Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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tutor!
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben: Lehnst du aus den selben Gründen auch die Archäologie ab, sobald sie nicht mehr über schriftliche Aufzeichnungen zu ihren Theorien verfügt? Im Vergleich dazu haben wir nicht nur materielle Funde (Gokyo), sondern sogar Aufzeichnungen zu einzelnen Scherben (z.B. das jüngst auch hierzulande veröffentlichte Buch "Kodokan Judo" von Jigoro Kano, Schriften Mifunes, usw.).

Um Gottes Willen, nein!
Ich bin ein sehr wissenschaftlich denkender und handelnder Mensch und bewege mich fast ausschließlich in diesem Umfeld. Ein Archäologe möchte eine historische Wahrheit ergründen. Er unterscheidet sehr sorgfältig die Schritte bzw. Erkenntnisstadien:

Vermutung --> Theorie --> erhärtete Theorie --> gesicherte Theorie --> Tatsache --> Bewertung/Meinung


Und genau das müssen wir auch tun, wenn wir seriös bleiben wollen. In Bezug auf die Aufklärung der inneren Struktur der Gokyo sind bei der Erforschung der zu Grunde liegenden Ideen etwa auf der Ebene der Theorien - und keinen Schritt weiter.

Durch hinzufügen weiterer Theorien (spekulieren, "stricken") erhärten wir keine dieser Theorien, von absichern will ich gar nicht erst reden. Dazu bräuchten wir in der Tat entsprechende Dokumente. Alles andere ist nicht Strukturaufklärung, sondern allenfalls (und sehr positiv ausgedrückt) Interpretation.

Wer behauptet einen höheren Kenntnisstand zu haben, möchte bitte die Belege vorlegen.
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Jupp
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Jupp »

Lieber Tutor,
Hut ab vor so viel Sachlichkeit bei Deinen Stellungnahmen. Das ist sicher für jemanden wie Dich, den ich nach Deinen Posts als seriös, ernsthaft, erfahren und gebildet einschätze, nicht immer ganz einfach. Daher noch einmal: tiefste Bewunderung für Deine fachlich korrekten und inhaltlich gewichtigen Beiträge.
Für mich gilt: Ich sehe Judo als Lebensweg und Sport (was ich mir von niemandem auf Wettkampfsport einengen lassen möchte) und ich befinde mich nicht auf einem Kreuzug für den richtigen Glauben an die Gokyo (und deren noch nicht entdeckte Geheimnisse, seien sie linear oder nicht linear, eindimensional oder mehrdimensional, monokausal oder multikausal). Ich denke, alles wirklich Bedeutsame zum Thema ist gesagt.
Eines möchte ich dennoch abschließend einbringen:
Es gibt Quellen, die nahelegen, dass Jigoro Kano an der Überarbeitung der Gokyo von 1920 inhaltlich überhaupt nicht beteiligt war, sondern rein formal als Oberhaupt den Vorsitz führte. Dafür spricht, dass der damals 60-jährige Kano in seinen zahlreichen Ämtern vor allem sportpolitische und politische Aufgaben wahrnahm und die alltägliche Arbeit auf der Matte seinen am höchsten graduierten Mitarbeitern überließ, die zu der Zeit vermutlich über mehr praktische Erfahrung verfügten als der Begründer des Judo selbst. Geoff Gleeson, einer der ersten Europäer nach dem 2. Weltkrieg im Kodokan, schreibt in seinem Buch "All about Judo" (London 1975, S. 14): "Yamashita und Nagaoka, beide 10. Dan (Yokoyama war zwischenzeitlich verstorben) sowie Mifune (9. Dan) und "einige andere 8. Dan" machten sich an den Job, auszusortieren, was herausgenommen und was hinzugefügt werden sollte" und schreibt später (S.21) "Es ist wichtig zu vermerken, dass Kano bei der Formulierung der heute bestehenden Gokyo seine Hand nicht im Spiel hatte..." (Übersetzungen jeweils von mir).
Niehaus schreibt in seinem Buch "Leben und Werk Kano Jigoros" (Würzburg 2003) auf Seite 319:
"Kompiliert wurden die Techniken von einem Gremium unter der Leitung Kanos, dem folgende Personen angehörten: Yoshiaki Yamashita, Hidekazu Nagaoka, kunio Murakami, Tsunetane Oda Und Shojiro Hashimoto."
Gibt es hier im Forum jemanden, der dazu auch für uns nachvollziehbare Quellen (Autor, Titel, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr, Seitenzahl) angeben kann?
Waren es am Ende all unserer Diskussionen überhaupt nicht Kanos Gedanken, die zur derzeit bestehenden Gokyo geführt haben, sondern "nur" die seiner Mitarbeiter, die dann von ihm akzeptiert wurden?
Spricht das oben geschilderte Vorgehen ("Mitarbeiter machen-viel beschäftigter Chef nickt ab") für das Vorgehen in einem - sagen wir mal - mittelständigen Unternehmen, wie es der Kodokan um 1920 sicherlich war?
Bitte jetzt keine Glaubensbekenntnisse, sondern das, was der Chef des Magazins "Focus" Marquardt immer fordert: "Fakten, Fakten, Fakten!"
Und zwar nachvollziehbare und nachprüfbare!

Darf man das erwarten von Forumsteilnehmern, die bisher ihre Meinung als einziges Kriterium für Wahrheit gelten ließen? (So ist für manch einen Forumsteilnehmer seine private Spekulation schon deswegen schlüssig, "weil sie sein Verständnis der Gokyo erweitert" - das ist in etwa so, als wenn ich behaupten würde, dass meine Spekulationen allein deswegen schon richtig sind, weil ich durch meine eigenen Überlegungen klüger geworden bin....)

Ulrich
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

Danke für die freundlichen Worte, Ulrich!
Ich habe einen entsprechenden Hinweis im englischsprachigen Forum gefunden und früher schon einmal gepostet. Er bestätigt Deine Angaben und gibt einen weiteren Literaturhinweis. Inwieweit J. Kano sich eingebracht hat oder auch nicht, bleibt aber leider aus diesem Zitat IMHO offen.
sam - http://judoforum.com/lofiversion/index.php/t1672-50.html hat geschrieben:In another magazine "Yuko-no-Katsudo" nov 1920, Yoshiaki Yamashita, Shuuichi Nagaoka and Kunio Murakami wrote "At the Kodokan, the Gokyo was taught for Randori techniques but, as time passed by, it was considered necessary to revise it to incorporate new progress as well as new techniques. This revision was entrusted to the High-rank Working Group consisting of Shuuichi Nagaoka 8th Dan, Kyuzo Mifune 6th Dan and Kunio Murakami 5th Dan. The Group reported its outcome to Shihan (Jigoro Kano) for his approval. (1920)"
"sam" lebt in Tokyo, arbeitet (oder arbeitete) nach meinen Kenntnissen im Wissenschaftlichen Umfeld. Seine Beiträge sind immer lesenswert!
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kastow
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von kastow »

tutor!. 05.09.2008, 15:29
Dazu bräuchten wir in der Tat entsprechende Dokumente. Alles andere ist nicht Strukturaufklärung, sondern allenfalls (und sehr positiv ausgedrückt) Interpretation.
Dem stimme ich dir soweit zu, als es um die Geschichte der Gokyo geht.

Für das Verständnis der Techniken der Gokyo jedoch ist es wichtiger, Strukturen zu suchen und so etwas über diese Techniken zu lernen. Du hast den Fluss offensichtlich schon überquert und kannst dein Boot für deinen weiteren Weg sicherlich zurück lassen. Ich bin noch auf dem Fluss. Warum soll ich das Boot das verlassen?


So, und jetzt werde ich mich anschließen, euch auch etwas den Bauch zu streicheln. ;)

@Jupp: Deine geschichtlichen Ausführungen zum Gremium finde ich interessant. Hast du Einwände, wenn andere Forumsteilnehmenden sie auf ihren Internetseiten zitieren?
(Allerdings verstehe ich nicht, inwiefern es für das technische Verständnis der Goyko einen Unterschied macht, ob Kano oder ein Gremium der Schüler Kanos sie entworfen hat.)

Jupp, 05.09.2008, 17:43
ich befinde mich nicht auf einem Kreuzug für den richtigen Glauben an die Gokyo
Hierzu erkenne ich neidlos an, dass diese rhetorischen Verzerrung, vor allem nach der Erwähnung des Glaubensbekenntnisses (siehe nächstes Zitat), wirklich schön formuliert ist. Man merkt, dass du schriftstellerisch tätig bist. Da kann ich dir mit meinem technisch-analytischen Berufshintergrund nicht das Wasser reichen.

Jupp, 05.09.2008, 17:43
Bitte jetzt keine Glaubensbekenntnisse, sondern das, was der Chef des Magazins "Focus" Marquardt immer fordert: "Fakten, Fakten, Fakten!"
Da stimme ich dir hundertprozentig zu. Bitte geh doch mit gutem Beispiel voran und belege deine folgenden Interpretationen mit Fakten, Fakten, Fakten:
Jupp, 05.09.2008, 17:43
Darf man das erwarten von Forumsteilnehmern, die bisher ihre Meinung als einziges Kriterium für Wahrheit gelten ließen?
Jupp, 05.09.2008, 17:43
So ist für manch einen Forumsteilnehmer seine private Spekulation schon deswegen schlüssig, "weil sie sein Verstandnis der Gokyo erweitert"
Abgesehen von den oben erwähnten, fehlenden Fakten, möchte ich auf die Überschrift dieses Fadens hinweisen: "Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo"]
Und ich erinnere an deine eigenen Aussagen:
Jupp, 02.09.2008, 21:35
5. Benötigt man die Beherrschung aller 40 Techniken der Gokyo, um als kompletter Judoka zu gelten?
Meine Antwort ist: Jain!
Einerseits gehört es zu einem fortgeschrittenen Judoka (also einem 2.-3. Dan) dazu, diesen "klassischen Technikkanon" zu kennen und zu können, andererseits weiß ich aus Erfahrung, dass es erfolgreichen Wettkämpfer mit dem 2. oder 3. Dan überhaupt nicht schwer fällt, diese Techniken sich innerhalb kürzester Zeit anzueignen, weil sie über sehr Bewegungsgefühl, extreme körperliche Voraussetzungen und sehr gute technische Grundlagen verfügen. Spitzenjudoka sind immer überdurchschnittlich talentierte Techniker - verglichen mit Breiten- und Freizeitsportler oder Wettkämpfern auf niedrigem Niveau.
Ich bin im Vergleich zu einem verdienten Rotweißgurt gewiss nur ein Breiten- und Freizeitsportler auf niedrigem Niveau. Aber als Danträger des DJB muss ich laut PO doch die Gokyo beherrschen. Schadet Verständnis dabei? Und schadet es deines Erachtens wirklich, hier die Gelegenheit zu nutzen, sein Verständnis zu erweitern?

@Christian / Fritz:
Vielleicht wäre es ratsam, diesen Faden zu teilen. Für die Spitzenjudokas, die schon alles über die Inhalte der Gokyo wissen, einen Faden "Geschichte der Gokyo".
Für die Breiten- und Freizeitsportler oder Wettkämpfer auf niedrigem Niveau einen Faden "technisches Verständnis der Gokyo".
Dann geht es für die breite Mehrheit wenigstens wieder zum Thema weiter und die Spitzenjudokas werden nicht mehr durch unsere Unwissenheit belästigt.

Ich wünsche allen ein schönes Wochenende.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:Für das Verständnis der Techniken der Gokyo jedoch ist es wichtiger, Strukturen zu suchen und so etwas über diese Techniken zu lernen. Du hast den Fluss offensichtlich schon überquert und kannst dein Boot für deinen weiteren Weg sicherlich zurück lassen. Ich bin noch auf dem Fluss. Warum soll ich das Boot das verlassen?
Offensichtilich ruderst Du flussaufwärts, während Dein Ziel eher flussabwärts liegt. Dein naturwissenschaftlich-technischer Ansatz hilft Dir da leider nicht wirklich weiter. Verrate mir aber doch etwas über Deinen NW/Technik-Hintergrund (Fachgebiet/Niveau). Ich will versuchen, Deine Gedankenwelt besser einzuschätzen - Dich also weder unter- noch überfordern - und Dir dann entsprechend weiterzuhelfen.
Zuletzt geändert von tutor! am 06.09.2008, 10:47, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:Für das Verständnis der Techniken der Gokyo jedoch ist es wichtiger, Strukturen zu suchen und so etwas über diese Techniken zu lernen. Du hast den Fluss offensichtlich schon überquert und kannst dein Boot für deinen weiteren Weg sicherlich zurück lassen. Ich bin noch auf dem Fluss. Warum soll ich das Boot das verlassen?
Offensichtilich ruderst Du fussaufwärts, während Dein Ziel eher flussabwärts liegt. Dein naturwissenschaftlich-technischer Ansatz hilft Dir da leider nicht wirklich weiter. Verrate mir aber doch etwas über Deinen NW/Technik-Hintergrund (Fachgebiet/Niveau). Ich will versuchen, Deine Gedankenwelt besser einzuschätzen - Dich also weder unter- noch überfordern - und Dir dann entsprechend weiterzuhelfen.
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Reaktivator »

tutor! hat geschrieben:(...) Ich habe mehrfach geschrieben, dass man durch geschickte Kombination verschiedener Leitgedanken - nennen wir es einfach einmal mehrdimensionales Denken - dazu kommen kann, die Gokyo als Ganzes zu erfassen. Jedoch habe ich dabei betont, dass dies dann eine eigene gedankliche Leistung (etwas "Selbstgestricktes") ist, und dass man dadurch nicht zu einer Zusammenschau kommen kann, die den Anspruch erheben kann, die Gedanken der damaligen Arbeitsgruppe und Kanos wiederzugeben.
(...)
Diese Beispiele kann man fortsetzen und die Gokyo nach weiteren Sinnsträngen durchsuchen. Viele Techniken wird man mehrfach in Sinnstränge einordnen können. Es entsteht ein "Sinn-Netz". (...)
@"tutor!": Jetzt bin ich nur einmal gespannt, wie lange es dauert, bis der erste kommt und Deine "Netz-Theorie" widerlegt - und behauptet, die Gokyo sei gar nicht netzförmig bzw. mehrdimensional angelegt, sondern sei ausschließlich monokausal erklärbar... ;-)

Spätestens nach den exzellenten Beiträgen von Dir und "Jupp" müßte auch den jüngeren Foren-Teilnehmern klargeworden sein, daß sich zahlreiche Leute auch schon in den Jahrzehnten zuvor in Deutschland intensiv mit der Gokyo auseinandergesetzt haben.

Ich z.B. habe meine letzte Kyu-Prüfung (Braungurt) 1971 gemacht. Trotzdem habe ich mich auch in der seitdem vergangenen Zeit (immerhin schon 37 Jahre!) z.T. sehr intensiv mit der Gokyo beschäftigt - und zwar nicht nur im Rahmen von Dan-Prüfungen, sondern auch beim normalen Training, bei Lehrgängen, bei Gesprächen mit japanischen Sensei - und auch in theoretischer Form (z.B. bei Methodik-Diskussionen etc.).

Für mich persönlich war die Gokyo nie einfach nur eine Pflicht bei der Prüfung. Im Gegenteil: Ich bin nach wie vor der Meinung, daß man Gokyo und Prüfung auch komplett trennen kann - so wie es in Japan ja z.B. auch der Fall ist.
Für mich war und ist die Gokyo vielmehr ein zentraler Bestandteil des Kodokan-Judo, der einen gewissen Grundstock an Techniken vorgibt, mit denen man sich intensiv beschäftigen muß - und zwar vorzugsweise auf der Matte.

Ich gehe einmal davon aus, die etwas älteren Semester hier in diesem Forum wie z.B. "Lin Chung" oder "judoka50" können das bestätigen....?
Ein Forenmitglied ohne Signatur ist wie ein Forenmitglied ohne Namen.
(Alte Internet-Weisheit, frei nach "Reaktivator")
Jupp
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Jupp »

Vielleicht ist der folgende Post für machen zu lang und scheinbar zu abweichend vom Thema, aber er kann dennoch vielleicht grundsätzlich die Form der Diskussion inhaltlich weiter bringen.
Ich versuche mich knapp zu fassen.

1. Kano war im Hauptberuf Lehrer an verschiedenen Schulen bzw. Hochschulen. Daher bezog er seinen Lebensunterhalt. Begründer des Judo und Chef des Kodokan war er sozusagen im "Zweitberuf". Zu Beginn seiner Tätigkeit vor allem in den Abendstunden.

2. Kano war als Lehrer vor allen an Erziehungsfragen der Jugend interessiert und daran, wie er sein Judo besser "verkaufen", also vermitteln konnte. Dafür hat er zahlreiche Verbesserungen entwickelt, wie z.B. die Veränderung der Judoanzüge oder die stärkere Einbeziehung des Randori.

3. Kano war aber auch Begründer der Ausbildung für Leibeserzieher an den Schulen und lange Jahre Vorsitzender des Japanischen Sportbundes, sowie Delegationsleiter bei Olympischen Spielen. Neben Judo hatte er also einen nachweislich sportlichen und erziehungsorientierten Hintergrund.

4. Kano mußte seiner vielen Ämter -beruflicher wie ehrenamtlicher - wegen, frühzeitig lernen sorgfältig mit seinen zeitlichen, mentalen und physischen Energien umzugehen, daher war er quasi gezwungen, vieles zu delegieren, vor allem auch wegen seiner zahlreichen Auslandsreisen.(vgl dazu auch Mark Law: "The Pyjama Game", bes. S.29ff "The incredible Dr. Kano", London 2007)

5. Kano war zeit seines Lebens ein sehr systematisch denkender und handelnder Mensch mit einem starken Bedürfnis, auch methodisch gut zu arbeiten.

6. Die Gokyo ist die Systematik der Wurftechniken, die Zusammenstellung der Würfe, die um 1920 herum die Mitarbeiter Kanos für besonders wichtig hielten. Daher wurden diese 40 Würfe zu einem verbindlichen Technikkanon zusammengestellt.

7. Damit verfügte der Kodokan innerhalb seines Systems über 48 Würfe (40 innerhalb der Gokyo, und 8 die herausgenommen wurden). In welchem Umfang nun diese 48 Würfe unterrichtet oder vermittelt wurden ist nicht bekannt.

8. Die Frage, welche Techniken nun mit welchen anderen wie "bewegungsverwandt" sind, um dann auch miteinander oder nacheinander unterrichtet zu werden ist zunächst ein analytische (vielleicht auch biomechanische) Frage, nach dem "Bewegungskern" der Technik oder ihrer "Hauptfunktion" oder schlicht danach, was genau diesen Tai-otoshi zu einem Tai-otoshi macht. Dann ist es aber auch eine methodische , nämlich insofern, als man daraus ableiten will in welchen Zusammenhängen Techniken unterrichtet werden sollen. Man nennt dies den methodischen Anteil der Systematik (der für die Reihung der Gokyo nach wie vor unbekant ist)

9. Welche methodischen Maßnahmen ein Judolehrer anwendet, um eine Technik seinen Schülern nahe zu bringen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, u.a. von:
a) dem Kenntnis-, Erfahrungs- und Ausbildungsstand des Lehrers hinsichtlich des Technikwissens und -könnens.
b) dem Kenntnis-, Erfahrungs- und Ausbildungssatnd des Lehrers hinsichtlich der möglichen Vermittlungsalternativen der jeweiligen Techniken
c) der Anzahl, dem Kenntnisstand, dem Judokönnen und dem Alter der Teilnehmer.

10. Selbst wenn ab sofort alle Judoka auf der Welt nur noch die Techniken der Gokyo unterrichten würden (was ich nicht wünsche oder hoffe), dann wäre immer noch unklar:
a) wie die jeweiligen Techniken nun dem Lernenden nahe gebracht werden sollen
und
b) warum sie in dieser oder jener Reihenfolge unterrichtet werden sollen.

11. Worüber können wir dann jetzt noch streiten? Ich denke
a) nicht darüber, ob man ausschließlich die Techniken der Gokyo lernen soll (macht selbst der Kodokan nicht)
b) nicht darüber, in welcher Reihenfolge die Techniken zu unterrichten sind (das muss jeder Lehrer nach eigener Erfahrung entscheiden. Als Hilfe können die Kyo-PO des DJB dienen oder allgemeine methodische Überlegungen. Ein definitiv richtig oder falsch gibt es nur bei Demagogen!)
c) nicht darüber, wie die Techniken im Unterricht vermittelt werden (auch da gibt es nur angemessen oder nicht angemessen, aber kein richtig und falsch!)

12. Man darf also in dieser ganzen Diskussion die verschiedenen Ebenen nicht ständig durcheinander bringen. Für die Gokyo gibt es derzeit keine mit Quellen belegbaren Antworten auf die folgenden beiden Fragen:
a) warum wurden gerade diese 40 Techniken in die Gokyo von 1920 hineingekommen und die anderen 8 herausgenommen?
und
b) warum wurden die Techniken diesmal genau zu jeweils 8 Techniken in den fünf Stufen zusammengestellt in genau dieser Reihenfolge und nicht mehr so, wie in der Gokyo von 1896?
Zu diesen beiden Punkten gibt es zahlreiche Antworten, die auch in diesem Forum diskutiert wurden. Aber jede der Antworten ist so gut und so wertvoll wie die Erfahrung und das Wissen desjenigen, der sie gibt - grundsätzlich aber ist jede dieser Antworten eine Spekulation.
In den vergangenen 88 Jahren (ich sage es nochmal) wurde weltweit nicht ein Quelle entdeckt, die etwas anderes aussagt.
Dennoch ist die Beschäftigung mit allen möglichen Spekulationen durchaus sinnvoll, wenn man sie mit seinem persönlichen Wissens-, Erfahrungs- und Könnensstand überprüft und auf die persönliche Brauchbarkeit hin testet. Diese ist dann ein Kriterium, das aber nur für denjenigen gilt, der es für sich so erfahren hat.
Die Antworten, die gefunden werden sind alle gleichwertige, aber eben sehr persönliche Aussagen zu den obigen Punkten.

13. Und zu guter Letzt stellt sich dann wieder die Frage: "Wozu hat sich denn nun Jigoro Kano in diesen Zusammenhängen nachweißlich geäußert?"
Dazu benötigen wir nach wie vor nachprüfbare Quellen.
Die anderen Dinge kann man - aber muss man nicht mehr - diskutieren.

Ulrich

P.S. Tut mir wirklich leid, dass dies so lang geworden ist.
Lin Chung
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Lin Chung »

@"tutor!": Jetzt bin ich nur einmal gespannt, wie lange es dauert, bis der erste kommt und Deine "Netz-Theorie" widerlegt - und behauptet, die Gokyo sei gar nicht netzförmig bzw. mehrdimensional angelegt, sondern sei ausschließlich monokausal erklärbar... ;-)
...da bin ich aber mal gespannt. Auf jedenfall erwarte ich dann eine völlige Aufklärung.
Ich jedenfalls sehe es so wie tutor.

--------------------

Für uns galt damals, dass man als angehender Braungurt seine 40 Techniken können musste.
Es wurden jedenfalls alle Techniken für den angestrebten Grad und stichprobenartig aus den anderen Graden geprüft.
Man wusste nie, welche Technik drankam.

--------------------
Tutors Link hat es in sich.http://judoforum.com/lofiversion/index. ... 72-50.html
weiter unten findet man

Code: Alles auswählen

One thing I remember from Kodokan Judo was kano's statement on the gokyo that - "the key to mastery is to learn the throws in order".

The only real pattern I can see (in the early stages)

Group 1

de ashi barai
Hiza guruma
Sasae tsuri komi ashi

These all require really good timing, de ashi is pure timing, hiza and sasae add a lift/pull/twist.

Uki goshi
osoto gari
o goshi
o uchi gari
seoi nage

Once timing has been learned, we move onto "Big movement" throws. Now the student can combine their timing skills with big easy movements to create big throws

Group2

ko-soto gari
ko-uchi gari

Here the student recaps on their timing, leanrning slightly more complex forms of throwing.

koshi guruma, tsuri komi goshi, tai otoshi, harai goshi and uchi mata are all "big movement" techniques but require more finesse than the big techniques from group1, this finesse is picked up from the ko throws.

What throws this out is okuri ashi harai tongue.gif I can't work out why that's where it is.

There probably is a pattern, given what kano said on the subject and it'd be interesting to try to teach judo in this order, making sure a student can use each throw in randori before moving onto the next.
und auch zur Bogentheorie steht dort was:

Code: Alles auswählen

The arc theory have been discussed on the Judo-L and Steve Cunningham have made two videos aswell och the first 16 techniques in the gokyo...

Allthough I can't see all of the links in the gokyo I think I can see it in hiza-guruma and ko-uchi-gari. In hiza-guruma you make (for a right handed throw) a circular movment with you left arm that holds uke's right arm. This is include one arc...For ko-uchi-gari you make an simular movement with your left arm (of course also with help och you body movement) to bring uke's right leg forward but you add a second arc (or perhaps one could say direction) by the push you make on uke's left chest...Hence the talk about two arcs in ko-uchi-gari...
:D :D :D
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

Das sind dann weitere Ideen aus dem englischen Forum...

:ironie3 Im Grunde könnte man eine Anleitung zur Aufdeckung der inneren Struktur der Gokyo schreiben. Man nehme einen Satz anerkannter methodischer und/oder biomechanischer Gedanken zur Begründung von Sinnsträngen wie: Bewegungsverwandtschaft, Wurfprinzip, "Einfachheit/Schwierigkeit", Timing, Rotationsachsen, kleine/große Bewegung usw.

Man braucht noch nicht einmal den Beleg dafür abzuliefern, dass diese Gedanken oder methodische Prinzipien um 1920 herum in Japan oder anderswo in der Weise bekannt waren, wie man sie heute versteht (!). Davon, zu belegen, dass sie bei der Formulierung der Gokyo auch tatsächlich eine Rolle spielten, will ich noch nicht einmal reden.

Danach suche man die Gokyo nach Fragmenten zu zwei bis fünf Techniken ab, die einem oder mehreren dieser Leitgedanken entsprechen. Mit Sicherheit wird man fündig werden, und wenn gar nichts mehr hilft, greift zur Not das Argument "Vielfalt". Man muss nur aufpassen, dass man keine Technik auslässt. Kann es einen Zweifel daran geben, dass man "erfolgreich" sein wird?

Zum Abschluss werfe man diese Fragmente in einen Topf, rühre kräftig um bezeichne die "gefundene" Struktur als "multidimensional" und jeden, der sie anzweifelt als "gefangen in der Eindimensionalität eines beschränkten Denkens". Wenn unterschiedliche Leute zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, dann spricht man entweder von einer "Verfeinerung des Sinn-Netzes" und preist die größer gewordene Multikausalität/Multidimensionalität - oder, wenn man sich "stark" genug fühlt, verweist man auf Widersprüche. Ich führe den Gedanken jetzt mal nicht weiter aus, sonst wird aus Ironie noch blanker Zynismus.

Ich will damit nicht diejenigen vor den Kopf stoßen, die ernsthaft Fragen stellen und auch nicht die Leistungen und das Werk anderer kleinreden. Es kommt mir darauf an, jenen, die fragen, klar zu machen, wie leicht man sie für dumm verkaufen kann - was ja auch "erfolgreich" geschehen ist und geschieht.

@kastow
u.a. aus diesem Grund klappt Dein Gedanke nicht, über eine Theoriebildung der Struktur der Gokyo zu einem besseren Verständnis der enthaltenen Techniken zu kommen. Denn die Versuche, die Struktur der Gokyo zu entschlüsseln, leiten sich aus dem Verständnis der Techniken ab.

Aber mir kommt in dieser Debatte auch so langsam die Idee, dass einige aneinander vorbei reden. Wenn ich von der Gokyo rede, dann meine ich ausschließlich die Einteilung und Reihenfolge der Techniken in den fünf Stufen. So manchmal habe ich das Gefühl, dass andere in erster Linie die Techniken selbst meinen.

@Ulrich
Lang, aber nicht langatmig und hervorragend geschrieben! Ein spontaner Gedanke von mir: da Kano weitreichende Verantwortung für Bildung und Erziehung in Japan trug, wäre sein Bildungsideal und die Einflüsse darauf von allergrößter Bedeutung. Aber das wäre ein anderer Faden.
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Lippe »

Lin Chung hat oben ein Zitat aus http://www.judoforum.com gepostet, in dem es heißt "One thing I remember from Kodokan Judo [...]". Da habe ich doch noch einmal mein Buch [1] zur Hand genommen und auf Seite 59 folgenden Abschnitt gefunden (und ich denke, dies sollte allen an dieser Diskussion Interessierten zur Verfügung gestellt werden):
The first forty nage-waza introduced in this chapter constitute what is known as Gokyo no Waza, the five groups of instruction. Each group comprises eight representative techniques. Then come Shinmeisho no Waza, the new techniques developed after 1920. Learning the throws in order is the key to mastery. Once the main point has been thoroughly grasped, the acquired capability can be applied to variations.
"Learning the throws in order is the key to mastery."

Dieser Satz legt eigentlich nahe, dass Kano [2] die Anordnung der Techniken der Gokyo für wichtig hielt, um die Nage waza des Kodokan Judo zu meistern.
Leider findet sich an dieser Stelle kein weiterer Hinweis, warum das Erlernen der Würfe "in order" essentiell sei.

Ich bin mir bei Betrachtung des gesamten Abschnittes aber nicht sicher, ob "represantative techniques" nicht vielleicht eine Abschwächung dieses Dogmas ist.

-----------------------------
[1] Jigoro Kano: Kodokan Judo. Kodansha International. ISBN 4-7700-1799-5
[2] Da es sich bei meiner Ausgabe um ein neueres Exemplar mit dem Vermerk "Edited under the supervision of the Kodokan Editoral Committee" handelt ist leider nicht gesichert, ob diese Sätze in dieser Form wirklich aus Kanos Feder stammen oder später ergänzt oder überarbeitet wurden.
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

Lippe hat geschrieben: Leider findet sich an dieser Stelle kein weiterer Hinweis, warum das Erlernen der Würfe "in order" essentiell sei.

Ich bin mir bei Betrachtung des gesamten Abschnittes aber nicht sicher, ob "represantative techniques" nicht vielleicht eine Abschwächung dieses Dogmas ist.
Das ist genau der Punkt in der Diskussion. Es finden sich weder in diesem, noch in anderen Büchern weitere Erklärungen oder Begründungen, jedoch wissen wir z.B. durch Reaktivator, dass Kano in einem Lehrbuch von 1931 eine andere Reihenfolge vorgegeben hat.
(http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 698#p37698)
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Lin Chung »

Es kommt mir darauf an, jenen, die fragen, klar zu machen, wie leicht man sie für dumm verkaufen kann - was ja auch "erfolgreich" geschehen ist und geschieht.
...wie sieht es nun bei dir aus? Würdest du die Leute hier im Forum für dumm verkaufen?
Von einigen denke ich, daß sie es tun. Meine Meinung, auch wenn ich jetzt unter Beschuss gerate.
Jedenfalls ist das nicht die feine Art, da somit auch das Forum leidet. :angry4
Grüße
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:
Es kommt mir darauf an, jenen, die fragen, klar zu machen, wie leicht man sie für dumm verkaufen kann - was ja auch "erfolgreich" geschehen ist und geschieht.
...wie sieht es nun bei dir aus? Würdest du die Leute hier im Forum für dumm verkaufen?
Von einigen denke ich, daß sie es tun. Meine Meinung, auch wenn ich jetzt unter Beschuss gerate.
Jedenfalls ist das nicht die feine Art, da somit auch das Forum leidet. :angry4
Ich versuche immer meine Meinung erstens zu begründen und zweitens auch deutlich als meine Meinung zu kennzeichnen. Wenn ich mich auf etwas beziehe, füge ich dem möglichst eine leicht nachprüfbare Quelle bei, z.B, einen Link. Ansonsten versuche ich meine Gedankengänge logisch zu erläutern, was mitunter auch mal länger dauern kann.

Und ich wünsche mir, dass meine Äußerungen auch kritisch gesehen und überprüft werden. Ich selbst lerne ja auch nur etwas dazu, wenn mich jemand davon überzeugt, dass der ein oder andere meiner Gedankengänge nicht stimmig ist. Abgesehen davon, dass es Felder gibt, in denen ich nicht ganz so gut zu Hause bin, wie z.B. in Technik, Biomechanik und Didaktik.

Es kommt mitunter vor, dass jemand eine Falschinformation hat und diese hier vertritt. Das erachte ich als nicht weiter schlimm, denn das ist ja die einzige Chance auch für den Betreffenden, den Irrtum zu korrigieren oder die Kenntnisse zu erweitern. Und mir kann es ja auch so ergehen. Für dumm verkauft man jemanden nur dann, wenn man es besser weiß. Und das lässt sich schwer nachweisen.

Mein Ruf als Mensch und Judoka wird nicht besser und nicht schlechter, egal was und wie viel ich hier schreibe, weil niemand weiß, wer "Tutor!" ist. Diese Anonymität verbietet mir aber auch "lästerlich" über andere zu schreiben - weder hier noch anderswo. Daran halte ich mich auch weiterhin.

Es geht einfach um einen kleinen Beitrag in der Sache.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von kastow »

Zu Lippes Beitrag zitiere ich auch noch die deutsche Ausgabe "Kodokan Judo" von Jigoro Kano aus dem Jahre 2004:
Die Grundlage bei der Erneuerung der Judo-Wurftechniken (Nage-waza) bilden heutzutage die sogenannten Gokyo no waza, die Techniken der fünf Lehrgruppen. Sie wurden aus einer Vielzahl unterschiedlicher Techniken ausgewählt und systematisiert und sind ungefähr in der Reihenfolge angeordnet, in der sie auch unterrichtet werden sollten.
Dazu noch ein Zitat Jupps:
Jupp, Verfasst: 06.09.2008, 10:55
5. Kano war zeit seines Lebens ein sehr systematisch denkender und handelnder Mensch mit einem starken Bedürfnis, auch methodisch gut zu arbeiten.
Ich denke, diese beiden Zitate fassen doch recht knapp die letzten Seiten dieses Fadens zusammen. Und vor allem machen sie noch einmal deutlich, dass die Gokyo gewiss keine sinnfreie und zufällige Anhäufung von Wurftechniken ist.

Diese Aussagen durch ein Buch zu widerlegt, dass ausdrücklich die Gokyo nicht erwähnt, ist m.E. schon rein formal eine fragwürdige Vorgehensweise.
Reaktivator, 13.08.2008, 06:21
Obwohl lange vor Erscheinen des Buches festgelegt (1895 in der ursprünglichen bzw. 1920 in der revidierten Fassung), taucht dort der Begriff Gokyō no waza interessanterweise gar nicht auf.
[...]
4.) Da das Lehrbuch speziell für den Anfängerunterricht an der Mittelschule konzipiert war, erachtete Kanō alle (!) der oben aufgeführten Techniken durchaus als geeignet bzw. sinnvoll (auch) für 12- bis 13-jährige Kinder.
Tutor kommentiert diesen Beitrag wie folgt:
tutor!, Verfasst: 07.09.2008, 22:36
Es finden sich weder in diesem, noch in anderen Büchern weitere Erklärungen oder Begründungen, jedoch wissen wir z.B. durch Reaktivator, dass Kano in einem Lehrbuch von 1931 eine andere Reihenfolge vorgegeben hat.
(viewtopic.php?p=37698#p37698)
Wohlgemerkt: Eine andere Reihenfolge für die japanische Mittelschule, nicht für die Gokyo ;)

@Reaktivator: Vielleicht könntest du kurz auflisten, welche Techniken im besagten Buch weiterhin in welcher Reihenfolge auftauchen. Oder erstreckt sich der Inhalt nur auf die beiden erwähnten Wurfabfolgen, da es sicht um ein Anfängertraining für die Mittelschule handelt?
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:Zu Lippes Beitrag zitiere ich auch noch die deutsche Ausgabe "Kodokan Judo" von Jigoro Kano aus dem Jahre 2004:
Die Grundlage bei der Erneuerung der Judo-Wurftechniken (Nage-waza) bilden heutzutage die sogenannten Gokyo no waza, die Techniken der fünf Lehrgruppen. Sie wurden aus einer Vielzahl unterschiedlicher Techniken ausgewählt und systematisiert und sind ungefähr in der Reihenfolge angeordnet, in der sie auch unterrichtet werden sollten.
Dazu noch ein Zitat Jupps:
Jupp, Verfasst: 06.09.2008, 10:55
5. Kano war zeit seines Lebens ein sehr systematisch denkender und handelnder Mensch mit einem starken Bedürfnis, auch methodisch gut zu arbeiten.
Ich denke, diese beiden Zitate fassen doch recht knapp die letzten Seiten dieses Fadens zusammen. Und vor allem machen sie noch einmal deutlich, dass die Gokyo gewiss keine sinnfreie und zufällige Anhäufung von Wurftechniken ist.

Diese Aussagen durch ein Buch zu widerlegt, dass ausdrücklich die Gokyo nicht erwähnt, ist m.E. schon rein formal eine fragwürdige Vorgehensweise.
Reaktivator, 13.08.2008, 06:21
Obwohl lange vor Erscheinen des Buches festgelegt (1895 in der ursprünglichen bzw. 1920 in der revidierten Fassung), taucht dort der Begriff Gokyō no waza interessanterweise gar nicht auf.
[...]
4.) Da das Lehrbuch speziell für den Anfängerunterricht an der Mittelschule konzipiert war, erachtete Kanō alle (!) der oben aufgeführten Techniken durchaus als geeignet bzw. sinnvoll (auch) für 12- bis 13-jährige Kinder.
Tutor kommentiert diesen Beitrag wie folgt:
tutor!, Verfasst: 07.09.2008, 22:36
Es finden sich weder in diesem, noch in anderen Büchern weitere Erklärungen oder Begründungen, jedoch wissen wir z.B. durch Reaktivator, dass Kano in einem Lehrbuch von 1931 eine andere Reihenfolge vorgegeben hat.
(viewtopic.php?p=37698#p37698)
Wohlgemerkt: Eine andere Reihenfolge für die japanische Mittelschule, nicht für die Gokyo ;)
(...)
Ich entschuldige mich dafür, dass mein Kommentar von Dir missverstanden werden konnte, daher füge ich ein paar vergessene Wort ein:
... jedoch wissen wir z.B. durch Reaktivator, dass Kano in einem Lehrbuch von 1931 eine andere Reihenfolge für das Erlernen der Wurftechniken vorgegeben hat, als die Reihenfolge der Gokyo.
Ich bedaure, dass sich dies Dir nicht aus dem Kontext erschlossen hat.


Dass in der deutschen Übersetzung von Kodokan Judo "ungefähr" steht, ist ein guter Hinweis. Spannend wäre an dieser Stelle einmal ein Vergleich mit dem japanischen Original (Reaktivator - hast Du das?).

"Ungefähr" ist aber in jedem Fall etwas anderes als "genau". Die Zuordnung der Techniken in der 2005er APO des DJB zu Kyu-Graden ("halbe" Gürtel zusammengefasst) entspricht übrigens auch ungefähr den Stufen der Gokyo (http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 075#p38075). Es sind - wenn ich richtig gezählt habe - gerade einmal 5 von 40 Techniken um mehr als eine Stufe verschoben. Und für jede dieser Verschiebungen gibt es massive Gründe.

Hast Du hier irgendwo auch nur eine einzige Bemerkung von Jupp/Ulrich, Reaktivator oder von mir gefunden, die besagt, dass die Anordnung der Techniken in der Gokyo sinnfrei und oder zufällig wäre? Bitte poste den Link, damit derjenige, der ihn "verbrochen" hat Gelegenheit zur Richtigstellung bekommt.

Das einzige, was wir unabhängig voneinander immer wieder geschrieben haben ist, dass es keine Quellen gibt (genauer: dass wir keine Quellen kennen), die verlässlich Auskunft geben. Und wir haben geschrieben, dass die Reihenfolge der Techniken in der Gokyo zumindest von Kano nicht als verbindliche Reihenfolge für das Erlernen der Techniken betrachtet wurde. Letzteres wurde aus dem Lehrplan für die Mittelschule belegt - und zwar sowohl direkt durch Vergleich der Reihenfolge im Lehrplan und in der Gokyo als auch indirekt, indem nämlich nachgewiesen wurde, dass Kano in besagtem Judo-Buch für die Mittelschule die Gokyo noch nicht einmal erwähnt hat - weder als Stoffsammlung noch als methodische Leitlinie oder als sonst etwas.

Es gehört immer guter Wille dazu, selbst das Einfachste zu begreifen, selbst das Klarste zu verstehen. (Ebner-Eschenbach)
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HBt

Das Rumpelstilzchen

Beitrag von HBt »

Lieber Fritz,
einverstanden.

Helge
Zuletzt geändert von HBt am 10.09.2008, 23:06, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Fritz »

Ich denke nicht, daß hier der richtige Platz ist, eine Diskussion über Anonymität zu führen,
oder diesbezüglich Sticheleien auszuteilen.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: Größenwahn

Beitrag von tutor! »

Gegenstandslos geworden
Zuletzt geändert von tutor! am 11.09.2008, 00:16, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von kastow »

Gut, da wir uns mittlerweile also doch alle einig sind, dass die Gokyo über einen sinnvollen Aufbau (ergo eine Struktur) verfügt, können wir ja nun wieder die Inhalte der Gokyo diskutieren. Übrigens: Wer diese Überlegungen für überflüssig hält, wird ja nicht gezwungen, sich zu beteiligen.
tutor!, 05.09.2008, 00:53
Man kann auch die traditionelle methodische Vorgehensweise der Japaner - was immer auch ihre Begründung dafür ist - einbeziehen. Ich bin mir sicher, dass - sollte es jemals zu einer aus Quellen belegbaren Aufklärung kommen - diese eine Rolle spielen wird. Der klassische methodische Aufbau ist ashi-waza--> koshi-waza--> te-waza --> sutemi waza.
Diese Aussage dürfte wohl schon anhand des ersten Kyos widerlegt sein:
De-ashi-barai, Hiza-guruma, Sasae-tsuri-komi-ashi (Ashi-waza)
Uki-goshi, (Koshi-waza)
O-soto-gari, (Ashi-waza)
O-goshi, (Koshi-waza)
O-uchi-gari, (Ashi-waza)
Seoi-nage (Te-waza)


@Tutor: es amüsiert mich, dass du deinen Beitrag, der meinem letzten Beitrag nur wilde Spekulationen und Interpretationen hinzudichtet, ausgerechnet mit einem Zitat von Ebner-Eschenbach beendest. Wie war das noch mit dem Splitter im Auge und dem Brett vor der Stirn? ;)
Herzliche Grüße,

kastow

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