Judo lernen - Judo anwenden

Hier geht es um die Trainingsgestaltung,-methodik,-formen.
pmhausen

Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von pmhausen »

Hi, Fritz,
Fritz hat geschrieben:@DerMatze: inhärent == innewohnend
Bist Du sicher, dass Helge sich nicht einfach ein wenig vergaloppiert hat und "immanent" meinte?

Mit Fremdwörtern kannst Du mir übrigens nicht imprägnieren! :P :)

Grüße,
Patrick
Kumamoto
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Kumamoto »

"In der Technik spricht man von inhärenter Sicherheit, wenn ein technisches System derart konstruiert ist, dass es auch nach dem Ausfall externer Komponenten sicher arbeitet."
Ich verstehe das so: Danach muss ein System autark (schon wieder ein Fremdwort für eigenständig) sein, also fähig sein, ohne äußere Einflüsse (IJF, IOC, usw.) weiterzubestehen bzw. weiterzuarbeiten.

Die Ausgangsfrage kann daher, so meine ich so verstanden werden: Ist das Judo, wie es im Kodokan entwickelt wurde, in der Lage eigenständig zu existieren oder wird es so durch Einflüsse von außen, z.B. IJF-Wettkampfregeländerungen, soweit verändert, dass es seine Identität bzw. eigenständige Prägung/ Individualität verloren geht.
Oder vereinfacht gefragt: Kann das Kodokan-Judo ohne die IJF überleben? Kann das Kodokan-Judo mit der IJF überleben? Die umgekehrte Frage wäre auch mal interessant ;)

Ich fand die Diskussion eigentlich von Anfang an kindisch, da es mir so vorkommt, dass einer ein Fremdwort gelesen hat und es mal so in die Runde schmeißt, ohne wirklich zu wissen, was es bedeutet und seine Frage daher auch nicht formulieren kann - nur um zu sehen, wer das Fremdwort kennt.
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Fritz
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Fritz »

Die Frage im ersten Beitrag
Helge Bartelt hat geschrieben:Ist die Methodik dem Kodokan Judo eigentlich nicht inhärent?
ist von Helge genauso gemeint, wie sie da steht. Anders formuliert:
Ist dem Kodokan Judo nicht bereits eine "Methodik" innewohnend?
Hintergrund der Frage war offenbar, daß es Helge irgendwie "auffiel", daß sich einige Autoren mit Methodiken
zum Erlernen des Judo auseinandersetzen und er aber vermutet, daß Jûdô an sich so konzipiert wurde,
daß "Lern"-Methodiken bereit enthalten sind. Die Diskussion ist dann etwas abgedriftet...
Kumamoto hat geschrieben:Ich fand die Diskussion eigentlich von Anfang an kindisch, da es mir so vorkommt, dass einer ein Fremdwort gelesen hat und es mal so in die Runde schmeißt, ohne wirklich zu wissen, was es bedeutet und seine Frage daher auch nicht formulieren kann - nur um zu sehen, wer das Fremdwort kennt.
Da kann ich Dich beruhigen, Helge weiß mit gegen 1 strebender Wahrscheinlichkeit sehr wohl was "inhärent" bedeutet ;-)
Bitte laß solche Vermutungen.
Du kannst Helge ihn auch gerne per PN (an HBt.) kontaktieren und nachfragen, was er nun eigentlich mit seiner Frage bezweckte.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Kumamoto
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Kumamoto »

Klar, die Lehrmethoden sind schon darin enthalten, aber man kann die Original-Lehrmethoden von Kano nicht 1:1 umsetzen:
Kano ging damals von völlig anderen Voraussetzungen aus, vor allem anderen Zeiten.
Heute ist der Übungsleiter "Entertrainer", d.h. eine Mischung von Trainer und Entertainer. Im Zeitalter von Internet, DVD und Spielekonsole müssen neue Wege gesucht und gegangen werden. Die Methodik orientiert sich stets am Schüler, nicht am Lehrenden, die Methodik sagt WIE etwas am Besten vermittelt werden kann. Daher ist es wichtig, den, der etwas lernen soll/möchte auf einer Ebene anzusprechen, die ihn erreicht.
Die Grundsätze mögen noch gelten, aber die konkrete Umsetzung unterliegt - wie Alles - der Zeit. Außerdem denke ich, zu dem Thema "Methodik im Kodokan" sollte sich eher ein Erziehungswissenschaftler äußern - ich stehe als Praktiker auf der Matte und kenne daher nur das, was man auf Lehrgängen und Fortbildungen hört und setze es im Verein um.
erst wird der Hosenboden mal ordentlich strammgezogen. Wenn der Lehrer das nicht kann... , was soll er dann lehren?
Dazu möchte ich auf diesen Faden verweisen:
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... f=1&t=5065
Ist das wirklich nach Deiner Auffassung von Judo-Methodik, Helge? Ich hoffe nicht.
tom herold
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von tom herold »

Klar, die Lehrmethoden sind schon darin enthalten, aber man kann die Original-Lehrmethoden von Kano nicht 1:1 umsetzen:
Kano ging damals von völlig anderen Voraussetzungen aus, vor allem anderen Zeiten.
Du kennst demzufolge die "Original-Lehrmethoden von Kanô"?
Klasse, erzähl' doch bitte mehr darüber.
Detailliert, wenn möglich.
Vor allem bin ich sehr interessiert daran, von welchen "Voraussetzungen" Kanô ausging, woher du das alles weißt und womit du das (bitte mit zitierfähigen Quellen) belegen kannst.
Kumamoto
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Kumamoto »

Kano ist ganz einfach von der Gesellschaft seiner Zeit ausgegeangen, die Entwicklung der Welt konnte er garnicht vorhersehen...
Die "Kodokan-Methode", wie sie Kano angedacht hat, besteht meines Wissens nach aus Randori, Kata, Vorträgen (Kogi) und Dialog/Frage und Antwort (Mondo) und ist auf die Erziehung des Menschen zu einem besseren Mitglied der Gesellschaft ausgelegt.
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Fritz
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Fritz »

Kumamoto hat geschrieben:Die "Kodokan-Methode", wie sie Kano angedacht hat, besteht meines Wissens nach aus Randori, Kata, Vorträgen (Kogi) und Dialog/Frage und Antwort (Mondo) und ist auf die Erziehung des Menschen zu einem besseren Mitglied der Gesellschaft ausgelegt.
Und was ist daran nun Deiner Meinung nach heutzutage nicht mehr zeitgemäß? (Von wegen Internet, DVD und Spielekonsole? ;-) )
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Jupp
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Jupp »

Was Kumamoto schreibt wird auch in "Jigoro Kano And The Kodokan" - An Innovative Response To Modernsation, Compiled by the Kano Sensei Biographic Editorial Committee, Edited and Translated by Alex Bennett, Kodokan Judo Institut, March 2009 bestätigt.

Auf Seite 14 schreibt Bennett unter dem Titel "The Kodokan-Method": "The methods Kano devised in Kodokan judo to achive these goals*were Randori, Kata, lectures (Kogi) and dialogue (Mondo)."

Nachfolgend werden diese Kodokan-Methoden dann näher erläutert. Darauf möchte ich nicht eingehen.


*unter Goals (Ziele) schreibt Bennett zuvor (S.13):
"Kano considered the ultimate objective of education to be the advancement of "national prosperiy" and the "welfare of the people."

Zitat Kano: "From the broader picture of our country and it´s society, it is importent that we convey today´s wisdom to the following generations. We must continue to fortify our minds and bodies to ensure our descendants can attain higher level and benefit from our perceptions and insights..."

Kano advocated increasing one´s knowledge not only by reading books, but also nurturing various strength, to equip he individual to succeed in life.
Judo provided a framework in which the practitioner could gain knowlege of strategy, build up phisical dexterity , as well as develop morality, intellect, and various traits vital to succes. He was of the firm belief that judo was an indispensabe tool, and hoped it would encourage people to be healthy in mind and body, patriotic, respectfull, vigilant, and of good character in order to benefit the rest of society." (S. 14)

Kann übersetzen, wer will - so ist es jedenfalls in einem sehr offiziellen Werk des Kodokan über Kano nachzulesen.

Wer seiner jeweiligen Gesellschaft nutzen möchte, kann dies sicherlich nicht mit Methoden tun, wie sie vor hundert oder mehr Jahren auch von einem sehr fortschrittlichen Erzieher, wie Kano es in seiner Zeit war, verwendet wurden.

Wenn ich "den Geist" hinter den obigen Zeilen recht verstehe, dann besteht die Aufgabe der heutigen Judolehrer eben darin, heutige Kinder und Jugendliche für die heutige Gesellschaft hier in Europa zu erziehen.

Ein Gedanke, den ich auch ohne zitierfähige Quellen nach der Lektüre des obigen Textes Kano gerne unterstellen möchte.

Jupp
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von tutor! »

Jupp hat geschrieben:Wer seiner jeweiligen Gesellschaft nutzen möchte, kann dies sicherlich nicht mit Methoden tun, wie sie vor hundert oder mehr Jahren auch von einem sehr fortschrittlichen Erzieher, wie Kano es in seiner Zeit war, verwendet wurden.
Wobei mir dazu Maria Montessori einfällt - nur 10 Jahre jünger als Kano - oder GutsMuths - 100 Jahre älter als Kano und immer noch aktuell. Von den alten Griechen will ich mal gar nicht erst schreiben....

Ich interpretiere Dich aber so, dass Du sagen wolltest, dass althergebrachte (wie auch neue) Methoden generell vor Anwendung auf ihre Anwendbarkeit in der konkreten Situation, zu der auch der zeitgeschichtliche Kontext gehört, überprüft und nötigenfalls modifiziert werden müssen.

Das hat übrigens auch Kano getan und vorhandene Methoden modifiziert und an die Anforderungen der "neuen" Zeit angepasst. Je mehr ich aber über die "Kodokan-Methoden", wie sie in dem von Jupp zitierten Buch beschrieben sind, nachdenke, desto mehr komme ich dazu, dass sie immer noch hochaktuell sind.

Einer der wichtigsten methodischen Grundsätze ist, die Lernenden dort abzuholen, wo sie stehen. Und dass die Kinder im heutigen Deutschland woanders abzuholen sind als die japanischen Kinder in der Meiji-Zeit, sollte doch jedem klar sein.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von tom herold »

Das hat übrigens auch Kano getan und vorhandene Methoden modifiziert und an die Anforderungen der "neuen" Zeit angepasst. Je mehr ich aber über die "Kodokan-Methoden", wie sie in dem von Jupp zitierten Buch beschrieben sind, nachdenke, desto mehr komme ich dazu, dass sie immer noch hochaktuell sind.
Das will ich doch wohl meinen!
:D

Mir wird allzu oft allzu schnell behauptet, dies und jenes sei "nicht mehr zeitgemäß" - und es stört mich dabei, daß diejenigen, die das behaupten, ihre Behauptungen nicht wirklich mit Argumenten untermauern können, sondern schlicht und einfach davon ausgehen, "alt" sei gleichbedeutend mit "überholt".

@Kumamoto:
Zudem hatte ich, lieber Kumamoto, nicht danach gefragt, WIE Kanô sein Jûdô eingeteilt hatte, sondern ich hatte nach seinen LEHRMETHODEN gefragt.

Aber gut, bleiben wir bei Kata, Randori, Mondo und Vorträgen ...
Was hat sich daran geändert?
Was davon ist heute "nicht mehr zeitgemäß"?
Und nebenbei - erklär mir doch bitte, inwieweit sich das Randori zu Kanôs Zeiten von heutigem Randori unterscheidet und wieso man (wenn es da Unterschiede gibt, die du natürlich zweifelsfrei belegen kannst) das HEUTE eben NICHT mehr so machen kann.
Gleiches gilt für Mondo, Vorträge ... und vor allem für Kata.

Ich hätte von dir nun gern belegbare Aussagen darüber, wie Kata zu Kanôs Zeiten geübt wurde, und was an der damals von Kanô verwendeten Methodik (die du sicher detailliert und ausführlich erklären wirst) heute nicht mehr zeitgemäß ist.

Ich lausche ...

:dontknow
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Fritz
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Fritz »

@Tom: Hack doch bitte nicht auf Kumamoto herum, er hat doch selbst geschrieben:
Kumamoto hat geschrieben:Außerdem denke ich, zu dem Thema "Methodik im Kodokan" sollte sich eher ein Erziehungswissenschaftler äußern - ich stehe als Praktiker auf der Matte und kenne daher nur das, was man auf Lehrgängen und Fortbildungen hört und setze es im Verein um.
;-)

Der wunde Punkt ist doch gerade, daß man heutzutage sehr schnell nach "zeitgemäßen" Methodiken schreit, wenn größtenteils
die alten / originalen Methodiken nicht mehr bekannt sind. Ich erinnere an unsere langwierige Diskussion bzgl. der Gokyo -
Methodik ja oder nein, wenn ja welche usw...

Ansonsten ist es ja auch so, daß Judo ja entsprechend Kano einem Ziel dienen sollte... Wie Jupp so schön zitierte:
"Kano considered the ultimate objective of education to be the advancement of "national prosperity" and the "welfare of the people. ..."
Das ergibt nur einen Sinn, wenn die damalige Gesellschaft diesbzgl Mängel aufwies. Nun ja, ich behaupte mal, die Mängel in unsere
heutigen Gesellschaft sind nicht unbedingt andere... Nur die Rahmenbedingungen sind etwas anders...
Das Ziel sollte aber das gleiche sein... Nun kann man sich trefflich streiten (bevor man genauer über Methodiken diskutiert) ob das Ziel mittels
Judo überhaupt erreichbar ist... Ich behaupte da mal, im kleineren Umfeld kann man es mit Judo schon schaffen, aber da die "breite Masse" deutlich
mehr Nichtjudoka umfaßt als Judoka, wird es schon sehr schwierig.... Und die Lösung, Judo als Massen-Schulsport zu etablieren,
scheint ja auch gewisse unschöne Nebeneffekte zu haben, wie man erstens dem weiter oben verlinktem Faden entnehmen könnte und
zweitens scheinen m.M.nach auch einige der so bitterlich von Tom beklagten "Verflachungs- u. Versportlichungs-Effekte" schon eine Ursache zu haben in
der Einführung als Schulsport in Japan...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Holger König
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Holger König »

Das Erlernen der Grundlagen einer Kampfsportart im Schulsport ist durchaus sinnvoll. Auf Grund des begrenzten Zeitrahmens kann es sich dabei aber nur um ein spezielles "Einstiegsprogramm" für Anfänger handeln, welches das ziel verfolgt, einen Teil der Schüler dafür zu interessieren, diese Sportart künftig in einem Verein zu betreiben.
Eine gute Diskussionsgrundlage wäre das Buch "Kampfsport in der Schule" aus der DDR (war damals Arbeitsliteratur für Sportlehrer). Dort werden die Grundlage der drei damals olympischen Kampfsportarten Judo, Ringen und Boxen behandelt.
Jupp
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Jupp »

Abgesehen davon, dass die Begrifflichkeiten in einer Diskussion um die "richtige" Methodik immer wieder durcheinander gehen (also: Methoden, Methodik, Methodiken, Lehrmethoden, Lernmethoden, methodische Reihen usw.) hat auch Jigoro Kano seine Art des Unterrichtens (z.B. von Kata) immer wieder einmal verändert - und spätestens ab 1889 - also ab seiner ersten Auslandsreise - die Hauptarbeit im Kodokan wegen Kanos berufsbedingter Abwesenheit im Ausland, anderen Berufsorten in Japan, z.B. in Kumamoto (!!) oder sehr starker beruflicher Belastung als Lehrer/Berater/Direktor/ von seinen ältesten Schülern leisten lassen.

Kano beschreibt selbst, dass er zunächst (d.h. in den Anfangsjahren des Kodokan von 1882-1885) Kata (hier wohl vor allem Kata als "Wurfkonzept" einzelner Techniken) häufig in den Randoripausen unterrichtet hat, um seinen wenigen Schülern die technischen und theoretischen Grundlagen der Würfe zu vermitteln.
Später dann, als die Mitgliederzahlen im Kodokan anwuchsen (d.h. so ab 1886 im Fumijo-cho Dojo) konnte Kano diese "Methode" nicht mehr durchhalten und führte isolierte Kata-Lektionen ein.

Wenn man diesen Aspekt des Unterrichtens nun als "Lehrmethode" versteht, dann betrifft dies den inhaltlich-organisatorischen Teil des Unterrichts, also wie man seinen Unterricht zeitlich und organisatorisch gestaltet.

Was er sich gedacht hat und wie Kano inhaltlich-methodisch vorgegangen ist, also wie genau er das jetzt im Einzelnen gemacht hat, weiß ich nicht.

Jedoch hat er zahlreiche "Lektionen" veröffentlicht, so dass dies von Judofachleuten mit Japanischkenntnissen und einem guten erziehungswissenschaftlichen Hintergrund herausgearbeitet werden könnte.

Kano hat sich jedoch auch in einem anderen methodischen Aspekt weiter entwickelt (oder wenn man es so will: geändert). Wie wir bei der Gokyo-Diskussion schon festgestellt haben, hat sich Kano selbst in seinen späten Jahren (so um 1930) in seinem Buch "Judo Kyohan" - wie manch anderer auch, z.B. Mifune! - bei der Vermittlung der Techniken nicht an die vorgegebene Reihenfolge der Gokyo gehalten, die von ihm und seinen Schülern nicht nur als Technikauswahl sondern wohl auch als Lehrsystem (also als Reihenfolge des Lernens) geplant worden war.

Beide (Kano und Mifune) haben die Reihenfolge der Techniken im Vergleich zur Gokyo ausgetauscht.

In welcher Reihenfolge Techniken unterrichtet werden und welche Techniken überhaupt vermittelt werden, ist jedoch auch eine methodische Entscheidung, da gemachte Lernerfahrungen ja zielgerichtet Grundlage für weiteres Lernen darstellen.

Welche Techniken in welcher Reihenfolge wie genau im Einzelnen vermittelt werden (sollen/müssen) ist daher keine Frage von "alt" oder "neu" bzw. "gut" oder "schlecht", sondern eine Frage von angemessen und passend.

Was aber passend ist, wird nicht aus dem Lehrer heraus bestimmt, sondern ist abhängig von der Lerngruppe (Alter, Geschlecht, Anzahl, Leistungsstand, Motivation usw.) und der sie umgebenden Gesellschaft (im sozialistischen Rußland konnte/musste(??) anders unterrichtet werden als z.B. im Sozialstaat Schweden), aber auch von den Zielen und den ausgewählten Inhalten, die nicht nur aus Techniken bestehen, sondern auch z.B. aus Verhaltensweisen, Wissen, Organisationsformen usw.

Auch wenn wir uns also weiter aus gutem Grund an Kanos vier großen "Vermittlungsbereichen" (so möchte ich sie einmal nennen) Kata, Randori, Kogi und Mondo in unserem Unterricht orientieren und von Kanos Überlegungen dazu profitieren, so wird die konkrete Anwendung (d.h. Methodik im engen Sinne als Vermittlungsstrategie) sicherlich anders aussehen als bei Jigoro Kano, denn
- keiner von uns ist Kano
- wir leben in Deutschland mit seinen Gesetzen, seiner Kultur, seiner Sprache, seinen Wertvorstellungen
- und dasselbe gilt für unsere Schüler.

In der Erziehungswissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von den "Sozio-kulturellen Voraussetzungen" für alle Unterrichtsentscheidungen, also auch die für eine angemessene Vermittlung der ausgewählten und zielgerichteten Inhalte.

Natürlich sollen wir Kanos "Methoden" Kata, Randori, Kogi und Mondo in unserem Unterricht verwenden (Kano hatte immer einen "wissenschaftlichen" Zugang zum Judo und dessen Vermittlung!), aber mit den Möglichkeiten und Grenzen, die uns gegeben sind.

Jupp
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von tutor! »

Sehr schön zusammengefasst. Auf einen (begrifflichen) Teil möchte ich noch eingehen, weil Du so elegant drumherum geschrieben hast.
Jupp hat geschrieben:Natürlich sollen wir Kanos "Methoden" Kata, Randori, Kogi und Mondo in unserem Unterricht verwenden (Kano hatte imer einen "wissenschaftlichen" Zugang zum Judo und dessen Vermittlung!)...
Vor allem Kata und Randori werden heute als Inhalte verstanden. Für Kano waren es daneben jedoch auch Methoden!
Nach heutiger Terminologie:
  • Kata = Üben in "geschlossenen" Situationen (jeder weiß, was der andere machen wird)
  • Randori = Üben in "offenen" Situationen (keiner weiß, was der andere machen wird)
Die "richtige" Balance von Kata und Randori (im Sinne der eingesetzten Methoden!) ist also nichts anderes als die "richtige" Balance zwischen geschlossenen und offenen Aufgabenstellungen. Diese Erkenntnis ist wohl zeitlos.

Das Ganze muss natürlich mit konkreten Inhalten gefüllt werden, also für Kata: "welche Aktionen sind vorgegeben?" und für Randori: "was genau ist Aufgabe und welcher Rahmen ist zu beachten?"

Die Auswahl der vorgegebenen Aktionen, der Aufgabenstellungen und der Rahmenbedingungen unterliegen natürlich auch wieder methodischen Überlegungen, die ihrerseits aus den Zielen folgen, aber das würde jetzt etwas zu weit führen und außerdem hat Jupp schon häufiger etwas über den methodischen Aspekt der Inhaltsauswahl bzw. der Systematik geschrieben.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
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Jupp
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Jupp »

... noch ein "zitierfähige Quelle" (auch aus dem weiter oben genannten Bennett-Buch, S. 6
(von mir übersetzt):
"Kanos Kodokan Judo war der Gipfel ("Culmination") beachtlicher Forschung und Anpassung der Techniken aus den traditionellen Schulen des Jujutsu. Das Ziel des Judo bestand darin, als Trainingsmethode zu dienen, "um sich an die Menschen des Zeitalters anzupassen" ("to suit the people of the age").

Später schreibt Bennett: "Er (Kano) experimentierte damit Techniken und Trainingsmethoden der Erziehung zu entwickeln, die gleichermaßen sicher und anregend waren, zu einem längeren Übungsprozess zu ermutigen. Judo als eine Form der Erziehung zu studieren war Kanos Ziel in erster Linie." (S. 8)

Auch diese beiden Zitate machen meiner Ansicht nach deutlich, dass Kano weder in technischer Hinsicht noch in methodischen Fragen frühzeitig zu "endgültigen" Einsichten bzw. Erkenntnissen gekommen ist, sondern stets auch ein Mann war, der sich und seine Vermittlungsmethoden weiter entwickelte und hinterfragte (denken wir z.B. daran, das er - wohl aus Zweifeln an der Vollständigkeit seiner Idee - die Go-no-kata nie wirklich zu Ende brachte...).

Jupp
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Fritz »

tutor! hat geschrieben:Vor allem Kata und Randori werden heute als Inhalte verstanden. Für Kano waren es daneben jedoch auch Methoden!
Ich denke, daß ist ein sehr wichtiger Hinweis...
Mit freundlichem Gruß

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Mitesco
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Mitesco »

tutor! hat geschrieben:Sehr schön zusammengefasst. Auf einen (begrifflichen) Teil möchte ich noch eingehen, weil Du so elegant drumherum geschrieben hast.
Jupp hat geschrieben:Natürlich sollen wir Kanos "Methoden" Kata, Randori, Kogi und Mondo in unserem Unterricht verwenden (Kano hatte imer einen "wissenschaftlichen" Zugang zum Judo und dessen Vermittlung!)...
Vor allem Kata und Randori werden heute als Inhalte verstanden. Für Kano waren es daneben jedoch auch Methoden!
Nach heutiger Terminologie:
  • Kata = Üben in "geschlossenen" Situationen (jeder weiß, was der andere machen wird)
  • Randori = Üben in "offenen" Situationen (keiner weiß, was der andere machen wird)
Die "richtige" Balance von Kata und Randori (im Sinne der eingesetzten Methoden!) ist also nichts anderes als die "richtige" Balance zwischen geschlossenen und offenen Aufgabenstellungen. Diese Erkenntnis ist wohl zeitlos.

Das Ganze muss natürlich mit konkreten Inhalten gefüllt werden, also für Kata: "welche Aktionen sind vorgegeben?" und für Randori: "was genau ist Aufgabe und welcher Rahmen ist zu beachten?"

Die Auswahl der vorgegebenen Aktionen, der Aufgabenstellungen und der Rahmenbedingungen unterliegen natürlich auch wieder methodischen Überlegungen, die ihrerseits aus den Zielen folgen, aber das würde jetzt etwas zu weit führen und außerdem hat Jupp schon häufiger etwas über den methodischen Aspekt der Inhaltsauswahl bzw. der Systematik geschrieben.
Ganz einverstanden damit Tutor!

Du sagst: "Vor allem Kata und Randori werden heute als Inhalte verstanden. Für Kano waren es daneben jedoch auch Methoden!"

Problem ist (denke ich) auch, dass so viele Judoka kaum verstehen, was die Inhalte sind, und deswegen nicht wissen, was sie üben und deswegen nicht wissen, wie man methodisch arbeiten kann mit... mit was eigentlich?

Die Inhalte des Judo sind fast verschwunden, und deswegen auch Kogi und Mondo. Stell dir mal vor: ein Judoka sollte fragen: "Warum, Sensei?" Welcher Sensei versteht die Theorie noch? Kann er darüber wissenschaftlich reden mit den Schülern? Dass die meiste Judoka (und Sensei!) es nicht (mehr) wissen, sieht man, wenn man (seltsamerweise) Kata macht. Kata ist auch deswegen fast verschwunden. Wer will schon, dass sein Judo auffliegt als eine leere Dose?

Mitesco (http://www.mitesco.nl)

"Man kann man sagen, dass die Lehre von Judo einen aus der Tiefe der Verstimmung in ein Stadium energischer Tätigkeit mit einer frohen Hoffnung in die Zukunft führen kann." Jigoro Kano
HBt.

Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von HBt. »

Mitesco :D,
diese "leere Dose" könnte man aber auch ziemlich schnell wieder füllen, wäre sie nicht schon längst (für alle sicht- u. spürbar) implodiert.

Ich bin zuversichtlich.
Problem ist (denke ich) auch, dass so viele Judoka kaum verstehen, was die Inhalte sind, und deswegen nicht wissen, was sie üben und deswegen nicht wissen, wie man methodisch arbeiten kann mit... mit was eigentlich?
Eine Frage des Intellektes und sie bestätigt nur wieder die Tatsache: nicht jeder muss Judo lernen, ist ein Judoka, oder?

Gruß
Helge
Jupp
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Re: Judo lernen - Judo anwenden

Beitrag von Jupp »

Mitesco hat geschrieben:Problem ist (denke ich) auch, dass so viele Judoka kaum verstehen, was die Inhalte sind, und deswegen nicht wissen, was sie üben und deswegen nicht wissen, wie man methodisch arbeiten kann mit... mit was eigentlich?

Die Inhalte des Judo sind fast verschwunden, und deswegen auch Kogi und Mondo. Stell dir mal vor: ein Judoka sollte fragen: "Warum, Sensei?" Welcher Sensei versteht die Theorie noch? Kann er darüber wissenschaftlich reden mit den Schülern? Dass die meiste Judoka (und Sensei!) es nicht (mehr) wissen, sieht man, wenn man (seltsamerweise) Kata macht. Kata ist auch deswegen fast verschwunden. Wer will schon, dass sein Judo auffliegt als eine leere Dose?
Welche Theorie meinst Du Mitesco?

Die Theorie der Wurftechniken, also deren "Konzepte"?
Die Theorie der Grifftechniken, also deren Prinzipien?
Die Theorie der Atemi, also deren Anwendung und "Trefferpunkte" ("vitale Punkte")?
Die Theorie des Randori, also in welcher Haltung (körperlich und geistig) und mit welcher Einstellung zum Partner man welche Techniken anwenden soll?
Die Theorie der Kata, also das Studium vorgegebener Bewegungen, die einen ganz bestimmten "Ausdruck" haben?
Die Theorie hinter den Grundsätzen "Seiryoko-zenyo" und Jita-kyoei"?
Die Theorie des Wettkampfjudo, wie man einen Gegner in einem geregelten Wettkampf besiegt?
Die Theorie des Judo als Selbstverteidigung, also wie man einen Gegner in einem ungeregelten Kampf - eventuell auf Leben und Tod - besiegt bzw. sich nicht besiegen lässt?

Es gibt so viel Theorie im Judo für so viele Inhalte, die bei ihrer Vermittlung eine der Zielgruppe angepasste Methodik (Methode?) benötigen würde.

Was also meinst Du mit Deiner Kritik, dass kaum ein "Sensei noch die Theorie versteht" bzw. in der Lage ist, sich "wissenschaftlich" mit seinen Schülern zu unterhalten?

Wikipedia sagt:
"Wissenschaft ist die Erweiterung des Wissens durch Forschung, dessen Weitergabe durch Lehre, der gesellschaftliche, historische und institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert betrieben wird, sowie die Gesamtheit des so erworbenen Wissens. Forschung ist die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen Arbeiten. Lehre ist die Weitergabe der Grundlagen des wissenschaftlichen Forschens und die Vermittlung eines Überblicks über das Wissen eines Forschungsfelds, den aktuellen Stand der Forschung."
Meinst Du also, dass heutzutage immer weniger "Sensei" ihr Wissen durch Forschung (man könnte vielleicht weniger anspruchsvoll sagen: lesen, diskutieren, informieren) erweitern, also zu faul sind?
Oder wissen die heutigen "Sensei" insgesamt zu wenig über Judo?
Woran machst Du das fest?
An den Beiträgen hier im Forum?

Vielleicht merkst Du, dass ich mich ein wenig über Deinen Beitrag geärgert habe.

Üblicherweise haben Deine Beiträge mehr Substanz und sind nicht so allgemein und pauschal angelegt. Das hat mich sehr gestört.

Vielleicht kannst Du Deine Auffassung ein wenig präzisieren und genauer formulieren.

Jupp
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