Eine wirklich interessante Frage!
Ich gehöre zu jener Generation, die noch mit dem isolierten Üben der Fallschule begonnen hat. Meine erste Judo-Stunde bestand aus dem Üben des beidhändigen Abschlagens aus der Rückenlange und dann aus dem nach hinten Kippen und Abschlagen aus dem Sitz. Erst in der zweiten Stunden aus dem Hockstand usw. Meine Kameraden in derselben Gruppe hatten das noch ausführlicher gemacht - ich war nämlich eine Art Nachzügler - der 9.(!) aus meiner Klasse, der zum Judo gekommen ist. Ich wurde vergleichsweise schnell ans Werfen herangeführt... Also es war sehr, sehr traditionell - hat aber nicht geschadet.
Vor allem Gleeson und Geesink waren so ziemlich die ersten, die sich Gedanken gemacht haben, ob es nicht schneller in Richtung werfen gehen kann. Das Lernen der isolierten Fallschule wurde zu einem integrierten Lernen des Fallens, bei dem im "Wurf" die Verantwortlichkeit betont wird und Uke das Fallen "en passant" lernt.
Derartige Vorgehensweisen setzten sich zunehmend durch und führten in der Tat zu schnelleren Erfolgserlebnissen. Es dauerte nicht lange, bis das isolierte Üben der Fallschule aus dem alltäglichen Training vieler Vereine mehr oder weniger verschwand oder immer liebloser praktiziert wurde.
Aber schnellere Erfolgserlebnisse sind nicht immer auch die nachhaltigsten. Vor etwa 15 Jahren, als ich sehr stark in die ÜL-Ausbildung meines LV eingebunden war, stellte ich immer wieder fest, dass eine ganze Reihe der angehenden Übungsleiter, die im Gegensatz zu mir nicht mehr diesen traditionellen Lernweg durchgemacht hatten, sich als Partner ziemlich - sagen wir mal - suboptimal angestellt haben. Wir haben als Reaktion darauf eine Einheit: "Die Bedeutung des Partnerverhaltens beim Lernen von Wurftechniken" in die Ausbildung einfließen lassen. Ukemi haben wir allerdings weiter gefasst, als das bis dahin üblich war: nämlich nicht als isolierte Form des Fallens, sondern als "sich Werfen lassen". Erst einige Jahre später fand dieser Gedanke Eingang in die Kyu-PO des DJB.
Als ich 1976 zum ersten Mal im Kodokan trainierte - übrigens bei dem heute in Deutschland sehr bekannten Shiro Yamamoto - sahen wir (alles jugendllche Kaderathleten) voller Spannung den kommenden Techniken entgegen. Allerdings wurden wir doch etwas gedämpft, weil wir ca. eine Stunde die Judo-Rolle üben durften. Dies sei wichtig, so Yamamoto. 35 Jahre später vertritt er immer noch dieselbe Meinung und - kein Witz - lässt die Leute Judorollen machen und taxiert danach den Dan-Grad der Kandidaten (fast O-Ton: "so wie der fällt, hat der höchstens den 3. Dan" ... gemeint war aber nicht ich
)
Ich persönlich habe in den letzten Jahren gelernt, dass der sehr traditionelle Weg, den ich selbst noch gegangen bin, nicht auf die heutige Zeit und die Erwartungen der Kinder und Jugendlichen passt und auch in der Form, in der ich das erlebt habe, nicht nötig ist. Ich habe aber genauso erkannt, dass man das Kind zum Teil mit dem Bad ausgeschüttet hat. Etwas mehr an klassischer Fallübung und etwas mehr an Sorgfalt bei der Vermittlung würde vielen helfen, besser und schneller Judo zu lernen, als das heute oft der Fall ist.