anbei ein Zeitungsartikel der für die Deutsche-Jūdō-Geschichte von großer Bedeutung ist:
Der Jiu-Jitsu-Weltmeister in Berlin
Deutsches und japanisches Jiu-Jitsu
Der Weltmeister im Jiu-Jitsu, Professor H. Aida [1] (Japan) ist auf einer Studienreise durch die Jiu-Jitsu treibenden Länder der Erde, die er im Auftrage des japanischen Ministeriums unternimmt, zu einem kurzen Aufenthalt in Berlin eingetroffen. Der Weltmeister wird am 20. Juli d.J. [1928], 20 Uhr, im Lehrervereinshaus an einem Kampfabend des Deutschen Jiu-Jitsu-Clubs e.V. im Kampf mit verschiedenen Berliner Meistern sowie dem deutschen Meister Glasenapp [2] (D.J.J.C.) modernes japanisches Jiu-Jitsu vorführen.
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Während der Jiu-Jitsu-Sport in Deutschland im Verhältnis zu anderen Sportarten nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Anhängern besitzt, ist Jiu-Jitsu in Japan der Sport der breiten Masse. Für die Ausbildung in dem japanischen Nationalsport bestehen eine ganze Anzahl von Hochschulen, deren größte der Kodokwan [3] in Tokio ist. Die ständige Besucherzahl dieser Schule allein beträgt ca. 40.000, eine für unsere Begriffe geradezu phantastische Ziffer. Neben dem Kodokwan besteht in Tokio und allen größeren Städten noch eine ganze Reihe dieser Schulen, so dass die Zahl von 100.000 ständigen Schülern nicht zu hoch gegriffen ist. Jährlich zweimal finden in Gegenwart des Kaisers und der Vertreter der Behörden öffentliche Wettkämpfe statt. Die Sieger erhalten den Titel eines Meisters. Die Meistertitel selbst werden in verschiedenen Graden verliehen. Die Erreichung des nächsthöheren Grades ist nur durch mindestens zwei Siege über Meister derselben Leistungsklasse möglich. Der Weltmeister Prof. Aida erreichte den Meistertitel des 6. Grades [4].
Die japanische Technik im Jiu-Jitsu weicht von der deutschen erheblich ab. Die Japaner betrachten diesen Sport als eine Kunst, bei dem durch Gewandtheit, blitzschnelles Denken und Handeln unter Vermeidung aller Härten der Gegner besiegt werden soll. Ein Kampf unter Japanern erweckt durch die federnden oder besser gesagt tänzelnden Bewegungen und eleganten Sprünge eher den Eindruck eines Spiels als eines Kampfes. Die Ausführung der Schleudergriffe, eine der stärksten Waffen, wirkt verblüffend, weil es bei der Leichtigkeit aller Bewegungen unerlässlich erscheint, wie durch eine unscheinbare Körperwendung der Gegner urplötzlich meterweit geworfen werden kann.
Im Gegensatz zu der japanischen Kampftechnik werden Jiu-Jitsu-Kämpfe in Deutschland zum Teil noch ziemlich hart ausgetragen. Eine Änderung gegenüber den Kämpfen der letzten Jahre ist jedoch unverkennbar, seitdem in letzter Zeit in den Vereinen eine Angleichung an das japanische System erstrebt wird. Über die Ursachen der deutschen Kampfesweise äußert sich der Weltmeister kurz wie folgt: Alle Bewegungen (insbesondere Beinbewegungen) werden anstatt leicht und fließend zu starr unter Aufwendung erheblicher Kraft ausgeführt. Ferner ist die Mehrzahl der Kämpfer bemüht, einige Griffe, die ihnen besonders liegen, unbedingt anzuwenden und durch Finten den Gegner in die Stellung zu bringen, in welcher der geplante Griff angebracht werden kann, anstatt von den vielen Variationen dieses Sportes Gebrauch zu machen und so in jeder Situation Herr der Lage zu bleiben.
Die Gründe für die starre Kampfesweise in Deutschland liegen darin, dass der Jiu-Jitsu-Sport erst seit einigen Jahren betrieben wird und aus dem „Jiu-Jitsu als Selbstverteidigungmittel“ entwickelt wurde, während in Japan dieser Sportzweig schon Jahrhunderte gepflegt wird. Eine Änderung hierin wäre durch eine ganze oder teilweise Übernahme der japanischen Regeln zu erreichen, in denen entsprechend dem Charakter als „Sport“ schmerzhafte Griffe nicht erlaubt sind und die dadurch auch Frauen und Kindern die Ausübung ermöglichen. Die Einstellung der Japaner zu dem sportlichen Jiu-Jitsu-Kampf kommt auch schon in dem Namen Jiu Do, d.h. Kunst des richtigen Nachgebens, der diesen Sportzweig gegeben wurde, zum Ausdruck. Es ist anzunehmen, dass die jahrhundertelange Übung in dieser Kunst auch dazu beigetragen hat, dass die Japaner überall als äußerst flinke, geschmeidige Menschen bezeichnet werden.
[1] Aida Hiko'ichi 會田彦一 (1893-1972), später 9. Dan Kōdōkan Jūdō
[2] Werner Glasenapp, Jiu-Jitsu Schüler von Erich Rahn, wandte sich später jedoch der Jūdō-Bewegung zu.
[3] Kōdōkan, 1882 von Kanō Jigorō gegründete Schule.
[4] Aida bekam den 6. Dan erst im Januar 1929 verliehen.