Ich fand es ziemlich mutig (um nicht zu sagen "gewagt"), hier in diesem Faden eine Diskussion zu Begriffen wie "KI" und in der Folge auch "IN" und "YO" zu eröffnen - denn darin verbirgt sich, wie wir ja mittlerweile gesehen haben - eine Menge Zündstoff.
Deshalb (so wie auch aus Zeitgründen) wollte ich mich hier eigentlich zurückhalten - möchte aber nun doch einige Denkanstöße beisteuern:
1) Koshiki-no-kata ist ein sehr schwieriges Thema - und kommt nicht von ungefähr in Japan erst im Programm zum
8. Dan.
Es werden in der Tat viele, viele Dinge vorausgesetzt, die man erst durch jahrelange Beschäftigung mit der Materie erfährt bzw. begreift - bis hin zur japanischen Kultur- und Geistesgeschichte.
Ich wage einmal zu behaupten, daß es in ganz Deutschland allenfalls eine Handvoll Leute gibt, die auch nur annähernd eine Ahnung haben, um was es bei der Koshiki-no-kata eigentlich wirklich geht - wenn überhaupt.
Dies alles in einem solchen Forum erklären zu wollen, halte ich eigentlich für unmöglich.
2) Es geht schon mit den Begrifflichkeiten und dem Verständis davon, worüber eigentlich geredet wird, los:
"Koshiki-no-kata" ist eine reine Kata des Kōdōkan-Jūdō - es gibt und gab in der Kitō-ryū keine "Koshiki-no-kata". (Auch wenn vielleicht die eine oder andere Betitelung im Internet oder auf "YouTube" etwas anderes suggerieren mögen - aber wir hatten das Thema ja vor wenigen Tagen erst in Bezug auf "Jū-no-kata", wo auf die gleiche unqualifizierte Weise ein ganz anderer Herr als "Jigorō Kanō" vorgegaukelt wurde...)
Was es in der Kitō-ryū tatsächlich gab, waren u.a. eine "Omote-no-kata" und eine "Ura-no-kata". (Einfach gesagt, wurden diese beiden Kata von Kanō im Prinzip zusammengefaßt und dann zur "Koshiki-no-kata" des Kōdōkan-Jūdō gemacht.)
3) Inwieweit die im Kitō-ryū (nachweislich!!) vorhandenen Konzepte wie z.B. das zitierte Yin und Yang (In'yō) dann auch tatsächlich Eingang ins Kōdōkan-Jūdō gefunden haben, ob sie sich dann ggf. nur in der Koshiki-no-kata oder auch an anderer Stelle finden, ist eine ganz andere Frage.
Ich habe nichts gegen Spekulationen (solange man sich darüber im Klaren ist, daß es sich um solche handelt), möchte aber dazu direkt noch einige weiterführende Gedanken anfügen:
4) Bevor wir hier an dieser Stelle Dinge diskutieren, die tiefe Einblicke u.a. auch in die verfügbaren Quellen nicht nur zum Jūdō (z.B. Originalschriften von Jigorō Kanō und/oder beispielsweise von Hideichi Nagaoka etc.) sondern auch zum Kitō-ryū (Da gibt es doch noch einiges mehr als "nur" die bekannten Densho!) erfordern, sollten wir doch vielleicht lieber zunächst einmal abwarten, was Leute dazu zu sagen haben, denen solche Einblicke möglich waren:
a) Allen voran Toshirō Daigo (10. Dan), ein Schüler Nagaokas, der es sich noch zur Lebensaufgabe gemacht hat, genau diesen Bereich akribisch zu erforschen und zu dokumentieren - und somit für die Nachwelt zu erhalten.
Daigo hat u.a. schon in dem 1983 (!) erschienenen Band zum Thema "Jūjutsu" innerhalb der bekannten Budō-Enzyklopädie von Kōdansha maßgeblich an dem Beitrag zur Kitō-ryū mitgearbeitet - und hat sich auch in den seitdem vergangenen 26 Jahren ständig weiter mit dieser Thematik beschäftigt: Er hat sämtliche (!) Dokumente und Quellen recherchiert, die jemals dazu verfaßt wurden - und hat sie alle im Original oder in Kopie vorliegen und ausgewertet.
Wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist es sein Ziel, im Laufe der nächsten zwei Jahre die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Arbeit zu veröffentlichen.
Wir können unmöglich das, was er in jahre- bzw. jahrzehntelanger Arbeit zusammengetragen hat, hier im Laufe weniger Wochen und Monate selber im Forum aufarbeiten.
b) Schon seit Jahren gibt es im englischsprachigen Judoforum.com Gerüchte, daß auch ein westlicher Jūdō-Historiker zwischenzeitlich die Densho der Kitō-ryū (ins Englische) übersetzt hat. Laut wiederholter Ankündigung sollen sie sich in einem neuen Opus magnum (mit mehr als 1.200 Seiten!) zur Geschichte des Jūdō befinden, das wohl auch in den nächsten Jahren das Licht der Welt erblicken wird.
Für alle die, die Daigos (natürlich auf Japanisch erscheinendes) Werk mangels Sprachkenntnissen ohnehin nicht werden lesen können, ergibt sich dadurch dann wahrscheinlich die Gelegenheit, zumindest einen Teil der diskutierten Fragen besser zu verstehen. Bis dahin ist leider noch Geduld angesagt...
c) Vorab könnte man ggf. schon einmal Leute befragen, die guten Kontakt zu Daigo haben (evtl. auch durch seine private "Studiengruppe" zur Koshiki-no-kata) und u.U. auch über die Ergebnisse seiner Arbeit Auskunft geben können. (Zumindest
ein - sehr gut englisch sprechender - Japaner hat ja u.a. schon von dieser Studiengruppe im englischsprachigen Forum berichtet; und auch hier in Deutschland sollen schon Leute Lehrgänge zum Thema Koshiki-no-kata geleitet haben, die selbst von Daigo gelernt haben.)
Ob und inwieweit man auf diese Weise tatsächlich an die erhofften Informationen kommt, vermag ich nicht zu beurteilen. Sicherlich wäre das auch nicht annähernd ein Ersatz für wirklich fundierte Informationen aus erster Hand...
5) Wenn man sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt, werden sicherlich auch wieder neue Diskussionen entfacht - das Thema Yin und Yang (In'yō) ist ja hierfür schon ein gutes Beispiel.
Aber es geht noch deutlich weiter: Auch an anderen Weltbildern (bzw. Legenden) wird dann unweigerlich wieder gerüttelt - z.B. wenn es um das oft kontrovers diskutierte Thema "Budō und Zen" geht (Eine Betrachtung der Kitō-ryū ohne Beschäftigung mit der Verbindung und der Beeinflussung des Ryū-Gründers Ibaragi Sensai durch den Zen-Buddhismus ist praktisch unmöglich...!)
Aber wollen wir das wirklich? Müssen wir jetzt auch noch gegen die blödsinnige Behauptung zu Felde ziehen, Zen und Budō hätten nichts miteinander zu tun...?
Beschäftigen wir uns stattdessen doch lieber hier in diesem Forum zunächst einmal weiterhin mit Jūdō - da haben wir für die nächsten Jahre noch genug zu tun...
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