Popeye: Auch wenn es nun eine ganze Weile her ist und du das Buch vielleicht auch schon durch hast, möchte ich dich um die versprochene Stellungnahme nicht betrügen:
Mittlerweile stand das Buch bereits über ein Jahr in meinem Bücherregal. Mit Literatur war ich nicht zuletzt durch die Universität durchaus eingedeckt und kam daher gar nicht dazu, mehr als nur einen Blick in das Buch zu werfen. Was für ein Fehler!
Nun habe ich das Buch nach ein paar Wochen Lektüre endlich durch - warum ich so lange gebraucht habe: dazu später. Es besteht natürlich zum größten Teil aus Text, allerdings ist dieser meist um Zeichnungen ergänzt, welche insgesamt grob geschätzt ein Drittel des Buches ausmachen. Dabei handelt es sich nicht einfach um Zeichnungen, sondern um Nachzeichnungen von Fotos. Ich weiß nicht genau, warum das so gemacht wurde, aber ich nehme stark an, dass es zwei Gründe hatte: zum einen wohl ganz pragmatisch die Druckkosten, die bei so vielen Fotos vermutlich in immense Höhen getrieben worden wären; zum anderen sind die Zeichnungen wesentlich besser geeignet, bestimmte Punkte (bspw. Handhaltung, Griffart) aufzuzeigen, was mit Fotos aufgrund ihres starken Gesamteindrucks weniger gut möglich wäre. Zum Vergleich sind in diesem Neudruck, den es übrigens zu einem für Judo-Fachliteratur erstaunlich günstigen Preis gibt, am Ende noch einige der als Zeichnungen im Buch enthaltenen Fotos angehängt. Ganz lustig: Die Zeichnungen sind sogar so gezeichnet, dass man erkennen kann, welcher der dargestellten Judoka Moshe Feldenkrais und wer dessen Lehrer Mikonosuke Kawaishi ist.
Nun, aber eigentlich geht es ja nicht um die Zeichnungen. Sie sind jedoch das wichtigste Medium, das Feldenkrais neben dem geschriebenen Wort und der Vorstellungskraft des Lesers einsetzt, um gerade diesem einiges über Bodenarbeit im Judo zu vermitteln. In der Tat geht es in diesem Buch größtenteils um Bodenarbeit. Ganz zu Anfang sind zwar einige Methoden gezeigt, wie man den Übergang vom Stand zum Boden bewältigen kann, und hin und wieder wird der am Boden befindliche Judoka von einem stehenden Gegner angegriffen, jedoch fasst Feldenkrais auch diese beiden Punkte zu Recht unter den Begriff Bodenarbeit. Insgesamt zeigt der Autor sehr viele Techniken und Möglichkeiten, sich diese zu erarbeiten. Dabei ist sein Ziel jedoch offensichtlich und auch erklärtermaßen nicht, dem Leser ein möglichst breites Spektrum an Techniken zu vermitteln. Er nutzt die Techniken, von denen der Leser sich zwar viele aneignen, aber nur ein oder zwei zur Meisterschaft bringen wird, nur als ein Trägermedium zur Vermittlung eines größeren Ganzen, einer Bewegungsmethodik. Diese definiert er nicht. Und vielleicht bin ich auch noch nicht ganz durchgestiegen. Aber ich denke, es geht im ganzen Buch wirklich mehr darum, dem Leser bestimmte Bewegungsprinzipien näherzubringen, als um einzelne Techniken.
Und da sind wir auch schon bei dem Grund, warum ich so lange gebraucht habe, das Buch durchzuarbeiten: Man muss sich wirklich durcharbeiten! Das Buch ist vielleicht eine gute Nachtlektüre, aber dabei sollte es nicht bleiben. Man muss die Dinge ausprobieren, von denen man gelesen hat. Das eine oder andere probiert man als Trockenübung alleine aus, die meisten Dinge mit einem zunächst kooperativen Partner im Training und vieles gleich im Randori. Und auch dabei muss man aufpassen: Viele der Dinge, die Feldenkrais beschreibt, waren schon damals in vielen Judoverbänden und -vereinen verboten und teils aus genau diesem Grunde unbekannt. Das hat sich bis heute nicht geändert und insgesamt wohl auch verschärft. Und das ist einer der Gründe, warum sich der Autor mit diesem Buch schon damals insbesondere an fortgeschrittenere Judoka gewandt hat. Auch dieses Faktum ist bis heute, weit nach seinem Tod, unverändert. Denn ein weniger fortgeschrittener Judoka dürfte Schwierigkeiten haben, viele der beschriebenen Techniken anzuwenden. Denn getreu dem Ziel, nicht Techniken, sondern Prinzipien zu vermitteln, sind die Beschreibungen eher für den Leser gedacht, der die Technik an sich bereits kennt, aber dem vielleicht das dahinterstehende Prinzip noch nicht klar ist. Jemand, der aber noch nicht einmal die Technik kennt, wird sich schwer damit tun, die Technik richtig zu lernen, geschweige denn das Bewegungsprinzip zu verinnerlichen. Ein Technik-Lehrbuch ist das hier also nicht.
Der englische Text liest sich - vielleicht auch wegen der vielen hilfreichen Zeichnungen - sehr leicht, auch wenn ich hin und wieder kurz überlegen musste, was gemeint ist. Bspw. hat Feldenkrais damals mit "kid" sicher nicht "Kind" gemeint, sondern das "Rehkitz". Aber das sind Kleinigkeiten - insgesamt ist der Schreibstil trotz (oder vielleicht gerade wegen?) des durchaus wissenschaftlichen Anspruchs sehr angenehm.
Ich empfehle das Buch jedem Judoka, der sich intensiver mit Bodenarbeit auseinandersetzen will. Auch BJJler und Grappler können mit Sicherheit einiges aus diesem Buch mitnehmen. 15 € sind mit Sicherheit nicht zu viel für ein Buch, mit dem man so gut arbeiten kann.
Auch hier.