In meinem vorigen Beitrag habe ich die Aikido-Einflüsse auf die Selbstverteidigung des Kodokan angerissen. In diesem Beitrag möchte ich die erste Serie der Kodokan Goshin Jutsu – das Verteidigen gegen Festhalten und Greifen – näher betrachten und vor allem im Quervergleich zu anderen Kata in Beziehung setzen.
(1) Ryote-dori („Greifen beider Handgelenke von vorne“)
Ryote-dori kommt als Angriff in allen Selbstverteidigungs-Kata des Kodokan vor – und darüber hinaus auch in der Ju-no-Kata. In der Kime-no-Kata ist es der erste Angriff sowohl der ersten Serie (im Kniesitz) aus auch im Stand. In der Kime-shiki ist Ryo-te-dori sogar der Angriff in den drei ersten Techniken. Bei der ersten Technik der Joshi-Goshinho wird nur ein Handgelenk gefasst, das Fassen beider Handgelenke erfolgt bei der zweiten Technik. In der Ju-no-Kata ist Ryote-dori die dritte Technik.
Das Greifen beider Handgelenke ist also eine sehr hervorgehobene Angriffsform in der Selbstverteidigung des Kodokan Judo. Weiter unten (http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... =58&t=4168) hat „kastow“ vor kurzem auch nach einem Vergleich zwischen der Abwehr in Kime-no-Kata und Ju-no-Kata gestellt.
Die Verteidigung gegen Ryote-dori in der Kodokan Goshin Jutsu beinhaltet in mehrerlei Hinsicht Neues gegenüber den anderen Kata:
- Uke fasst nicht nur Toris Handgelenke, sondern kommt zusätzlich nach vorne und tritt dabei mit dem Knie in Richtung Toris Unterleib
- Tori kontrolliert Uke letztendlich mit einem Handgelenkshebel (Kote-hineri), einer Technik, die so in keiner anderen Selbstverteidigungskata vorkommt und neben Kote-gaeshi als neues technisches Prinzip in die Kodokan Goshi Jutsu eingeflossen ist (vgl. http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... =58&t=4252)
Nach der Befreiung unterscheiden sich Ju-no-Kata und Kodokan Goshin Jutsu erheblich. In der Kodokan Goshi Jutsu erfolgt ein Handkantenschlag zur Schläfe, eine Drehung nach rechts hinten von Uke weg und ein Kote-hineri, während in der Ju-no-Kata ein Ellbogenstoß zum Solar Plexus erfolgen könnte (der aber nicht erfolgt) sondern Tori sich rechts in Maki-komi eindreht. BTW: Maki-komi mit Griff über Ukes Arm deshalb, um nicht von Uke gewürgt werden zu können.
(2) Hidari-eri-dori und (3) Migi-eri-dori („Linken / rechten Kragen greifen und schieben / ziehen“)
Die zweite und dritte Technik der Kodokan Goshin Jutsu sind im Zusammenhang zu betrachten. Einmal greift Uke den linken Kragen von Tori und schiebt, beim zweiten mal greift er den rechten Kragen und zieht.
Man tut sich schwer, hierbei von ernsthaften Angriffen zu sprechen. So macht Uke z.B. keine Anstalten die zweite, freie Hand einzusetzen. Deutlich wird aber beim Üben dieser Techniken, dass es sich um Anwendungen des Grundsatzes „gehe zurück, wenn Du gestoßen wirst und gehe nach vorne, wenn Du gezogen wirst“ handelt.
In vielen Kata kommt Uke nach vorne und wird von Tori durch weiterführen „besiegt“, da genau dieses „Siegen durch Nachgeben“ so zentral für Judo ist. In der Kodokan Goshin Jutsu wird dieses Nachgeben mit der Anwendung eines Schlages zur ersten Phase des Gegenangriffs genutzt, bevor Uke mit Kote-hineri bzw. Kote-gaeshi endgültig abgewehrt wird.
(4) Kata-ude-dori („Handgelenk und Ellbogen von der Seite greifen und schieben“)
Uke greift von seitlich hinten Toris rechten Arm am Handelenk und am Ellbogen und schiebt Tori nach vorne. Diese Technik ähnelt dem Sode-tori der Kime-no-kata mit zwei Unterschieden. In der Kime no Kata greift Uke den linken Arm Toris an und greift auch nur mit einer Hand (dafür aber den Ärmel).
In beiden Fällen gibt Tori dem Druck nach, geht nach vorne und tritt gegen Ukes Knie. In der Kodokan Goshin Jutsu greift Tori Ukes Handgelenk und beendet mit einem Hebel, während er sich in der Kime no Kata weiter dreht und mit O-soto-gari wirft.
Wer beide Kata übt, übt auch beidseitig!
(5) Ushiro-eri-dori („Von hinten am Kragen ziehen“)
Diese Angriffsart gibt es ansonsten außer in der Joshi Goshinho in keiner anderen Kodokan Kata. Uke greift von hinten Toris Kragen in dessen Nacken und zieht ihn nach hinten. Tori dreht sich zu Uke hin, hebt seinen linken Arm, um seinen Kopf zu schützen und schlägt Uke zum Kinn (Joshi Goshinho). Darauf löst Uke (vor Schmerz und Schock) den Griff am Kragen - wohlgemerkt in der Joshi Goshinho.
In der Kodokan Goshin Jutsu geht es - was das Lösen des Griffes betrifft - nicht ganz so "optimistisch" zu. Tori schlägt zum einen gegen den Solar Plexus, bevor er Uke - nachdem dieser der Kragen nicht loslässt - mit einem Ude-gatame endgültig kontrolliert. Dieser Ude-gatame könnte natürlich weitergeführt werden...
(6) Ushiro-jime („Würgen von hinten“)
Das Würgen von hinten taucht in keiner anderen Kodokan Kata als Angriff von Uke auf, wenn man einmal davon absieht, dass es in der Joshi Goshinho eine Abwehr gegen Würgen von hinten mit einem Handtuch(!) gibt. Die Grundidee in der Kodokan Goshin Jutsu besteht darin, sich nach unten aus dem Würgegriff herauszuschrauben und den würgenden Arm zu hebeln.
(7) Ushiro-dori („Umklammern über den Armen von hinten“)
Das Umklammern von Tori über den Armen kommt wieder in allen Kodokan SV-Kata vor – und darüber hinaus auch in der Koshiki-no-Kata. Nach einer Lockerung der Umklammerung – genauer: Verhinderung eines endgültigen Zufassens – durch nach vorn bzw. zur Seite bringen von Toris Armen erfolgt z.B. in der Kime-no-kata und in der Koshiki-no-Kata ein Seoi-otoshi.
In der Kodokan Goshin Jutsu wird eine Alternative geübt: den klammernden Arm einklemmen, Hebeln, sich genau anders herum drehen und einen „verhebelten“ Wurf ausführen.
Kleine Zusammenfassung:
Die Kodokan Goshin Jutsu enthält also:
- „neue“ Konzepte im Vergleich zu den älteren Kata (Kote-hineri und Kote-gaeshi),
- schließt die ein oder andere Lücke bei den Angriffen der anderen Kata des Kodokan,
- bietet alternative Abwehren gegen Angriffe, die auch in anderen Kata vorkommen und
- erweitert damit das Spektrum der SV des Kodokan Judo.