So, ich hab ein bissel weiter gelesen...
Nach der Vorstellung der verschiedenen Lehrsysteme wird das "Struktur-Schema" von Klaus Kessler näher beleuchtet.
Dahinter verbirgt sich eine Zergliederung des Technik-Erlern-Prozesses in
"Grundform erlernen", "Grundform festigen", "Anwendungsaufgaben" u. "Randoriaufgaben".
Ähnlichkeiten mit der aktuellen DJB-Kyu-PO sind wohl kein Zufall.
Diese vier Abschnitte werden dann jeweils nochmals unterteilt...
Das Erlernen der Grundform z.B. wird aufgeteilt in
"Voraussetzung für Uke schaffen",
"Voraussetzungen für Tori schaffen",
"Erleichternde Lernbedingungen für Tori schaffen"; auf Seite 61 gibt es eine Überblicks-Darstellung dazu.
Danach exerziert die Autorin für De-Ashi-Barai, Okuri-Ashi-Barai, O-Uchi-Barai, Ko-Uchi-Barai, Harai-Tsuri-Komi-Ashi dieses Struktur-Schema
anhand von Übungs-Beispielen durch. Da sich auf Grund von Ähnlichkeiten der Wurfausführungen oft Wiederholungen ergeben, liest es sich
stellenweise etwas ermüdend, und einige Punkte sind auch arg knapp gefaßt...
Ein paar Sachen gefallen mir allerdings wenig bis gar nicht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Die Vorübungen für den Uke beim De-Ashi-Barai: Ziel ist offensichtlich, den Uke an das Fallen beim De-Ash-Barai
zu gewöhnen. Dummerweise fällt man beim De-Ashi-Barai anders als man vom normalen Fallen seitwärts gewohnt ist, wenn man
voraussetzt, daß der Werfer schön den Ärmel festhält: Man landet dann gewöhnlich auf der dem gefegten Bein gegenüberliegenden Seite und schlägt
dort auch ab - im Buch zeigt sie in den entsprechenden Übung letztlich nur Fallschule seitwärts mit Abschlagen auf der Seite des Beines, welches
später dann gefegt wird... merkwürdig...
- Die Übungen "Fußbeifall" und "Fußsohlenkampf" halte ich zum Erlernen des De-Ashi-Barai für verfehlt,
da sie im Grunde ein Fehlerbild schulen/einschleifen, nämliche das "Fegen" von der falschen Seite des Beines, mit etwas Abwandlung wären diese Übungen
evt. für Ko-Uchi-Gari geeignet...
- Gelegentlich kommt durch, daß sie De-Ashi-Barai am rückwärts gehenden Gegner ausführen will. Das widerspricht erstmal "diametral"
der Bedeutung des Wortbestandteiles "de" (= 出 - siehe http://www.wadoku.de/index.jsp?search=s ... =%E5%87%BA)
Auf das grundlegende Problem beim Erlernen des De-Ashi-Barai, daß beim normalen Laufen sich das Wurfbein Toris immer recht weit entfernt von Ukes
zu fegendem Bein befindet - also die Notwendigkeit der Erzeugung eines geeigneten asynchronen Schrittmusters - geht die Autorin nicht ein.
- Unser (oder gar das englischsprachige) Judoforum hat sie auch nicht gelesen sonst hätte sie vielleicht noch die in diesem Faden: viewtopic.php?f=6&t=3151
beschriebene Übungsform berücksichtigen können...
- Sehr gut finde ich allerdings den Vorschlag, die Üblingen jeweils ein Hosenbein hochkrempeln zu lassen, so daß klar ist, welche Beine zu benutzen sind
- Beim Okuri-Ashi-Barai vermisse ich ganz klar einen Hinweis auf die Ausführung aus der Nage-No-Kata, immerhin haben wir da eine wunderbare
Handreichung, um Okuri-Ashi-Barai zu lernen, evt. wäre es methodisch sogar sinnvoll, damit anzufangen und De-A-B und Harai-Tsuri-Komi-Ashi als
"Abwandlungen" auf Grund von geändertem Uke-Verhalten danach zu betrachten.
- O/Ko-Uchi-Barai - hier fehlt mir klar der Hinweis, daß O/Ko-U-B nur wohl durch Geesink geprägte Bezeichnungen für spezielle Ausführungen von O/Ko-Uchi-Gari sind,
was mittlerweile eigentlich allgemein bekannt sein müßte - so mutet der Satz auf S.92 doch recht merkwürdig an:
"O-UCHI-BARAI unterscheidet sich in vielen Merkmalen von den bisher gelernten BARAI-Techniken,
kann aber mit der in der KYU-Prüfungsordnung zuvor gelernten Technik O-UCHI-GARI in Verbindung gebracht werden." - welch Wunder ,
weiterhin wird auf S.104 ein Bild von Professor Hatsu Hamada von der Sommerschule 2008
mit KO-UCHI-BARAI unterschrieben, das ist dahingehend amüsant, da gerade Hamada-Sensei wohl selbst auf ebendieser Veranstaltung
erklärt hat, daß es in Japan so etwas wie O/Ko-Uchi-Barai nicht gäbe, sondern halt alles O/Ko-Uchi-Gari ist (wenn mir meine Erinnerung jetzt nicht einen
Streich spielt).
- Seite 101. "Hakelkampf": Es wird für O-Uchi-Gari bzw. Ko-Soto-Gake eingehakt und jeder versucht, den anderen zu werfen.
Ich halte diese Übung an dieser Stelle (Grundform festigen) für völlig verfehlt, weil sie hier schlichtweg einfach "Nicht-Judo" schult, sprich
der Stärkere gewinnt. Wäre es hier (Grundform festigen!) nicht eher angebracht, Methoden zu üben, die gerade verhindern, daß ein Ko-Soto-Gake-Konter
Erfolgsaussichten hat? M.M.n könnte dieses "Spiel" eher als Randori-Aufgabe, um derartige Methoden zu testen, einen Sinn haben...
- Ebenfalls noch "O-Uchi-Barai": In Abb. 39 auf S.94, auf Abb. 44 auf S. 97, zeigt die Autorin meiner Meinung nach ein klares
Fehlerbild (insbesonders vor dem Hintergrund, daß es sich um die "gefegte" Version des O-Uchi-Gari handelt) ohne dies als solches zu benennen -
und zwar steht hier Tori mit dem Wurfbein vorn - m.M.n ein sicheres Zeichen,
daß der Übling die Fege/Sichelbewegung des Beines einfach nicht konsequent ausgeführt hat - so erlebe ich es oft bei den eigenen Üblingen. Abb. 48 auf S.98
zeigt dann allerdings die korrekte Endposition.
Wie gesagt, es ging hier noch um Grundformen u. Vorübungen, daß im freien Üben oder Randori Tori nach dem Wurf gelegentlich mal mit dem Wurfbein
wieder nach vorn kommt, um sich zu stabilisieren, ist eine ganz andere Geschichte,
evt. hätte etwas mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Photos das Problem bereits bereinigt...
- Nahezu alle Vorbereitungs-Übungen für den Uke lassen sich eigentlich kurz zusammenfassen:
Die Fallübung seitwärts muß sicher beherrscht werden.
Dies sollte m.E. bereits erledigt sein, wenn jemand als Uke "benutzt" wird.
Sicherlich ist es angeraten, vor dem Erlernen eines (beliebigen) Wurfes durchaus die passenden Fallübung noch einmal zu wiederholen ...;
hier hätte die Autorin sicherlich sich etwas knapper fassen können, so Gunsten anderer Stellen
Zum Abschluß vielleicht noch dies:
Um das Kesslersche Struktur-Schema vorzustellen, hätte es durchaus genügt, ein Beispiel "durchzuexerzieren".
Die Abhandlung mehrerer Fegetechniken hat m.E. nur einen Sinn, wenn das Ganze deutlich tiefgründiger (mal abgesehen von den obigen Kritikpunkten)
erfolgt wäre, dies hätte natürlich den Umfang der Arbeit deutlich angehoben. Evt. wäre auch der Darstellung besser bekommen, wenn
die Verzahnung bzw. Verwandschaft der Fege-Techniken mit in das Struktur-Schema hineingezogen worden wäre, also wenn nicht Wurf für Wurf schematisiert worden wäre,
sondern halt Fußfeger allgemein und dann eben im "Grundform lernen" die Grundformen aller dieser Würfe
mit Hinweisen auf Gemeinsamkeiten / Unterschiede u. die daraus resultierenden Abwandlungen der entsprechenden "Vorbereitungs-Übungen" beschrieben
worden wären... Gerade für De-Ashi-Barai, Okuri-Ashi-Barai, Harai-Tsuri-Komi-Ashi u. Ko-Uchi-Barai wäre es sicherlich möglich, ausgehend
von der Kata des Okuri-Ashi-Barai, leicht zu den anderen Techniken zu kommen (durch Variation des Uke-Verhaltens bzw. über die
Bewegungsverwandtschaft der Techniken) und etwas in Richtung "methodische Reihe" mit ins Schema fließen lassen zu können...
Jedenfalls bin ich schon mal auf das nächste Heft der Reihe gespannt, an sich finde ich die Idee solcher Veröffentlichungen
recht nett ...