Heutiges Judotraining und Moral

Hier geht es um die Trainingsgestaltung,-methodik,-formen.
Kumamoto
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Kumamoto »

Ist es Egoismus, wenn man in einer guten Sache aufgeht und im Engagement dafür aufblüht?
Egoistisch ist die Selbstverwirklichung nur, wenn man die eigenen Interessen über die der guten Sache stellt, sich selbst nicht zurücknehmen kann oder will. Komisch, dass Du, lieber Fritz, nur diese Ausformung nennst. Vielleicht weil Du nur diese kennst, sie vielleicht sogar zu Deiner eigenen Denk-/Sichtweise gemacht hast? ;)
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Ronin
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Ronin »

um bei der Terminologie zu bleiben (und nicht in alberne Wortklaubereien zu verfallen):

Ich glaube dieser Thread versucht die Frage zu beantworten nach dem "warum" Judo eine gute Sache ist.

Casimir korrigiere mich bitte, wenn ich das falsch verstanden haben sollte.
CasimirC
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von CasimirC »

Danke für den Hinweis!

Mittlerweile muss es absolut auch um das "WARUM" gehen, aber ursprünglich ging es mir um das "WIE", "IN WIE WEIT" und das "IN WELCHEM RAHMEN".

Da aber diese Fragen scheinbar nur über das "Warum überhaupt" geklärt werden können, möchte ich diese Frage sehr gern auch diskutieren.

Persönliche Anmerkung: Komm mir jetzt bitte niemand mit irgendwelchen Postings von Kano und/ oder seiner Schüler, ohne selber Stellung dazu zu beziehen. Lesen kann ich selber, aber jeder bildet sich eine Meinung hierzu ;)
Theorie: Wenn alle wissen, wie es geht, und es geht nicht.
Praxis: Wenn es geht, und keiner weiß, warum.
tutor!
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von tutor! »

CasimirC hat geschrieben:Da aber diese Fragen scheinbar nur über das "Warum überhaupt" geklärt werden können, möchte ich diese Frage sehr gern auch diskutieren.
Das nannte man früher "das Primat der Didaktik gegenüber der Methodik"....

Erziehung folgt immer einem gesellschaftlichen Leitbild. Dieses kann durchaus pluralistisch sein. Aus diesem gesellschaftlichen Leitbild leiten sich dann Erziehungsziele ab. Wer auf andere (ein)wirkt, erzieht auf die ein oder andere Weise, indem das eigene Händeln bei anderen Wirkung hinterläßt. Der eine mag dies bewusst tun und sich Erzieher nennen, der andere mag dies nicht so, wirkt aber genauso. Ich denke daher, dass ein Trainer nicht nicht erziehen kann. Die Frage ist nur, ob er es reflektiert tut und wie nachhaltig er auf die Zöglinge wirkt.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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Re: Heutiges Judotraining und Moral

Beitrag von Jupp »

CasimirC schreibt:
Mittlerweile muss es absolut auch um das "WARUM" gehen, aber ursprünglich ging es mir um das "WIE", "IN WIE WEIT" und das "IN WELCHEM RAHMEN".

Da aber diese Fragen scheinbar nur über das "Warum überhaupt" geklärt werden können, möchte ich diese Frage sehr gern auch diskutieren.
Da ich diese Frage ebenfalls seit vielen Jahren interessant finde, habe ich darüber vor einigen Jahren einen etwas längeren Artikel geschrieben, den ich hier wiedergeben möchte. Wie darin vielleicht deutlich wird, gibt es eine immer gültige, abschließende Antwort nicht. Im Gegenteil: Im Verlauf der jeweils ganz persönlichen Judoentwicklung wird die Frage nach dem "Warum" aus der jeweils individuellen Lebenssituation heraus eine andere Antwort erfahren als möglicherweise noch einige Jahre zuvor.

Hier also mein damaliger - leicht überarbeiteter - Artikel im Judo-Magazin (6/2009, S. 44/45):
Judo – ein Leben lang aktiv sein!

Persönliche Vorbemerkungen
So lange, wie ich über Judo in vielen Ländern Europas Weiterbildungskurse für Trainer gebe, ist das Thema „Was ist Judo?“ einer meiner persönlichen Schwerpunkte.
Judo begleitet mich mehr als 2/3 meiner bisherigen Lebenszeit, hat mich mit einer wunderbaren Frau zusammengebracht und geholfen zwei tolle Kinder zu erziehen.
2009 habe ich mein 40-jähriges Judojubiläum gefeiert und werde in diesem Jahr 64 Jahre alt. Ich habe dem Judo sehr viel in meinem Leben zu verdanken und möchte davon so viel ich kann, wieder Anderen und dem Judo zurückgeben.

Was ist Judo?
In all den Jahren hat sich meine Antwort auf die Frage „Was ist das eigentlich, was ich hier mache und vermittele?“ immer wieder in dem Maße verändert wie ich selbst.
Um diese für mich sehr deutsame Frage etwas umfassender zu beantworten, muss ich in meinem (Judo-) Lebensweg einige Jahrzehnte zurück gehen.

Jigoro Kano der Begründer des Judo, sah sein Kodokan-Judo vor allem als ein Erziehungs-system und formulierte das letzte, eigentliche Ziel des Judo nach fast 40 Jahre Studium und zum Zeitpunkt seiner Pensionierung um 1920 herum (also fast in dem Alter, in dem ich jetzt bin) daher wie folgt: „Judo ist – in letzter Konsequenz - der höchst wirksame Gebrauch von Geist und Körper zu dem Zweck, sich selbst zu einer reifen Persönlichkeit zu entwickeln und einen Beitrag zum Wohlergehen der Welt zu leisten“

Das Judo-Studium
Kano hat für das von ihm entwickelte Kodokan-Judo drei Zwecke vorgegeben, die man mit dem Judo-Studium erreichen kann:
1. Training des Körpers,
2. Lernen, wie man einen Gegner besiegt und
3. Erlernen eines angemessenen Verhaltens und Entwickeln guter Manieren.

Im Sinne von Jigoro Kano soll Judo die Übenden (modern ausgedrückt)
– körperlich fit,
– technisch geschickt und taktisch klug machen und
– ihnen bei der Entwicklung eines höflichen, ausgeglichenen und zurückhaltenden Wesens helfen.

Die Mittel, mit denen Kano seine Zwecke zu vermitteln versucht, sind ebenfalls von ihm selber beschrieben worden:
„Beim Studium des Judo ist es entscheidend, dass der Körper trainiert und der Geist kultiviert wird durch die Methode von Angriff und Verteidigung, mit dem Ziel, das Prinzip zu verstehen. Dadurch perfektioniert man sich selbst und trägt zum allgemeinen Wohl in der Welt bei. Dies ist das letzte Ziel des Judo-Studiums“ (Jigoro Kano: Illustrated Kodokan-Judo, 1955, S. 14)
Man kann diesen Judo-Inhalt (Angriff und Verteidigung) auf verschiedene (gleichwertige und sich ergänzende) Arten studieren, nämlich als Kata, Randori aber auch im Kampf.
Als umfassenden, gemeinsamen Gedanken kann man vielleicht sagen, dass der Inhalt (also das, was man übt) immer das Studium der körperlichen Auseinandersetzung von zwei Partnern (Gegnern?) ist, wobei diese körperliche Auseinandersetzung mit Judotechniken erfolgt und als Verhaltensmaßstab die beiden von Kano entwickelten Grundsätze des „gegenseitigen Helfens und Verstehens“ und des „besten Einsatzes der vorhandenen körperlichen und geistigen Kräfte“ gelten.

Im modernen Judo haben sich weltweit viele verschiedene (durchaus gleich-wertige) Inhalte entwickelt, mit denen man Judo studieren und verstehen kann. Diese Inhalte ergeben sich aus den persönlichen Sichtweisen des Judo (bzw. auf das Judo) und bestimmen, in welcher Intensität und Schwerpunktsetzung man Judo studiert. So kann man Judo als Wettkampfsport, als Hoch- oder Höchstleistungssport, als Fitnesstraining, als Therapie, als Philosophie, als Selbstverteidigung, als Ausgleich zum Beruf, als Erziehungssystem u.v.a.m. betrachten, studieren und erleben.

Was fasziniert am Judo über einen so langen Zeitraum?
Was fasziniert mich also am Judo so sehr, dass ich mich über einen so langen Zeitraum mit einer solchen Sache auseinandergesetzt habe?

Meine heutige Antwort betrifft drei Aspekte: Mich fasziniert die Auseinandersetzung mit einem Gegner, mit der (Judo-) Technik und damit verbunden auch immer mit sich selbst.
Dabei wird mir immer klarer, dass diese drei Aspekte nicht immer gleichwertig und gleichrangig nebeneinander stehen. Sie erfahren in der Entwicklung, dem Verlauf eines jeden individuellen Judolebens eine jeweils unterschiedliche Schwerpunktsetzung.

1. Die Auseinandersetzung mit dem Gegner
Für einen jungen Menschen zwischen 10 und 30 Jahren stehen die körperliche Entwicklung, die strategisch-taktische Verbesserung und die Auseinandersetzung mit Gegnern im Vordergrund. Es ist eine Zeit des körperlichen Wachstums, des Kräftemessens und sich Vergleichens. Es geht darum, für sich herauszufinden, was sich aus dem großen Spektrum der Judo-Fertigkeiten am erfolgreichsten, am effektivsten im Vergleich mit anderen erweist. Allmachtsträume von „Unbesiegbarkeit“ spielen in dieser Phase eine wichtige Rolle. Das wichtigste Mittel des Judostudiums ist in dieser Zeit sicherlich das Randori (wobei man Shiai – den Wettkampf) als besondere Form des Randori betrachten kann).

2. Die Auseinandersetzung mit sich selbst
Als Erwachsener zwischen 30 und 50 Jahren wird man (hoffentlich!) ruhiger und ausgeglichener. Man erweitert sein Wissen, stabilisiert sein Können und reift auch in seinem Judo über den Vergleich mit Gegnern zur Zusammenarbeit mit vielen Partnern heran, die - wie man selbst - einen Beitrag zu Weiterentwicklung unseres Judo zu leisten versuchen.
Kata nimmt in dieser Phase der Partnerorientierung und Persönlichkeitsentwicklung eine immer stärkere Rolle ein.

3. Die Auseinandersetzung mit dem Prinzip (der Technik)
Im Altersabschnitt über 50 Jahren, wenn man die ersten Anzeichen körperlichen Verfalls deutlich und manchmal nachhaltig spürt, sich der Endlichkeit seines Lebens und Schaffens bewusster wird, fragt man sich häufiger, was einen am Judo denn eigentlich so nachhaltig fasziniert, dass man dem Judo-Studium einen großen Anteil seines Lebens gewidmet hat.
Ich genieße derzeit das Gefühl von Einfachheit bei der Ausführung vieler Judotechniken, die ich auch ohne großen Kraftaufwand immer noch schön und dynamisch demonstrieren möchte. Wenn ich Judotechniken vorführe, so sollen diese nicht nur ihre Wirksamkeit entfalten und die Lernenden auf Prüfungen oder Wettkämpfe vorbereiten. Ich möchte meinen Schülern auch das Gefühl von Schönheit der Bewegungen vermitteln, das ich selber bei der Ausführung der Techniken anstrebe und in gelingenden Augenblicken erlebe.
Für mich gewinnt bei meinen Überlegungen der Begriff „Stil“ eine zentrale Bedeutung. Vielleicht aus meiner persönlichen Lebenssituation heraus (ich nehme nicht mehr an Wettkämpfen teil und mache deutlich weniger Standrandori als früher) und meiner ureigenen Lebens-Judo-Geschichte – vielleicht aber bin ich nur auf dem Weg zu verstehen, was Jigoro Kano mit dem Begriff „Prinzip“ gemeint hat.
Das wichtigste Mittel in diesem Lebensabschnitt des Sammelns persönliche Erfahrungen ist das Unterrichten anderer, die Weitergabe der eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse an nachfolgende Generationen sowie ein intensives Studium der internationalen Judoliteratur.

Die Vielfalt erleben ist eine Aufgabe für ein langes Judoleben
Judo in seinen vielen unterschiedlichen Ausprägungen zu erproben, zu erleben und zu verstehen dauert lange – mehr als ein Judo-Leben bieten kann. Ich habe für mich nicht den Eindruck gewonnen, dass ich Judo in all seinen Facetten und Tiefen schon kennen gelernt, geschweige denn erfasst habe.

Ich weiß aber, dass ich einige wichtige Lektionen, die Judo für seine Studierenden bereithält, verstanden habe. Und mein – von Jigoro Kano geforderter – Beitrag zum „Wohlergehen der Welt“ besteht darin, dass ich meine Erfahrungen weiter gebe, in Wort (Unterricht und Lehrgänge), Schrift (Veröffentlichungen und Bücher) und Bild (Fotos und Zeichnungen). Manchmal auch noch mit meinem Körper, wenn ich mit dem einen oder anderen meiner Schüler oder Trainingspartner Stand- und/oder Bodenrandori betreibe.

Rückblickend ist Judo eine ganz einfache Sache, man muss nur mal damit angefangen haben.

Und wie heißt ein alter japanischer (chinesischer?) Merksatz: „Auch der längste Weg beginnt mit einem ersten Schritt!“

Meine wichtigste Erkenntnis nach über 40 Jahren Judo ist: Judo ist eine tolle Sache!

Jeder sollte diese Erfahrung machen – es ist nie zu spät, mit einer guten Sache anzufangen!

Jupp
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