Alles Aussagen, die wirken, als wären sie aus den 80er Jahren, dabei gab es ja dort und auch früher schon Dopingfälle, z.B. den Mongolen Bachaawaagiin Bujadaa 1972.
Die Argumente gegen ein Doping im Judo finden sich auch in aufgeweichter Form, "es würden nur Entwässerungsmittel genommen werden, um das Gewicht zu schaffen" (jede Anwendung von Diuretika kann auch ein Maskierungsversuch sein) oder "nur Schwergewichtler nehmen verbotene Substanzen, weil die wachsen können, wie sie wollen". Die Wahrheit oder einfach nur Augenwischerei davor, dass Judo genauso eine verseuchte Sportart ist wie eben jede andere auch?
Präsident Marius Vizer sieht das zumindest anders. Im Zuge des Meldonium-Skandals äußerte er sich selbstbewusst "Wir haben keine Angst, weil Judo spezielle Werte hat und unser Sport sehr viel Wert auf Integrität legt" und "In den letzten Jahren hatten wir keinster Weise Doping-Probleme mit russischen Athleten und ich denke, dass Judo unter den anderen Sportarten sicher ist." (Quelle und Original)
Dazu kommt, wer kennt schon einen Dopingfall im Judo? Der Fall Rafaela Silva wurde etwas medienwirksamer publik, aber wer kann sich schon an einen Fall davor erinnern?
Die IJF hat einen eigenen Teil auf ihrer Website wo alle aktuell gesperrten Dopingsünder aufgelistet sind https://www.ijf.org/cleanjudo/140 . Aus einem Zirkus von tausenden Judoka die auf der Tour der IJF und ihrer Kontinentalverbände aktiv sind, sind gerade einmal 10 Judoka wegen Dopings gesperrt. Dazu sind dies auch häufig Judoka aus eher schwachen Judonationen. Interessant wird es, wenn man sich die gefundenen Dopingmittel ansieht, dort finden sich 2x Entwässerungsmittel, 5x Anabolika (nur einer der Sportler ist Schwergewichtler) und bei den drei erfolgreichsten Judoka der Liste finden sich andere, "ungewöhnliche" Dopingsubstanzen.
Der Fall Rafaela Silva wurde von Judoinside.com in mehreren Beiträgen behandelt, z.B. https://judoinside.com/news/3640/Rafael ... ames_medal und https://judoinside.com/news/4208/Rafael ... mpic_Games . Hier wurde ein Asthmamedikament gefunden und wie viele Dopingsünder behauptet sie, durch einen Zufall damit in Kontakt gekommen zu sein. Das CAS hat die Entscheidung aufrecht gehalten und sie ist für 2 Jahre gesperrt.
Jin A Kim aus Nord Korea, immerhin 2019 World Masters Gewinnerin, wurde mit hydrochlorothiazide erwischt. Eine Substanz die keine direkten leistungssteigernden Effekte hat, aber als Maskierungsmittel zur Verschleierung von Dopingmitteln eingesetzt wird. Auch sie ist 2 Jahre gesperrt und legte keine Beschwerde gegen das Urteil ein.
Denislav Ivanov, Kadetten Welt- und Europameister und Junioren Europameister (zumindest hat er das Turnier gewonnen) wurde bei eben diesen Junioreneurpameisterschaften mit GW1516 erwischt, einem Mittel was sich in Herz- Kreislaufmedikamenten findet, allerdings im Leistungssport auf Grund anderer Effekte genommen wird. Der Substanz wird nachgesagt zu einer Verbesserung der Muskulatur bezüglich der Ausdauerleistungsfähigkeit bei gleichzeitiger Gewichtsreduktion zu führen. Ein Traum im Judo. Die bulgarische Nachwuchshoffnung wurde 2017 für 4 Jahre gesperrt. Auch er behauptet, dass er keine Dopingmittel bewusst genommen habe und die Kontamination zufällig war. Das CAS sieht das anders. Er ist bis Oktober diesen Jahres gesperrt, ich bin gespannt ob wir ihn wieder auf der Wettkampfmatte sehen.
Das Problem bei der Suche nach Dopingfällen im Judo ist, dass es dafür keine Datenbank, abgesehen von den aktuellen Fällen, gibt und die IJF sich mit Nachrichten zu dem Thema sehr zurückhält. Der Fall Rafaela Silva findet auf der IJF Website keinerlei Erwähnung. Alle Informationen muss man sich von "außerhalb" besorgen und da ist die beste Quelle das japanische Wikipedia, mit offensichtlichen Verständnisproblemen.
Eine weitere gute Quelle ist das oben erwähnte Judoinside.com, eine gute Quelle für alle möglichen Judothemen, da es Nachrichten aus aller Welt in Englisch wieder gibt. So auch der seltsame Fall von Denis Vieru, den als erstes die L'Esprit du Judo veröffentlichte und den judoinside dann übersetzte und zusammenfasste. Auch hier, keine Meldung von IJF Seite dazu. Vieru konnte glaubhaft nachweisen, dass er die verbotene Substanz unwissentlich eingenommen hat und daher fiel die nachträgliche Sperre weit geringer als zwei oder 4 Jahre aus.
Die Punkte für den Grand Prix Zagreb 2019, die Weltmeisterschaften 2019 und die Masters 2019 sind Denis Vieru aberkannt wurden, allerdings wurden z.B. dem im kleinen Finale der WM unterlegenen Mongolen Yondonperenlei die Punkte noch nicht gutgeschrieben.
Die Transparenz der IJF zu dem Thema ist 0. Eventuell gibt es noch andere Fälle nachträglich wegen Dopings aberkannter Ergebnisse, sie sind nur noch keinem aufgefallen.
So viel zur aktuellen Lage. Die japanische Wikipedia führt 21 Dopingfälle im Judo an. Eine beachtlich geringe Anzahl für die lange Geschichte der Judowettkämpfe und die große Anzahl an Teilnehmern (862 alleine bei der letzten WM 2019). Aber trotzdem bleibt bei 21 bekannten Fällen die Frage, woher der Ruf kommt, man könne im Judo nicht dopen. Gerade in so trainingsintensiven Sportarten wie Judo lohnt sich Doping immer zur Regeneration und um die Trainingsintensität hochzuhalten. Doping mit Steroiden wird von vielen immer noch mit übermäßig aufgepumpten Bodybuildern in Verbindung gebracht, EPO mit Radfahrern, die sich über Berge quälen, Wachstumshormone mit Sprintern. Das sind jedoch alles Mittel, die in jeder Sportart eine Anwendung finden können. Nicht um am Tag X mit einmal mehr Leistung zu bringen, sondern um den Weg nach oben an die Spitze schaffen und dann dort zu bleiben. Mehr Training, intensivere Einheiten, weniger Ermüdung, alles Punkte, die alleine schon beim Techniktraining helfen, von der Athletik und Kraft mal abgesehen.
Dazu sei noch gesagt, dass ein Dopingtest kein Test auf leistungssteigernde Mittel ist, sondern auf verbotene Substanzen. Es wird beispielsweise auch auf Cannabis getestet, was keine nachgewiesene leistungssteigernde Wirkung hat. Hier gibt es, wie bspw. auch bei Alkohol, andere Gründe für ein Verbot und einen Test darauf. Dem ein oder anderen Judoka wurde dies auch schon zum Verhängnis.
Auch wenn man bei den wenigen bekannten Dopingfällen im Judo immer die "Einzelfall"-Karte ziehen könnte, so gibt es durch Berichte aus anderen Sportarten Grund zur Vermutung, dass dort, wo jemand dopt, auch viel mehr dopen, als gefunden werden. Im Mclaren-Report finden sich Judo mit 8 vertuschten Dopingfällen wieder. Genauso viele wie Bobfahren und Volleyball, nur 2 weniger als Biathlon. Ein Blindenjudo wurde mit Cannabis positiv getestet, ein Judoka mit einem Diuretika, welches als Maskierungsmittel eingesetzt wird und bei einer Judoka passte die DNA der Probe nicht zu den vorherigen. Der Mclaren-Report zeigt also, da geht was. Auch wenn im Mclaren-Report deutlich mehr Fälle in der Leichtathletik und im Gewichtheben gefunden wurden, ist die Aussage "im Judo kann man nicht dopen" spätestens hier hinfällig. Scheinbar kann man es und Russland hat es versucht. Die WADA hat sich gegen die Veröffentlichung der Namen aus dem Mclaren-Report entschieden, leider kann so nicht nachvollzogen werden, auf welchem Level sich diese Judoka bewegt haben.
Gerade weil die Leichtathletik als dopingverseucht gilt, ist sie denke ein gutes Beispiel. Bei anonymen Befragungen bei Leichtathletikgroßereignissen im Jahr 2011 gaben zwischen 43,6% und 70,1% der Teilnehmer an im letzten Jahr Dopingmittel genommen zu haben. Erwischt wird davon nur ein absoluter Bruchteil. Die Umfrage 2011 war auch schon nach der großen Kronzeugenbefragung von Angel Heredia. Angel Heredia, heute unter dem Namen Ángel Hernández unterwegs, war ein Dopingarzt, der mit im Zuge der BALCO-Affäre vom FBI gesucht und verhaftet wurde. Er hat dem Spiegel 2008 ein Interview gegeben, in dem er über Methoden und Klienten spricht. Er spricht klare Worte über sauberen Hochleistungssport und auch über die Methoden zur Verschleierung. So z.B. "Designerdrogen setzen sich aus mehreren Chemikalien zusammen, die die gewünschte Reaktion herbeiführen, und dann verändere ich am Ende der Kette ein, zwei Moleküle so, dass die ganze Struktur den Rastern der Fahnder entgleitet." oder "Es gibt Tabletten für die Nieren, die die Metaboliten von Steroiden abblocken: Wenn Athleten dann ihre Urinprobe abgeben, scheiden sie die Metaboliten nicht mit aus und sind negativ. Oder es gibt ein Enzym, welches langsam Proteine frisst - Epo hat Proteinstrukturen, und so sorgt das Enzym dafür, dass die B-Probe der Dopingprobe ganz andere Werte hat als die A-Probe. Dann sind da noch Chemikalien, die du ein paar Stunden vor dem Rennen zu dir nimmst, und die verhindern die Übersäuerung der Muskeln. Zusammen mit Epo? Ein reines Wunder! Ich habe 20 Drogen, die noch immer unauffindbar sind für die Fahnder. ". Natürlich haben sich auch durch solche Aussagen die Mittel der Dopingfahnder die letzten 13 Jahre sehr viel weiterentwickelt. Wer aber glaubt, dass die auf Seite der Dopingärzte und Athleten nicht auch passiert, ist naiv. Dies zeigt zum Beispiel ein Fall aus Deutschland, der Fall "Operation Aderlass". Hier gibt es mehrere Sportschau-Beiträge zu, exemplarisch sei einmal dieser hier https://www.youtube.com/watch?v=4QpeR1AF-1c verlinkt, in dem auch zur Verhinderung eines positiven Tests durch Auffälligkeiten im Athletenpass das Zitat "Ich habe den Hämatokritwert immer so gezielt manipuliert, dass dieser gemäß Blutpass immer an der oberen Grenze im Normbereich des jeweiligen Sportlers liegt" [Min 7:15]. Man braucht sich also keine Illusionen machen, dass die Fahnder hier näher dran wären an den Dopingsündern, sie sind nur auf einer anderen Ebene als vor 13 Jahren.
Dazu kommt die, vielleicht auch bedingt durch den Ruf der Sportart Judo, geringe Anzahl an Dopingtests, die durchgeführt wird. Im Jahr 2019 wurden im Judo nur 40 Blutproben genommen, 14 davon bei Wettkämpfen. Dazu kommen noch 234 Urinproben, davon 45 bei Wettkämpfen. Quelle
Der DJB hatte nach aktueller Kaderliste im Jahr 2020 26 weibliche und 24 männliche Olympia- und Perspektivkader. Das heißt, es wurde definitiv nicht von jedem OK und PK, Ergänzungskader und Nachwuchskader schon ausgelassen, eine Blutprobe genommen. Jetzt könnte man natürlich sagen, dass bei 50 Kadersportlern und 234 Urinproben ja jeder mindestens 4 mal getestet wurde, aber reicht das? Ich kenne mich zu wenig aus, um das beurteilen zu können.
Hier nun eine Auflistung der Dopingfälle im Judo, soweit ich sie finden konnte.
- Bachaawaagiin Bujadaa / Bakaava Buidaa / Bakhvain Buyadda, 1972, Koffein [1] / Dianabol [2], Quelle [1], Quelle [2] und weitere Quelle [2]. (Der Hinweis auf Dianabol findet sich über Google lediglich in der deutschen Wikipedia während andere deutschsprachige Quellen, auch Wikipedia, ebenfalls von Koffein sprechen. Ich vermute da hat jemand in der Wikipedia geschlampt. Allerdings ist der Olympediaeintrag ein anderes Zeichen, der kann aber theoretisch auch einfach von einem Deutschen aus der Wikipedia abgeschrieben wurden sein)
- Kerrith Brown, 1988, Furosemid, Quelle
- Thomas Etlinger, 1993, Clenbuterol, Quelle
- Tang Li Hong, 1994, Furosemid, Quelle
- Estela Rodríguez Villanueva, 1996, Furosemid, Quelle
- Djamel Bouras, 1997, Nandrolon, Quelle, Urteil wegen Formfehler aufgehoben (selbe Quelle)
- Pae Dong Suk, 1997, Furosemid, Quelle
- João André Pinto Neto, 2001, Nandrolon, Quelle
- João Derly Nunes Junior, 2002, Diuretika, Quelle
- Yuki Yokosawa, 2004, Clucocorticoide, Quelle
- Kayra Sayit / Ketty Mathé, 2005 und 2008, Cannabis, Quelle
- Tong Wen, 2010, Clenbuterol, Quelle, Sperre wegen Formfehler aufgehoben, CAS Urteil
- Gui-man Bang, 2010, Methylhexanamin, Quelle
- Taciana Rezende de Lima Baldé, 2011, Furosemid, Quelle
- Attila Ungvari, 2011, Stanozol, CAS Urteil, Quelle
- João Gabriel Schlittler, 2011, Clostebol, CAS Urteil, Quelle
- Abdullo Tangriev, 2012, Cannabis, Quelle
- Tengiz Paposhvili, 2012, Substanz unbekannt, Quelle
- Irakli Tsirekidze, 2012, Substanz unbekannt, Quelle
- Nicholas Delpopolo, 2012, Cannabis, Quelle
- Charline van Snick, 2013, Kokain, Quelle, Sperre aufgehoben, CAS Urteil
- Xin Su, 2016, Substanz unbekannt, Quelle
- Denis Vieru, 2019, Substanz unbekannt, Quelle
- Rafaela Silva, 2020, Fenoterol, CAS Urteil, Quelle
Was bleibt am Ende dieses langen Textes? Eigentlich nur das was einem eh immer erzählt wird. Seid vorsichtig und glaubt nicht immer alles, was erzählt wird.