nur_wazaari hat geschrieben: ↑06.02.2018, 18:28
Vielmehr haben mich die Art und Weise des Umgangs mit dem "dynamischen" Regelwerk, insbesondere hinsichtlich der nun wirklich durchaus streitwürdigen (weil ziemlich restriktiven) Jugendregeln doch nachdenklich gestimmt.
Hier sollte man schon klar zwischen den Regelvorgaben des internationalen Dachverbandes und den Regelvorgaben des nationalen Dachverbandes bzw. der regionalen Dachverbände unterscheiden. Je kleiner das Ganze wird, desto mehr Mitsprachemöglichkeiten hat man im Normalfall, wenn man sich engagiert, auch wenn es immer Betonköpfe gibt, die den Weg versperren.
Die atuellen Jugendregeln sind ein Mix aus Erziehung der Trainer bzw. Stärkung körperlich schwächerer Judoka - Griff auf den Rücken, Techniken auf den Knien, Tani-otoshi-Verbot (wenn das auch häufig falsch verstanden wird), etc. und sinnvollen Schutzmaßnahmen - bspw. Ungvari-Dreher und weniger sinnvollen Schutzmaßnahmen - bspw. Reiter-Technik und m.M.n auch das neue Sankaku-Verbot in der U13 und drunter, auch wenn ich hier eine gewisse Shime-waza Argumentation nachvollziehen kann.
Die Vor- bzw. Nachteile der technischen Beschränkungen, welche ab diesem Jahr ja auch weniger hart geandet werden, wurden hier schon recht vielfältig besprochen. Die Bundestrainer scheinen zufrieden mit dem, was nachkommt, werden hier also wenig ändern. Bei den Technikverboten bin ich wie man sieht geteilter Meinung, möchte da aber auch keine Studiengrundlage fordern, da ich weiß wie illusorisch soetwas ist.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑06.02.2018, 18:28
Es ist schon klar, dass es bzgl. der praktischen Umsetzung nach erfolgten Beschlüssen der Regeln etc. nichts bringt, sich nun immer zu über deren teilweisen Unsinn auszulassen. Letztlich gelten die Regeln für alle.
Kritik ist immer wichtig. Je mehr diese äußern, desto mehr sieht man wie sinnig oder unsinnig eine Sache in den Augen der breiten Masse ist.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑06.02.2018, 18:28
Jedoch ist das bloße Abwürgen etwaiger Nachfragen meiner Meinung nach auch nicht der richtige Weg - und doch der Verständliche. Denn die Multiplikatoren scheinen eben in Erklärungsnot zu sein - weil es die Herren (richtig, kaum Damen) auf höchster Ebene selbst sind. Ich finde - und das ist ein hartes, wenn auch vorläufiges Urteil - sie wirken sehr ratlos.
Für mich und viele andere vom sportlichen Inhalt her Denkenden ist es nicht nachvollziehbar, welchen Zweck die Regeln im Einzelnen-, welchen Zusammenhang sie im Zusammenspiel miteinander und welchen positiven Effekt genau jene auf das Judo haben sollen. Es scheint den Verlautbarungen der Obmänner/Multiplikatoren und auch nach tlw. Sichtung der Seminar-Videos ein Regelwerk erstellt zu werden, was möglichst jede Einzelsituation berücksichtigt. Das ist aber wohl kaum realistisch umsetzbar. Die totale Kontrollierbarkeit scheint angestrebt zu werden (mag überspitzt sein, ok). Das Ergebnis größerer technisch-taktischer Restirktivität sind eingeschränkte Freiheiten bei der Ausübung von Judo, bishin zur Vereinheitlichung zu einem einzigen, noch regelkonformen Judo-Stil. Selbstverständlich nur im Hinblick auf IJF- und DJB-Veranstaltungen. Aber nun tummeln sich die meisten Judoka mehr oder weniger dort.
Ein bloßes Abwürgen habe ich jetzt noch nicht erlebt, eher so wie du viele Versuche schlechter Erklärungen. Das Problem ist da auch an der Spitze der IJF so. Wie häufig auf dem Kampfrichterseminar, wenn alle ratlos sind und keine Nachfragen mehr beantworten können (Gerbi-Würge, Beinstrecken bei Shime/Kansetsu-waza) kommt Daniel Lascau und erfindet eine Erklärung, um alle stumm zu stellen. Beim Gerbi-Würger waren es bis heute unbelegte Todesfälle bei äqyptischen Meisterschaften. Ich gebe zu, mein Arabisch ist stark verbesserungswürdig, allerdings sollte es nicht so schwer sein, Presseberichte über 3 Todesfälle bei einer Veranstaltung, noch dazu alle mit der selben Technik, zu finden. Aber hier findet sich einfach gar nichts. Beim Beinstrecken bei Shime-waza heißt es nun, dies sei ein "Leglock" und Leglocks sind im Judo verboten. Welches Gelenk dabei gehebelt wird, fragt keiner und so bleibt die Antwort auch aus. Ein Bein sollte jeder Leistungssportler durchstrecken können, also kann es nicht das Fuß- oder Kniegelenk bei dieser Sache sein. Bleibt noch die Hüfte, aber diese wird in eure natürlich Richtung gebeugt und auch nicht soweit und stark, dass das Bein von Tori dazwischen die Hüfte "aufbiegen" könnte, also ist hier auch kein Hebel möglich. Wo ist also der Leglock, ich finde ihn nicht. Das hektische Abklopfen bei dieser Technik habe ich bisher auch nur bei Männern gesehen, könnte es also ein Beweglichkeitsproblem sein? Zu viel Kniebeuge, zu wenig Dehnung bei den Spitzenathleten, so dass die hintere Faszienkette schmerzhaft überstreckt wird? Jeder der schon einmal stark passiv gedehnt wurde, kennt den Schmerz, vor dem man unbedingt fliehen möchte. Sollte diese Erklärung der Realität entsprechen, wäre das Verbot aber noch weniger erklärbar. Ist man in Tachi-waza nicht beweglich genug, fällt man bspw. auf Uchi-mata. Ist man in Ne-waza nicht beweglich genug, dann kommt man bspw. aus einer Festhalte nicht raus, oder muss eben bei starker Dehnung aufgeben. Warum sollte der Nachteil in Tachi-waza komplett ausgenutzt werden können und im Boden nur teilweise?
Ich habe auch schon andere Erklärungen für das Verbot gehört, allerdings nicht von Seiten der IJF und auch nicht so schlüssig, dass diese auch für Hebel gelten würden.
Damit kommen wir auch zu deinem anderen Punkt
nur-wazaari, nämlich die fehlende Vision im Regelwerk. Dieses wirkt immer mehr wie ein Flickenteppich bei dem, wie du schreibst, auf einzelne ungewünschte Situationen schnell ein Verbot ausgesprochen wird. Dies ist allgemein die Antwort der Kampfrichterkommission, besser der Expertenkommission, der IJF: Verbote. So fehlt zwischen allen Verboten eine Idee, wie sich ein gewünschtes Schaubild entwickeln könnte, ohne das Regelwerk immer dicker zu machen. Am Beispiel des Griffkampfes hat man eine Idee aber eigentlich ganz gut umgesetzt. Jeder "normale Griff" bei dem eine Hand rechts und die andere links am Kimono des Gegners natürlich fasst, ist unbeschränkt erlaubt, jeder andere Griff ist zum Angreifen und für aktives Judo gestattet, für passives Judo verboten. Ein etwas längerer Satz und alles ist soweit erklärt. Natürlich kann man da noch mehr ins Detail gehen, aber die Idee für die Kumi-kata ist klar. Allerdings sehe ich solche Ideen im Regelwerk eher selten.
Die Vereinheitlichung zu einem einzigen regelkonformen Stil sehe ich persönlich weniger gefährlich, gegen Ende als noch alles erlaubt war, sahen die Kämpfe der Kadetten bis hoch in Schwergewicht alle gleich aus, wir waren also schon einmal an diesem Punkt der Entwicklung und zumindest das hat sich gebessert.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑06.02.2018, 18:28
Diese Linie wird von den Sportlern, Aktiven, Trainern und Kampfrichtern (ich formuliere tatsächlich pauschal) so nicht geteilt; nicht zuletzt, weil die ständigen Änderungen genau genommener eine rote Schlangenlinie darstellen und keiner beruhigenden Konstanz unterliegen.
Ein Problem hierbei, dass die Regeln mittlerweile von ehemaligen hohen Kampfrichtern, Kämpfern und Trainern gemacht werden, denen ich allen unterstelle, wesentlich mehr Ahnung vom Wettkampfjudo zu haben als der Durchschnittsjudoka und erst recht als ich.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑06.02.2018, 18:28
Auf Abstraktes sollte meinerseits Konkretes folgen. Dabei weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll...die meisten Dinge wurden ja schon verlautbart und hier besprochen. Aktuell besonders fragwürdig finde ich tatsächlich die völligen Ausführungsverbote von Würgen und Hebeln im Stand. Das konnte auf dem Seminar niemand allein mit bloßer Verletzungsgefährlichkeit plausibel begründen, ebenso wenig wie das Strecken des Beines beim Würgen.
Die Argumentation zu Hebel und Würgen im Stand von Daniel Lascau war, dass deutlich werden soll, dass Judo ein Sport ist, in dem man im Stand durch Würfe gewinnen kann und im Boden durch Hebel, Würgen und Festhalten. Dass gerade der eingesprungene Ude-hishigi-juji-gatame sich auch bei Laien sehr großer Beliebtheit erfreut hat und der Hebel dort auch erst völlig am Boden passiert, interessiert dann allerdings wieder niemand und ist zum einen in sich unlogisch und spricht auch gegen das Popularitätsargument unter dem die neuen Regeländerungen ja immer verkauft werden.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑06.02.2018, 18:28Daneben finde ich, wie schon angesprochen wurde, die Addierung der Waza-ari nicht besonders glücklich. Mir ist nach dem letzten Kari-LG klar, dass tatsächlich zwei sehr kleine technisch bewertbare Erfolge nun zum Sieg führen können. Oder schon eine bessere, gerollte Technik den vorzeitigen Sieg bringt. Die Griffvielfalt ist daneben und faktisch merklich eingeschränkt.
Das sehen die französischen Experten ja ähnlich und auch sehr viele in Deutschland schütteln den Kopf darüber, dass zwei Koka zum Sieg ausreichen. Ein Hauptziel wird die IJF mit dieser Regeländerung allerdings erreichen: Die Kämpfe sowie die Großveranstaltungen werden kürzer.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑06.02.2018, 18:28
Genug herumgeseiert, nun kann ich mir ein technisch-taktisches Konzept ausdenken, welches die Änderungen berücksichtigt und möglichst wenig anfällig a) für kleine Wertungen-, b) für Strafen ist und c) in der Summe auch noch möglichst angriffsbasiert ist. Es fallen dabei viele Techniken und taktische Varianten in der Kumi-kata und auch ganzheitlich in der Kampfstrategie (es gibt m.M.n. einen großen Unterschied zwischen Strategie und Technik-Taktik) weg, welche ich einst erlernen durfte. Positiv ist dabei, dass man judo-gedanklich beweglich und kreativ bleiben muss.
Gerade dein letzter Satz ist wichtig. Judo bietet immer noch genug Möglichkeiten und gerade im technischen Bereich sind seit den vielen Verboten viele Wege wiederentdeckt wurden und der Bereich Kumi-kata ist nicht weniger spannend oder konzeptionell geworden. Alle Konzepte, die ich früher gelernt habe, sind immer noch anwendbar, auch wenn einige Techniken rausfallen, aber das Judo-Methodikproblem Konzepte gegen Techniken möchte ich hier nicht aufmachen.
edit:
Uwe 23 hat geschrieben: ↑07.02.2018, 10:33
Bitte um Übersetzung. Englisch ist ja ok, ist inzwischen als Allgemeinbildung zu bezeichnen, aber bei Französisch ist der Kreis doch deutlich kleiner, der es ausreichend beherrscht.
caesar hat geschrieben: ↑07.02.2018, 08:17
Dass Deutschland diesen Schritt nicht geht, nachdem man unter fragwürdigen Umständen einen Grand Slam bekommen hat und daher sicherlich nicht in Ungnade fallen möchte, ist aber auch verständlich.
Welche Umstände? So etwas sollte man hier doch besser weg lassen, wenn da nichts konkretes gibt. Und selbst dann arten solche Diskussionen hier leider oft aus und werden dann vom Admin gestoppt.
nur_wazaari hat dir schon einen Teil übersetzt, ansonsten bietet auch google translate einen recht brauchbare Übersetzung des Textes. Wenn noch mehr Bedarf besteht und noch mehr Bedarf besteht, übersetze ich den Text aber noch.
Zur European Club Championship in Wuppertal hieß es dann auf einmal im Buschfunk, dass Düsseldorf doch kein Grand Slam wird, da die TV-Vermarktung die Voraussetzungen für einen Grand Slam nicht erfüllt. Meines Wissens nach, ich habe die genaue Auflistung der Voraussetzungen jetzt nicht gefunden, sollten diese mit der jetzt stattfindenden Sport1-Übertragung (eine Möglichkeit, die ich sehr gut finde, wenn meine übliche Kritik am Judo-TV-Format hier wohl auch wieder zutreffen wird) auch nicht erfüllt sein.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑07.02.2018, 11:25
Nein, in der Theorie wird wohl niemand gehindert. Allerdings möchte man die allgemeine Verwirrung nicht noch größer gestalten, indem auf jeder Ebene andere
Regelwerke herrschen (von Jugendregeln mal abgesehen). Das ist zum einen verständlich, zum anderen sehe auch ich eine gewisse Notwendigkeit der Abgrenzung von einigen IJF-Regeln. Zumindest im Training und wenn man die technische Vielfalt erhalten möchte. Es ist auch fraglich, ob ein Angebot der Alternativen als Wettkampfvariante sich tatsächlich etablieren würde.
Mit einem immer weiter wachsendem Ü30-Wettkampfbereich und der ebenso wachsenden Unzufriedenheit in diesem Bereich über die immer neuen Regeländerungen denke ich, dass so ein Konzept durchaus Potenzial hätte. Soweit ich weiß, gab es bei den Thüringer Meisterschaften Ü30 wohl eine Art Pilotprojekt mit einer Anmeldung zu einer Klasse mit teilweise alten Regeln, welche ganz gut angenommen wurde.
nur_wazaari hat geschrieben: ↑07.02.2018, 11:25
Zustimmung. Aber es ist natürlich klar, dass die IJF gerne auf jeder Ebene ihr Regelwerk angewendet sehen würde, allein schon um ihre Reichweite zu erhöhen.
Ob die Herren merken, dass wirklich viele Judoka nicht glücklich mit ihrer Politik sind? Interessiert sie das überhaupt? Zumindest wirkt es so, als würden sie
sich Kritik zumindest anhören, wenn man die Pressekonferenzen anschaut. Die Antworten und Argumente sind allerdings meistens unbefriedigend.
Relativ wahrscheinlich interessiert es sie nicht, da die Zahlen, die die IJF Jahr für Jahr vorlegt und die niemand wirklich nachprüfen kann für ein immer größeres Wachstum der Vermarktung und der wirtschaflichen Kraft hinweist. Man sollte nicht immer von Deutschland ausgehen, wenn es um die weltweite Vermarktung geht. Die Zahlen sind meines Wissens nach allerdings nicht transparent ausgelegt.