"Zappelhilipp"- Film

Hier geht es um die Trainingsgestaltung,-methodik,-formen.
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Kumamoto
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"Zappelhilipp"- Film

Beitrag von Kumamoto »

Hallo,

gerade lief der Film "Zappelphilipp" in der ARD.
ich finde, jeder Trainer/ Übungsleiter sollte den Film kennen, denn so ein "Fabian" kommt in fast jeder Gruppe vor- egal wie er oder sie richtig heisst.
Hier ein Artikel zur Einstimmung:
http://www.stern.de/kultur/tv/ard-film- ... 36926.html
Hier die weiteren Sendetermine:
http://www.tvmovie.de/tvprogramm-filme/Zappelphilipp
JEDER (!) sollte sich den Film mal anschauen und sich eine Meinung bilden- auch um mal die andere Seite/ eine andere Sichtweise zu erkennen, aber auch um sich darin wiederzuerkennen.
Ich würde mich freuen, wenn einige andere ihre Eindrücke schildern würden, egal wie diese sind. ADHS ist ein Teil des (Judo-) Lebens und DARF nicht totgeschwiegen werden.
Habt ihr vor, den Film zu verwenden, z.B. als Material für betroffene Eltern oder als Anfang für eine Diskussion?
ausKA
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Re: "Zappelhilipp"- Film

Beitrag von ausKA »

Solche Dokus sind im Regelfall über die Mediathek online abrufbar - gemäß Rundfunkstaatsvertrag aber leider oft nur sieben Tage nach der TV-Ausstrahlung. Hier der Link:
http://www.ardmediathek.de/das-erste/fi ... d=12685244
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Peter el Gaucho
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Re: "Zappelhilipp"- Film

Beitrag von Peter el Gaucho »

Ich finde das sehr gut, dass das Thema "ADHS und Judo" immer mal wieder thematisiert wird. Diese Kinder haben natuerlich, wenn sie mit Judo beginnen, ihre ganz besonderen eigenen Probleme damit. Aber wenn sie durchhalten, dann kann ihnen Judo auf ihrem Lebensweg ganz besonders viel bringen und helfen. Da ich selbst viele Jahre damit praktische Erfahrung habe, also nicht nur Stress, sondern auch sehen konnte, wie diese Kinder DURCH Judo sich sehr positiv entwickelt haben, moechte ich sehr gerne an alle Übungsleiter diese eigenen Erfahrungen weiter geben. Ihr müsst an diese Kinder immer glauben und ihr werdet sehen, es bringt Früchte, auch wenn es etwas länger dauert. Aber wir haben alle Zeit der Welt. Ich habe meine Erfahrungen so zusammen gefasst:

Umgang mit hyperaktiven Kindern (ADHS) und auch mit allgemein, altersbedingt unruhigen Kindern:

Auffällige, erkennbare Verhaltensweisen:

> Sie müssen ihre Gedanken sofort anderen mitteilen.
> Sie beschäftigen sich nicht länger als 5 Minuten mit einer Sache.
> Sie sind bewegungsunruhig und bewegungsungeschickt.
> Sie schwimmen nicht, sondern paddeln wie ein Hund.
> Sie dossieren unpassend ihre Bewegungen, motorischen Kräfte, Stimme und Engagement.
Bewegungen: plump, ungeschickt, überschießend, grob, fahrig und zittrig.
> Sie benehmen sich wie Kleinkinder, obwohl sie deutlich älter sind.
> In ihrer Wahrnehmung können sie nicht unterscheiden, was "wichtig" und was "unwichtig" ist.
> Sie müssen ständig reden, um festzustellen, wer mit ihnen im Moment etwas zu tun hat.
> Sie müssen ihre Umgebung ertasten und erspüren, um zu wissen, wie ihre Körperlage ist.
> Sie brauchen sehr lange, bis sie eine Situation genau erfasst, geordnet und im Griff haben.

Zusammengefaßt: Es treten typische Sekundärstörungen auf wie z.B. motorische Unruhe; mangelnde
emotionale Selbstkontrolle; geringe Ausdauer, Konzentration und Aufmerksamkeit; mangelnde Selbst-
steuerung eines angemessenen Verhaltens im sozialen Umfeld; gehemmtes u. ängstliches Verhalten;
mangelhafte akkustische und optische Wahrnehmung des Trainersvortrags; phasenweise Motivations-
schwankungen, u.a.


Was den Kindern helfen kann:

> wenn sie nach einer aktiven Trainingsphase eine Pause zur Regeneration bekommen.
> wenn der Trainer sie vor dem Gespött und Lachen der Kinder schützt.
> wenn sie neue Informationen (Techniken) so anschaulich wie möglich erfahren.
> wenn man auf ihre visuellen, akkustischen und koordinativen Beeinträchtigungen Rücksicht nimmt.
> wenn der Trainer beim Ansprechen sie deutlich anschaut oder anfasst.
> wenn man ihnen kleine "Aufträge" gibt, die sie gut ausführen können.
> wenn sie als "Experten" für eine Sache vor der Trainingsgruppe behandelt werden.
> wenn sie sich orientieren können durch einen klar strukturierten Trainingsablauf.
> wenn sie Sicherheit bekommen durch feste Rituale.
> wenn der Trainer kleine Vergehen übersieht und gutes Verhalten lobt, d.h. positiv verstärkt.
> wenn die Kinder trotz ihrer Probleme und Störungen immer das Wohlwollen des Trainers spüren
und er ihnen zu verstehen gibt, dass er weiss, wie sie sich fühlen in ihren Schwierigkeiten (Empathie).
> wenn sie kooperative und psychomotorische Spiele angeboten bekommen.
> wenn ihre "Leistungsinseln" (= besonderen Fähigkeiten) erkannt und gefördert werden.
> wenn der Trainer selbst Hektik vermeidet und Verhaltensanweisungen (-erwartungen) im festen,
ruhigen, freundlichen Ton und mit klarem Inhalt bei vollem Blickkontakt formuliert.
> wenn im Eklat der Trainer sehr rasch und direkt eingreift (auch mit Trennen und Auszeit).
> wenn bei Gesprächen der Trainer immer zuerst das Positive und dann das Negative benennt.
> wenn der Trainer das auffällige Verhalten der Kinder niemals selbst persönlich nimmt.

Ziel: Ideal wäre es, wenn jedes Kind das "Seine" und nicht alle Kinder das Gleiche bekommen.
(Pestalozzi)


Da das Verhalten nicht eine bloße "Einstellungssache" ist, bleiben alles Schimpfen, Maßregeln und
Beleidigen wirkungslos. Die Kinder fühlen sich falsch verstanden, weil sie nicht anders handeln können.
Der Trainer sollte die Rolle eines "Verkehrspolizisten auf der Kreuzung" einnehmen, d.h. er soll alle
Kinder orientieren und ihren Tätigkeitsfluss (Verhalten) persönlich ruhig in Bahnen leiten. In dem Gehirn
dieser Kinder ist der "leitende Verkehrspolizist" viel zu schwach ausgeprägt bzw. ungenügend
funktionell tätig. Nicht gegen die Kinder ankämpfen, sondern einen Weg finden, wie man mit ihnen
zusammen gut leben und trainieren kann.
"Beklage dich nicht über die Dunkelheit. Zünde eine Kerze an." (Konfuzius)
Kumamoto
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Re: "Zappelhilipp"- Film

Beitrag von Kumamoto »

Danke für Deine Ausführungen ich kann fast allen nur zustimmen, nur beim Punkt
Was den Kindern helfen kann:

> wenn sie nach einer aktiven Trainingsphase eine Pause zur Regeneration bekommen.
habe ich andere Erfahrungen gemacht:
In den Fällen, die ich selbst erlebt habe (und erleben durfte, denn es ist wirklich eine Freude, selbst die kleinen Fortschritte zu erkennen und zu erfahren - da weiß man doch, was man geschafft hat und die Mühe es wert war), war es so, dass die Kinder solange "funktioniert" haben, wie sie beschäftigt und körperlich aktiv waren, wenn es aber um Erklärungen und die Konzentration auf das Gezeigte ging, wurden sie unruhig und unkonzentriert.
Ihnen hat irgendwie das Ventil gefehlt, um ihre Energie zu kontrollieren.
Ich habe ihnen dann erlaubt, sich zu bewegen. Einem z.B. hat es geholfen, wenn er in solchen Momenten einen Gummiball geknetet hat.
Man sagt ja, die schwierigsten Schwangerschaften ergäben die schönsten Kinder. Das kann ich nur bestätigen: Ich möchte keine Sekunde mit "meinen" Kindern missen. Bin unendlich stolz auf sie.
Im Film sieht man eine Szene, wo Fabian durch das Hüpfen und das Treppensteigen zählen lernt. Das hat mich schwer beeindruckt, ich fand diese Form der Methodik einfach genial - einfach und doch genial, weil sie sich auf die Bedürfnisse des Schülers um den Lernerfolg zu erreichen. Manchmal muss man den Mut haben, neue Wege zu gehen. Vielleicht können mir die, die den Film schon gesehen haben, mir ihre Eindrücke dazu schildern.
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