Judo, Leistungssport und Erziehung

Hier könnt ihr alles posten was mit Judo zu tun hat

hoerby02
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von hoerby02 »

Jupp hat geschrieben:...

Mein eigene "Weisheit" zu diesem Problem lautet: "Ob unsere Erziehungsmaßnahmen tatsächlich "erzogen" haben, dass weiss man leider immer erst hinterher."

Schon in der Bibel steht: "An Ihren Früchten sollst Du sie erkennen!"
Oder (nicht in der Bibel)
"Ob ein Trainer einen Judoschüler gut erzogen hat, kann er daran erkennen, wie dieser Judoschüler später mit seinem Trainer umgeht."
Das kann ich so nur unterstützen. Hinzu kommt, dass Judo meist nur ein sehr kleiner Teil der "Erziehung" ist, auf viele andere Faktoren können wir als Judo-Trainer gar keinen Einfluss nehmen (z.B. Eltern, Schule, Freunde).

Wer Judo tatsächlich als Leistungssport betreibt, muss vieles dem Judo unterordnen, da könnte der Einfluss des Judo vielleicht sogar etwas größer sein, ob dieser dann aber positiv sein wird, kann man aber eben meistens nicht gleich feststellen.
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Olaf
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Olaf »

Nun verwässert der Anspruch hier leider etwas. Der mögliche Misserfolg von Erziehung oder der Einfluss anderer Faktoren sollte den Einzelnen nicht der Verpflichtung entheben, auch in erzieherischer Richtung zu wirken.

Frohen Jahreswechsel wünscht
Olaf
Immer wieder muß das Unmögliche versucht werden,
um das Mögliche zu erreichen

Derjenige, der sagt „Es geht nicht“, soll denjenigen nicht stören, der es gerade tut.

Jeder kann unter http://www.obernkirchenraptors.de mehr über uns erfahren.
tutor!
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von tutor! »

Judo und Erziehung ist ja ein äußerst komplexes Thema....

Mir ging es in erster Linie darum, ob die Geisteshaltung eines Leistungssportlers mit der Geisteshaltung eines Judoka vereinbar sein kann. Kano hat selbst einmal geschrieben, man müsse Wettkämpfe immer auch mit sittlicher Ausbildung verbinden - dann seien sie erzieherisch wertvoll. Er war ja kein Gegner sportlicher Wettkämpfe, sondern es es ging ihm um das "wie".

Wenn man nun mit einer "sittlichen" Geisteshaltung im Leistungssport erfolgreich sein kann, dann steht auch der Leistungssport nicht im Widerspruch zu Kanos Erziehungsgedanken. Dieses sehe ich aus meiner Erfahrung an vielen Beispielen belegt, aber ich sehe acuh Gegenbeispiele, so dass der Schluss zu ziehen ist, dass es keinen Automatismus erzieherischer Wirkungen durch das Betreiben von Judo allein gibt - in welcher Form auch immer es betrieben wird.

Es bedarf immer eines qualifizierten Judopädagogen. Dieser besitzt nach Kano:

"Kentnisse in der Theorie des Kampfes und gleichzeitig das Wissen, das er als Leibeserzieher benötigt sowie Fertigkeiten in der Methode der Leibeserziehung. Als Erzieher hat er fundierte Kenntnisse in der Theorie der Moralerziehung (...). Überdies besitzt er ein tiefes Wissen über Anwendung der Judo-Prinzipien im gesellschaftlichen Leben."
(aus der Dissertation von A. Niehaus, S. 222)
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Jupp
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Jupp »

Ich hatte in meinem Beitrag vom 31.1.2008 versprochen, Frank Wieneke zum Thema dieses Fadens zu befragen, um herauszufinden, ob er als Jemand, der wie kaum ein anderer in Deutschland für Judo als Leistungssport steht, Judo als Leistungssport auch als Erziehungsmethode sieht.
Anfang Januar habe ich ihn in der ersten Woche an seinem neuen Arbeitsplatz an der Trainerakademie Köln besucht, wo er in seinem neuen Aufgabenbereich ab 1.1.2009 als "wissenschaftlicher Referent" für die Koordination und inhaltliche Gestaltung der Aus- und Weiterbildung an der Trainerakademie für alle Sportarten zuständig ist.

Meine Frage war: "Wirkt Judo als Leistungssport aus Deiner Sicht als ehemaliger Athlet und langjähriger Nationaltrainer erzieherisch?"

Frank sagte u.a.: "Da ich seit meinem 8. Lebensjahr Judo gemacht habe, muss Judo zwangsläufig einen Einfluss auf meine Erziehung genommen haben. Mich hat das Judosport extrem geprägt. Ohne Judo wäre ich sowohl von meinem körperlichen Erscheinungsbild her als auch von meinem Auftreten sicherlich ein komplett anderer Mensch geworden.
Ich habe mich für Judo als Kampfsport entschieden - und nicht z.B. für einen Mannschaftssport -, weil ich alleine für mich verantwortlich sein wollte, sowohl im Sieg als auch in der Niederlage, wo ich z.T. sehr schmerzliche Erlebnisse allein verabeiten wollte und musste.
Ich habe einmal gesagt, Judo musst Du träumen und leben. Das alleine sagt ja schon aus, das man in einem extremen Maße von seiner Sportart beeinflusst wird, der ich ja fast mein ganzes bisheriges Leben gewidmet bzw. mein Leben daran ausgerichtet habe. Das hat natürlich für meine Entwicklung als Mensch großen Einfluss gehabt.
Durch Judo habe ich gelernt, alleine verantwortlich zu sein. Auch meinen Kindern sage ich, dass sie z.B. in der Schule die Schuld für schwächere Leistungen nicht auf andere z.B. ihre Lehrer abwälzen dürfen, sondern sie in erster Linie bei sich selber suchen sollen. Sie sind für ihre schulischen Leistungen selber verantwortlich.
Das habe ich durch mein Judo auch für mich selbst erlebt. Weder als Athlet noch als Trainer habe ich die Schuld bei Misserfolgen bei anderen gesucht, sondern stets mich selber kritisch hinterfragt und ich wäre z.B. als erfolgloser Bundestrainer auch bereit gewesen, notwendige Konsequenzen zu tragen. Ich bin für meine Entscheidungen und für mein Handeln und die sich daraus ergebenden Konsequenzen selbst verantwortlich.
In diesem Sinne ist Judo für mich zu einer Lebenseinstellung geworden.
"

Das Gespräch mit Frank hat am 9. Janaur im Olympiastützpunkt Köln stattgefunden.

Mit Ole Bischof habe ich bisher leider nicht sprechen können, vielleicht ergibt sich jedoch noch vor dem Forumstreffen dazu eine Gelegenheit.

Jupp
katana
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von katana »

Ich finde den "Interview-Beitrag" von Jupp als eine wirkliche Bereicherung für ein Forum. Die meisten Judoka haben zu Personen der Leistungssportspitze nur selten Kontaktmöglichkeiten. Hoffentlich finden noch einige solcher Interviews den Weg in die breite Judoka-Masse.
Was mich in diesem Zusammenhang noch weiter interessiert hätte, wäre eine etwas noch speziellere Fragestellung
gewesen. "Wirkt Judo als LS...... erzieherisch" ist schon mal ein Einstieg, aber der Prozess des erzieherischen
Wirkens ist, denke ich, nicht so sehr umstritten, wie die definitiven Ergebnisse dieses Prozesses.
Die allgemeine Fragestellung bringt aus meiner Erfahrung meist Schlagworte wie "Leistung, Verantwortung,
Sieg, Niederlage und Konsequenzen" ohne diese eindringlicher zu hinterfragen. Vor allem die Konsequenzen sind es ja , die in einer leistungsorientierten Umgebung oftmals sehr schnell gezogen oder gefordert werden.
Stellen wir uns einmal vor Ole Bischof wäre ausgeschieden, was ja im heutigen Top-Judo, wo "Jeder Jeden schlagen kann" durchaus möglich gewesen wäre,
Wäre dann aus einer so herausragenden Persönlichkeit (wer ihn kennt, gibt mir wahrscheinlich recht) wie
Frank Wienecke plötzlich ein "erfolgloser Trainer geworden" ???
Welche Konsequenzen hätte er sich selbst auferlegt ? Ich denke hier schwingt schon ein Unterton von Leistungs- und Erfolgsdruck mit.
Und nun zurück zur breiten Judo-Gemeinde.
Wenn man bedenkt, wieviele Kinder jährlich im Judowettkampf "verheizt" werden, die vielleicht nie die Chance bekommen, ein anderes Gesicht des Judo kennenzulernen, als so früh wie möglich zum Wettkampf gefahren zu werden, regen sich auch in mir ernsthafte Bedenken.
Alleine die Zahlen, die von U9,11 usw. bis U17 einen enormen Rückgang belegen, und die ich auch aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen kann,
zeigen ganz deutlich, daß der Judosport jährlich ein enormes Mitgliederpotential verschenkt.
Die Popularität des Judo ist scheinbar nicht das Problem, sondern die Tatsache, dass unzählige Kinder
nicht über die beinharte Leistungssportmentalität verfügen und nach den ersten Niederlage sehr früh
"ihre Konsequenzen" ziehen und dem Judo den Rücken kehren, ohne eine weitere Facette kennenzulernen dürfen.
Was meint ihr dazu ?

in diesem Sinne KK
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Philipp K.
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Philipp K. »

Was mich etwas erstaunt ist, dass im Judo anscheinend die Kontakte zu den Top-Leuten auch von "normalen" Judokas besteht, wie mein Vorredner schon anmerkte. Ist dies wirklich ausgeprägter als in anderen Sportarten? Im Judo fällt es mir zumindest, was ich hier so lese, recht deutlich auf.

Falls es so ist, wie kommt das, dass es im Judo so ist, aber nicht in anderen Sportarten oder KK's? Oder bekommt man das bloß nicht mit?

Danke und sorry fürs Abschweifen vom Thema, aber es passt an dieser Stelle gerade so schön ;)
Wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört etwas zu werden!
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Anfängerin08 »

Hallo Philipp,

ich weiß jetzt nicht, was für andere Sportarten Du meinst, kann aber von der Leichtathletik sagen, dass auch da "normale" Athleten Kontakt zu "Spitzen"athleten haben und es dort kein besonderes Elitedenken gibt. Zumindest habe ich das nie selbst erfahren.

Wobei mir beim Judo gefällt, dass sowohl Topjudoka als auch hohe Danträger sich nicht scheuen, den "normalen" Judoka (egal ob Breitensportorientiert oder in Richtung Wettkampf) ihre Erfahrungen und Techniken weiterzugeben. So komme selbst ich als wenig exponierter Judoka auf Trainingseinheiten bei Ulrich Klocke, Hannah Ertl, Udo Quellmalz, Gunther Bischof usw. und konnte dort sehr viel mitnehmen (ob ich alles umsetzen kann, ist die nächste Frage, liegt aber an mir!)

viele Grüße A.
tutor!
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von tutor! »

katana hat geschrieben: Die Popularität des Judo ist scheinbar nicht das Problem, sondern die Tatsache, dass unzählige Kinder
nicht über die beinharte Leistungssportmentalität verfügen und nach den ersten Niederlage sehr früh
"ihre Konsequenzen" ziehen und dem Judo den Rücken kehren, ohne eine weitere Facette kennenzulernen dürfen.
Was meint ihr dazu ?
---- OT ein -----
Nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen ist es viel mehr so, dass Kinder, die nie zu Wettkämpfen gehen, eher früher aufhören als solche, die es tun. "Beinharter Leistungssport" wird nur von einer absoluten Minderheit betrieben, wobei "beinhart" der völlig falsche Ausdruck ist.

In unserem Kreis gibt es ca. 3.000 bis 4.000 Judoka - auf den Kreismeisterschaften aller Altersklassen kommen vielleicht 300 bis 400 zusammen (ich schätze jedesmal neu :( ). Wenn aber nur ca. 10% der Judoka überhaupt bei Wettkämpfen "ankommen", wir aber erleben, dass zwischen Gelbgurt- und Orangegurtprüfung ein Rückgang von etwa 1000/Jahr auf rund 300/Jahr stattfindet (alte Zahlen aus dem Kopf), dann müssen wir feststellen, dass das verschenkte Mitgliederpotential ganz woanders liegt.

Die meisten Vereine schaffen es, Kinder etwa 1-2 Jahre für ein halbwegs regelmäßiges Training (1 bis 2mal pro Woche) zu begeistern, aber eben vielfach nicht über diesen Zeitraum hinaus. Hier müsste angesetzt werden.

---- OT aus----
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Hofi
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Hofi »

@ Katana: Die Frage der Mitgliederverluste hat denke ich weniger mit dem hier zur Diskussion gestellten Wert des Judo als Leistungssport für die Erziehung zu tun. Und was das Verheizen auf Wettkämpfen angeht:
Ja, es gibt diese Trainer/Eltern/Betreuer, aber ich denke nach meinem Erleben sind sie eine Minderheit.
Ich bin selbst ein Anhänger von Wettkämpfen, aber nicht damit die Kinder Medaillen produzieren, sondern als Trainingseinheit, in der die Kinder die Wirksamkeit ihrer Techniken überprüfen können.
Und die Mitgliederverluste hängen nicht damit zusammen, ob ein Verein früh, spät oder gar nicht auf Wettkämpfe geht. Es hängt damit zusammen, ob er seine allgemeinen Hausaufgaben macht, heißt, über die reinen sportlichen Aktivitäten noch anderes anbietet, um bei den Trainierenden ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu produzieren. Eine Wettkampfmannschaft ist hierfür sehr hilfreich, aber mindestens genauso wichtig sind Wandertage, Trainingslager, Grillfest, Weihnachtsfeier, der Stammtisch für die Erwachsenen und was man sich sonst noch so einfallen lassen kann. Aber das hat nichts mehr mit dem Erziehungsaspekt des Leistungssports zu tun und sollte gegebenenfalls ausgelagert werden.
Bis dann
Hofi
P.S.: tutor! war schneller 8)
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Mitesco »

Das junge Kinder wieder aufhören mit Judo bevor es eben angefangen hat, hat nichts zu tun mit zu viel Leistungssport.

Aufhören ist meistens Mangel an Ausharren.
Zu viel Leistungszwang bedeutet: schon (übertrieben) ausharren, aber nicht auf eine richtige Weise. Ohne Balance. Und deswegen erzieherisch (und für das Judo) ein Problem.

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"Man kann man sagen, dass die Lehre von Judo einen aus der Tiefe der Verstimmung in ein Stadium energischer Tätigkeit mit einer frohen Hoffnung in die Zukunft führen kann." Jigoro Kano
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von katana »

Hallo Tutor und Hofi,
natürlich gibt es immer auch andere Aspekte, warum Judoka aufhören,
darüber sind wir uns denke ich schon alle einig.
Allerdings das "Phänomen" so ganz aus dem Erziehungswert auszuklammern, stimmt mich nun auch nicht so ganz zufrieden.
Denn diese Prozesse des Umgehens mit Leistung im positiven und negativen Sinne und der daraus folgenden Konsequenzen, die Frank (Interview) ja auch erwähnte, und die er selbst weiterführend auch für die Kindererziehung z.B. im Umgang mit den schulischen Leistungen anspricht, zeigen da schon einen Multiplikationseffekt und waren eigentlich auch mein Hauptanliegen.
Die zweite Hälfte meines vorigen Beitrags sind da so mehr meine Gedankengänge dazu, aber eben nur im Gesamt-Zusammenhang relevant.
Die Begriffe in "Gänsefüßchen" sind eher etwas überspitzt gemeint und bitte nicht so eng zu sehen.

Daß viele Kinder (neben anderen Faktoren) schon vor den ersten Wettkämpfen aufhören, muß nicht unbedingt
das Gegenteil beweisen, da ja die Ausrichtung des Unterrichts (und somit auch die Erziehung) hin zum
Wettkampf eben oftmals als einzige Option ohne Wahl bleibt.
Dies ist ja auch im Sinne des Jigoro Kano, so wie ich das aus mehreren Beiträgen verstanden habe, eher nicht das anzustrebende Ziel !???

(wie kriegt man eigentlich diese Smilies in den Text ?)
KK
tutor!
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von tutor! »

katana hat geschrieben:Daß viele Kinder (neben anderen Faktoren) schon vor den ersten Wettkämpfen aufhören, muß nicht unbedingt
das Gegenteil beweisen, da ja die Ausrichtung des Unterrichts (und somit auch die Erziehung) hin zum
Wettkampf eben oftmals als einzige Option ohne Wahl bleibt.
Dies ist ja auch im Sinne des Jigoro Kano, so wie ich das aus mehreren Beiträgen verstanden habe, eher nicht das anzustrebende Ziel !???
Fangen wir hinten an: die alleinige Ausrichtung des Trainings auf Wettkämpfe ist mit Sicherheit niemals das anzustrebende Ziel Kanos gewesen. Ob es wirklich viele Vereine gibt, in denen von Beginn an die Ausrichtung des Trainings dennoch auf Wettkampf gerichtet ist, muss ich bezweifeln. Einige sicher, aber zumindest in meinem Umfeld kenne ich keinen einzigen. Das kann aber andernorts anders sein.

Die Diskussion um Sport und Erziehung ist insgesamt eine äußerst komplexe und die zentrale Fragestellung ist, ob es denn tatsächlich einen Transfer vom Sport in den außersportlichen Bereich gibt. Man müsste mindestens die Bereiche
  • "Erziehung zum Judo/Sport"
  • "Erziehung innerhalb des Judo/Sport"
  • "Erziehung durch Judo/Sport"
voneinander unterscheiden. Vergessen wir auch bitte nicht, dass wir im deutschen Sprachraum den Begriff "Erziehung" meist im Sinne einer normativ-ethischen Erziehung und/oder der Herausbildung von Charaktereigenschaften verstehen. Davon abgegrenzt wird im deutschen Sprachraum der Begriff "Bildung" verwendet, während das englische "education" beide Bereiche umfasst. In Deutschland hieß der Schulsport auch einmal "Leibeserziehung", während heute nur noch "Sport" auf dem Zeugnis steht und die Frage in den Hintergrund tritt, ob denn von der Erziehung des Leibes noch etwas übrig geblieben ist.

Ich persönlich bin ausgesprochen skeptisch, ob es gelingen kann, Verhaltensnormen, die innerhalb des Sportes gelten allein durch sportliches Training, auch auf den außersportlichen Bereich zu übertragen. Damit "sportliche Haltung" zu einer Lebenseinstellung wird, bedarf es schon mehr als nur zwei- oder dreimaliges wöchentliches im Sinne des Wettkampfsports "sachgerechtes" Training. Erziehender Sport muss in jedem Fall anders ausgestaltet sein, als "nur" Training.

Was den zum Teil dramatischen Mitgliederschwund zwischen Gelb- und Grüngurt angeht, muss man einmal genau in die Trainingsgestaltung für diese Ausbildungsstufe hineinschauen. Vielen ÜL/Trainern täte ein wenig mehr Selbstkritik gut, anstatt auf allerlei äußere Umstände (Schulwechsel, allgemeiner Leistungsdruck, veränderte Lebensbedingungen usw.) zu schauen, die unbestreitbar auch einen negativen Einfluss haben, die aber genauso unbestreitbar ein wunderbares Alibi liefern.
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Mitesco »

Wenn wir 'education' im breitesten Sinne verstehen, und nicht nur sportlich, sondern auch intellektuell/moralisch wie Kano es meinte, und also Bildung und Erziehung meinen, sollten wir im Dojo nicht nur das Übliche machen: Trainieren mit Techniktraining/Uchi-komi, Randori und vielleicht etwas Kata. Wie ich es immer verstehe, was es im Kodokan ursprünglich so, daß es auch theoretischen Unterricht gab, sowie es Oimatsu sagt:
Professor Kano expounded on the method of Judo instruction and put forth four items: (1) kata (form), (2) randori (free practice) (3) kogi (lectures), and (4) mondo (questions and answers). Lectures include those of a long duration for the purpose of understanding Judo more deeply and those of dealing with technique, practice lessons, and matches in general. The content of the lectures covers the history of Judo development, fundamentals, the value of training, the sport as a science, theory of physical education, and other topics. This is done logically and systematically over a long period. The latter are directly related to technique, directly related to dojo etiquette and practice attitude as well as social life, and directly related to social life as well as a social attitude. (Shinichi Oimatsu (Kodokan) The Bulletin for the Scientific Study of Kodokan Judo, Volume VI, 1984)
Ohne diesen Unterricht wird jede breitere Erziehung scheitern, vermute ich. Und ich frage mich: wie viele Judoka sollten diese Methode überleben? Können die Kinder überhaupt noch richtig zuhören? Diszipliniert auf der Matte sitzen und sich die Theorie zueignen? Wir sind nicht in Japan... die meisten hören auf, bevor sie gelb haben. Jetzt schon, aber noch früher wenn sie weniger raufen können.

Obwohl ich trotzdem finde, daß Judo ohne solche breitere Erziehung ihre Seele verliert. :cry:

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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von tutor! »

Hallo Mitesco, wenn ich Dir jetzt einfach nur zustimme, verstimme ich Fritz, der dann meinen Beitrag löschen wird. Was also tun? :eusa_think

Zum Glück fällt mir gerade ein, dass es das Kano-juku gab, ein Internat, das eng mit dem Kodokan verbunden war und in dem Judo natürlich einen sehr breiten Raum einnahm - aber eben eingebettet in den Gesamtzusammenhang der Erziehung/Bildung.

Und auch Kanos eindringliche Forderung, dass ein idealer Judo-Lehrer nicht nur die Techniken in Praxis, Theorie und Methodik beherrschen muss, sondern auch die Philosophie, die Hintergründe und die modernen Unterrichtsmethoden, belegt, dass sich Kano darüber bewusst war, dass körperliches Training allein nicht ausreicht.

Das Kano-Juku wurde übrigens 1919 geschlossen, u.a. weil Kano keine geeigneten Lehrer (mehr) fand?
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Judo und Juku

Beitrag von Reaktivator »

tutor! hat geschrieben:Zum Glück fällt mir gerade ein, dass es das Kano-juku gab, ein Internat, das eng mit dem Kodokan verbunden war und in dem Judo natürlich einen sehr breiten Raum einnahm - aber eben eingebettet in den Gesamtzusammenhang der Erziehung/Bildung.

Und auch Kanos eindringliche Forderung, dass ein idealer Judo-Lehrer nicht nur die Techniken in Praxis, Theorie und Methodik beherrschen muss, sondern auch die Philosophie, die Hintergründe und die modernen Unterrichtsmethoden, belegt, dass sich Kano darüber bewusst war, dass körperliches Training allein nicht ausreicht.

Das Kano-Juku wurde übrigens 1919 geschlossen, u.a. weil Kano keine geeigneten Lehrer (mehr) fand?
Auch auf die Gefahr hin, daß es etwas off-topic wird:

Genau diese ganzheitliche Ansatz Kanos wurde ja auch von anderen aufgenommen und umgesetzt.

So hat z.B. der spätere langjährige Präsident der Internationalen Judo Föderation (IJF) Dr. Shigeyoshi Matsumae (später auch Gründer und Präsident der im Judo extrem starken Tokai-Universität, der japanischen Budo-Universität Nippon Budo Daigaku, Präsident des Nippon Budokan, etc., etc.) bereits 1936 seine eigene Juku gegründet: die Boseigaku-juku
Einige Infos finden sich sogar auf Englisch auf deren Homepage: http://www.tokai.ac.jp/bosei/html/08-1.html

So weit ich weiß, war dort übrigens nach dem Ableben Matsumaes lange Jahre der in Deutschland nach wie vor sehr gut bekannte Judo-Lehrer, -Methodiker und (im positiven Sinne) -Querdenker Mahito Ohgo tätig, der bis zu Matsumaes Tod dessen rechte Hand (auch und gerade in Bezug auf die internationalen Judo-Kontakte) war.

Diese Juku gibt es bis heute noch !
Ein Forenmitglied ohne Signatur ist wie ein Forenmitglied ohne Namen.
(Alte Internet-Weisheit, frei nach "Reaktivator")
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Re: Judo und Juku

Beitrag von tutor! »

Reaktivator hat geschrieben: Auch auf die Gefahr hin, daß es etwas off-topic wird
ON-TOPIC im besten Sinn - es geht ja um Judo, Erziehung und Leistungssport! Und da darf man einfach auch für die Nachkriegszeit Matsumae nicht vergessen. Tokai ist ja nicht nur eine Universität, sondern ein Verbund, zu dem auch - meines Wissens sogar mehrere - Highschools gehör(t)en. Ich kann mich gut erinnern, dass in den frühern 80ern häufiger Junioren-Mannschaften von Tokai in Deutschland zum Training waren.

Es muss auch um 1981 gewesen sein, wo wir einen Gastprofessor von Tokai an meiner Uni hatten: einen ehemaligen Olympiasieger im Turnen! Der erzählte uns von ganz erstaunlichen Turn-Leistungen der Judoka und erwähnte ausdrücklich einen etwas schwerfällig aussehenden Studenten namens Yasuhiro Yamashita 8)
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Re: Judo, Leistungssport und Erziehung

Beitrag von Jupp »

So, jetzt habe ich kurz vor "Toresschluß", d.h. kurz vor dem Forumstreffen, auch noch Ole befragen können, ob er denn glaube, dass Judo und Judo-Leistungssport auf ihn erzieherisch wirken. In einem blitzschnellen und überraschenden Telefon-Interview - ich habe meinem Sohn das Handy aus der Hand gerissen, als Ole ihn anrief - stellte sich unser Olympiasieger meiner FF (= Forumsfrage). Ich gebe seine Antworten ohne Gewähr auf Vollständigkeit und Richtigkeit hier wieder. Also:

1. Natürlich hat Judo sich erzieherisch ausgewirkt in den fast 20 Jahren, die er sehr intensiv Judo betreibt. Vor allem im Hinblick auf die Qualitäten, die es überhaupt erst ermöglichen, so große sportliche Erfolge anzustreben, also Regelmäßigkeit, Zuverlässigkeit, Selbstdisziplin, selbständiges Verfolgen von Zielen, Selbstverantwortung usw.

2. Ole findet aber am wichtigsten, dass Judo einem lehrt, dass man seine Ziele nie alleine oder gegen andere verwirklichen kann, sondern dass man selbst in einer so ausgeprägten Individualsportart wie Judo Gegner, Partner und Freunde braucht, die einen weiter bringen und mit/an denen man wachsen kann. Ohne Partner, die einem in der speziellen Vorbereitung selbstlos zur Verfügung stehen, geht gar nichts. Und wenn man sich dann nur egoistisch verhält, dann fehlen einem plötzlich die Leute, die einen weiter bringen.

Judo zwingt einen, sich in seinem Egoismus nicht zu verlieren! (mehr von mir als von Ole!)

Ein paar Anmerkungen von mir:
Judo als Höchstleistungssport konfrontiert einen im täglichen Trainingsprozeß immer wieder mit seinen Stärken und Schwächen und es führt kein Weg daran vorbei, sich beständig weiter zu entwickeln im Hinblick auf das höchste sportliche Ziel.
Dabei erfolgt Erziehung in allen Bereichen, technisch und taktisch, intellektuell und geistig-seelisch-mental. Durch Kämpfen, durch Beispiele und durch Besprechen mit kompetenten Partnern, wie Trainern, Physiotherapeuthen oder Pädagogen/Psychologen.
Und der Umgang mit dem Erfolg und der sich daran anschließenden öffentlichen Auseinandersetzung ist ebenfalls ein wichtiger Erziehungsfaktor.

Judo an sich erzieht nicht!

Aber die Menschen, die sich mit Judo beschäftigen, die Judo leben und vermitteln bilden für jeden, der sich über einen längeren Zeitraum darauf einläßt ein "erzieherisches Ambiente", dem man sich kaum entziehen kann.

Jupp
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