Um der Arbeit gerecht zu werden muss man die Textsammlung langsam lesen. Vielleicht sogar zweimal lesen, ein Schnelldurchgang für den Überblick und ein weiterer Durchgang, um die Formulierungen der damaligen Presse (und die Reklame) wirken zu lassen, halte ich für angemessen. Vorerst muss man einen Weg finden, um sich in die damalige Zeit, in das gemeine Leben, einzufinden. Es ist dem Herausgeber dieser chronologischen Sammlung, Yannick Schultze, gelungen - Texte auszugraben und so zu arrangieren, dass man das Kolorit, also die Stimmung, nachempfinden kann. Die Anfänge des sogenannten JiuJitsu und später auch noch ausblickend die Kristallisierung* zum (echten) Kodokan-Judo auf diese Art zu beleuchten, ist mutig und zugleich auch genial. Eine interessante Idee liegt nun vor und ist für den genannten Zeitraum (1905 bis 1914) in sich schlüssig. Für waschechte Judoka kann es eine Brücke schlagen, zum Verständnis und zum freundschaftlichen Miteinander zur heutigen JuJu- & JiuJitsu-Gemeinschaft beitragen. Das Buch endet mit einem kurzen, durchdachten "Schlusswort" und dem originalen Vorwort von Herrn Baelz zur deutschen Ausgabe des "Kano JiuJitsu" - welches kein originales Kodokan-Judo zeigt, das den Wert dadurch allerdings auch nicht schmälert. Tja, und dieser Kniff rundet diese Epoche nicht nur ab, sondern hebt JiuJitsu auf eine andere Ebene, die den Varieté-Schaukämpfen und Herausforderungskämpfen stets verschlossen blieb.
Higashis JiuJitsu bleibt eine noch immer unbekannte Synthese aus mehreren JuJutsu-Schulen & -Lehren. Die Figur Higashi Katsukuma verliert sich ein bisschen im Dunkel der Geschichte, so wie später auch die des berühmten Uenishi Sadakazu (in England, Japan ...). Zweifel, ob und von wem zum Beispiel Erich Rahn lernte, sowie seine Rolle in der Verbreitung des Sportes und der fremden Selbstverteidigung - kommen nicht auf, sie werden ganz nebenbei ausgeräumt, gleichzeitig streift das Buch Orte, Handlungen und bis dato weitestgehend unbekannte Namen.
Ein bisschen traurig bleibt der Umstand, nur kurz einen Blick durch eine geöffnete Tür erhaschen zu können, Zeitreisen sind bekanntlich noch nicht möglich

.
Wer sich auf Yannicks Art dem Zeitfenster 1905 bis 1914 nähern möchte, wird gefallen an den Texten und dem Fazit finden - beim einmaligen Lesen (dem Überflug) wird es nicht ganz gelingen, beim zweiten Ansatz mit Sicherheit.
Gruß,
HBt.
* unter gar keinen Umständen meine ich damit, dass (das besagte) JiuJitsu der Vorgänger ist, sondern vielmehr eine Entscheidung, ein Wegbereiter!
Nachtrag und Vorschusslorbeeren:
Geht man davon aus, dass Band 2 vielleicht in einem Jahr vorliegt und in gleichartiger Druck sowie Verbreitungsweise (Amazon Druckservice Leibzig) das Licht der Welt erblickt, erlaube ich mir einen Wunsch. Ein ansprechendes, aufgepeptes Layout, ein Lektorat, einen Verlag ... das nämlich verdient die gesamte Lektüre.