nonidit hat geschrieben:(...) @tutor: Ich habe auch schon in deinen anderen Beiträgen mehrmals gelesen, dass es unglücklich ist, "japanische" Begriffe einfach nach Belieben neu zu konstruieren. Ich habe leider nicht genug Ahnung von Japanisch, um beurteilen zu können, wann das Sinn ergibt und wann nicht. (...)
Ein Name ist eine Kennzeichnung, die der Identifikation gilt und weder eine Beschreibung noch erst recht keine Anleitung. Ein Name ist auch kein inhaltlich zugrunde liegendes Merkmal im Sinne eines Prinzips. Ein Name ist ein Name - nicht mehr und nicht weniger.
Da aber einige Technikbezeichnungen im Judo durchaus bildhaft sind und die zugrundeliegenden Namenselemente in EINIGEN Fällen Assoziationen erzeugen und als Merkhilfe dienen können, wurde dies in Deutschland und Europa meist überinterpretiert. Gerade so, als ob die Herren Müller/Bauer/Schmidt nur Müller/Bauer/Schmidt heißen dürfen, wenn sie eine Mühle/Landwirtschaft/Schmiede betreiben.
Namen zu erfinden, weil man die, die es schon gibt, "unpassend" findet, ist genauso unsinnig, wie sich japanische Beschreibungen auszudenken, die für nicht-japanisch sprechende gedacht sind. Schlicht ein Irrweg...
Die Techniken des Kodokan-Judo sind definiert - aber nicht durch ihre Namen, sondern durch ihr "Wirkprinzip", durch Ihre Wurfidee (ein in Deutschland mitunter gebrauchter Begriff) im japanischen durch ihr "riai". "Ri" kann man mit "Prinzip" übersetzen, aber "Theorie" oder "Grundidee" trifft es genauso, bzw. bietet nicht so viel fundamentalistische Versuchung. "Ai" heißt Harmonie" oder auch "Übereinstimmung". Die Ausführung einer Technik hat dann "riai", wenn die Technik in Übereinstimmung mit ihren grundlegenden Ideen ausgeführt wird.
Die Namen selbst sind nach keinem durchgehend einheitlichem Konzept entstanden, was ein weiterer Grund dafür ist, dass man sie - oder ihre Bestandteile - nicht zu "Prinzipien" erhöhen soll. Wenn Körperteile benannt sind - was häufig vorkommt - weiß man nicht, ob Toris oder Ukes Körper gemeint ist (z.B. Hiza-guruma vs Ashi-guruma). Die Liste der Unstimmigkeiten ist lang - aber nur, wenn man den Namen mehr Bedeutung zuweist, als sie tatsächlich haben.
Zu jeder Technik existiert ja nicht nur ein Name, sondern auch eine Definition, die diese Technik von anderen unterscheidet, bzw. unterscheidbar macht (s.o)
Bei verschiedenen Techniken gibt es kontinuierliche Übergänge, also Mischformen, z.B.:
- ko-soto-gake <-> ko-soto-gari
- ko-soto-gari <-> de-ashi-harai
- de-ashi-harai <-> okuri-ashi-harai
- okuri-ashi-harai <-> harai-tsuri-komi-ashi
- harai-tsuri-komi-ashi <-> sasae-tsuri-komi-ashi
- sasae-tsuri-komi-ashi <->hiza-guruma
Ich habe jetzt bewusst einmal eine bestimmte Gruppe von Techniken herausgesucht, nämlich die sieben Ashi-waza, bei denen Tori (bei Rechtsausführung) mit seinem linken Fuß Ukes rechten Fuß angreift. Jede Wurfaktion (Rechtstechnik, linker Fuß greift rechten Fuß an) kann entweder genau einer dieser sieben Techniken zugeordnet werden oder aber einer der sechs Übergangsformen. Muneta (oben) macht aus meiner Sicht eine Übergangsform zwischen Sasae-tsuri-komi-ashi und Hiza-guruma, jedenfalls nach modernerer Definition, die bei Sasae-tsuri-komi-ashi den Ansatz im unteren Drittel von Ukes Unterschenkel beschreibt, während in älteren Beschreibungen der Ansatzpunkt nicht als so bedeutend angesehen wurde. Nach älterer Auffassung wäre es daher wahrscheinlich eher ein Sasae-tsuri-komi-ashi. Das ist aber wie gesagt nur ein Etikett, das der Identifikation gilt und keine Funktionsbeschreibung.
In diese 7 Techniken wurden nun vier Wurfprinzipien hineindefiniert:
- fegen
- sicheln
- einhängen
- stoppen/blockieren
Gehen wir sie der Reihe nach durch:
Fegen:
Ukes sich bewegendes Bein wird in Bewegungsrichtung weitergeleitet, gefegt. Der Wurfansatz erfolgt in dem Moment, in dem Ukes Bein gerade abhebt bzw. aufgesetzt wird - es ist noch/schon belastet, aber die Reibung zwischen Fußsohle und Unterstützungsfläche ist schon/noch gering.
Abgesehen davon, dass die Sache mit der Bewegungsrichtung nicht zwingend ist, wird hier korrekt darauf abgestellt, dass der Wurf mit weniger Kraftaufwand gelingt, wenn die Reibung zwischen Fuß und Unterstützungsfläche gering ist - logisch; denn die Reibung Fuß/Matte bestimmt den Widerstand, der zu überwinden ist.
Sicheln:
Ukes Stützpunkt, ein stehendes, belastetes Bein in Richtung von dessen Zehen mit der Beinrückseite oder der Fußsohle wegreißen, sicheln.
Hier haben wir jetzt eine konkrete Bewegungsrichtung angegeben (warum eigentlich?). Viel gravierender ist aber, dass es plötzlich keine Rolle mehr zu spielen scheint, wie groß der zu überwindende Widerstand durch Reibung Fuß/Matte ist. Ein Ko-soto-gari also nur ein schlechter De-ashi-harai, bei dem Tori den richtigen Moment verschlafen hat? Es fehlt bei der Beschreibung dieses Wurfprinzips schlicht das kleine, aber entscheidende Element, wodurch die Aktion ökonomisch wird - also das Kuzushi, bei dem Uke mit seinem Gewicht auf die Fersen gestellt wird. der Fuß des nach hinten kippenden Uke kann dann mit geringerem Widerstand "vor der Matte geholt" werden.
Was aber ist dann mit
Einhängen:
Tori hängt ein Bein blockierend hinter Ukes stehendes und belastetes Bein ein und drückt bzw. schiebt ihn über diese Blockade hinweg.
Ein Ko-soto-gake also ein Ko-soto-gari nur ohne "sicheln"? Nein, natürlich nicht, denn Ko-soto-gake geht normalerweise etwas anders. Tori macht einen Haken und zieht mit diesem Haken an Ukes Fuß/Bein - und zwar nach oben, unterstützt von Händen und Armen. Aber es gibt auch eine Menge anderer Varianten, die man mittlerweile als Ko-soto-gake bezeichnet. Insofern beschreibt die Definition des Wurfprinzips "Einhängen" einige, aber eben nicht alle Varianten von Ko-soto-gake.
Blockieren/Stoppen
Ukes vorwärts kommendes oder stehendes Bein wird unterhalb des Körperschwerpunktes mit der Fußsohle oder der Beininnenseite blockiert oder gestoppt. Gleichzeitig wird er oberhalb seines Schwerpunktes über diese Blockade gezogen.
Funktional ist dies übrigens dasselbe wie die Definition von "Einhängen" nur eben in die entgegengesetzte Richtung. So wie die Bezeichnung "Einhängen" als Übersetzung des Namensteils "gake" als Namenspate für das Wurfprinzip hergehalten hat, ist dies auch hier der Fall. Blockieren/Stoppen ist erkennbar als Wurfprinzip definiert worden, unter das Sasae-tsuri-komi-ashi und Hiza-guruma subsummiert werden können. Allerdings heißt "sasaeru" (支) eher stützen, unterstützen als stoppen oder blockieren. Und genau das macht Muneta, indem er seinen Fuß noch ein wenig anhebt und dem Gegner dadurch stärker in Rotation versetzt.
Man kann es drehen und wenden wie man will. Diesen Wurfprinzipien liegt kein durchgängiges Konzept zugrunde. Darüber hinaus sind sie an einigen Stellen unglücklich formuliert. Die enge Anlehnung ihrer Bezeichnungen an Techniknamen führt zu einer unsachgemäßen Überinterpretation von Namen.