. Ole Bischof hatte "seinen" Seoi-nage (eigentlich Seoi-otoshi), Tölzer seinen "Soto-makikomi", Yvonne Boenisch ihren "Uchi-mata", Frank Wieneke seinen "Uchi-mata" und seinen "Seoi-nage" (eigentlich Seoi-otoshi) usw. - alles "große Techniken".
2. O-soto und O-uchi
O-soto-gari wird deswegen von vielen - im Gegensatz zu O-uchi-gari - zu den "großen Techniken" gerechnet, weil er mmer dann zu einem sehr großen (und sehr harten) Fall nach hinten führt (übrigens manchmal auch als "Rolle" rückwärts), wenn Uke auf einem Bein stehend tatsächlich gesichelt, gemäht wird.
Bei O-uchi kann der Fall nach hinten auch hart und entscheidend sein, oft aber führt die Technik nicht direkt zu einem Ippon, selbst wenn sie sehr gut ausgeführt wurde. Natürlich wissen wir - gerade von Ole Bischof - , dass auch O-uchi-gari eine starke Ippon-Technik sein kann. Dennoch wird O-uchi-gari zumeist nicht zu den "großen Techniken" gerechnet - vielleicht weil der Fall eher kurz und knackig ist
3. Tai-otoshi, Kata-guruma
... sind natürlich auch große Techniken (wurde von mir auch nicht abgestritten), mit denen spektakuläre Erfolge errungen werden können (vgl. dazu das Kapitel über Tai-otoshi-Varianten im offiziellen DJB-Lehrbuch "Judo meistern"). Sie gehören jedoch - statistisch betrachtet - eben nicht zu den am häufigsten erfolgreich eingesetzten Würfen im Wettkampf der Spitzenklasse.
Deswegen können sie natürlich auch als "Tokui-waza" bei Danprüfungen dienen, auch wenn z.B. die Möglichkeiten von Kombinationen bei Techniken wie Kata-gurma oder den vielen Makikomi-waza eher eingeschränkt sind.
Ich würde meinen Schülern (bis zum braunen Gürtel) nicht empfehlen, z.B. Kata-guruma als Tokui-waza zu studieren. Zum einen, weil ich das ständige Ausheben für viele nicht hinreichend athletisch ausgebildete judoka für gefährlich halte (Rückenproblme!!), zum anderen, weil ich Kata-guruma nur schwer mit anderen Würfen kömbinieren kann. Dadurch sehe ich das Technikrepertoire als zu früh zu eingeschränkt an.
Vor vielen Jahren hatte ich als Trainer einer Zweitligamannschaft einen Spezialisten für Kata-guruma, der damit tolle Erfolge erzielte. Er konnte jedoch auch erfolgteich Uchi-mata und Okuri-ashi-barai werfen und diese drei Techniken über den Griff gut miteinander verbinden. Allerdings: einen wie ihn, der zu dieser zeit schon 3. Dan war, habe ich in den 30 Jahren seitdem nicht mehr erlebt - daher meine Bedenken mit einer Empfehlung des Kata-guruma.
Ich hoffe, ich konnte die anstehenden Fragen hinreichend beantworten.
Aus meiner Sicht ist niemand "gezwungen", meine Definition des Begriffs "große Technik" zu akzeptieren. Für mich jedoch hat sich dieser Begriff im Verlauf meiner Trainertätigkeit in der Zusammenarbeit mit meinen Athleten bewährt. Ich denke, dass dies nicht nur für mich und die bei mir trainierenden Athleten und Athletinnen der Fall gewesen ist.
Jupp