Joerch hat geschrieben:Nun, ich kann meine Kata sehr wohl emotionslos zeigen, ich bin ja nicht in Städtischen Theater auf der Bühne.
Für mich stellt sich da die Frage, wie der Herr Fahrig denn das sehen möchte. Mir würde eine technisch einwandfreie Demonstration der geforderten Techniken und Prinzipien reichen. Diese sollten in Wirkung und Ausführung korrekt sein. Wenn die Leute dann noch gemeinsam aufstehen, angrüßen, sich umdrehen, etc. ist das schön anzuschauen, hat aber, wenn wir ehrlich sind, mit dem reinen Vermitteln und Zeigen von Prinzipien nicht viel zu tun. Oder um was ging es ursprünglich in der Kata, war das nicht ein "Prinzipiencontainer"?
Anders ausgedrückt, mir wäre eine korrekte Demonstration ohne Zeremoniell lieber, als mäßige Techniken mit viel Chichi, Tamtam und Hände an der Hosennaht.
Dies ist eine interessante und wichtige Diskussion, würde aber eine umfangreiche Lektüre voraussetzen bezüglich der weitverbreiteten Missverständnisse im heutigen
Jūdō, insbesondere des Ansatzes einer
kata als "Vorführung" (oder Show) ―was nie der Zweck einer
kata war. Man kann durchaus ein
Randori "vorführen". Als Putin den
Kōdōkan besuchte, machte er eine
Randori-Vorführung. Eure Studenten betreiben
Randori auf diese Weise? Ihr macht
Randori auf diese Weise? Also war das eine seltene Gelegenheit zum Zweck der Öffentlichkeitsarbeit oder “
Randori-Show”.
So ähnlich ist die "Vorführung" (= “public showing”) der
kata etwas, das wirklich nur etwa ein Dutzend Jahre nach der Gründung des
Kōdōkan als isoliertes Ereignis auftaucht.
Kata existierte schon lange vorher in der
Kōdōkan, hatte aber nichts mit einer "Vorführung" zu tun. Erst später, mit der Eröffnung des neuen
Shimotomisaka Dōjō (1894) und später mit der Schaffung von
Kagami-biraki, wurden
Kata einmal im Jahr als eine Demonstration durchgeführt. Seit dieser Zeit wird
Jūdō für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit ab und an vor einem Publikum gezeigt, um es mit dieser neuen Disziplin vertraut zu machen. Es wurde dort alles “vorgezeigt”:
Ukemi, Randori, Kata. Seltsamerweise hat nur die
Kata den peinlichen Übergang erlebt, immer falsch dargestellt und weltweit als "Vorführung" falsch verstanden zu werden, nl. als etwas, das für andere Menschen getan wird und nicht für sich selbst.
Das war NICHT die Intention von Kanō. Es haben sich eine ganze Reihe von peinlichen Konzepten, Ansätzen und Problemen entwickelt, die nie hätten bestehen sollen, weil sie überhaupt nichts damit zu tun haben, warum im
Jūdō Kata an erster Stelle kreiert wurden. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Begrüßungen des
Shōmen. Das gab es nicht. Das gab es nicht und in der Realität gibt es keinen vorher etablierten Weg, Anrede, noch eine Begrüßung des
Shōmen. Warum sollte es? Das alles entstand erst, als man begann,
Kata oder
Randori “vorzuführen”, denn plötzlich war da ein Publikum und damit ein Grund. Die Begrüßungen wurden entsprechend des Anlasses getan, so wie man sich das dachte. So waren es nicht "Unterschiede" oder "Änderungen" oder "Alternativen", sondern nur die Realität – so wie es jedes Mal, wenn man jemanden die Hand schüttelt einige Unterschiede gibt, die von einer ganzen Reihe von Dingen abhängig sind.
In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch eine falsche Vorstellung von einem angeblichen "
Kōdōkan-Standard" entwickelt, die darauf hinwirkt, all diese Dinge in einer übertriebenen Weise zu kodifizieren, was einfach nicht korrekt ist, und nichts anderes ist, als ein Werkzeug zum Marketing, um ausländische Besucher dazu zu bringen, sich an eine eventuellen Behörde, ein
Kōdōkan, zu binden und sie zu zwingen, diese zu besuchen und zu lernen.
Die "Standardisierung der
Kata" hat nichts mit den heutigen Darstellungsweisen zu tun. Was dazu führte, war der Befehl von Mifune vom April 1960, ein Komitee für die Standardisierung von
Kata zu bilden. Das, was die Menschen heute glauben, das es sein sollte, war aber nicht sein Ziel.
Was zu dieser Schöpfung führte, war ein Problem im Zusammenhang mit
Katame-no-kata. Immer mehr Lehrer in Japan weigerten sich,
Ashi-garami, die letzte Technik der
Katame-no-kata, zu tun oder zu lehren, und dies aus einem zweifachen Grund. Einerseits war da die hohe Gefahr von Verletzungen mit schwächenden Folgen. Ein Riss des vorderen Kreuzbands führte in jenen Tagen dazu, für den Rest ihres Lebens behindert zu sein und möglicherweise nicht mehr in der Lage zu sein, ihre Aufgaben zu erfüllen. Anderseits wurde die Technik im Wettbewerb nicht mehr zugelassen, weil gefährlich.
Als Konsequenz führten mehrere
Sensei nur 14 der in
Katame-no-kata vorkommenden Techniken durch, oder ersetzten
Ashi-garami durch andere Techniken. Das führte wiederum zu einer wesentlichen Änderung zu etwas Kodifiziertem und von Kanō Zugelassenem (obwohl in Wirklichkeit
Katame-no-kata nicht von Kanō geschaffen wurde, sondern meist von Nagaoka und Yamashita).
Mifune fand es ethisch unakzeptabel, dass dies geschah. Also, das was "Standardisierung von
Kōdōkan Kata" wirklich bedeutete, war ein formaler Edikt, um den Menschen zu verbieten, etwas zu ändern, was Kanō in den
Kata des
Kōdōkan gegründet hatte. Mehr was es nicht.
Es war keineswegs die Absicht,
Kata zu einer rigorosen, vorgeschriebenen Übung zu machen, die heute nur noch als Vorführung durchgeführt wird, wobei alles anderes sein soll als das, wovon
Sensei X vom
Kōdōkan sagte, dass es falsch sei. Dennoch ist es genau dieser unglaubliche Wahnsinn, der sich unter Ausländer heute verbreitet hat, wohl auch dank der schlauen Marketingstrategie der
Kōdōkan, um zunehmend
Kata auf diese Weise aktiv zu präsentieren.
Das völlige Fehlen von kritischer Analyse und kritischen Stimmen von
Jūdōka, die diese Entwicklung mit historischen Fakten belegen und bekämpfen, oder die einfach weigern, diesen Unsinn zu akzeptieren, hat leider diese Evolution zu etwas, das noch wenig oder gar nichts mit Kanō's Absichten zu tun hat, ermöglicht.
“Es gibt kein Zweifel daran, dass sowohl
Randori, als auch
Kata nur ein Ziel hatten: DEIN
Jūdō zu verbessern, NICHT für irgend einen Zuschauer, der meint, seine Meinung über dich mitteilen zu müssen, entsprechend einer imaginären Skala. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist natürlich dein Lehrer, der während der
Kata, so wie auch des
Randori Vorschläge machen darf, vorwiegend bzgl. der praktischen Ausübung, anstatt zur “Demonstration” (= Show), deiner
Kata. Das einzige Ziel eines solchen Vorschlags muss dann auch sein, die Qualität von DEINEM
Jūdō zu verbessern, ohne dass dieses etwas zu tun hat, mit dem exakten Replizieren von dem, was anderen tun oder was in einem Büchlein oder in einem Video zu sehen ist.
Kata zu realisieren hat keinen Wert, wenn sich daraus nicht ergibt, dass dein
Jūdō und also auch dein
Randori sich verbessert haben, unbeachtet dessen, wie exakt du jemanden oder etwas anderes kopieren kannst. Das “Vorführen” (Demonstrieren oder Show) von
Kata ist nicht verboten, sondern ist einfach eine zufällige Anwendung, die wenig mit der Essenz der
Kata zu tun hat.
Es bleibt erstaunlich, festzustellen, dass es den
Jūdōka nicht auffällt und dass sie sich in ihren Fragen und Auseinandersetzungen auf “Demonstration” (= Show) anstatt auf die “Praxis” konzentrieren.