tutor! hat geschrieben:Was ich wohl beobachtet habe ist, dass die Kampfrichter Bodenkampfsituationen vollkommen zurecht länger haben laufen lassen, als das in der Vergangenheit oft der Fall war. Wer ein solches Kampfrichterverhalten antizipiert hat und verstärkt Bodenkampf trainiert hat, hat insofern alles richtig gemacht. Diese Entwicklung sehe ich ausgesprochen positiv, jedoch hat das nun wirklich nichts mit BJJ zu tun, sondern mit einer gewachsenen Kompetenz und Einstellung der Kampfleitung durch die Kampfrichter. Eine ganze Reihe von Kämpfern, die letztlich am Boden verloren haben, hat ganz offensichtlich nicht damit gerechnet, dass die Kampfrichter so lange haben laufen lassen.
Wobei es mit bei den Kämpfen, welche ich aus Rio gesehen hatte, doch so vorkam, als ob die KaRis den Bodenkampf deutlich zügiger abgebrochen hatten, als bspw. in einigen Qualifikations-Turnieren
davor. Leider.
tutor! hat geschrieben:Ich habe die entsprechenden Kämpfe gesehen und habe keine einzige Technik gesehen, die nicht im Judo bekannt waren, bzw, auf Meisterschaften angewendet wurden, bevor der Hype um BJJ begann. Das ist alles uralte Judoschule, noch nicht einmal auf der technischen Ebene seit den 1970/80er Jahre weiterentwickelt.
Naja, daß BJJ im Grunde eine Seitenlinie vom Judo ist, ist ja mittlerweile sehr bekannt. Rein auf die Techniken bezogen, gibt es keinen großen Unterschied,
mal von der Benennung abgesehen und davon, daß inzwischen Nichtellbogen-Hebel im Judo doch recht kurz kommen, wegen weil im Wettkampf nicht erlaubt.
Der Unterschied zwischen BJJ-Bodenkampf und Judo-Bodenkampf liegt tatsächlich eher in Technik-Details bzw. in der Art, wie die Techniken herausgearbeitet werden.
Und da ist in der Tat sehr erfreulich zu sehen, daß aus der Seitenlinie BJJ wieder so einiges ins Judo zurückfließt. Wie gesagt, in der Herangehensweise und in den Details ...
Andersrum, bei den Tachi-Waza gibt es das ja auch.
Mein Eindruck ist, daß BJJler am Boden deutlich mehr "Schach" spielen, als wir, obwohl wir eigentlich diegleichen Figuren und Zugregeln benutzen ...
tutor! hat geschrieben:Im Judowettkampf ist es von entscheidender Bedeutung, bereits im Übergang Stand-Boden den Einstieg zu einer Bodentechnik zu finden und aus dieser Situation aufbauend ohne nachzulassen, den Punkt zu machen. Auf Aktionen des Gegners zu lauern, um diese dann für sich ausnutzen können (wie beim BJJ), ist kaum eine Option im Judo-Wettkampf, da dies voraussetzt, dass beide den Punkt am Boden suchen. Faktisch sieht es aber meist so aus, dass:
a) bei Gleichstand keiner der beiden Zeit von der Uhr nehmen möchte, weil sich dies nach hinten heraus rächen könnte. Bei Gleichstand kämpfen in der Regel nur ausgesprochene Bodenspezialisten konsequent am Boden.
b) der Führende möglichst ohne Risiko Zeit von der Uhr nehmen möchte und nur dann konsequent am Boden nachgeht, wenn er sicher ist, dass er nicht am Boden gekontert wird. Oft werden eher Scheinaktivitäten gemacht, die im Prinzip nur Zeitschinden sind.
c) der im Rückstand Liegende möglichst schnell eine Kampfunterbrechung erreichen möchte, damit ihm die Zeit nicht davon läuft, es sei denn, er hat eine gute Ausgangsposition und das nötige Zutrauen, den Punkt auch zu machen. Wenn ich aber in Rückstand liegend auf eine Kampfunterbrechung warte, darf ich nicht aktiv sein, weil dann der KR den Bodenkampf länger laufen lässt. Hier haben sich einige taktisch verzockt...
Das ist alles richtig und beschreibt sehr schön, den im Grunde negativen Einfluß vom IJF-Regelsystem. Ich würde mir beim Judo wünschen, daß man den Kämpfer auch noch die Zeit zum Kontern und bzw. zum Durchtesten von Alternativen gibt.
Andererseits vom real-kämpferischen Standpunkt ist der Ansatz: Runterbringen und am Boden "erledigen", nur wenn minimales Eigenrisiko besteht, durchaus auch plausibel.
Was das Problem von uns Vereinsjudoka ist, ist natürlich die Diskrepanz zwischen Trainings-Wirklichkeit und Wettkampfwirklichkeit.
Bzw. so ausgedrückt: Nur üben: Wurf -> Griffansatz [ -> Griffvereitlung ] ist eher langweilig bis "unbefriedigend". Also kullert man sich doch am Boden rum
und beweist in der Regel dort eine gewisse Phantasielosigkeit im Vergleich zu BJJ-Bodenrandoris. Und hier glaube ich gern, daß evt. auch ein Ole B. dann Defizite
aufweist ...
tutor! hat geschrieben:Zurück zum BJJ. Die Frage, ob Crosstraining in anderen Kampfsportarten dennoch sinnvoll, vielleicht sogar notwendig ist, ist allerdings auch eine Frage der Begebenheiten vor Ort. In den USA gibt es z.B. ausgesprochen wenig Judoka, aber gleichzeitig große Entfernungen. Dort muss anders gearbeitet werden als in Ländern mit einer größeren Dichte an Judoka, wie z.B. in Frankreich oder Deutschland. Die USA haben im Prinzip kein Fördersystem, sondern eine extrem kleine Gruppe von Individualisten, die jede Chance nutzen müssen, sich zu verbessern. Crosstraining ist dabei sicherlich eine Variante, weil es die Basis der Trainingspartner vergrößert.
Nun ja, es wurde in den Vorbeiträgen auch von Brasilien und Japan geredet.
Ich denke, ein spartenübergreifendes Training könnte auch unseren Athleten sehr zu gute kommen. Da intensive Bodenarbeit auch konditionell sehr schlaucht, halte ich dort angelegte
Zeit für deutlich sinnvoller investiert, als in reinen Ausdauertrainingseinheiten.
Mich persönlich hatte bspw. ein Trainingsvideo von Luise Malzahn sehr verwundert, wo sie ihre Trainingswoche zusammengefaßt hat und in den ca 25 Sek. Video waren nur ca 2 Sek. Judo zu sehen.
Jedenfalls bin ich gespannt, welche Regeländerungen sich die IJF jetzt nach den Spielen ausdenken wird.
Ob Beingreifer wieder erlaubt werden? Immerhin hängen sie sich auch ohne Beingreifer immer noch abgebeugt aufeinander ...
Oder wird es weitere Technikverbote geben, um die technische Vielfalt zu erhöhen
?