Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Hier geht es um die Wettkampforganisation und um Fragen zu den Wettkampfregeln
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Peter el Gaucho
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Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Peter el Gaucho »

Wenn jemand sich Schlittschuhe anzieht, damit über das Eis läuft und es schafft, 10 Minuten nicht hinzufallen, dann ist das eine tolle Leistung. Aber niemand kommt deswegen auf die Idee, dieses beobachtete Verhalten auf dem Eis als „Eiskunstlauf“ zu qualifizieren.
Im Judo ist es doch das Gleiche … oder etwa nicht? Auf regionalen Turnieren kann man die volle Bandbreite der Kampfweisen sehen. Das eine Extrem sind diejenigen, die eine ganz klare, konkrete Vorstellung haben, wie sie ihre Kampf gestalten wollen und dies auch konsequent ab der ersten Sekunde umsetzen und am Ende gewinnen. Das andere Extrem sind diejenigen, die auf den Beobachter eher orientierungslos und ideenlos wirken, den Bewegungen des Gegners folgen und sich darauf konzentrieren, nicht geworfen zu werden und am Ende verlieren.

Aber wo genau liegt die Linie zwischen diesen beiden Extremen, ab der man das Verhalten auf der Judomatte wirklich und substanziell als KÄMPFEN (immer im Sinne des Judosports!) qualifizieren würde? Ein Judoka kann doch nur dann kämpfen, wenn er das sog. WESEN DES KÄMPFENS verstanden hat … und was ist das Wesen des Kämpfens?

Das sieht so aus, als ob das eine rein theoretische Frage oder vielleicht sogar eine rein philosophische Frage ist. Nein, das ist eine ziemlich praktische und wesentliche Frage. Ein Trainer, der seinen Judoschüler auf das Judoturnier schicken will, sollte ihm vorher erklärt haben, was der Unterschied zwischen einem Herumgehoppel mit Rumgezerre und dem Kämpfen ist. Wenn nicht, dann wird der Judoka schnell im Kampf überfordert sein, erschrecken über die Härte des Gegners und eventuell Selbstzweifel bekommen. Es wäre sein letztes Turnier. Das will man als Trainer doch vermeiden … oder nicht?

Was meint ihr dazu? Welches Verhalten auf der Judomatte würdet ihr als Kämpfen qualifizieren? Was ist also das Wesen des Kämpfens? Welches Verhalten auf der Judomatte ist kein Kämpfen? …. analog dem Beispiel mit dem Schlittschuhläufer?
Zuletzt geändert von Peter el Gaucho am 06.05.2017, 01:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Peter el Gaucho
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Peter el Gaucho »

Genau mit dieser Frage habe ich mich nun eine Weile beschäftigt und bin auch zu einem konkreten Ergebnis gekommen, das ich euch gerne vorstellen und zur Diskussion geben möchte.
Ist das alles absurd, was ich nun vorstellen werde oder geht das in die richtige Richtung? Gibt es vielleicht noch weitere Punkte, die man auch berücksichtigen sollte?
Im Folgenden nun mein Ergebnis des Nachdenkens:

Der Judoka wird im Kampfgeschehen immer mit den fünf funktionellen Grundproblemen des Kämpfens konfrontiert werden. Ein Verhalten auf der Judomatte, dass als Kämpfen bezeichnet werden soll, setzt voraus, dass der Judoka diese fünf Funktionen in vollem Umfang erfüllt. Will er darüberhinaus auch einen Sieg erringen, setzt das zusätzlich voraus, dass er diese fünf Funktionen auf einem höherem Leistungsniveau erfüllt, als es sein Gegner vermag. Nur dann kann man sein Verhalten auf der Judomatte wirklich als Kämpfen (mit Erfolgsaussicht) gleichsetzen. Es sind folgende fünf Funktionen:

Anpassung (die A-Funktion):
Der Kampf im Judo ist gekennzeichnet von ständig wechselnden Situationen. Wer im Kampf nicht untergehen will, muss die Funktion erfüllen, sein eigenes Verhalten mit jedem Situationswechsel schnell zu verändern. Will der Judoka die Überlegenheit erreichen und aufrechterhalten, muss er für jede einzelne Situation ohne zeitliche Verzögerung die passenden Handlungen und Techniken auswählen und einsetzen. Das setzt Wissen, Flexibilität und praktische Erfahrung im Umgang mit typischen Situationswechseln voraus. Erfüllt der Judoka diese Funktion nicht ausreichend, entstehen bei ihm mit jedem Situationswechsel wiederholt zeitliche Momente des Nichthandelns, des Auslassens von Chancen, des Verlustes der Kontrolle über den Gegner, die vom Gegner regelmäßig ausgenutzt werden für überraschende Angriffsaktionen. Die mangelnde Anpassung an Situationswechsel ist ein typischer Mangel auch in anderen Sportarten, z.B. im Fußball. Im Straßenkampf kann das zur Folge des Todes oder der schweren Verletzungen führen.

Zielgerichtetheit (die Z-Funktion):
Strategien und Taktiken geben den Handlungen im Kampf eine Orientierung (Handlungsrahmen) bezogen auf ein anzustrebendes Ziel bzw. Ergebnis. Die Erfüllung der Funktion „Zielgerichtetheit“ bedeutet Strategien und Taktiken zu kennen, zu trainieren und im Kampf einzusetzen.
Der Judoka fokussiert sich mit der ausgewählten Strategie auf eine bestimmte Leistung, mit der er seinem Gegner deutlich überlegen ist, um den Kampf zu gewinnen. Diese ausgewählte Strategie darf für den Gegner nicht vorhersehbar und nicht berechenbar sein. Der Judoka sollte seine Strategie innerhalb des Kampfes wechseln oder Strategien miteinander kombinieren (Hybridstrategie) können, um für seinen Gegner unberechenbar und gefährlich zu sein.
Der Judoka besitzt mit taktischen Lösungen eine konkrete Anleitung, wie er sich in einer Standardsituation gegenüber seinen Gegner durchsetzen kann mit dem Ziel, aus jeder sich ergebenden Standardsituation heraus direkt zu einem Sieg zu kommen. Auf diese Weise erfolgt eine Ökonomisierung des Bewegungs- und Krafteinsatzes, die kombiniert wird mit einer geistigen Zielstrebigkeit und Kaltschnäuzigkeit des Wettkämpfers. Es ist ein Judoka mit einem sog. „Killerinstinkt“. Im Kampf kann der Judoka nicht darauf warten, dass irgendwann eine ihm angenehme Situation entsteht. Der Judoka muss in jeder sich ihm bietenden Situation sofort auf einen Angriff umschalten können, um eine finale Technik durchzusetzen, die zum Sieg führt.
Judokas, die diese Funktion nicht erfüllen, sind leicht zu erkennen. Sie bewegen viel ihren Arme und Beine, aber entfalten keinerlei ernsthafte Wirkung am gegnerischen Körper. Dem Zuschauer erscheinen sie als orientierungslos, einfallslos und willenslos im Kampf. Dieses Verhalten im Judokampf hat mit dem Wesen des Kämpfens nichts zu tun.

Regelkonformität (die R-Funktion):
Nicht alles, was in einem Kampf zweier Menschen möglich ist, ist in einem Judokampf erlaubt. Die Wettkampfregeln konkretisieren den Rahmen, innerhalb dessen die beiden Akteure handeln dürfen. Die Wettkampfregeln benennen diesen Rahmen des Kampfverhaltens und die Kampfrichter setzen diesen Rahmen gegenüber den Wettkämpfern durch. Es ist wie ein Zusammenspiel von Rechtssystem und Justiz.
Die Teilnahme am Wettkampf setzt voraus, dass der Judoka die Funktion der „Regelkonformität“ vollständig erfüllt. Er muss wissen, welche Handlungen und Techniken erlaubt und verboten sind. Nur so kann er einen Sieg erringen als auch eine Niederlage durch Bestrafung vermeiden. Je schlechter er diese Funktion erfüllt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit den Kampf durch unwissentliche Regelverstöße zu verlieren, was regelmäßig vorkommt. Die ganz hohe Kunst dieser Funktion besteht darin, sich in den Kampfhandlungen wissentlich noch am Rande des Erlaubten zu bewegen (z.B. reglementierte Griffe), den Gegner zu Regelverstößen planmäßig zu verleiten (z.B. Verlassen der Kampfzone) und auch tendenzielles Kampfrichterverhalten zu provozieren (z.B. Mehrfachbestrafung der Passivität).

Effektivität und Effizienz (die EE-Funktion):
Beim Kämpfen im Judo geht es darum, die Überlegenheit technischer Prinzipien über die menschliche Kraft zu demonstrieren. Der Judoka muss die Funktion ausführen, seine Kampfhandlungen effektiv und effizient zu gestalten, damit dies Judo und nicht Straßenkampf ist.
Effektiv bedeutet, dass der Judoka im Kampf nur diejenigen Techniken und Handlungen auswählt, die bezogen auf seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten und den Eigenschaften seines Gegners, grundsätzlich geeignet sind das angestrebte Ziel zu erreichen („die richtigen Dinge tun“). Effizient bedeutet, diese ausgewählten Techniken und Handlungen nun mit nur so wenig Kraft auszuführen wie es erforderlich ist, das Ziel zu erreichen. Nicht zu viel und nicht zu wenig („die Dinge richtig tun“).
Jigoro Kano nennt diese Vorgehensweise „Seiryoku-zenyo“. Dieses Oberprinzip wurde weiter konkretisiert mit vielen Unterprinzipien, die der Judoka im Kampf umsetzen soll. Das sind z.B. aufrechte Körperhaltung (Shizentai-no-ri), Brechen des Gleichgewichtes (Kuzushi-no-ri), Flexibilität und Geschmeidigkeit (Ju-no-ri), Prinzipien richtigen Bewegens (Shintai und Tai-sabaki), richtiger Abstand zum Gegner (Maai-no-ri) und die drei Angriffsinitiativen (Mitsu-no-sen). Seiryoku-zenyo bedeutet auch, dass der Judoka die Techniken nicht in der Standardform anwendet. Es geht darum die Ausführungsweise einer Technik optimal an die konkreten geistigen und körperlichen Eigenschaften der eigenen Person anzupassen, damit diese Person in die Lage versetzt wird, mit einem Minimum an Kraft- und Energieaufwand einen kraftvollen Gegner besiegen zu können.
Das Kämpfen mit extrem kraftvollen Griffen, erstarrten Armen, abgebeugten Körpern und wenig Bewegung ist das Gegenteil dieser beschriebenen Funktion.

Physische und psychische Ressourcen (die PP-Funktion):
Der Judoka muss, um die Handlung des Kämpfens aufrecht zu erhalten, alle geistigen und körperlichen Ressourcen sowohl mobilisieren (Produktion) als auch optimal allen Kampfmomenten zur Verfügung stellen (Allokation). Viele Gegner sind schnell überfordert und geraten in die Defensive, wenn sie auf einen Judoka treffen, der ab der ersten Sekunde im Kampf mit einer sehr hoher Willensstärke kämpft. Wer die höhere Willensstärke zeigt übernimmt schnell die Führung, gestaltet die Kampfsituationen und führt die Würfe mit voller Wirkung durch. Bei der Durchsetzung des eigenen Willens spielen sowohl die physische Verfassung (Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Wachheit, körperliche Flexibilität und Koordination) als auch die psychische Verfassung (Siegeswille, Aufmerksamkeit, Konzentration, Nervösität, Entscheidungsfindungsfähigkeit, Risikobereitschaft) eine entscheidende Rolle. Die eigene Mobilisierung der geistigen und körperlichen Ressourcen muss sowohl auf einem höheren Niveau erfolgen (Produktion) als auch diese viel geschickter verteilen (Allokation) auf die einzelnen Kampfaktionen (nur so viel wie nötig ist) als es der Gegner kann. Nur so sind Geist und Körper während der gesamten Kampfzeit wirksam tätig, ohne sich weder zu verausgaben noch unterhalb des persönlichen Leistungsniveaus zu arbeiten. Jede einzelne Wurftechniken und Konteraktion muss auf einem physischen und psychischen Leistungsniveau von 100% ausgeführt werden, um sie gegen großen Widerstand durchsetzen zu können. Alle nur halbherzigen, verlangsamten oder unkoordinierten Wurfangriffe werden scheitern und man gerät schnell in eine Situation, die der Gegner für einen Konterwurf ausnutzt. Die persönliche Einstellung für den Kampfeinsatz lautet folglich: „Go hard or go home!“
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Patrick-Oliver
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Patrick-Oliver »

Sehr interessantes Thema!
Aktuell kann ich nur nichts sinnvolles beitragen und drücke erst einmal nur den nicht vorhandenen "Mag ich"-Button.
HBt.
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Der Leistungssport, ein Ziel ...

Beitrag von HBt. »

Hallo "Peter el Gaucho"!

Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, ein Leistungszentrum (eine Kaderschmiede) zu besuchen und Trainer sowie international erfolgreiche Sportler (unabhängig von der Disziplin, dann können wir nämlich einmal den Begriff "Kampf" und "kämpfen" streichen) zu interviewen ... vielleicht eine Zeitlang zu begleiten, auch Hospitation.

Wenn Du korrekte Antworten auf Deine Fragen (und Thesen) suchst, findest Du sie dort.

LG,
HBt.

PS Kampf, Krieg, siegen (Gewinn?), verlieren (Verlust!) ---> verdinge Dich als Legionär ;-)
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Peter el Gaucho
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Peter el Gaucho »

Vielen Dank Patrick-Oliver,
für dein freundliches Feedback. Es ist schon mal ein gutes Ergebnis, dass wenigstens einer dieses Thema interessant findet. Dass du nicht sofort etwas sagen kannst, ist der Sache völlig angemessen. Das, was ich vorgestellt habe, konnte ich auch nicht in 15 Minuten entwickeln. Es war eine Arbeit von vielen Monaten des Beobachtens, des Analysierens und des Nachdenkens.
Wir Judoka beschäftigen uns jede Woche, von Training zu Training, mit dem Thema „Kämpfen im Judosport“, aber das mal mit Worten konkret zu fassen, das ist in der Tat recht schwierig.
Nicht jeden Judoka muss das interessieren, aber diejenigen, die sich für Wettkampf interessieren, sollte das ein Thema sein.
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Peter el Gaucho
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Peter el Gaucho »

Vielen Dank HBt,
für deine Tipps. Sehr gerne gebe ich dir eine Rückmeldung.

In der Tat hatte ich mich bereits per E-Mail an etliche deutsche Judoka, die auf internationalem Niveau kämpfen, gewandt und sie freundlich gefragt, ob sie Interessen an einem kleinen, kurzen Erfahrungsaustausch zum gegenseitigen Nutzen hätten. Leider war kein einziger Judoka daran interessiert. Schade eigentlich.

Gute Idee mit den anderen Sportarten. Das, was ich geschrieben habe, ist auch das Ergebnis der Beobachtung von vielen Fußballspielen der Bundesliga und der Champions League. Ganz besonders gut habe ich zugehört, was die Trainer in der Pressekonferenzen so sagten, warum ihr Team heute verloren hatte. Es war sehr erstaunlich, wieviele Parallelen es zwischen einem Judokampf und einem Fußballspiel gibt.

Auch eine gute Idee von dir mal als Legionär für eine Weile in die französische Fremdenlegion einzutreten. Allerdings werden sie mich ziemlich schnell rausschmeißen, wenn ich meinen Vorgesetzten, was erzähle von den Judoprinzipen „aufrechte Körperhaltung“ „Tai-sabaki“, etc. etc., die ich in der Legion und auf dem Schlachtfeld umsetzen möchte. Und Kanos die Völker verbindende Prinzip des Jita-kyoei brauche ich in einer Krieg führenden Armee sowieso nicht thematisieren. Ich bin dann schneller draußen, als ich herein kam.

Aber zum Glück geht es hier nur um eine friedliebende Sportart und nicht um Krieg. Eine Freizeitbeschäftigung, die der Gesundheit und der Freundschaft zwischen den Menschen dient.
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Jupp »

Ein Verhalten auf der Judomatte, dass als Kämpfen bezeichnet werden soll, setzt voraus, dass der Judoka diese fünf Funktionen in vollem Umfang erfüllt. (Kein Judoka ist in der Lage, alle Parameter in vollem Umfang zu erfüllen) Will er darüberhinaus auch einen Sieg erringen, setzt das zusätzlich voraus, dass er diese fünf Funktionen auf einem höherem Leistungsniveau erfüllt, als es sein Gegner vermag. (Auch das ist nicht richtig, es genügt, wenn er im richtigen Augenblick eine der fünf Funktionen besser einsetzt als der Gegner, um einen Ippon zu erzielen.) Nur dann kann man sein Verhalten auf der Judomatte wirklich als Kämpfen (mit Erfolgsaussicht) gleichsetzen. (Kämpfen ist eine körperliche Auseinandersetzung mit einem Gegner –und auch mit sich selbst – mit dem Ziel den Sieg zu erringen – oder aber siegfähige Eigenschaften zu entwickeln)


1. Wer im Kampf nicht untergehen will, muss die Funktion erfüllen, sein eigenes Verhalten mit jedem Situationswechsel schnell zu verändern. Will der Judoka die Überlegenheit erreichen und aufrechterhalten, muss er für jede einzelne Situation ohne zeitliche Verzögerung die passenden Handlungen und Techniken auswählen und einsetzen. (Nein, es genügt eben oft, seine Strategie unbeirrt weiter zu verfolgen, bis sich im „Kampfprofil“ des Gegner die Lücke zeigt, auf die man gewartet hat oder aber das eigene technisch-taktische Verhalten den Gegner gezwungen hat, eine Lücke zu zeigen, auf die man gewartet hat.)


2. Der Judoka fokussiert sich mit der ausgewählten Strategie auf eine bestimmte Leistung, mit der er seinem Gegner deutlich überlegen ist, um den Kampf zu gewinnen (vielleicht muss man gar nicht tatsächlich überlegen sein – es muss dem Gegner nur so erscheinen!). Diese ausgewählte Strategie darf für den Gegner nicht vorhersehbar und nicht berechenbar sein (Normalerweise sind ab einem bestimmten Niveau die technisch-taktischen Möglichkeiten der Gegner untereinander bekannt – dann geht es darum, seine Möglichkeiten am besten gegen die ermittelten Schwächen des Gegners einzusetzen, nach dem Motto: „Man gewinnt mit seinen Stärken, man verliert mit seinen Schwächen!“). Der Judoka sollte seine Strategie innerhalb des Kampfes wechseln oder Strategien miteinander kombinieren (Hybridstrategie) können, um für seinen Gegner unberechenbar und gefährlich zu sein.
Der Judoka besitzt mit taktischen Lösungen eine konkrete Anleitung, wie er sich in einer Standardsituation gegenüber seinen Gegner durchsetzen kann mit dem Ziel, aus jeder sich ergebenden Standardsituation heraus direkt zu einem Sieg zu kommen (es gibt keinen Judoka, der in der Lage ist, jede sich ergebende Standardsituation zu nutzen – außerdem müssten wir diskutieren, was „Standardsituationen“ überhaupt sind.). Auf diese Weise erfolgt eine Ökonomisierung des Bewegungs- und Krafteinsatzes, die kombiniert wird mit einer geistigen Zielstrebigkeit und Kaltschnäuzigkeit des Wettkämpfers. Es ist ein Judoka mit einem sog. „Killerinstinkt“. Im Kampf kann der Judoka nicht darauf warten, dass irgendwann eine ihm angenehme Situation entsteht (Doch! Genau darum geht es! Da kein Judoka auf der Welt ALLES weiß und kann, muss er sich auf ausgewählte, ihm passende technisch-taktische Situationen besonders einstellen, die er zu nutzen versucht oder die er - durch bestimmte technisch-taktische Handlungen herzustellen versucht! Gute Judoka siegen mit ihren stärksten „Waffen“ in den Situationen, die sie besonders gut kennen.). Der Judoka muss in jeder sich ihm bietenden Situation sofort auf einen Angriff umschalten können, um eine finale Technik durchzusetzen, die zum Sieg führt.

3. Die Teilnahme am Wettkampf setzt voraus, dass der Judoka die Funktion der „Regelkonformität“ vollständig erfüllt. Er muss wissen, welche Handlungen und Techniken erlaubt und verboten sind. (Das stimmt, er muss aber auch wissen –und üben – wie er die Regeln so umgehen kann, dass er nicht bestraft wird und doch für aus seinen (verbotenen) Handlungen einen siegbringenden Vorteil erzielt. Spitzenjudoka sind oft auch Spitze darin, ihre Regelverstöße - vor allem beim Griffkampf – auch geschickt zu verbergen.) Nur so kann er einen Sieg erringen als auch eine Niederlage durch Bestrafung vermeiden. Je schlechter er diese Funktion erfüllt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit den Kampf durch unwissentliche Regelverstöße zu verlieren, was regelmäßig vorkommt (aber nicht in der internationalen Spitze!) . Die ganz hohe Kunst dieser Funktion besteht darin, sich in den Kampfhandlungen wissentlich noch am Rande des Erlaubten zu bewegen (z.B. reglementierte Griffe), den Gegner zu Regelverstößen planmäßig zu verleiten (z.B. Verlassen der Kampfzone) und auch tendenzielles Kampfrichterverhalten zu provozieren (z.B. Mehrfachbestrafung der Passivität).

4. Effektiv bedeutet, dass der Judoka im Kampf nur diejenigen Techniken und Handlungen auswählt, die bezogen auf seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten und den Eigenschaften seines Gegners, grundsätzlich geeignet sind das angestrebte Ziel zu erreichen („die richtigen Dinge tun“). (JA, das stimmt vollkommen!) Effizient bedeutet, diese ausgewählten Techniken und Handlungen nun mit nur so wenig Kraft auszuführen, wie es erforderlich ist, das Ziel zu erreichen. Nicht zu viel und nicht zu wenig („die Dinge richtig tun“). (Aber das ist nun faktisch unmöglich! Die Dinge müssen immer so gemacht werden, dass sie funktionieren, einen Ippon ergeben bzw. zum Sieg führen. Kein Gegner der internationalen Spitzenklasse kann mit einem Minimum an Kraft- und Energieaufwand besiegt werden - diese Vorstellung ist eine völlig falsche Interpretation des Kanoschen Prinzips. Richtig ist, dass der scheinbar schwächere den scheinbar überlegenen Gegner durch den richtigen Einsatz der Judotechniken besiegen kann, aber niemals mit einem Minimum an Kraft sondern immer mit dem dafür notwendigen Krafteinsatz!)

Es geht darum die Ausführungsweise einer Technik optimal an die konkreten geistigen und körperlichen Eigenschaften der eigenen Person anzupassen, damit diese Person in die Lage versetzt wird, mit einem Minimum an Kraft- und Energieaufwand einen kraftvollen Gegner besiegen zu können.
Das Kämpfen mit extrem kraftvollen Griffen, erstarrten Armen, abgebeugten Körpern und wenig Bewegung ist das Gegenteil dieser beschriebenen Funktion. (...und führt trotzdem bei entsprechend ausgebildeten Athleten zum Erfolg!)


5. Der Judoka muss, um die Handlung des Kämpfens aufrecht zu erhalten, alle geistigen und körperlichen Ressourcen sowohl mobilisieren (Produktion) als auch optimal allen Kampfmomenten zur Verfügung stellen (Allokation).

Die eigene Mobilisierung der geistigen und körperlichen Ressourcen muss sowohl auf einem höheren Niveau erfolgen (Produktion) als auch diese viel geschickter verteilen (Allokation) auf die einzelnen Kampfaktionen (nur so viel wie nötig ist) als es der Gegner kann. (Nein! Oft ist es ein Wechselspiel von Erfolgen und Misserfolgen, der Kampf geht hin und her und wird durch einen kleinen Fehler eines der Kämpfer entschieden.) Nur so sind Geist und Körper während der gesamten Kampfzeit wirksam tätig, ohne sich weder zu verausgaben noch unterhalb des persönlichen Leistungsniveaus zu arbeiten. Jede einzelne Wurftechniken und Konteraktion muss auf einem physischen und psychischen Leistungsniveau von 100% ausgeführt werden, um sie gegen großen Widerstand durchsetzen zu können. (Ach - jetzt plötzlich mit 100% - vorhin war es doch mit einem Minimum an Kraft- und Energieaufwand – was stimmt denn nun?)

Die persönliche Einstellung für den Kampfeinsatz lautet folglich: „Go hard or go home!“ (Mir gefällt die vorherige Erläuterung besser, weil ich sie für richtig und dem Judo für angemessen halte: Nicht zu viel und nicht zu wenig („die Dinge richtig tun“).

Lieber Peter el Gaucho,

Du hast Dir viele Gedanken gemacht, Kämpfen zu definieren und in seinen Aspekten zu verdeutlichen. Manchmal bist Du über das Ziel hinaus geschossen – da habe ich meine Gedanken dagegen gesetzt.

Insgesamt glaube ich, dass Deine Maximalforderungen kaum von einem Judoka auf der Welt erfüllt werden können – kämpft dann keiner von Ihnen?

Kämpfen ist nicht nur eine Verhaltensweise, die es im Judo gibt – ein Freund von mir spricht im Judo von geregeltem Kämpfen, was Du ja auch herausstellst. Es realisiert sich im Kleinen (z.B. im ungeregelten „Raufen“ der jungen Judo-Kids oder Mannschaftskämpfen in der Übungsgruppe) durchaus wie auch im Großen (bei Meisterschaften auf nationalem und internationalem Niveau) – allerdings durchaus gut und zufriedenstellend, ohne dass die von Dir angelegten Maßstäbe „dieser fünf Funktionen in vollem Umfang erfüllt“ werden.



Jupp
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Peter el Gaucho
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Peter el Gaucho »

Lieber Jupp,

ich danke dir sehr für dein tolles persönliches Feedback, dass sowohl judofachlich als auch von den vielen Erfahrungen im Wettkampf her sehr erfreulich ist.
Ich werde mich mit allen deinen Punkten intensiv auseinandersetzen, um die Dinge besser zu machen. Das nicht allein nur inhaltlich, sondern auch bezüglich des Verhältnisses zwischen „idealem Verhalten“ und „tatsächlich realen Erfordernissen“. Das muss wirklich stärker berücksichtigt werden!! Nicht alles was ideal ist, wird tatsächlich auch gebraucht.
An manchen deiner Punkten konnte ich außerdem erkennen, dass meine ausgewählten Worte nicht das 100% ausgedrückt haben, was ich innerlich inhaltlich gedacht habe. So entstehen inhaltliche Probleme in der Kommunikation. Auch darum ist ein Feedback so wichtig, um diese kommunikativen Missverständnisse aufzudecken und zu beseitigen. Der Text war meine allererste Formulierung und nichts in der Welt beginnt sofort perfekt. Muss auch nicht.
Und ein Punkt war wirklich etwas unlogisch formuliert und genau diesen Punkt hast du auch treffsicher entdeckt und markiert. Das ist auch gut so.

Vielen, vielen Dank!
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HBt.
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Wettstreit ---> kämpfen, Kampf

Beitrag von HBt. »

Lieber 'Jupp',
könntest Du bitte die Zitatfunktion benutzen ... es verbessert ungemein die Lesbarkeit Deines Beitrages und zeigt eben Deine Einlassungen, auf die sich andere vielleicht beziehen wollen
oder einfach nur verstehen.

Danke,
HBt.

Ps
Du hast viel geschrieben (ebenso wie 'Peter el Gaucho'), Text, aber nur wenig Informationen transportiert ---> strebt gegen Null.

Trotzdem,
ein interessanter Faden - und ich bin der Meinung, wir könn(t)en Peters Punkte gerne diskutieren und weiter erörtern ...
HBt.
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andere Disziplin wählen

Beitrag von HBt. »

Lieber 'Peter',

Du interessierst Dich offensichtlich für den 'Leistungssport' *, den messbaren Erfolg und eben "alles was dazu führt (bedingt!)" : das WIE, WAS, WOMIT, WODURCH ... etc. pp.

Interessant! Ich finde es gut das Du diesen Faden initierst und Deine Gedanken mitteilst. Wie kann es jetzt weitergehen? ohne Binsenweisheiten vom Stapel zu lassen?.
Mein Vorschlag:
- trenne Dich vorläufig von unserer Disziplin, dem Judosport
- unterscheide zwischen Mannschaftssport und eben dem Einzelsport, ist der Begriff Einzelsport richtig???

benutze die korrekten Termini.

- sichte Literatur
- besuche einen Stützpunkt

- begleite einen Spitzensportler
oder
suche Dir eine bekannte Persönlichkeit der Vergangenheit, z.B. Michael Groß, Greg Louganis ...







- fertige ein Dossier an

- schließe ein Sportstudium oder eine andere Ausbildung ab.


LG,
HBt.



* bitte den Kontext definieren / deklarieren
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Fritz
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Fritz »

Jupp hat geschrieben: 08.05.2017, 22:45 (Nein, es genügt eben oft, seine Strategie unbeirrt weiter zu verfolgen, bis sich im „Kampfprofil“ des Gegner die Lücke zeigt, auf die man gewartet hat oder aber das eigene technisch-taktische Verhalten den Gegner gezwungen hat, eine Lücke zu zeigen, auf die man gewartet hat.)
Jupp hat geschrieben: 08.05.2017, 22:45 (Doch! Genau darum geht es! Da kein Judoka auf der Welt ALLES weiß und kann, muss er sich auf ausgewählte, ihm passende technisch-taktische Situationen besonders einstellen, die er zu nutzen versucht oder die er - durch bestimmte technisch-taktische Handlungen herzustellen versucht! Gute Judoka siegen mit ihren stärksten „Waffen“ in den Situationen, die sie besonders gut kennen.)
Irgendwie paßt da in diesem Zusammenhang Yannicks Zitat im Geschichtsunterforum wie die Faust aufs Auge:
Yannick.Schultze hat geschrieben: 08.05.2017, 19:10 Im Gegensatz zu der japanischen Kampftechnik werden Jiu-Jitsu-Kämpfe in Deutschland zum Teil noch ziemlich hart ausgetragen. Eine Änderung gegenüber den Kämpfen der letzten Jahre ist jedoch unverkennbar, seitdem in letzter Zeit in den Vereinen eine Angleichung an das japanische System erstrebt wird. Über die Ursachen der deutschen Kampfesweise äußert sich der Weltmeister kurz wie folgt: Alle Bewegungen (insbesondere Beinbewegungen) werden anstatt leicht und fließend zu starr unter Aufwendung erheblicher Kraft ausgeführt. Ferner ist die Mehrzahl der Kämpfer bemüht, einige Griffe, die ihnen besonders liegen, unbedingt anzuwenden und durch Finten den Gegner in die Stellung zu bringen, in welcher der geplante Griff angebracht werden kann, anstatt von den vielen Variationen dieses Sportes Gebrauch zu machen und so in jeder Situation Herr der Lage zu bleiben.
;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Michael Groß

Beitrag von HBt. »



@Fritz,
ist mir auch sofort aufgefallen ...


ich stelle allem einfach einmal obigen Clip und die Person Michael Groß entgegen.
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Jupp'scher Einwand

Beitrag von HBt. »

Schauen wir uns einmal an wie Herr Adams Randori spielt. Erkennen wir die oben angemerkten Punkte, finden wir sie wieder? Ja.



Ist das gut? Nein. Warum? Keine Progression ...
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Nur damit kein falscher Eindruck entsteht ...

Beitrag von HBt. »

Neil Adams in Aktion ---> wirkt altbacken, das ist es auch, aber eben typisch für Neil ... ---> etwas Motivation am Montag :D

https://vimeo.com/91527385

Anfang der 1990er Jahre fand ich Adams klasse ;-)
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nur_wazaari
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von nur_wazaari »

Das Thema ist im Hinblick auf eine Erschöpfung (im doppelten Sinn) tatsächlich sehr weitläufig.
Yannick.Schultze hat geschrieben: ↑
08.05.2017, 18:10
Im Gegensatz zu der japanischen Kampftechnik werden Jiu-Jitsu-Kämpfe in Deutschland zum Teil noch ziemlich hart ausgetragen. Eine Änderung gegenüber den Kämpfen der letzten Jahre ist jedoch unverkennbar, seitdem in letzter Zeit in den Vereinen eine Angleichung an das japanische System erstrebt wird. Über die Ursachen der deutschen Kampfesweise äußert sich der Weltmeister kurz wie folgt: Alle Bewegungen (insbesondere Beinbewegungen) werden anstatt leicht und fließend zu starr unter Aufwendung erheblicher Kraft ausgeführt. Ferner ist die Mehrzahl der Kämpfer bemüht, einige Griffe, die ihnen besonders liegen, unbedingt anzuwenden und durch Finten den Gegner in die Stellung zu bringen, in welcher der geplante Griff angebracht werden kann, anstatt von den vielen Variationen dieses Sportes Gebrauch zu machen und so in jeder Situation Herr der Lage zu bleiben.
Das stellt tatsächlich einen oft zu beobachtenden Habitus im Randori dar; natürlich dann auch beim Shiai zu sehen. Allerdings halte ich nicht die Beobachtung an sich für die Ursache, sondern eben nur für und auf das Erscheinungsbild wirkend. Die Ursachen müssen anders definiert werden. Während des Trainings lasse ich oft und gerne Randori üben und denke bei - und nach - dem Beobachten der Übenden jedes Mal wieder: Wer hat ihnen das beigebracht? Ich reflektiere auf mich und meine Judowurzeln und weiß, dass ebenso ich dieses im oberen Zitat ersichtliche Kämpfen beigebracht bekommen habe. Allerdings fand ich es schon immer unbefriedigend, einfach nur im wahrsten Sinn des Wortes die Kräfte zu messen; ebenso wenig sinnvoll ist es aber, zu Turnieren zu fahren und nicht zumindest eine Zielstellung vor Augen zu haben. Wie man aber alles anstellt, ist eben eine Frage der Methodik.

Die beschriebenen Beobachtungen halte ich nun für im Groben zutreffend. Die Ursachen liegen m.M.n. aber in erwähnter Methodik: und zwar jener, mit der Kämpfen vermittelt wird. Manchmal frage ich die Leute nach erfolgreichen oder verzweifelnd erfolglosen Situationen, was sie eigentlich im Moment des Kämpfens gedacht haben. Es ist eine Reflektion erforderlich; und zwar nicht nur der äußerlichen Situation (die Matte, der Gegner, der Kari, etc.) sondern vor allem die der inneren Sach- und Gefühlslage. Die Weisheiten mancher Meister kommen nicht umsonst immer wieder an die Oberfläche. Sie verlangen für ein Funktionieren aber allesamt Übung...und daraus ergibt er sich, der Zweck des Kämpfens, des Klausurenschreibens, des Prüfungenablegens usw.. Es ist die Übung, welche einen Fortschritt bewirkt, nicht mehr und nicht weniger. Nicht der erste Platz, nicht der Ippon, nicht die Niederlage. Sie sind bestenfalls Auslöser, Motivationsgrundlage usw. Aber die angewendete Methode bestimmt den Fortschritt und dessen Nachhaltigkeit.

Binsenweisheiten, vielleicht. Wie geht man nun mit welcher Methodik vor? Das wiederum hängt wohl von der Zielstellung für das Betreiben des Judo und auch von sportlichen-, vielleicht persönlichen Zielen und auch den Gegebenheiten ab. Judo an sich scheint eben nicht der bloße Weg, sondern eine Methode des Gehens zu sein. Der Weg liegt vor einem, das ist klar. Aber zur Dynamik des Judo passt eben das Gehen, nicht das Rennen oder Sprinten. Mit effizienten, wenigen Mitteln (Schritten) die Ziele erreichen, welche auch immer das sind. So gesehen kann sich Judo auch abseits der Tatami anwenden lassen und steht anderen mehr oder weniger modernen, auf unser industriell geprägtes Leben abgestimmten Methoden zur Erlangung geistiger Eintracht in nichts nach. Esoterisch? Keineswegs. Methodisch!

Was hat das mit Kämpfen zu tun? Streng differenzieren muss man wohl auch zwischen Wettkampferfolg und dem Kämpfen an sich. Das ergibt sich ja aus den oberen Ausführungen. Die Frage ist nicht, wie man gewinnt, sondern wie man sich entwickelt. Auf das Gewinnen allein hat man nicht allein Einfluss, auf den Fortschritt mitunter schon. Es ist ratsam, offen und flexibel zu bleiben. Das moderne Wettkampfjudo will Gewinner sehen, möchte Zuschauer animieren, möchte auch ökonomische Erfolge generieren. Dabei entfernt es sich durchaus von der eigentlichen Methodik der typischen Übungsformen im Judo. Zumindest für die Verbreitung des Judo in unserer durchindustrialisierten Welt (keine Pauschalkritik, ist halt einfach ein Umstand) ist der mehr ökonomische Weg wohl einer der effektivsten. Für die Entwicklung der Methode Judo aber scheint er leicht hindernd zu wirken; aber das müsste nicht so sein.

Nun sind die Erfolgreichen auch nicht zwingend schlechte Judoka (schlechte Techniker usw. schon gar nicht). Für einen ernsthaft geführten Kampf braucht es eine starke Physis + Technik, eine stabile Psyche und noch ein paar andere kriegerische Eigenschaften.
Ein Beispiel für die Differenzierung von Methode (Fortschritt) und Erfolg: Was ich oft meine zu beobachten, ist die Vernachlässigung der emotionalen Komponente im Kampf und die sehr starke daraus erwachsende Energie, welche gebündelt und in eine Technik eingebracht zumindest Erfolg bringen kann. Den Fortschritt erreicht man aber durch die Anwendung der Methode jener Energiebündelung an sich; z.B. die Ausführung der letzten finalen Aktion. Der Erfolg kann eintreten oder nicht. Mehrfach angewendet wird es aber auch durchaus wahrscheinlicher, dass die Übung Früchte zeigt. Auch über einen ganzen Wettkampftag lang kann man durchaus so arbeiten. Aber auch Härte kann zum Fortschritt führen; allerdings können nicht viele KämpferInnen eine Reflektion leisten. Diese würde sich mitunter dadurch auszeichnen, dass jene in der Lage sind, mit deutlich leichteren, unerfahreneren Partnern Randori zu üben, während beide Seiten etwas davon haben.

Man könnte noch viel strukturierter und ausführlicher schreiben, aber ein Forum ist ja kein E-Book :)
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Fritz
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Fritz »

nur_wazaari hat geschrieben: 09.02.2018, 16:22Man könnte noch viel strukturierter und ausführlicher schreiben, aber ein Forum ist ja kein E-Book
Ach nimm Dir ruhig die Zeit.
Sind ja immerhin auch eine Säule des Judo : Kôgi u. Mondô ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von Lion »

Guten Morgen!
Ich finde diesen Faden sehr spannend, hier scheint es um die "Essenz" des Judo zu gehen!?
nur_wazaari hat geschrieben: 09.02.2018, 16:22 [...] Die Ursachen liegen m.M.n. aber in erwähnter Methodik: und zwar jener, mit der Kämpfen vermittelt wird. [...]
Wie geht man nun mit welcher Methodik vor? [...]
Ein Beispiel für die Differenzierung von Methode (Fortschritt) und Erfolg: Was ich oft meine zu beobachten, ist die Vernachlässigung der emotionalen Komponente im Kampf und die sehr starke daraus erwachsende Energie, welche gebündelt und in eine Technik eingebracht zumindest Erfolg bringen kann. Den Fortschritt erreicht man aber durch die Anwendung der Methode jener Energiebündelung an sich; z.B. die Ausführung der letzten finalen Aktion. [...]
Was meinst du genau mit "Methode"? Welche Methode meinst du konkret bzw. wo ist sie erwähnt? Ich hoffe nicht, dass ich etwas überlesen habe...
Liebe Grüße,
Lion
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von nur_wazaari »

Was meinst du genau mit "Methode"? Welche Methode meinst du konkret bzw. wo ist sie erwähnt? Ich hoffe nicht, dass ich etwas überlesen habe
Was: Mit Methode beziehe ich mich eher auf den erkenntnistheoretischen Teil bzgl. Judo (deshalb schrieb ich auch von Beobachtungen und im Ansatz deren Auswertung). Auf Training und das Kämpfen bezogen, finde ich es interessant wie jene Trainingsinhalte (die für mich noch keine reine Methode sind) überhaupt d.h. instrumentell vermittelt werden. Natürlich auch, wie die Vermittlung bei den Übenden ankommt. Das bedeutet einfach nur, Ursache und Wirkung zu ergründen, weil sich jene oft nicht eindeutig zeigen bzw. verwechselt werden. Ich höre den Ton, weiß aber nicht, wie er erzeugt wird oder wo er herkommt. Ich kann ihn keinem Instrument zuordnen. Methoden sind also (auch) Instrumente des Lehrens unter erkanntem Wechselspiel von Ursache und Wirkung, vielleicht unter Berücksichtigung eines vollständigen Plans.

Wozu: Das Studium der Historie kann natürlich darüber Aufschluss geben, was bisher entwickelt wurde. Erkenntnistheoretisch aber interessant ist (für mich jedenfalls) der Hinblick auf eine zukünftige Weiterentwicklung, wenn auch natürlich nicht ausschließlich. Das bedeutet nicht, dass etwas zwingend unvollständig sein muss, was in der Vergangenheit entwickelt wurde. Die Lebens- und damit Schaffenszeit ist nunmal begrenzt und dementsprechend auch die Ausarbeitung einer ganzen Methodik oder einzelner Methoden. Nun können sich nach den Meistern der Vergangenheit aber Übende der Gegenwart dem Studium des Geschaffenen widmen und sodann ihre eigenen Ansätze entwickeln. Es geht mir dabei allerdings nicht darum, Lücken zu füllen. Das kommt manchmal von ganz allein. Zur Erzeugung einer Melodie (Ergebnis der Methode) benötigt man Instrumente, welche auch immer das dann sind. Diese muss man erst einmal erkennen; dann mit ihnen üben.

Wie (1): Schon das Studium an sich ist demnach angewendete Methode! Die Methode ist für mich in Schritten gedacht und auf Judo bezogen folgendes; beobachten, erkennen, analysieren, überdenken, entwickeln (vielleicht etablieren). Man kann sicher Schritte hinzudenken, weglassen usw.. Das auf die Schnelle und abstrakt gedacht. Ich übe mich. :D

Wo: Als konkretes Beispiel nehme ich das Kämpfen und das Lehren desselben. Dazu führte ich etwas unkonkret an, dass Kämpfen im Gegensatz zu oft vermittelter Art und Weise emotional sehr aufwühlend sein kann. Die dabei erzeugte Energie jeglicher Form wird z.B. gerne vergeudet (einfache Behauptung von mir); mit welcher Methode kann man sie bündeln, wie präzise einsetzen, um Ippon zu erzielen? Oder auf den Alltag fern der Matte übertragen, sein Ziel erreichen? Gesucht ist also eine Methode, mit welcher wir spezifische Handlungen im Kampf (Töne) mittels geeigneter Instrumente (Vermittlungstechniken) erzeugen können. Es geht wie beschrieben um das Lehren aus Sicht des Lehrenden, noch nicht so sehr um das Lernen aus Sicht des Schülers. Denn das macht die Sache durchaus kompliziert; die Methode richtet sich mitunter nach dem "Lerntyp" der Übungswilligen. Einen guten Lehrer macht für mich aus, dass er mehrere Methoden beherrscht und die Schritte zu verknüpfen weiß, sich selbst auf seine Lernenden einstellen kann.

Wie (2): Ich merke es selbst beim Schreiben und wiederholtem Lesen... das sind essentielle, existenzielle Fragen und niemals würde ich von mir behaupten, eine vollständige Antwort darauf gefunden zu haben.
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offtopic

Beitrag von HBt. »

Lieber "nur_wazaari",
Deine Gedanken sind sehr interessant (vielen Dank für Deine Offenheit und den Willen zur verständlichen Formulierung ...) und aufschlussreich.

Ich vermute, Du befindest Dich an einem der bekannten Wendepunkte im Verlauf des Lebens & des Lernens (auch Lehrens, wie Du schreibst),
mein Tipp:
suche Dir einen Lehrer aus einer anderen Disziplin, vielleicht Paul Rogers ... nimm doch einmal zu dem User Kanken Kontakt auf.

Gruß,
HBt.

PS
Unter dieser Adresse
www (Pkt.)judo-blog(Pkt.)de findest Du Kanken, falls es hier nicht klappen sollte.
tutor!
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Re: Rumhoppeln oder kämpfen? Der Unterschied!

Beitrag von tutor! »

nur_wazaari hat geschrieben: 14.02.2018, 14:00
Was:(...)
Wozu:(...)
Wie (1):(..)
Wo: (...)
Wie (2): (...)
In der Tat - einige der Fragen sind durchaus essentiell...

Da du Dich vor allem über Methoden äußerst, nehme ich einmal den Faden in Bezug auf „Lehren und Lernen“ auf. Derartige komplexe Prozesse lassen sich letztlich nur multiperspektivisch beschreiben. Lehren kann man dabei als einen gesteuerten Interaktionsprozess definieren, der Lernprozesse initiiert. Lernen wiederum ist eine Handlung mit allen Komponenten, die eine Handlung so ausmachen. Eine Fülle von Lerntheorien beschreiben dabei unterschiedliche Dimensionen (z.B. motorisch, kognitiv, emotional) menschlichen Tuns und Erlebens - und zwar sowohl in Bezug zur Zieldimension als auch zur Handlungsdimension des Lernens. Handlungstheoretische Aspekte des Lernens sind ein riesiges Feld.

Das Lehren wiederum ist eine Art Spiegel des Lernens und nur im Zusammenhang damit zu sehen. Oft wird dabei vernachlässigt, dass der Lehrende ebenfalls innerhalb eines Handlungsrahmens arbeitet, der wiederum eigenen Gesetzen (der Handlungstheorie) unterliegt.

Als wäre das alles nicht komplex genug, bedarf es nun auch noch einer Betrachtung, was eigentlich das Ziel des Lernprozesses ist. Im Kampf versuchen die Beteiligten ganz allgemein gesagt, diesen zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Komponenten, die letztendlich zum Ziel führen sind vielfach und komplex miteinander verbunden: physische, psychische, kognitive usw. Dies geht doch deutlich über die übliche Trias von Technik, Taktik und Kondition hinaus.

Was bedeutet das in der Konsequenz?

Wenn - ganz allgemein - Sachverhalte zu komplex werden, um sie in letzter Tiefe zu analysieren, zu betrachten und in praktisches Tun umzusetzen, dann müssen Modelle entwickelt werden, die uns helfen, die verschiedenen Aspekte in den Griff zu bekommen. Ein Modell in diesem Sinn ist also nicht die Realität an sich, sondern eine bewusste Reduktion der Realität mit dem alleinigen Ziel, eine pragmatische Leitidee zu entwickeln.

Insofern kann man Modelle miteinander vergleichen - sie werden sich durch unterschiedliche Betrachtungswinkel und unterschiedliche Detailtiefe unterscheiden. Man kann (oder besser sollte) sie aber nicht auf der Ebene von richtig und falsch diskutieren. Man muss sie in Ergänzung zueinander betrachten, nicht als Widerspruch.

Mir sind mittlerweile eine ganze Reihe von modellartigen Vorstellungen bekannt, die Verständnislücken schließen, die unsere gängige physikalische Betrachtungsweise noch hinterlässt. Ich verwende diese Modelle mittlerweile parallel zu klassischen Betrachtungsweisen, wobei sich immer wieder neue Ideen ergeben.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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