Fritz hat geschrieben:Hmm, meines Wissen hat Kano diese Kata eben nicht für Judo erstellt.
Er hat die Omote- und Ura-Kata der Kito-Ryu als Koshiki-No-Kata ins Judo übernommen.
Das ist im Prinzip zwar richtig - aber er wollte sich mit seinem Kodokan-Judo doch sehr bewußt von den aus seiner Sicht teilweise zu esoterischen Inhalten der Kito-ryu absetzen - und hat diese Kata deshalb eben nicht als Kata der Kito-ryu weiterüben lassen.
Fritz hat geschrieben:Andererseits ist es natürlich so, daß Daigo zwar den Leuten von der Rüstung erzählen kann, aber dies erst dann zu brauchbaren
Resultaten führen kann, wenn die Leute tatsächlich mal selbst das Bewegen in der Rüstung erlernt haben.
Genau das ist einer der Gründe, warum Daigo & Co. keine Kosten und Mühen scheuen, und sich Rüstungen im 5-stelligen Euro-Bereich nach Originalvorlagen haben anfertigen lassen.
Wobei es übrigens nicht nur um das Tragen der Rüstung an sich geht, sondern auch um solche Dinge wie z.B. die Fragen,
- ob man bei einem berüsteten Gegenüber überhaupt dort fassen oder so agieren könnte, wie es gemeinhin kolportiert wird,
und
- ob beispielsweise eine gemeinhin als "Griff nach dem Schwert" begründete Aktion bei Verwendung eines echten Schwertes überhaupt möglich wäre,
etc.
Überdies werden historische Quellen ausgewertet - angefangen bei Quellen zur Kitō-ryū (Deren Verständnis sich bis heute auch in Japan den meisten Übenden der Koshiki-no-kata keineswegs erschließt!) bis hin zu sämtlichem Material, welches von der "Gründer-Generation" des Kodokan-Judo noch existiert.
Oder glaubt Ihr im Ernst, wir hier im Westen hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen, nur dadurch, daß wir einmal einen Blick auf eine der wenigen noch existierenden Filmaufnahmen von Jigoro Kano werfen, während in Japan keiner wüßte, was Jigoro Kano hinterlassen hat?
Ich kann Euch versichern, daß das wenige Material, welches hier im Westen kursiert, in Japan natürlich auch bekannt ist - bis hin allerdings zu noch wesentlich mehr Dingen, die die meisten von uns mit Sicherheit noch nie zu Gesicht bekommen haben und wahrscheinlich auch nie zu Gesicht bekommen werden.
Aber warum ist die Situation dann heutzutage in Japan so, wie sie ist, und warum gibt es Aufnahmen (z.B. von japanischen Kata-Meisterschaften und/oder Vorführungen bei feierlichen Anlässen wie z.B. dem Kagami-biraki im Kodokan), die so sind, wie sie sind?
Nun, die Antwort ist schwierig und einfach zugleich: Auch in Japan ist es nur ein ganz, ganz kleiner Kreis, der sich ernsthaft mit den historischen Hintergründen der Kata auseinandersetzt. Die meisten Japaner machen Kata in der gleichen Weise und Intensität und zu den gleichen Anlässen wie die meisten Deutschen: nämlich eher selten bis gar nicht, hauptsächlich im Rahmen von Dan-Prüfungen etc. Und auch in Japan entwickelt sich dann bisweilen ein Teufelskreis, wenn die gleichen Personen dann später als Lehrer etc. tätig werden.
Hinzu kommt der verhängnisvolle Trend, zwecks Popularisierung und Weckung von Interesse für Kata (Was generell natürlich eine lobenswerte Absicht ist!) teilweise bei öffentlichen Veranstaltungen "Big Shots" (wie z.B. ehemalige Medaillengewinner bei hochkarätigen Meisterschaften) demonstrieren zu lassen, die sich auch nur im "Hau-Ruck-Verfahren" kurz zuvor mehr schlecht als recht vorbereitet haben. Man versucht einen Spagat, der kaum zu bewältigen ist.
Fairerweise muß man allerdings auch zugestehen, daß man nur anhand von Videos leicht einen falschen Eindruck gewinnt. Statt einer bloßen Betrachtung von außen bedarf es zum Teil ganz einfach eines "Erfühlens". Ich glaube jeder, der sich schon einmal selbst intensiv auf der Matte mit der Koshiki-no-kata beschäftigt hat, hatte auch schon einmal seine "Aha-Erlebnisse", bei denen er feststellen mußte, daß das, was er zuvor optisch wahrgenommen hatte (und zwar sogar aus nächster Nähe, nicht nur aus der Ferne auf einem kleinen Video) sich bei der praktischen Ausführung ganz anders darstellte. Ich z.B. habe bisweilen beim Beobachten anderer Üblinge den Eindruck gehabt, daß das, was die gerade machten, überhaupt nicht effektiv sein könnte, weil z.B. überhaupt keine Kraftübertragung stattfände - mußte mich dann allerdings eines besseren belehren lassen, als ich selbst in die Rolle des Uke geschlüpft bin. (Auch der umgekehrte Fall kommt natürlich vor.)
Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, daß Kata ja nicht zu Demonstrationszwecken entwickelt wurden, sondern zu Übungszwecken. Viele der nach wie vor inhärenten Inhalte der Kito-ryu (Wie z.B. dem Verständnis vom richtigen Energiefluß: dem Aufbauen bzw. Ansteigenlassen und dem anschließenden Fallenlassen also dem effektiven Einsatz der Energie - denn genau das ist mit "okiru" und "taoreru" hier gemeint, und nicht etwa ein profanes "Fallenlassen" (taoreru) des Körpers und anschließendes Wieder- "Aufstehen" (okiru), wie man nach flüchtiger Beobachtung meinen könnte) sieht man eben nicht von außen.
Und last not least, um zu der Frage nach der imaginären Rüstung bzw. den dadurch bedingten "roboterhaften Bewegungen" zurückzukommen: Im Grunde ist auch das komplett nebensächlich. Wer sich übertrieben "roboterhaft" bewegt, hat sicherlich einiges nicht verstanden - aber wer aufgrund dessen eine Kata bewertet, hat noch mehr nicht verstanden.