@tutor: du übersiehst tatsächlich etwas.
Es geht bei diesen Aktionen um Yoroi Kumi Uchi. Und es stimmt eben nicht, daß in den Koryû IMMER auf die Außenseite des angreifenden Arms gegangen wurde. Ich selbst trainiere u.a. Gyokku Ryû und kann diese deine Behauptung NICHT bestätigen.
Tatsache ist, daß du in einem Punkt Recht hast (Fritz wird sich erinneren, daß ich auf dem Lehrgang in Sehnde einige dieser Dinge kurz erklärt hatte): für ein korrektes Ziehen des Schwertes müßten die Schritte genau anders herum gemacht werden.
Du schreibst:
Wieso führt er es mit einer Hand? Eigentlich nicht fachmännisch.
Es ist nicht richtig, daß das einhändige Führen des Katana ungewöhnlich oder gar falsch wäre.
Ich gehe (Vermutung!) davon aus, daß du Erfahrung im Kendô hast. So leid es mir tut - das ist NICHT dasselbe wie das Kenjutsu der Koryû.
Du schreibst:
...bei jeder Abwehr eines Dolches oder eines Messers z.B. in der Kime-no-kata bringt Tori seinen Körper auf die "Ellbogenseite" von Ukes Angriffsarm - und das aus gutem Grund. Er geht damit aus dem Wirkungsbereich der Waffe heraus und kontrolliert letztlich den Angriffsarm.
Beim Seoi-nage und noch schlimmer beim Uki-goshi kontrolliert Tori nicht Ukes Angriffsarm und würde sich damit gefährden. Besonders schlimm: er dreht dem bewaffneten Uke den Rücken zu! Außerdem bleibt er bei seiner Aktion jeweils direkt vor Uke, der durch einen einfachen Schritt nach hinten ein leichtes Ziel hat. Nach dem Wurf beim Uki-goshi hat Tori noch nicht einmal den Angriffsarm von Uke in der Hand.
Pardon - es kommt SEHR darauf an, WIE man diese Wurftechniken ausführt.
Abgesehen davon: ich habe bereits mit wirklich hochrangigen Vertretern dieser und jener Koryû trainiert - und dort ganz ähnliche Dinge gesehen und geübt. Offenbar übersiehst du, daß es sich letztlich um Yoroi Kumi Uchi handelt.
Soweit ich von Frank erfahren habe (und wie mir von einem guten Koryû-Mann bestätigt wurde), sind diese Dinge von Kano wahrscheinlich (einen Grund dafür muß es ja geben!) deshalb so "designed" worden, um die Wurzeln des Jûdô nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Abgesehen davon: auf die Außenseite des Waffenarms zu gehen mag selbstverständlich die beste Lösung sein. Wer sagt, daß diese Lösung immer praktikabel ist? In Nage-no-Kata geht es um die grundlegenden Prinzipien der Wurftechniken. Soweit besteht Konsens?
Gut.
Welche Hüftwurftechniken nach welchem Prinzip lassen sich üben, wenn Tori auf die Außenseite von Ukes Waffenarm geht und somit beinahe hinter ihm steht ...?
(Nur so als Beispiel).
Ich verweise noch enmal auf die Ryû des Suhada Bujutsu, denen Kano etliche Wurftechniken entnahm. Diese Wurftechniken waren samt und sonders geeignet, gegen bewaffnete Gegner eingesetzt zu werden. Und genau das wurde auch getan.
Es ist also nicht sinnvoll, sich heute hinzustellen und zu sagen "Geht ja gar nicht!", wenn man wenig bis keine Erfahrung in den Koryû hat.
Du schreibst:
... beim Ura-nage und beim Yoko-guruma würde Tori mit seinem Rücken in die Waffe fallen. Wenn aber ein Faustschlag generell so ganz und gar keinen Sinn macht, sondern die Aktion mit so großer Sicherheit nur durch Verwendung einer Blankwaffe erklärt werden kann - warum dann Ura-nage und Yoko-guruma gegen Faustschlag, denn die beiden Techniken machen in dieser Form gegen eine Blankwaffe nun wirklich absolut keinen Sinn.
Denkfehler.
Ich wiederhole es: es kommt sehr darauf an, WIE man diese Wurftechniken ausführt.
Zudem vergißt du schon wieder, daß es sich um Techniken des Yoroi Kumi Uchi handelt, die in genau diese Form in etlichen (fast allen) Ryû der Koryû vorkommen. Alles Stümper? Alle keine Ahnung?
Sutemi-Waza im Yoroi Kumi Uchi werden stets beschrieben als "Verzweiflungstechniken", als "letztes Mittel". Und genau das sind sie (anders als im sportlichen Wettkampf). Und trotzdem mußte man derlei Techniken ebenfalls üben, wenn man am Leben bleiben wollte.
Meinst du, daß Kano (im Besitz zweier Menkyo Kaiden) das nicht gewußt haben soll?
Du schreibst:
... ein wesentlicher Punkt ist auch noch die Schrittstellung und das Gleichgewicht, das jeder hat, der mit einem Schwert angreift. Ich denke, dass ich das nicht ausführlicher erläutern muss, aber Seioi-nage oder Uki-goshi gehen gegen ein Schwert ganz bestimmt nicht.
Ich gebe dir insofern Recht, als daß die Schrittfolge tatsächlich anders sein sollte.
Daß SN oder UG NICHT gegen einen Schwertangriff "gehen", kann ich allerdings NICHT bestätigen.
Du übersiehst dabei wieder etwas ganz entscheidendes: es ging (und geht) NICHT um eine klinisch saubere, eindeutige Situation, in der Uke mit dem Schwert in einigem Abstand rumsteht (und genau weiß, was gleich kommt) und der arme Tori waffenlos und schutzlos gegen das Schwert anrennt.
Es geht darum, daß man in der Kata ja irgendwie jene Siuation herbeiführen muß, in der es zum Yoroi Kumi Uchi kommt.
Es ist auch kein stilisierter Schwertangriff, denn beim Ausholen mit einem Schwert habe ich stets denselben Fuß vorne wie beim Schlag und nicht den Gegenfuß, wie in der Kata.
Zustimmung.
Und allein daraus schließt du, daß es sich NICHT um einen Schwertangriff handeln kann?
Eine Waffenabwehr, bei der Tori nicht aus dem Wirkungsbereich der Waffe herausgeht?
Doch, tut er! Und zwar wirksam! Dazu muß man aber gezeigt bekommen, WIE, WOHIN und WARUM er das tut.
Eine Waffenabwehr bei der Tori den waffenführenden Arm nicht kontrolliert?
Doch, tut er! Ich kann dir das gern mal zeigen ... "Kontrolle" bedeutet nicht notwendigerweise, den Waffenarm mit der eigenen Hand festzuhalten ...
Eine Waffenabwehr bei der Tori sich selbst in die Waffe fallen lässt?
Nur, wenn er den Unsinn fabriziert, der heute so als Kata durchgeht ... auch hier mein Angebot: komm vorbei, nimm 'ne Waffe in die Hand und ich zeige dir, wie wir das machen.
Das erscheint mir alles nicht ganz logisch und ehrlich gesagt kann ich es nicht nachvollziehen. Und das nicht, weil ich kein Schwert führen könnte sondern genau im Gegenteil, weil ich weiß wie ich mit einem Schwert angreife, wie ich ein Schwert abwehren kann und wie nicht.
Nochmal: Kendô ist NICHT identisch mit Kenjutsu.
Meine Quellen sind meine eigenen Erfahrungen in den Koryû - und das, was ich von Frank Thiele erfahren habe, der sich auf Hirano bezieht (und Hirano erklärt einiges dazu in Interviews, die Frank mit ihm geführt und aufgenommen hat).
Nun kann es ja trotzdem sein, daß ich schwer auf dem Holzweg bin. Wäre ja möglich, und ich bin in solchen Sachen stets bereit, zuzugeben, daß ich mich geirrt haben könnte.
ABER:
Du selbst schreibst, daß eine unbewaffnete Technik in der dagestellten Form (Faustschlag / Handkantenschlag) als Angriff unsinnig, weil wirkungslos ist. Habe ich das richtig verstanden?
Gut.
WAS ist es denn DANN?
Aus eigener Erfahrung wissen wir, daß ein "unbewaffneter" Schlag in diese Form nur einem Schaden zufügt: dem Schlagenden.
Wenn es also KEINE unbewaffnete Technik sein kann - und wenn du bezweifelst, daß es ein Angriff mit einer Blankwaffe ist: um Himmels Willen, WAS IST ES DENN DANN?
Tom