Hallo,
eigentlich hatte ich vor, mich aus diesem Thread jetzt komplett herauszuhalten (zumal ich nicht anmaßend sein möchte), aber hier entwickelt sich ja ein wahrer Bienenhaufen, und meine weibliche, harmonische Seite muss mal wieder als Mediator eingreifen
. Ich gebe gern und jederzeit wieder (habe ich schon häufiger gemacht) zu, keine Ahnung von Judo zu haben.
Deshalb gebe ich auch keine Defizite zu. Ich habe keine. Ein Defizit ist nämlich ein Mangel, und ein Mangel setzt ein vorhandenes Wissensgerüst voraus, und das habe ich im Judo nicht (deshalb habe ich, wie bereits einmal im entsprechenden Thread erwähnt, auch keine „Spezialtechnik“ – ich kann nichts Spezielles haben, wenn ich keine Basis habe).
Mit menschlicher Kommunikation kenne ich mich allerdings ein wenig aus. Und die ist hier gerade ein ganz großes Problem.
Tom: Das Internet ist wahrscheinlich die demokratischste menschliche Kommunikationsform, die es gibt. Mit den entsprechenden technischen Voraussetzungen kann JEDER mit jedem kommunizieren, ohne Ansehen von Geschlecht, Hautfarbe und auch nur Aussehen. Das Gegenüber ist unsichtbar. Man diskutiert „auf Augenhöhe“. Ob man das nun mag oder nicht, es ist so. Ein Internetforum ist innerhalb des Internets nun wieder extrem demokratisch: Es ist zum Meinungs- UND Faktenaustausch gedacht und steht jedem offen. Man duzt sich sogar (ich habe mich daran übrigens noch nicht gewöhnt) über Alters- und Wissensunterschiede hinweg.
Wer hier eine hierarchische Diskussion führen will, und dies nur mit einem erlesenen Personenkreis, hat schlicht das falsche Medium gewählt. Klassische hierarchische Medien wären Lehrvorträge oder Demonstrationen. Vielleicht wärest Du, Tom, damit besser beraten. Es ist unfair, Deine hierarchischen Strukturen einem Medium aufzuzwingen, dessen Grundstruktur auf dem genauen Gegenteil beruht. Man könnte sogar sagen, es sei - bei allen hehren Vorsätzen, die ich Dir sofort abnehme- unredlich. Ich kann und darf nicht die Vorteile des Internets (weite Verbreitung, Abrufbarkeit und Verwendbarkeit immer und jederzeit möglich) nutzen und mich gleichzeitig über seine Nachteile beschweren. Klassisches
venire contra factum proprium.
Desweiteren finde ich es schade, dass Du Anfänger als Diskussionspartner nicht zulässt. Ich habe früher regelmäßig Anfänger unterrichtet (logischerweise
nicht im Judo) und kann nur sagen: Man kann von ihnen wahnsinnig viel lernen. Niemand stellt spannendere und klügere Fragen als ein Anfänger. Das Dumme ist nur: Sie stellen ihre Fragen fast grundsätzlich mit dem Körper und eher selten verbal.
Aber wenn ich meinen Schülern zusah und zuhörte, konnte ich von ihnen soooviel lernen… Es ist zugegebenermaßen schwieriger, von einem Anfänger zu lernen, als sich etwas von einem fachlich Besseren zeigen zu lassen. Ich muss bereit sein, ihre „Frage“ zu sehen, in eine tatsächliche sportphysiologische zu übersetzen, innerhalb meines Wissenssystems eine Antwort finden, diese dann didaktisch reduziert und dennoch richtig und meinem Wissenssystem gegenüber in verantwortlicher Weise dem Anfänger geben und schließlich über die Implikationen nachdenken, die alle diese Prozesse für das Wissenssystem bedeuten, innerhalb dessen ich mich normalerweise bewege und aus dem „heraus“ ich mich nun für jemanden denken musste, dem die Strukturen fehlen, um eine zwar richtige und schlüssige, aber eben Grundwissen erfordernde, Antwort zu verstehen.
Und eben weil ich das gemacht habe, kam ich auch das eine oder andere Mal ins Schleudern mit den Richtlinien „meines“ Verbandes (bei dem ich damals schon nicht mehr Mitglied war). Aber für das, was ich unterrichtet habe, konnte ich jederzeit einstehen und es auch haarklein erklären und musste nichts mit „Das steht auf dem Papier und ist so“ beantworten. Daher hege ich eine gewisse Sympathie für „Häretiker“ (aus Sicht des Wettkampfjudos) wie Tom Herold.
@ Tom: Es ist übrigens auch unschön, auf der einen Seite Leute darauf hinzuweisen, dass sie „von Kindheit an“ falsche Hüftbewegungen durchführen (Dabei bin ich als erwachsener Anfänger ja ohnehin schon einmal nicht mit angesprochen. Als Kind bin ich Bäume hochgeklettert und durch die Gegend gerannt, aber niemand hätte mich ohne Androhung von Hausarrest in eine Judohalle zwingen können) und auf der anderen Anfänger, die das noch ändern können, weder wahr- noch als Ansprechpartner ernstzunehmen.
Hier gilt übrigens wieder das generelle Prinzip der klugen Körperfragen des Anfängers, das ich nun aus eigener Anschauung kennenlerne (was ich auch genieße… man sollte als Erwachsener unbedingt neue Sachen erlernen und sich nicht scheuen, etwas gar nicht zu können, das erweitert den Horizont gewaltig). Ich musste beim Lesen von Toms Posts schon mehrfach schmunzeln, weil er gern gerade die Dinge anführt, die bei uns in der Umkleidekabine nach dem Anfängerkurs für Diskussionsstoff sorgen. Jeder von uns hat schon selbst mitbekommen, wie ungeeignet ein Tate-Shiho-Gatame für die Fixierung seines Gegners ist (vor allem die deutlich leichteren unter uns;-) – da braucht keiner von uns jemanden, der ihm das „vorführt“ (unsere These zum doch recht großen Unterschied zu den anderen Haltegriffen ist übrigens die fehlende Flexibilität der Hüfte)! Dass ein De-Ashi-Barai aus der eigenen Vorwärtsbewegung nicht mehr dem (ja gerade erst gelernten und daher noch sofort abrufbereiten) Prinzip des „Bewegungsverlängerns“ entspricht (schließlich will der andere ja mit dem Fuß gar nicht nach vorn, sondern nach hinten) und somit irgendwie „ganz anders“ ist, haben wir auch schon hilflos festgestellt. Tja, und was das von Dir gern zitierte Aneinanderprallen beim Anreißen betrifft – frag doch mal einen unserer Weißgurte nach einer Bahn Uchi-Komi (auch hier am besten einen leichteren, der merkt es noch eher).
Zugegebenermaßen hat unsere analytische Ader auch mit unserem –vergleichsweise- hohen Alter zu tun. Wir Erwachsenen müssen mit unserem analytischen Verstand und dem Durchdenken den Nachteil an Beweglichkeit und Bewegungsintuition, den Kinder haben, wettzumachen versuchen. Aber warum auch nicht? Wir haben den Kopf da oben ja nicht nur, damit er uns beim falschen Fallen stört
, wir können ihn auch zum Denken nutzen.
Hier gibt es übrigens wieder eine kleine strukturelle Ungereimtheit: Es ist nicht freundlich, das Schüler-Lehrer-Prinzip verabsolutieren zu wollen, zu erwarten, dass der Schüler seine eigenen Gedanken nicht äußert, weil er keine Ahnung hat (dies ist an sich ja legitim und eine Art des Unterrichtens, wenngleich in unserem Kulturraum, wie auch von mir persönlich, keine generell anerkannte mehr), und gleichzeitig in einem Internetforum (mit, wie gesagt, Zugang für jedermann usw.) gleichsam die Schüler anderer Leute dazu aufzurufen, ihre Lehrer eben doch anzuzweifeln und ihren Verstand selbst anzuschalten. Entweder – oder.
Nun kann Tom gern einwerfen, er selbst sei eben kein Schüler und dürfe die anderen kritisieren -dann stimme ich ihm sofort zu- , aber, wie gesagt, wirkt er im Internet eben auf anderer Leute Schüler ein und muss dies auch wissen. Und wie soll ein Schüler seinem Lehrer bedingungslos folgen, wenn er sieht, wie wenig Respekt ein anderer Lehrer ihm entgegenbringt? Warum sollte er seinen Lehrer für sich denken lassen, wenn er sich doch mit einem Meinungspluralismus konfrontiert sieht?
Hier allerdings vermute ich, dass Tom sich nicht mit meiner Argumentationsbasis des Status Quo zufriedengibt und mir sagen wird, dass es im Kodokan Judo, das er vertritt, eben kein flexibles oder wandlungsfähiges System gibt, sondern nur ein festes und daher eben auch keinen Meinungspluralismus, da nur Kanos Wort gilt. In diesem Fall konstatiere ich dann keinen logischen Fehler, nur eine Missachtung des Gegebenen (und da habe ich persönlich nichts gegen, aber hinweisen muss ich doch darauf, weil es in dieser Diskussion immer diese kleinen, fiesen „mitgedachten“, aber nie ausgesprochenen Denkgrundlagen sind, die für Kommunikationsprobleme sorgen) und eine kleine Ungenauigkeit nur auf der Betrachtungsebene des Schülers (diese beiden Ebenen, Schüler- und Lehrersicht, gehen in der Diskussion hier übrigens auch gern mal durcheinander und blockieren dann die Kommunikation): Den Vorwurf, die bisher beteiligten Gesprächspartner ließen das Lehrer-Schüler-Prinzip nicht gelten, darf ich nicht, zumindest nicht als solchen, Leuten gegenüber erheben, deren Lehrer eben nicht innerhalb dieses festen Systems agieren, sondern in der Meinungsvielfalt und die sich auch als in einer Meinungsvielfalt handelnde und lehrende Personen verstehen.
Mit anderen Worten: Was für Tom als Argumentationsbasis untrennbar zusammengehört (lebenslanges Lernen der Lehrpersonen, große Kompetenz, ein festes System, daraus folgend die Möglichkeit des Schülers, dem Lehrer bedingungslos zu folgen), wird von der anderen Seite eben nicht ohne weiteres vorausgesetzt. Ich finde das in Ordnung, nur: Damit passen die Argumentationen nicht mehr zusammen, jedenfalls nicht, wenn man sich dessen nicht bewusst ist. Das kann nur für Verwirrung sorgen.
Hier muss ich noch einmal anführen, dass ich immer noch meiner bereits erwähnten Meinung bin, jeder dürfe auch gern Wettkampfjudo, eine Variante des ursprünglichen Systems, betreiben. Da geht Tom glücklicherweise auch (widerstrebend, wenn ich das richtig interpretiere) mit mir konform, wenn ich das richtig sehe. Systeme wandeln sich nun einmal, wenn sie von Menschen genutzt werden. So überleben sie und können zu etwas ganz anderem werden, das man mögen kann oder auch nicht. Ich persönlich finde das übrigens spannend!
Natürlich darf man sie dann auch anders nennen (Ich bin aber entschieden gegen Japora, weil ich als Breitensportlerin keine Pokale bekommen kann und will!). Und mein Hinweis, JEDER möge sich seiner eigenen Beschränkungen bewusst sein, gilt auch noch immer.
Mein Anliegen war es nur, ein paar grundlegende Kommunikationsprobleme aufzuzeigen, denn, wie gesagt, darin fühle ich mich einigermaßen kompetent.
Viele Grüße, FRIEDLICHE NACHT,
Syniad
PS: In „Metaphors we live by“, einem nur teilweise veralteten Buch der Sprachexperten Lakoff und Johnson, erklären beide, dass in unserem Kulturraum das Wortfeld „Streit“ mit der Metaphorik des Krieges belegt werde und dies eben auch unsere Wahrnehmung präge. Sie meinen, wir hätten eine ganz andere, potenziell produktivere, Streitkultur, wenn wir Streit mit der Metaphorik des Tanzes belegen würden.
Mit anderen Worten, ich befinde mich hier mit niemandem auf dem Kriegspfad, respektiere die Gesprächspartner und hoffe, dass dies deutlich geworden ist!