Heutiges Judotraining und Moral

Hier geht es um die Trainingsgestaltung,-methodik,-formen.
CasimirC
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Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Nachdem ich nun auf Hinweis von Fritz einen Text lesen durfte, der die moralische Erziehung/ Ausbildung als essenziellsten Bestandteil des Judo thematisiert, sind mir doch ein paar Fragen gekommen, die sich unbewusst bereits angesammelt hatten.

Wie bringt ihr denn Euren Judoschülern das Judo-Wertesystem bei (wie es vom DJB ja in kindgerechter Form breits aufgearbeitet wurde) bzw. wie bringt ihr ihnen es nahe?

Inwieweit passt das heute in den meisten Fällen vorangig betriebene und gelehrte Wettkampfjudo zu einer moralisch ausgewogenen Ausbildung?

Ist die moralische Erziehung der Judoschüler vielleicht nur eine "idealistische Vision", die von der Gesellschaft eben schlicht negiert und ignoriert wird, die aber in der heutigen Zeit womöglich mehr benötigt würde als jemals zuvor?

Ich möchte an dieser Stelle gar nicht so sehr meinen eigenen Standpunkt ausbreiten, ich möchte vielmehr mal eure Meinung dazu hören.

edit: Erste Frage ergänzt.
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Fritz
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

Wie bringt ihr denn Euren Judoschülern das Judo-Wertesystem bei (wie es vom DJB ja in kindgerechter Form breits aufgearbeitet wurde) bzw. wie bringt ihr ihnen es nahe?
Du stellst hier implizit die Behauptung auf, daß es sich beim Judowerte-System des DJB
um das Wertesystem handelt, welches Kano im Sinn hatte. Ist das so? ;-)
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht so sehr meinen eigenen Standpunkt ausbreiten, ich möchte vielmehr mal eure Meinung dazu hören.
Solchen Sätzen sind hier nicht so gern gesehen ;-)
Ist die moralische Erziehung der Judoschüler vielleicht nur eine "idealistische Vision", die von der Gesellschaft eben schlicht negiert und ignoriert wird, die aber in der heutigen Zeit womöglich mehr benötigt würde als jemals zuvor?
"Die Gesellschaft" hat damit an sich nichts zu tun. Die moralische Erziehung der Judoschüler ist
eine Sache zwischen Schülern und Lehrern / Trainer / ÜL, ok die Eltern der Üblinge sind auch nicht ganz ohne Belang ;-)
Inwieweit passt das heute in den meisten Fällen vorangig betriebene und gelehrte Wettkampfjudo zu einer moralisch ausgewogenen Ausbildung?
Wettkampf als Selbstzweck paßt überhaupt nicht dazu.
Wettkampf als Instrument des Lernens paßt durchaus.
Also wenn das Ziel nur ist, eine Platzierung um _jeden_ Preis zu erreichen, dann führt das in der Regel zu den
allbekannten negative Auswüchsen.
Wenn das Ziel ist, die eigenen Judofertigkeiten zu verbessern, seine Schwächen zu erkennen und daraufhin
zu beseitigen usw. dann kann es passen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Zu allererst: Die Fragen sind durchaus plakativ, aber das nicht ohne Hintergrund ;) Ich möchte mit diesem Thread gar nicht besonders tief in die Judo-Theorie einsteigen, sondern möchte vielmehr über die praktische Umsetzung des Judo-Wertekanons in kleinen, mittleren und größeren Vereinen diskutieren, weil ich aus meiner persönlichen Erfahrung sagen muss, dass darauf zu wenig Wert gelegt wird. Aber mein Horizont ist begrenzt, deshalb fände ich es gut, wenn man auch gegenteilige Beispiele jenseits meines Horizonts darstellen könnte ;)

Aber ich äußere mich gern kurz dazu, damit das nicht als unerwünschter Thread untergeht (auch auf die Gefahr hin, dass nun statt meiner Frage nach Tipps, Anregungen und kritischem Nachdenken bzgl. des Themas nun meine Gedanken dazu thematisiert werden ;) ).

Zur Kano-DJB-Sache: Nein, ich setze beides nicht gleich, das wäre auch angemessen des großen Umfangs dessen, was man unter Charakterbildung und moralischer Erziehung versteht, und den 8 Judo-Werten recht vermessen. Dennoch scheint mir, als seien diese plakativen 8 Judo-Werte, hinter denen ich durchaus einen Sinn erkenne, der einzige Anhaltspunkt, der von der nationalen Dachorganisation DJB als Handreichung an Übungsleiter weitergegeben wird. Sie sind kindgerecht aufbereitet und schreien gerade dazu, dass sie für Kinder zu Handlungsmaximen werden sollen, um ein guter Judoka zu sein.
So weit, so vereinfacht. Doch wie setzt man das als ÜL/Trainer praktisch um? Durch Vorleben, klar, das steht außer Frage. Durch implizites Einarbeiten in verschiedene Unterrichtssituationen (Disziplin-Probleme, Aufstellung von Regeln,...), das ist wohl ebenfalls eine gute Methode. Aber weiter? Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, die Kinder die Judo-Werte (oder trainingsinterne Regeln) auswendig lernen zu lassen ;)

Was ich mit der gesellschaftlichen Komponente einfließen lassen wollte, ist folgende Erkenntnis: Viele Eltern stecken ihre Kinder in einen Sportverein, weil das Kind halt Sport machen soll. Ist das Kind im Judo, kommt dann hinzu, dass die Eltern ein Interesse an Kampfsport haben und/oder dass das Kind lernen soll, "wie es sich wehrt".
Die Kinder kommen also zweimal pro Woche ins Judotraining, lernen Falltechniken und Wurftechniken, machen Trainingskämpfe und machen außerdem konditionsfördernde, koordinationsstärkende und kräftigende Übungen.
Dann finden ein- bis zweimal im Jahr Prüfungen statt, auf die die Kids mitunter gezielt vorbereitet werden, und die Kids fahren ab und an zu Turnieren in der Region. Bei Wettkämpfen geht es oberflächlich betrachtet nur um Sieg oder Niederlage, und das ist dann auch das, was Eltern in erster Linie sehen.

"Was muss mein Sohn denn machen, damit er mehr Erfolge auf Turnieren hat? Soll ich mit ihm Sondertrainings machen? Soll ich ihm mal ins Gewissen reden [das ist eine harmlose Ausdrucksweise für Dinge, die ich an dieser Stelle schon gehört hab]?"

Das geht meines Erachtens jedoch KOMPLETT am Sinn des Judo vorbei. Was viele Eltern an dieser Stelle nicht sehen: Nicht jeder gute Judoka ist auch ein guter Wettkämpfer, und nicht jeder gute Wettkämpfer ist ein guter Judoka.

Leider färbt dieses Denken dann auch auf die Kinder ab, weil sie glauben: 'Ich habe auf Turnieren keinen Erfolg, also bin ich ein schlechter Judoka.' Sie lernen durch Film, Fernsehen und durch ihr Umfeld (das alles meine ich übrigens mit 'Gesellschaft'), dass nur der greifbare Erfolg im Wettkampf zählt. Entsprechend verlieren viele Judokas schnell die Lust an Wettkämpfen, ein paar verlieren vielleicht komplett das Interesse am Sport, andere bleiben als Nicht-Wettkämpfer aktiv.

Die Frage ist: Wie bringe ich den Kids bei, dass Judo mehr ist als Wettkampf, sondern dass Judo eine Charakterschulung ist? Die Kinder, die ich kenne, verstehen nämlich in den meisten Fällen gar nicht, dass mehr dahinter steckt als Prüfungen und Wettkämpfe. Also wie bringe ich denen das bei? Ist es ihnen überhaupt nahezubringen angesichts des von allen Seiten vorgelebten Erfolgdrucks?
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von tutor! »

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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von tutor! »

So - jetzt ist ein wenig mehr Zeit.

Du sprichst sehr wichtige, aber auch sehr schwierige Fragen an, die viel weiter gehen, als die meisten zunächst vermuten würden. Die erste Frage ist, ob die "Judo-Werte" wirklich dem Judo inhärente Werte sind, oder ob dies nicht ganz allgemeine Werte (ein Begriff, den ich auch nicht ganz passend finde, ihn aber dennoch gebrauchen möchte) sind, die durch das Judo-Training transportiert und vermittelt werden sollen.

Zählen wir sie auf: Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Respekt, Bescheidenheit, Wertschätzung, Mut, Selbstbeherrschung und Freundschaft. Ich denke, dass wir einen Menschen, der diese Attribute hat, einen angenehmen Menschen nennen würden. Diese Werte existieren aber auch unabhängig von Judo - insofern sind sie generelle Werte, die allenfalls im Judo verankert sind, auf jeden Fall durch Judo transportiert werden sollen.

Nimmt man eine fundamentalistische Position ein, dann sind alle Werte im Judo verankert, die von Kano in sein System der Moral implantiert wurden. Das sind mit Sicherheit die meisten der oben aufgeführten Eigenschaften, auch wenn Kano andere Vokabeln dafür gebraucht hat. Aber selbst wenn sie per Deklaration dem Judo inhärente Werte sind - es bleibt das Problem der Vermittlung.

Die Werte beschreiben bei genauerer Betrachtung Haltungen beim Üben von Judo - sei es nun Kata (Techniktraining) oder Randori/Wettkampf. Zu einem entsprechenden Verhalten kann man als Übungsleiter die Kinder und Jugendlichen anhalten. Dies geht umso einfacher und überzeugender, wenn man selbst ein gutes Beispiel abgibt. Was bleibt ist aber die Frage nach dem Transfer: die Frage nämlich, ob ein Verhalten, das in einem bestimmten Kontext erlernt wurde, auch in anderen Kontexten zum Tragen kommt.

Dies ist die Kernfrage eines erziehenden Sportunterrichts. Je nach gesellschaftlicher Situation erwartet man vom Sport eine erzieherische Wirkung auf die Jugend im Sinne einer Werteerziehung. In solchen Situationen formuliert der Sport gerne seinen Beitrag zur Erziehung der Jugend. Versucht man aber die erzieherische Wirkung auf den Punkt zu bringen und zu untersuchen, stellt man fest, dass hierzu die Methoden oftmals fehlen. Der Transfer in andere Bereiche außerhalb des Sports wird einfach unterstellt - aber eben nicht nachgewiesen. In Zeiten, in denen die Gesellschaft vom Sport weniger Erziehungsleistung erwartet, wird auch nicht viel über die erzieherischen Wirkungen diskutiert.

Kano war sich offenbar vollkommen darüber bewusst, dass durch das Üben von Kata und Randori allein die erzieherischen Wirkungen, die er sich vom Judo versprach nicht eintreten würden. Von daher waren Vorträge (Kogi) und Lehrgespräche (Mondo) systematisch in die Ausbildung der jungen Judoka eingebunden. Das ging sogar so weit, dass Schüler ein Thema bekamen, zu dem sie in der nächsten Mondo-Klasse einen kleinen Vortrag halten mussten, über den dann in der Gruppe diskutiert wurde. Keiko Fukuda beschreibt genau eine solche Begebenheit im Frauen-Dojo im Kodokan in den 1930er Jahren.

Neben den systematisch gehaltenen Vorträgen und Dialogen gab es noch regelmäßige gemeinsame Aktivitäten, wie das Wintertraining, das Mitsommertraining, Kagami-Biraki (Wiedereröffnung des Dojo nach Neujahr) und andere. Die Mitglieder mussten sich hieran aktiv beteiligen. So war es Pflicht, einen Reiskuchen zum Kagami-Biraki mitzubringen. Auch das gemeinsam Reinigen des Dojo war Pflicht. In der Frauenabteilung gab es eine eigene Lehrerin, die den Frauen Benimmunterricht erteilte und Etikette vermittelte.

Judo bestand also nicht nur aus dem Training auf der Matte. Mit heutigen Worten würden wir sagen, es gab ein Vereinsleben, das die Mitglieder aktiv mitgestalten mussten. Auf diese Weise entstand natürlich eine Gemeinschaft, in der soziales Engagement - siehe Jita-kyo´ei - eingefordert und praktiziert wurde.

Will man die Judo-Werte also vermitteln, geht das nach meiner Überzeugung nur, indem darauf geachtet wird, dass niemand im Training gegen sie verstößt. Einen Transfer in die Sphäre außerhalb des Dojo wird man nur über ein entsprechendes Vereinsleben hinbekommen.
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Fritz
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

CasimirC hat geschrieben:Die Frage ist: Wie bringe ich den Kids bei, dass Judo mehr ist als Wettkampf, sondern dass Judo eine Charakterschulung ist? Die Kinder, die ich kenne, verstehen nämlich in den meisten Fällen gar nicht, dass mehr dahinter steckt als Prüfungen und Wettkämpfe. Also wie bringe ich denen das bei? Ist es ihnen überhaupt nahezubringen angesichts des von allen Seiten vorgelebten Erfolgdrucks?
tutor! hat es schon in seinem Beitrag angedeutet: Man kann, sollte und muß mit ihnen reden...
Und das regelmäßig. Und möglichst bevor ihnen jemand anderes erzählt, daß Judo ein Sport ist, in dem es nur ums Gewinnen der Turniere geht.

Und hier wiederhole ich mich mal wieder zum x-ten Mal: Nimm Dir die Zeit, neue Anfänger nach ihrer Motivation zu befragen, warum sie
unbedingt mit dem Judo anfangen wollen... Der Großteil erzählt Dir höchstwahrscheinlich etwas, wo "sich wehren" vorkommt. Danach kommen
die "Mami hat gesagt" - kaum einer kommt an und sagt, daß er Wettkämpfe gewinnen will.
Damit hat man eigentlich schon mal eine gute Ausgangssituation...

Gelegentlich muß man "sie" auch mal dran erinnern, daß das was sie da machen immerhin das Erbe von Kampfkünsten ist, daß die Techniken
jemanden schwer verletzen bis töten können und sie entsprechend verantwortungsvoll miteinander umzugehen haben.
(Macht sich immer dann gut, wenn viele Eltern in der Halle sitzen, die Blicke dabei sind immer köstlich ;-) )

Und man muß sie als Gruppe zusammenschmieden im Guten wie auch im Schlechten... Das Wie überlasse ich hier Deiner Vorstellungskraft...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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kastow
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von kastow »

Tutor!s Beitrag hat ja so ziemlich alle Hintergründe abgehandelt. Bleibt 'nur' noch der Praxisbezug, zu dem Fritz bereits die ersten wichtigen Punkte angesprochen hat. Eine weitere Möglichkeit, um die Jûdô-Werte im Unterricht ansprechen zu können, sind häufige Partnerwechsel sowohl im Kata-/Technik-Training als auch im Randori. Vom Kinderbereich bis zur U30 ergeben sich dann die typischen Probleme: "Mit dem will ich nicht trainieren!", "Der war unfair", "Der ist ja noch Anfänger, mit dem kann ich nichts lernen!", "Der ist zu gut, da habe ich eh keine Chance", usw. Abgesehen vom technischen Gewinn häufiger Partnerwechsel bietet sich so eigentlich immer die Möglichkeit, Jûdô-Werte mittels Kôgi und Mondô im direkten Praxisbezug je nach Situation mit den Betroffenen oder in der gesamten Gruppe zu erörtern.
Herzliche Grüße,

kastow

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Beitrag von HBt. »

Es existieren durchaus nachvollziehbare Gründe für das Ablehnen eines "neuen Übungspartners".
Ich zähle einmal auf:
  • - mangelnde Hygiene, dazu zählen: lange, unsaubere Finger- u. Fußnägel, unangenehmer Körpergeruch, stinkende, unsaubere Übungskleidung, fettige Haare, mangelnde Mund- u. Zahnpflege ...
    - rohe Kräfte, gepaart mit einem steifen Körper -> Verletzungsgefahr
    - totale Merkbefreiung -> Verletzungsgefahr
    - Mimose
    - labert gerne
    ...
Bei dieser Aufzählung denke ich eher an die Altersklasse 30J. bis 60J., als an die "kleinen Mäuse" :cry:.
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kastow
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Re: Pflege

Beitrag von kastow »

HBt. hat geschrieben:Es existieren durchaus nachvollziehbare Gründe für das Ablehnen eines "neuen Übungspartners".
Ich zähle einmal auf:
  • - mangelnde Hygiene, dazu zählen: lange, unsaubere Finger- u. Fußnägel, unangenehmer Körpergeruch, stinkende, unsaubere Übungskleidung, fettige Haare, mangelnde Mund- u. Zahnpflege ...
    - rohe Kräfte, gepaart mit einem steifen Körper -> Verletzungsgefahr
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    ...
Bei dieser Aufzählung denke ich eher an die Altersklasse 30J. bis 60J., als an die "kleinen Mäuse" :cry:.
Da stimme ich dir zu. Aber auch diese Punkte haben ja etwas mit sozialen Werten zu tun. Ich wollte meinen Beitrag auch durchaus in beide Richtungen verstanden wissen: was können ablehnende und abgelehnte Üblinge aus der Situation lernen. Entschuldige bitte, dass das bei meinen kurzen Beispielen nicht deutlicher wurde.
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Nach Lektüre der beiden Artikel und der Postings hier habe ich doch wieder einiges an Input erhalten, was ich vielleicht anders angehen könnte in Bezug auf die pädagogische Ausrichtung des Judo.

Dass zum Judo zusätzlich zum technischen Reglement eine bestimmte (und im Vergleich zu Massensportarten wie Fußball sehr ausführliche und zugleich strenge) Etikette besitzt, ist erstaunlicherweise für viele Eltern ein Argument dafür, ihr Kind zum Judo zu schicken. Sie erwarten in gewisser Weise eine zusätzliche Erziehung der Kinder durch den Sport und durch den Übungsleiter, ähnlich wie sie das von Lehrern in der Schule erwarten. Bestärkt wird diese Erwartungshaltung durch die dem Judo-ÜL innewohnende Überzeugung, dass Kano das Judo als Form der Erziehung und Charakterbildung bezeichnet hat.
Im Grunde sind das auch unglaublich ehrbare Leitideen, die dem Judo innewohnen, und es ist eine nicht zu geringschätzende Ehrung für das Judo, dass Eltern sich von Judo-Übungsleitern eine gute Erziehung ihrer Kinder erhoffen.

Zugleich muss ich jedoch (leider!) in manchen Fällen feststellen, dass die Erziehung, die durch das Elternhaus geleistet wird, absolut keine Grunderziehung erkennen lässt, auf der man als ÜL aufbauen kann. Bei vielen (nicht bei allen!) ist erkennbar, dass es nicht nur 'Probleme im zwischenmenschlichen Umgang' mit Gleichaltrigen gibt, sondern dass es hier gar zu groben Respektlosigkeiten kommt, die sich im Einzelfall sogar auf den ÜL erstrecken können. Bei vielen Kindern kommt mir der Spruch "homo homini lupus" ins Gedächtnis, wenn ich sehe, dass teilweise grundlos andere geärgert werden, provoziert werden, und das leider nicht in dem Rahmen, wie ich ihn aus meiner Kindheit kenne, dass man spielerisch andere neckt und irgendwann den Spaß daran verliert, sondern in diesen Fällen enden solche (auch kaum zu unterbindenden weil mit unglaublicher Heimtücke ausgeführten) Ärgereien in derbsten Schlägereien, und das schon im Alter von 10 Jahren! Dass dann mitunter auch das Trainingsgeschehen ausgenutzt wird, um solche Konflikte auszutragen, bleibt da leider nicht aus, ebenso wie nicht ausbleibt, dass die den Kindern vorgelebten Handlungsmaximen ebenfalls auf der Strecke bleiben.

In solchen Momenten zweifelt man doch sehr an der Wirksamkeit und der praktischen Umsetzung solch ehrbarer Erziehungsziele.

Erschwerend kommt hinzu, dass man als Judo-Übungsleiter relativ wenige Möglichkeiten hinsichtlich der Konsequenz bei Verstößen gegen Regeln hat. Für viele Kinder ist Judo zunächst einmal Spaß, sie sehen (verständlicherweise) den Ernst dahinter nicht so wirklich. Wenn ihnen das Training Spaß macht, dann machen sie gerne mit, wenn es Elemente gibt, die ihnen individuell keinen Spaß bereiten, dann ist die Mitarbeit mau bis nicht verhanden, im Zweifelsfall wird sogar boykottiert. Andere lassen sich dann gern mitziehen, und schon hat man Unruhe. Dass dies einerseits dem Übungsleiter zu denken geben sollte, ob die Inhalte vielleicht angepasst werden sollten, steht außer Frage, doch handelt es sich andererseits bei einem solchen Verhalten nicht um eine Respektlosigkeit? Wenn man die Schüler dann darauf anspricht, kommt in den meisten Fällen eine möglichst "coole" Antwort, die mit Ignoranz noch recht nett umschrieben ist ("Wenn ich das nicht machen möchte, darf ich in einen anderen Verein, hat meine Mama gesagt").

Um das Ganze abzukürzen: Es ist in einigen Fällen auch schwer, an Kinder heranzukommen, weil der Rückhalt des ÜL durch das Elternhaus, sei es durch ähnlich durchdachte pädagogische Ausrichtung oder schlicht Interesse am Judo selbst, fehlt. Kinder werden in den Verein abgeschoben, weil sie dann 3 Stunden in der Woche außer Haus sind, und am Wochenende auch mal "gut unter" sind. Interesse an der Vereinsarbeit? Fehlanzeige! (Wohlgemerkt: Bei weitem nicht bei allen, aber bei einigen. Hier gibt weniger die Quantität solcher Problemfälle den Ausschlag, sondern die Qualität.)

An diesem Punkt nochmals die Frage:
(Wie) Kann Judo seiner doch recht ehrbaren Zielsetzung in der heutigen Gesellschaft noch gerecht werden?
Wird der Judolehrer nicht vielmehr von Eltern als Kinderbelustiger und gleichzeitig als Dompteur angesehen, einer Doppelrolle, die jedoch dem Judo in keiner Weise gerecht wird und den ÜL herabwürdigt?
Muss man aussortieren und einige Judokas als "hoffnungslose Fälle" abschieben, damit man andere besser fördern kann?
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

In solchen Momenten zweifelt man doch sehr an der Wirksamkeit und der praktischen Umsetzung solch ehrbarer Erziehungsziele.
Daß da evt. etwas Grunderziehung fehlt, ist aber nicht das Problem von der Judo-Moral...
Die Frage ist, ob durchs Judotraining die betreffenden Üblinge "verbessert" werden...
Ich denke, man muß sich von der Vorstellung lösen, daß _alle_ "erzogen" werden können.
Erschwerend kommt hinzu, dass man als Judo-Übungsleiter relativ wenige Möglichkeiten hinsichtlich der Konsequenz bei Verstößen gegen Regeln hat.
Die Antwort kennst Du ja schon selbst:
Muss man aussortieren und einige Judokas als "hoffnungslose Fälle" abschieben, damit man andere besser fördern kann?
Es gibt ja den schönen Spruch: "Bestrafe einen, erziehe tausende" von Mao(?) - da steckt schon etwas Wahres
drinnen.
Natürlich hast Du erzieherische Möglichkeiten:
+ Du kannst individuelle Freiheiten genehmigen,
+ Du kannst außerordentliches Wohlverhalten herausstellen und belobigen,
- Du kannst ignorieren (die Person, nicht das Verhalten),
- Du kannst verbal schelten.
- Du kannst jemanden, dessen Verhalten zeigt, daß er intellektuell am konzentrierten, eifrigen Arbeiten
an der jeweiligen Trainingsaufgabe überfordert ist, Ersatztraining in Form einfacher, ihn offensichtlich intellektuell nicht überfordernder Übungen, die zum Ausgleich dafür körperlich etwas fordernder sind, angedeihen lassen,
- Du kannst kurzzeitig vom Training ausschließen,
- Du kannst längerfristig vom Training ausschließen,
- Du kannst dauerhaft vom Training ausschließen (lassen)

= Du kannst die Gruppe in die Aufarbeitung von Fehlverhalten mit einbeziehen, eine Gruppe kann durchaus
psychologisch massiv auf Störer zum Positiven hin einwirken...
Wird der Judolehrer nicht vielmehr von Eltern als Kinderbelustiger und gleichzeitig als Dompteur angesehen, einer Doppelrolle, die jedoch dem Judo in keiner Weise gerecht wird und den ÜL herabwürdigt?
Das hängt oft von einem selber ab, als was man sich ansehen läßt.

Entscheidend ist Ehrlichkeit und Konsequenz, um den Bogen zum Maßnahmen-Katalog zu schlagen:
Den Üblingen klar und deutlich erläutern, was passiert wenn sie sich für dies und jenes entscheiden
(merke: es ist ja alles freiwillig ;-) ). Sich durch Nachfragen vergewissern, daß sie es verstanden haben.
Entscheidet sich dann ein Übling freiwillig dazu, die entsprechende Maßnahme ausprobieren zu wollen,
dann muß die entsprechende Maßnahme auch konsequent durchgeführt werden...

Auf längere Sicht hast Du dadurch auch nicht weniger Mitglieder (was gern als Argument genommen wird
von "Kinder-Verstehern", die jede Ungehörigkeit ausschließlich positiv wegdiskutieren wollen), Du
hast halt andere Mitglieder... ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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kastow
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von kastow »

Ich hoffe, ich finde die Tage noch Zeit für eine ausführlichere Antwort. Zeitbedingt leider nur ein kurzer Beitrag zu deinen interessanten Gedanken. :(
CasimirC hat geschrieben:Dass zum Judo zusätzlich zum technischen Reglement eine bestimmte (und im Vergleich zu Massensportarten wie Fußball sehr ausführliche und zugleich strenge) Etikette besitzt, ist erstaunlicherweise für viele Eltern ein Argument dafür, ihr Kind zum Judo zu schicken. Sie erwarten in gewisser Weise eine zusätzliche Erziehung der Kinder durch den Sport und durch den Übungsleiter, ähnlich wie sie das von Lehrern in der Schule erwarten. Bestärkt wird diese Erwartungshaltung durch die dem Judo-ÜL innewohnende Überzeugung, dass Kano das Judo als Form der Erziehung und Charakterbildung bezeichnet hat.
Im Grunde sind das auch unglaublich ehrbare Leitideen, die dem Judo innewohnen, und es ist eine nicht zu geringschätzende Ehrung für das Judo, dass Eltern sich von Judo-Übungsleitern eine gute Erziehung ihrer Kinder erhoffen.

Zugleich muss ich jedoch (leider!) in manchen Fällen feststellen, dass die Erziehung, die durch das Elternhaus geleistet wird, absolut keine Grunderziehung erkennen lässt, auf der man als ÜL aufbauen kann.
Aus diesem Grunde habe ich mir eine Standard-Antwort angewöhnt, wenn Eltern mir erzählen, dass sie ihr Kind zum Jûdô schicken, um Disziplin zu lernen. Ich erkläre darauf meistens mit einem Lachen, dass sie dann bei uns verkehrt sind, da Disziplin die Voraussetzung zur Teilnahme am Unterricht ist. Danach relativiere ich, dass natürlich die in jeder 'normalen' Familie erfolgte Erziehung als Ausgangsbasis für unser Training ausreicht. So sind die Fronten eigentlich von Anfang an auf freundliche Art geklärt. ;)
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Sumomaus »

Bei uns sprechen wir immer wieder die "Judowerte" an. Sind paar Streitigkeiten, reicht inzwischen oft nur schon das Erwähnen, dass gerade ein Judowert verletzt wurde und ein richtiger Judoka sowas nicht tut. Oft merken die Kandidaten es sich dann und es kommt dann seltener vor.

Ja, Wettkampf-Fairness stellen wir als besonders wichtig da, auch wenn man bei manchen höheren erfolgreichen Wettkämpfern die kleinen fiesen Tricks auf einem Lehrgang lernt.
Jedem Wettkämpfer ist es selbst überlassen und seinem Gewissen, was er tut, solange er keinen wirklich schadet. Ob es dann wirklich ein ehrlicher und fairer Kampf (den Judowerten und der Moral) entsprechend war, müsst ihr dann selber entscheiden.
,-)
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Kumamoto »

Man kann alle Judo- Werte auf einen gemeinsamen Nenner bringen: "Das, was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg auch keinem ander`n zu!" Oder im positiven Sinn "Alles was Du willst, dass Dir die anderen (Gutes) tun, das tue auch ihnen (Gutes)!"- Behandle die anderen so, wie Du selbst behandelt werden willst.
Ihr habt Recht: Die Judo- Werte sind leer, solange sie nicht in den Familien weitergelebt werden. Ein Kind, das ohne Werte ins Training kommt, wird nicht mit Werten aus dem Training gehen. Das Wichtigste ist, selbst authentisch zu sein und ein Vorbild zu geben. Mir hat mal jemand gesagt, das Wort "Vorstand" setze sich aus zwei Worten zusammen "VORbild und AnSTAND". Jeder, dem einem Training vorsteht, sollte "VORbild sein im AnSTAND".
Die beste Möglichkeit, die Judowerte zu vermitteln ist, sie vor den Kindern zu leben. Dann braucht es auch keine Begriffe.
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Volle Zustimung, aber das macht es, gerade für Kinder, ja nicht wirklich greifbar, um welche Werte es sich denn eigentlich handelt, und es handelt sich ja auch um viel mehr Werte als die, die vom DJB in besagter Form dargereicht werden.

Ich persönlich halte es da mit einer Abwandlung des Kant'schen kategorischen Imperativs:
"Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip eines allgemeinen Verhaltenskodex gelten könne."
Dass die hundertprozentige Einhaltung einer solchen Maxime utopisch ist, steht außer Frage.

Dennoch bleibt halt die Frage, in wie weit ein solch ehrbarer Verhaltensgrundsatz für Kinder greifbar werden kann, und ob er überhauot in unserer Gesellschaft oder im Sportjudo/ Wettkampfjudo im speziellen überhauot Anwendung finden kann.
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von tutor! »

CasimirC hat geschrieben:Dennoch bleibt halt die Frage, in wie weit ein solch ehrbarer Verhaltensgrundsatz für Kinder greifbar werden kann, und ob er überhaupt in unserer Gesellschaft oder im Sportjudo/ Wettkampfjudo im speziellen überhauot Anwendung finden kann.
Oder vielleicht als Ziel einer gesellschaftlichen Entwicklung - oder als Generalkonsens darüber - gerade deshalb angestrebt werden sollte. Und genau an diesem Punkt sind wir bei DER Kernfrage des Kodokan-Judo schlechthin.

Letztlich geht es bei Moral um die Unterscheidung zwischen "gutem" und "schlechtem" Verhalten. "Gutes" Verhalten ist konkreter Ausdruck von Tugenden, die wiederum als "Einhaltung von Werten" beschrieben werden können.

Kodokan-Judo verfolgt letztlich als Ziel die gesellschaftlichen Entwicklung, indem es den Einzelnen ganzheitlich positiv im Sinne dieses Zieles beeinflusst. Die zugrunde liegende Ethik ist eine Mischung aus konfuzianischer Ethik, englischem Utilitarismus und einigen Einflüssen verschiedener westlicher Pädagogen (z.B. J. Dewey).

Judo losgelöst von diesen grundsätzlichen Gedanken zu betreiben, heißt kein Kodokan-Judo mehr zu betreiben, wenngleich Konfuzianismus und Utilitarismus nicht unbedingt die Basis für unser Moralverständnis sein müssen. Letztlich schrieb Kano selbst, dass der Maßstab für Moral weder aus Tradition, noch aus Religion entstammen kann, sondern nur aus einer unwiderlegbaren Logik.
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

CasimirC hat geschrieben:Ich persönlich halte es da mit einer Abwandlung des Kant'schen kategorischen Imperativs:
"Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip eines allgemeinen Verhaltenskodex gelten könne."
Nun ja, genau das hat ja letztlich Kumamoto versucht in ungeschwurbelte - kindgerechte - Worte zu fassen.
Dass die hundertprozentige Einhaltung einer solchen Maxime utopisch ist, steht außer Frage.
Gerade Kampfsport ist meiner Meinung ideal geeignet, Kinder/Jugendliche entsprechend ethisch zu bilden...
Es gibt _immer_ jemanden der besser ist und prinzipiell lernt man sehr gut, daß wer austeilen will, auch einstecken
können muß - vorausgesetzt der Trainer/ÜL/Lehrer geht behutsam mit der "Gruppen-Dynamik" um... ;-)
Mit freundlichem Gruß

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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Kumamoto »

Im heutigen Sport ist der Zweite doch schon der erste Verlierer. Wie soll sich bei einem solchen Verständnis Moral ausbilden? Es zählt der Erfolg, nicht mehr der Weg dorthin.
CasimirC
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

tutor! hat geschrieben:
CasimirC hat geschrieben:Dennoch bleibt halt die Frage, in wie weit ein solch ehrbarer Verhaltensgrundsatz für Kinder greifbar werden kann, und ob er überhaupt in unserer Gesellschaft oder im Sportjudo/ Wettkampfjudo im speziellen [überhaupt] Anwendung finden kann.
Oder vielleicht als Ziel einer gesellschaftlichen Entwicklung - oder als Generalkonsens darüber - gerade deshalb angestrebt werden sollte. Und genau an diesem Punkt sind wir bei DER Kernfrage des Kodokan-Judo schlechthin.
Um der Diskussion an dieser Stelle vielleicht noch einmal einen kleinen Impuls zu geben, folgende (sehr verkürzte!) Gedanken.

Nehmen wir beispielsweise den Punkt "Ehrlichkeit" aus den DJB-Werten. Dort heißt es wortwörtlich:

"Kämpfe fair, ohne unsportliche Handlungen und ohne Hintergedanken."

In wie weit kann dieser Grundsatz für das Wettkampfjudo gelten? Es ist in jedem Wettkampf in jeder Sportart gang und gäbe, dass man sich auch durch geschicktes Ausnutzen von Hintertürchen, durch versteckte Handlungen oder sogar durch offensichtliche Regelüberschreitungen (z.B. Foulspiel beim Fußball) in bestimmten Momenten Vorteile verschafft oder den Vorteil des Kontrahenten unterbricht. Beim Judo ist das durchaus ähnlich, man denke z.B. an absichtlich kampfverweigernde Handlungen, wenn man selbst in Führung liegt, oder an versteckte, unsportliche Tricks, die insbesondere von den Landestrainern gern "im Geheimen" demonstriert und gelehrt werden.
Es gibt sogar Wissenschaftler wie den Ethiker Leopold Neuhold, die Fairness im Wettkampf als hinderlich ansehen.

Das Ziel des Wettkampfes ist es doch, einen "Stärksten", einen "Besten", einen "Klügsten",...usw. zu küren und quasi eine Leistungshierarchie zu erstellen, wobei es für verschiedene Leistungsstufen unterschiedliche äußere Anreize (Geld, Ruhm,...) gibt. Passt diese Situation überhaupt noch zu der Werte-Fokussierung des Judo, zu der vom Kodokan-Judo angestrebten, insbesondere durch moralische Erziehung geförderten ganzheitlichen gesellschaftlichen Entwicklung?

An dieser Stelle muss man auch die Judoverbände einmal konkret ansprechen: Wird durch eine finanzielle Förderung des Leistungssports im Judo, bei der es darum geht, bei Wettkämpfen auf verschiedenen Ebenen möglichst gute Ergebnisse zu erzielen, um mehr finanzielle Unterstützung zu erhalten, nicht der ursprüngliche Gedanke des Kodokan-Judo ad absurdum geführt?
Theorie: Wenn alle wissen, wie es geht, und es geht nicht.
Praxis: Wenn es geht, und keiner weiß, warum.
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Fritz
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Fritz »

CasimirC hat geschrieben:Das Ziel des Wettkampfes ist es doch, einen "Stärksten", einen "Besten", einen "Klügsten",...usw. zu küren und quasi eine Leistungshierarchie zu erstellen, wobei es für verschiedene Leistungsstufen unterschiedliche äußere Anreize (Geld, Ruhm,...) gibt. Passt diese Situation überhaupt noch zu der Werte-Fokussierung des Judo, zu der vom Kodokan-Judo angestrebten, insbesondere durch moralische Erziehung geförderten ganzheitlichen gesellschaftlichen Entwicklung?
Da gibt es doch irgendwo hier im Forum ein Kano-Zitat, wo dieser den Zweck
und das Ziel von Judo-Wettkämpfen erläutert.
Sinngemäß ging es da eben nicht darum, eine Medaille/Platzierung zu gewinnen oder etwas attraktives
für irgendein Publikum abzuliefern, sondern seine eigenen Judo-Fertigkeiten zu überprüfen und entsprechend dann zu trainieren... Also Wettkampf als Trainingswerkzeug...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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