Hallo Tutor,
ich denke, daß es da einige Mißverständnisse gegeben hat.
Ich möchte daher präzisieren.
Wenn man BTW eine andere Ryu erst praktiziert haben müsste, um Kito-Ryu zu verstehen, hätten sie damals ihre Leute vorher woanders hinschicken müssen.
Ich dachte, ich hätte mich eindeutiger ausgedrückt - also nochmal: wenn HEUTE jmand, der aus dem (mit Verlaub) Sportjudo kommt, sich den weitergehenden Lehrinhalten der Kitô Ryû widmen möchte, wäre es sicher von großem Vorteil, wenn er vorab Erfahrungen in einer noch "lebenden" Koryû sammeln könnte.
Das habe ich gemeint und eigentlich auch so ausgedrückt ...
Natürlich ist es absurd, anzunehmen, daß man (bspw. in der Edo-Periode) erst eine andere Koryû zu erlernen gehabt hätte, ehe man sich der Kitô Ryû zuwenden konnte.
Ich denke, daß ich nun deutlich gemacht habe, was ich meine.
... genauso abwegig, wie der Gedanke, man müsse die "Waffentechniken" der Kito-ryu praktizieren, um die waffenlosen Techniken zu verstehen.
Und da muß ich dir leider widersprechen.
Unter denen, die noch heute lebendige Koryû praktizieren, ist es Konsens, daß die (sehr marginalen) "waffenlosen" Lehrinhalte NICHT ohne vorheriges Training der Waffen verstanden werden können. Ich verweise dazu auf anerkannte Experten wie Armstrong, Amdur, Skoss ...
Denkt nach: wenn dies so wäre, hätte Kano sicherlich eine Kito-ryu-Kata mit Waffen hinterlassen...
Das sehe ich nicht so.
Koshiki-no-Kata ist eine Kata des Yoroi-Kumi-Uchi.
Das sagt doch wohl über Waffen mehr als genug, denke ich.
Mir ist übrigens noch nicht einmal eine einzige Textstelle von Kano bekannt, in der Kano irgendwelche Waffentechniken der Kito-ryu erwähnt, wäre aber sehr dankbar für einen entsprechenden Hinweis (aber bitte nicht die übliche Antwort, dass er als Menkyo Kaiden-Halter es gelernt haben muss - diese Argumentation ist (mir) hinlänglich bekannt).
Im "Bugei Ryûha Daijiten" sind, soweit mir bekannt, die in der Kito Ryû verwendeten Waffen angegeben.
Btw: auch in der Tenshin Shinyo Ryû wurden Waffen verwendet (Odachi und Kodachi), auch wenn Skoss schreibt, daß
heutzutage in der TSR wohl kaum noch jemand diese Waffentechniken trainiert.
Dagegen sind mir Textstellen bekannt, in denen er das Training mit traditionellen Waffen als von geringem Nutzen einstuft
Richtig.
Das war imho das "Neue" an Kanôs Kampfsystem - die Umkehr der Wertigkeit von Waffentechniken und "waffenlosen" Lehrinhalten.
Während (ganz grob pauschalisiert) die Koryû zu etwa 90% aus Waffentechniken bestanden und die "waffenlosen" Techniken sich (nachweisbar!) aus diesen Waffentechniken ergaben und sie ergänzten, kehrte Kanô dies um.
Damit paßte er sein Kampfsystem den gesellschaftlichen Gegebenheiten an, wie immer betont wird (und was ja auch stimmt).
Verglichen mit den Koryû ist das Waffentraining (nennen wir es der Einfachheit mal so, einverstanden?) im Kôdôkan tatsächlich sehr ... marginal und war wohl weitgehend auf Kata beschränkt.
Daß Kanô damit auf Dauer nicht zufrieden war, sehen wir an der Einrichtung der Kobudô Kenkyukai. in welcher, wie wir wissen (und wie uns Reaktivator dankenswerterweise bestätigt hat) zumindest mit dem Jô geübt wurde (von weitergehenden Spekulationen sehe ich mal ab).
Erinnert sei auch an das Zitat "Der ideale Jûdô-Lehrer ..."
Aber wie dem auch sei: im Kontext "Ki" und "IN-YO" ist eine Differenzierung nicht erforderlich, da die Anwendung der Prinzipien auf dasselbe hinaus läuft.
Gut, nehmen wir an, daß es so ist.
Dann wird doch die Frage von Wlad interessant, WIE genau nun a) in der Kitô Ryû das "Ki" kultiviert und implementiert wurde und wie das b) auf dieser Grundlage im Kôdôkan Jûdô geschah.
Dazu würde ich gern konkret erfahren, welche Übungen dem zugrundelagen und WIE sich das bspw. auf das Üben der Koshiki-no-Kata auswirkt(e).
Nein, Du hast nicht wirklich Recht. Ich zumindest kenne auch die Version von Kano - sie ist komplett im Internet zu finden. Andere, zu denen ich gute Kontakte habe, verfügen z.B. auch über Aufnahmen von Nagaoka. Dazu kommen noch interessante andere Quellen.
Nagaokas Ausführung habe ich gesehen.
Es gibt also - jedenfalls entnehme ich das deinen Worten - einen erkennbaren, quantifizierbaren Unterschied in der Ausführung der Koshiki-no-Kata von Kanô und Nagaoka, verglichen mit dem, was andere Jûdôka mach(t)en?
Worin besteht dieser Unterschied? Sag jetzt bitte nicht "Ki".
das wäre keine Erklärung, sondern eine Behauptung.
Wie gesagt, mich interessiert das brennend!
Du denkst aber auf einer völlig falschen Ebene, nämlich der "Ausführung" (und da geht es in Ermangelung lebender Lehrer sicherlich um "Rekonstruktion"). Jenseits dieser Ausführung gibt es aber zu Grunde liegende Prinzipien, die in die Praxis umgesetzt werden müssen. Diese Umsetzung kann auch gelingen, wenn die Ausführung in Details abweicht, weil es sich ja bekanntlich um Prinzipien handelt, die eben Prinzipien illustrieren, was eine gewisse Variabilität in der Ausführung zulässt.
Einverstanden, es geht also um Prinzipien und deren Validität.
Letztlich gehen sie nach dem traditionellen Konzept von Shu-Ha-Ri vor. Der Kodokan vermittelt Koshiki-no-Kata - wie auch alle anderen Kata - für die breite Masse auf der Stufe des "Shu", was ganz platt ausgedrückt nichts anderes heißt als "mach es genauso nach, wie ich es Dir vormache und stelle Fragen erst dann, wenn Du das so kannst, wie ich es Dir gezeigt habe."
Die "japanische Methode", zu der mir in einem anderen Forum entsetzt gesagt wurde, daß man "so" aber keinesfalls lernen wolle ...
Gut, ich denke, ich habe deinen Ansatz so weit verstanden.
Ich bin noch immer nicht überzeugt davon, daß man eine tote Schule auf diese Weise so rekonstruieren kann, daß sie zweifelsfrei wiederhergestellt ist - aber ich finde das Projekt an sich sehr interessant.
Abgesehen davon kann es dem Jûdô insgesamt ja nur nützen, von daher ist es eine lohnende und dankbare Aufgabe.
Ich finde es gut und richtig, daß man sich von Seiten des Kôdôkan verstärkt den Wurzeln des Jûdô zuwendet und hoffe sehr, daß dies positive Auswirkungen auf das Verständnis des Jûdô jenseits der "bloßen Sportart" haben möge.