Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau?

Hier geht es um die Trainingsgestaltung,-methodik,-formen.
tutor!
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von tutor! »

Einzeltechniken hin - Einzeltechniken her: was mich beschäftigt ist die Frage, ob es wirklich diese massiven Verschiebungen gegeben hat. Und das hat mir keine Ruhe gelassen, so dass ich selber in der APO nachgeschaut habe.

Eines ist mir aber noch wichtig zu betonen. Bei diesen Überlegungen, die ich oben angestellt habe, habe ich nur das bestehende Ordnungssystem der Wurftechniken - die Einteilung in Te-, Koshi, Ashi-, Ma-sutemi und Yoko-sutemi-waza genommen und geschaut, wie dieses in die fünf Gruppen der Gokyo überführt worden ist und welche Reihung sich ergab. Diese Reihung wollte ich gar keiner tiefen Analyse unterziehen, weil da doch nur wieder meine Vorerfahrung eingebracht hätte. Es sollte nur ein flüchtiger Blick sein und die kurze Feststellung: ja - so könnte das Sinn machen und das fällt mir auf.

Genau so bin ich jetzt einmal die APO durchgegangen, die freilich nicht fünf Stufen, sondern wenn man die komplette Gokyo drin haben möchte, 9 Stufen (den 1. Dan muss man ja mitrechnen, da sind ja nach der neuen PO noch die Resttechniken vorhanden)

Wie schaut es also bei den Te-waza aus? Man muss feststellen, dass die Te-waza in der APO sehr ähnlich zur Gokyo vorkommen. es fängt mit Seoi-nage (genauer: zwei Varianten von Ippon-seoi-nage ;) , gefolgt von Tai-otoshi. Die letzten beiden Techniken sind wie bei der Gokyo auch Uki-otoshi und Sumi-otoshi. Dazwischen gibt es eine kleine Abweichung. Hier sieht die APO Kuchiki-daoshi -> Te-guruma -> Kata-guruma vor. Je älter die Kinder werden, desto höher wird Uke gehoben. In der Gokyo käme erst Kata-guruma und dann sukui-nage.

Die Abweichung stört wicher nicht das große Bild, sondern - im Gegenteil - macht Sinn, wenn wir bedenken, dass wir es in der Mehrzahl mit Kindern zu tun haben.

Die Koshi-waza....
.... Gokyo und APO beginnen beide mit O-goshi und Uki-goshi, beide enden mit mit Ushiro-goshi und Utsuri-goshi, allerdings in der umgekehrten Reihenfolge. Der Harai-goshi kommt in der APO etwas früher, direkt nach O-goshi und Uki-goshi, dafür sind Tsuri-komi-goshi und Koshi-guruma etwas nach hinten gerutscht. Der Grund bei Koshi-guruma ist, dass man die Kinder nicht noch zusätzlich auf das "Nackenzehen" bringen will, sondern ihnen "klassisches" Judo mit Ärmel-Kragen-Griff beibringen möchte. Wir alle kennen diese Debatte. Hane goshi kommt wie in der Gokyo nach Harai-goshi, der Tsuri-goshi wurde aus der APO ausgespart und wird beim 1. Dan nachgereicht.

Bei den Koshi-waza gibt es also etwas mehr Abweichungen, aber sind sie massiv und substantiell? Ich meine nicht wirklich...

Bei den Ashi-waza gibt es noch etwas größere Abweichungen. Am Anfang stehen alle Techniken, bei denen ein stehendens Bein Ukes angegriffen wird und zwar wie in der Gokyo "Außensicheln" vor "Innensicheln". Dadurch fällt das Problem des Timings bei Kindern weg, die damit extrem große Probleme haben. Die "Fegetechniken" kommen also später - und genau in der Reihenfolge, wie auch in der Gokyo. Sasae-tsuri-komi-ashi sind auch etwas nach hinten gerutscht, damit nicht 7-8jährige Kinder damit überfordert werden.

Die Eindrehtechniken unter den Ashi-waza kommen in derselben Reihenfolge wie in der Gokyo vor und der O-soto-guruma bildet hier wie da den Abschluss.

Die Verschiebungen sind also damit begründet, dass Techniken mit etwas höheren koordinativen Anforderungen etwas weiter nach hinten geschoben wurden. Ein Wort noch zu o-soto-ostoshi und o-soto-gari: ich jedenfalls verstehe den o-soto-otoshi in der APO nicht im engeren Sinn als o-soto-otoshi, sondern als einen auf das Niveau eines 6-7jährigen entschärften O-soto-gari. Älteren Anfänger würde ich selbstverständlich direkt O-soto-gari vermitteln.

Die Ma-sutemi-Waza
..... sind in der APO exakt in der Reihenfolge wie in der Gokyo

Bei den Yoko-sutemi-waza
.... gibt es leichte Verschiebungen, aber auch sie beginnen hier wie dort mit Yoko-otoshi und Tani-otoshi. Bei beiden "Mako-komis" tauchen im Doppelpack auf.

Insgesamt zeigt sich auch, dass die Sutemi sowohl in der APO als auch in der Gokyo erst bei den Fortgeschrittenen auftauchen

Wenn ich mir das jetzt zusammenfassend anschaue, dann stelle ich fest, dass vieles von der Reihung innerhalb der Technikgruppen erhalten geblieben ist. Dort, wo es Abweichungen gibt, wurde dem jungen Alter der Kandidaten Rechnung getragen und ehrlich gesagt finde ich da jede Verschiebung nachvollziehbar.

Der nächste Blick muss jetzt die Ebene der Te-, Koshi-, Ashi-, Ma-sutemi- und yoko-sutemi-waza verlassen und man muss schauen, ob innerhalb der Stufen der Gokyo bzw. innerhalb der Gürtelstufen der APO sinnvolle Querverbindungen zu finden sind. Für die APO ist es beschrieben, für die Gokyo leider nicht....
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Lin Chung »

Ich glaube schon, dass bei der Zusammenstellung der Gokyo Gedanken über eine ungefähre Reihenfolge des Lernens angestellt wurden. Nur muss man einige Dinge von vorneherien klar sehen, damit man nicht etwas hineininterpretiert, was nicht intendiert ist/war:
•die Gokyo wurde nicht als strenge Reihenfolge des Vermittelns geschaffen und verwendet
...wofür hat sich Kano dann die Mühe gemacht und hat sie so aufgebaut, dass die einzelnen Stufen systematisch aufeinander aufbauen? Methodische Reihe, Fritz sagte es bereits.
•die Gokyo war in Japan keine Grundlage für Kyu-Prüfungen
...wonach wurde dann geprüft (zur Zeiten Kanos, danach des Kodokan)?
•in Japan war das Beherrschen der Gokyo nie Voraussetzung für den 1. Dan
...was ich nicht glaube. Bei uns hat das doch auch funktioniert.
Grüße
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von tutor! »

In Kürze, weil das alles schon in dem anderen Faden steht.
Lin Chung hat geschrieben:
•die Gokyo wurde nicht als strenge Reihenfolge des Vermittelns geschaffen und verwendet
...wofür hat sich Kano dann die Mühe gemacht und hat sie so aufgebaut, dass die einzelnen Stufen systematisch aufeinander aufbauen? Methodische Reihe, Fritz sagte es bereits.
Kano selbst hat sich z.B. in seinem Lehrplan für Judo für die Mittelschulen nicht an die Reihenfolge der Gokyo gehalten....
Lin Chung hat geschrieben:
•die Gokyo war in Japan keine Grundlage für Kyu-Prüfungen
...wonach wurde dann geprüft (zur Zeiten Kanos, danach des Kodokan)?
Es gibt bis heute noch kein Kyu-Prüfungsprogramm in Japan...
Lin Chung hat geschrieben:
•in Japan war das Beherrschen der Gokyo nie Voraussetzung für den 1. Dan
...was ich nicht glaube. Bei uns hat das doch auch funktioniert.
Bei uns ist es übrigens immer noch so, aber eben nicht in Japan. Das sagte z.B. schon der ehemalige Bundestrainer Nagaoka bei einer Diskussion um die PO in den 50er Jahren! Er sagte dort klipp und klar, dass es in Japan viele Dan-Träger gäbe, die nicht die gesamte Gokyo kennen würden und er selbst habe viele Techniken erst gelernt, nachdem er als Bundestrainer für Deutschland ausgewählt worden war.

Für die Dan-Graduierung zählen in Japan nur Wettkampfpunkte und Kata - das war´s schon fast. Es kommen noch Tätigkeiten als Kampfrichter und Lehrer hinzu. Hier steht´s: http://www.kodokan.org/e_basic/shoudan.html.
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Fritz »

@tutor: Trotzdem ist es kaputt ;-)
Wir haben m.M.n (was ich mit meinen Anmerkungen zum H-G und T-G und Ushiro-G versucht habe anzudeuten)
eine hübsche ordentlich orthogonale Struktur mit der Gokyo.
Also einerseits "in der Breite" hübsche Techniken, dies sich ergänzen, komplementieren usw.
und "in der Tiefe" halt diese methodischen Reihen...
Und das ist mit den POs zerhackstückt und verzerrt worden. Wobei die jetzige PO ja da schon wieder
eine mehr der Gokyo zugewandte Korrektur war / sein sollte, als das Ding
davor (wenn mich meine Erinnerung nicht trügt).
Das hätte man auch einfacher und kompatibler zu den "alten POs"
hinbekommen können (*) - einschließlich Kindergerechtigkeit ;-) immerhin
hatte sich ja ne Expertengruppe recht lange u. intensiv damit befassen müssen...
((*) also z.B. über optionale Zwischengürtel)

Überhaupt kann ich die Sprüche mit der Überforderung der Kinder nicht mehr hören,
ich glaube, eins der gesellschaftlichen Grundproblem heute ist die permanente geistige
und körperliche Unterforderung der Kinder, bei gleichzeitigem "Zumüllen" mit irgendwelchem
Schwachsinn (Klingeltöne, Musikvideos, dümmlichen Zeitschriften usw.)
Bloß kein Risiko, bloß kein Mißerfolg, es könnte ja schaden...
Warten wir doch lieber mit den Mißerfolgen, bis sie das Erwachsenen-Alter erreicht haben,
dann sind wenigstens die Mißerfolge meist gleich existentieller Natur (Ausbildung, Studium),
was ja nicht weiter schlimm ist, denn bekanntlich erwirbt ein Jugendlicher
mit Erreichen der Volljährigkeit, wie von Zauberhand die Fähigkeit, mit Mißerfolgen umgehen zu können :BangHead

Wieso bin ich abgeschweift, ach ja:
Tutor! hat geschrieben:Sasae-tsuri-komi-ashi sind auch etwas nach hinten gerutscht, damit nicht 7-8jährige Kinder damit überfordert werden.
Das glaubst Du doch nicht selbst oder?
"Beine stellen" war damals schon im Kindergarten ein beliebtes "Spiel" ;-)
Dadurch fällt das Problem des Timings bei Kindern weg, die damit extrem große Probleme haben. Die "Fegetechniken" kommen also später -
Da hätte ich schon für "clever" gehalten, den De-Ashi-Barai
am Anfang zu lassen... Die Sache mit dem Timing ist meiner Meinung nach recht altersunabhängig,
da stellen sich auch Erwachsene mitunter bewunderungswürdig merkwürdig an...
D.h. eher anfangen --> länger üben ;-)
Fatal finde ich, die sehr zeitige Einführung der O-Soto-Technik. Das macht viel kaputt, wenn ich
an diese unzählige Kinder-Randoris denke, wo wild drauflos gehakelt wird - mal nen Hüftwurf eindrehen,
Gott bewahre, O-Soto-Irgendwas ist doch viel einfacher; irgendwas legt da bei den meisten nen Schalter im
Kopf um, der recht zuverlässig alle andere Wurfversuche unterbindet... :(
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Lin Chung »

Danke für die Antwort Tutor.

Aber eine Frage bleibt noch, wonach hat Kano geprüft, bevor das Kodokan gegründet wurde, den Wettkämpfe wie heute, also mit Regeln gab es da doch noch nicht,
wenn ich an den Film von Saigo denke.

Fritz schrieb:
Da hätte ich schon für "clever" gehalten, den De-Ashi-Barai
am Anfang zu lassen... Die Sache mit dem Timing ist meiner Meinung nach recht altersunabhängig,
da stellen sich auch Erwachsene mitunter bewunderungswürdig merkwürdig an...
D.h. eher anfangen --> länger üben
...was früher funktioniert hat, warum soll das heute nicht mehr funktionieren?

...übrigens Tutor, du hast einen Verdacht:
Hinter der Stufeneinteilung der Gokyo steckt scheinbar doch etwas mehr als Beliebigkeit
...und dann wischt du es einfach fort. Ich denke, du hast bei der Aufzählung und dem Vergleich doch etwas ganz Wichtiges entdeckt. Vielleicht, dass Fritz doch recht hat.
Grüße
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:
Tutor! hat geschrieben:Sasae-tsuri-komi-ashi sind auch etwas nach hinten gerutscht, damit nicht 7-8jährige Kinder damit überfordert werden.
Das glaubst Du doch nicht selbst oder?
"Beine stellen" war damals schon im Kindergarten ein beliebtes "Spiel" ;-) (
Doch, doch, das meine ich schon erst - die sind ja nicht so weit nach hinten gerutscht, nur in den Orangegurt, statt vorher "gelb".

Aber ich habe auch meine Kritikpunkte an der APO, nur halte ich die etwas veränderte Reihenfolge im Verhältnis zur Gokyo in keiner Weise für die Ursache von Problemen. Diese liegen für mich im konkreten Training.

Im Anfangsunterricht kommen mir einige Dinge zu kurz, z.B. die Bedeutung des Gleichgewichtsbruchs. Ich bin sicher, die Trainer sagen es immer dazu und ich bin bin sicher, sie zeigen es auch. Aber all diese Techniken in den ersten beiden Stufen der APO funktionieren für die Kinder auch fast ohne. Dasselbe gilt für Timing. Kinder lernen anhand dieser Techniken nicht, wie wichtig es ist, genau auf die Bewegungen des Partners zu achten. Dann will man kämpfen mit einen Ärmel-/Kragengriff vermitteln, aber alle Eindrehtechniken der ersten Stufen funktionieren nur mit Umgreifen des rechten Arms. Wenn der festgehalten wird, bleibt nicht mehr viel übrig. Außerdem wird die Koordination beider Hände beim Werfen kaum gefordert/gefördert.

Für einen guten Trainer ist das kein Problem, weil er ohnehin auch andere Techniken und Übungen einstreuen wird, auch wenn sie nicht geprüft werden und ein schlechter Trainer wird auch mit einer anderen Reihenfolge kein besseres Training machen.

Die meisten Probleme sehe ich auch nicht in der Einführung der Techniken, sondern in der fehlenden Wiederholung und Verbesserung. Man gibt sich viel zu schnell mit einer ganz, ganz groben Grobform zufrieden und arbeitet später nicht wirklich an technischen Details, wie eben dem Timing und dem Gleichgewichtsbruch - sind ja alte Techniken, die man schon "kann".

Ich würde über ein ganz radikal anderes System nachdenken. Mit ausschließlich Streifengürteln bis z.B. zum 14. Lebensjahr und einer anschließenden Prüfung, bei der der Prüfling in einen vollen Gürtel eingestuft wird. Beim Schulwechsel von Grundschule in weiterführende Schulen werden aus den "Großen" ja ohnehin die "Kleinen".

Ich würde also über getrennte "Kinderprüfungsordnung" und "Erwachsenenprüfungsordnung" mit Übergang mit ca. 14 Jahren nachdenken.
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Lin Chung »

Die mitunter zu hörende Formulierung "in der Gokyo wird die Technik "xyz" so gemacht, alles andere sind Wettkampfvarianten" ist demzufolge blanker Unsinn....
...vielleicht kannte Kano diese Varianten. Aber er war mit ihnen nicht zufrieden und hat sie deshalb nicht in die Gokyo integriert.
Ich denke da immer an seinen Satz: "Das Neue ist nur das Alte, was vergessen wurde"
Ich würde über ein ganz radikal anderes System nachdenken. Mit ausschließlich Streifengürteln bis z.B. zum 14. Lebensjahr und einer anschließenden Prüfung, bei der der Prüfling in einen vollen Gürtel eingestuft wird. Beim Schulwechsel von Grundschule in weiterführende Schulen werden aus den "Großen" ja ohnehin die "Kleinen".
...sieht schon etwas besser aus.
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:Aber eine Frage bleibt noch, wonach hat Kano geprüft, bevor das Kodokan gegründet wurde, den Wettkämpfe wie heute, also mit Regeln gab es da doch noch nicht,
Als Kano den Kodokan gegründet hat, war er 22 Jahre alt und ein Graduierungssystem gab es nicht - er hat´s erfunden ;) . Seit vermutlich Mitte der 1880er Jahre gibt es im Kodokan die monatlichen Turniere und die "rot-weiß"-Turniere zweimal im Jahr. Die ersten Regeln wurden m.W. schon 1899 veröffentlicht. Regelmäßige Turniere gab es also schon sehr früh. Wenn ich Niehaus richtig im Kopf habe, gibt es erst seit den 1920er Jahren eine PO (für Dan-Grade) in Japan. Vorher wurde ausschließlich verliehen.
Lin Chung hat geschrieben:...übrigens Tutor, du hast einen Verdacht:
Hinter der Stufeneinteilung der Gokyo steckt scheinbar doch etwas mehr als Beliebigkeit
Das, was ich da geschrieben habe, ist mir seit etwa 30 Jahren so klar. Mehr als Beliebigkeit heißt, dass man sich sicher etwas gedacht hat. Aber ich werde eines nicht machen: Spekulationen oder Eigenkonstruktionen - auch wenn sie plausibel erscheinen - mit Fakten verwechseln.

Mein Trainer hatte u.a. drei Spezialtechniken: De-ashi-barei, Sasae-tsuri-komi-ashi und Hiza-guruma - zufälligerweise die drei ersten Techniken der Gokyo. Du kannst sicher sein, dass ich jede Menge "methodische Reihen" zusammenbauen kann, die diese drei Techniken miteinander verbinden und zwar in jeder beliebigen Reihenfolge. Dasselbe mache ich - wenn es sein muss - mit jeder anderen Gruppe von Techniken. Nur wenn ich damit fertig bin, habe ich vielleicht was ganz tolles hinbekommen, vielleicht habe ich es auch nur von meinem Trainer abgeschaut - aber ich stelle mich nicht hin und sage, dass das so von Kano stammt.

Daigos Lehrer war Nagaoka, der sowohl 1895 als auch 1920 bei der Aufstellung der Gokyo maßgeblich beteiligt war. Daigo war wissenschaftlicher Assistent als er vor über 60 Jahren an den Kodokan und zu Nagaoka kam. Daigo schreibt, die Gokyo sei heute ein Erbe, das die Geschichte erzählt....
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Lin Chung »

Du kannst sicher sein, dass ich jede Menge "methodische Reihen" zusammenbauen kann, die diese drei Techniken miteinander verbinden und zwar in jeder beliebigen Reihenfolge. Dasselbe mache ich - wenn es sein muss - mit jeder anderen Gruppe von Techniken. Nur wenn ich damit fertig bin, habe ich vielleicht was ganz tolles hinbekommen, vielleicht habe ich es auch nur von meinem Trainer abgeschaut -
...also hat dein Trainer etwas richtig gemacht. ;)
Zuletzt geändert von Lin Chung am 18.12.2009, 20:06, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:...also hat dein Trainer etwas richtig gemacht. ;)
Nur dass ich schon 3. Dan war, als er es mir beigebracht hat. Und er hat Sasae-tsuri-komi-ashi und Hiza-guruma nie den Anfängern beigebracht...
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Lin Chung »

Wenn ich Niehaus richtig im Kopf habe, gibt es erst seit den 1920er Jahren eine PO (für Dan-Grade) in Japan. Vorher wurde ausschließlich verliehen
...da er seine Schüler über einen längeren Zeitraum beobachtete, konnte er sicher sein, dass sie eine gewisse Reife hatten.

Ich kann mich noch an einen alten Kameraden erinnern, der hatte den 3.Kyu und wollte nie den 2.Kyu machen, obwohl er eigentlich schon längst den 1.Kyu hätte machen können, denn die Techniken beherrschte er. Er war gut. Eines Tages, die Prüfung war schon eine Woche her, wurde der Prüfer eingeladen, um bei uns ein Training abzuhalten. Der Kamerad musste damals ohne zu Wissen die Aufgaben für den 2.Kyu absolvieren. Der war Baff, als man ihm am Trainingsende den 2.Kyu überreichte. Das war aber auch das einzige Mal.
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Fritz »

Tutor! hat geschrieben:Die meisten Probleme sehe ich auch nicht in der Einführung der Techniken, sondern in der fehlenden Wiederholung und Verbesserung. Man gibt sich viel zu schnell mit einer ganz, ganz groben Grobform zufrieden und arbeitet später nicht wirklich an technischen Details, wie eben dem Timing und dem Gleichgewichtsbruch - sind ja alte Techniken, die man schon "kann".
Sag ich doch ;-)
Ich würde über ein ganz radikal anderes System nachdenken. Mit ausschließlich Streifengürteln bis z.B. zum 14. Lebensjahr und einer anschließenden Prüfung, bei der der Prüfling in einen vollen Gürtel eingestuft wird. Beim Schulwechsel von Grundschule in weiterführende Schulen werden aus den "Großen" ja ohnehin die "Kleinen".

Ich würde also über getrennte "Kinderprüfungsordnung" und "Erwachsenenprüfungsordnung" mit Übergang mit ca. 14 Jahren nachdenken.
Da stellen sich mir die Haare auf...
Das würde noch mehr Unübersichtlichkeit, Bürokratismus und Gemauschel bedeuten.
Nein, die ursprüngliche Idee mit den halben Gürteln - aber für Ältere prüfungsmäßig zusammenfaßbar, ist
schon ok. Ich würde auch, wenn ich drüber nachdenke, die Möglichkeit der Doppelprüfung _prinzipiell_
einräumen, dann gibt es eben drei potentielle Resultate: Durchgefallen, Halbgurt bestanden, Vollgurt bestanden ;-), wäre auch nett... ;-)
Natürlich wieder ausführliches und verpflichtendes Prüfen des Vorprüfungsstoffes, zumindest Würfe und Bodentechniken aus sinnvollen Bewegungen / Situationen...
Und in die Prüfungs-Ordnung gehören keine "entschärften, kindgerechten" Techniken, wenn da
Seoi-Otoshi / Uki-Goshi / O-Soto-Otoshi steht, müssen auch diese Techniken gemacht werden.
Abstriche unter dem Gesichtspunkt "Behinderung" kann der Prüfer dann immer noch gerne machen
(Zitat eines Mitglieds der "Experten-Kommission zur Dan-PO": 'Alter ist auch eine Behinderung!' -
Wer sagt, daß es immer dabei immer um "alt" geht ;-) )

Durch eine verpflichtende Wiederholung der Vorprogramme, wäre es kein großes Problem,
wenn ein 7jähriger halt nen O-goshi etwas sehr tapsig zeigt, ein zwei Prüfungen später
sieht es dann schon anders aus ;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Lin Chung »

die ursprüngliche Idee mit den halben Gürteln - aber für Ältere prüfungsmäßig zusammenfaßbar, ist schon ok.
...habe ich auch so gemeint.
Grüße
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Lippe »

Lin Chung hat geschrieben:
tutor! hat geschrieben:Die mitunter zu hörende Formulierung "in der Gokyo wird die Technik "xyz" so gemacht, alles andere sind Wettkampfvarianten" ist demzufolge blanker Unsinn....
...vielleicht kannte Kano diese Varianten. Aber er war mit ihnen nicht zufrieden und hat sie deshalb nicht in die Gokyo integriert.
Ich denke da immer an seinen Satz: "Das Neue ist nur das Alte, was vergessen wurde".
Vielleicht sieht ein Uchi-mata aber auch einfach aus anatomischen Gründen bei jemandem wie Andreas Tölzer anders aus als bei Michaela Baschin - ohne dass man sagen könnte, Andreas oder Michaela würden da etwas "falsch" machen...
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von kastow »

Interessant finde ich, dass "kindgerecht" so häufig mit "schlechter Ausführung" gleichgesetzt wird. Weil ein Kind im Weißgelbgurt beim Ô-soto-otoshi nicht sichelt, muss ja nicht gleich alles andere auch unvollständig oder nachlässig ausgeführt werden. Auch wenn Tori auf zwei Beinen steht, muss meines Erachtens bei einer kindgerechten Form dennoch z.B. ein ordentlicher Gleichgewichtsbruch erfolgen. Daß Siebenjährige biologisch bedingt nicht so gut auf einem Bein stehen können, habe ich dann berücksichtigt und dennoch ist die Technik sauber. Richtschnur für kindgerechte Techniken ist für mich eine Technikausführung, die Kanô ebenfalls so gewählt haben könnte, wenn wir alle kindliche Körper besäßen.

Dieses falsche Verständnis von "kindgerecht" mit der daraus resultierenden Nachlässigkeit vieler Übungsleitungen beim Training ("Egal, ist ja nur die Kinder-Version") trägt bestimmt neben der späten Kontrolle der Vorkenntnisse einen nicht unerheblichen Teil zur "Verschlechterung" des technischen Niveaus bei - wahrscheinlich mehr, als eine leicht veränderte Reihung der Würfe.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau

Beitrag von Jupp »

Danke Kastow, Du sprichst mir aus der Seele!

...und übrigens: "Früher war alles besser, nur ich nicht, ich bin es erst heute!"

Genau so klingen viele der Statements hier im Forum. Man gewinnt den Eindruck, dass es sich bei den Forumsmitgliedern ausschließlich um Top-Judoka handelt, um erfolgreiche Trainer von Top-Judoka, um promovierte Historiker mit ausgewiesenem Judohintergrund, um Japanologen mit direktem Draht zu Kano, mindestens aber zu den Nachfolgern Kanos, die man (also der jeweilige Schreiber) für berechtigt hält, sich kompetent über das einzig "wahre" Kodokan-Judo zu äußern.

Dabei müssten doch eigentlich alle wissen:

"Es gibt nur einen, der tatsächlich alles weiß und das ist ... (einen geeigneten Namen bitte selber einsetzen!)

Jupp

Stimmt natürlich alles so nicht, ist total übertrieben, hat keinerlei Relevanz für diejenigen, die hier schreiben, ist vööllig unbegründet, wird von mir sofort und hiermit zurückgenommen...
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mcdüse
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau?

Beitrag von mcdüse »

kastow hat geschrieben:Interessant finde ich, dass "kindgerecht" so häufig mit "schlechter Ausführung" gleichgesetzt wird.
Das finde ich nicht nur interessant, dass regt mich kollosal auf. :angry4

Kindgerecht heißt für mich: grundsätzlich richtige Technik, aber vielleicht mit weniger Körperspannung, vielleicht etwas weniger konsequent ausgeführt und nicht ganz so dynamisch.

Dieses ganze "kindgerecht" dient im Moment als Standardausrede um Hinz und Kunz möglichst schnell durch irgendwelche Prüfungen zu schleifen, um sie auch ja bei der Stange zu halten. Aber im Grunde ist es Hudelei. Nix Halbes und nix Ganzes! Alles nur schnell, schnell ...

Sicher ist es in der heutigen schnelllebigen Zeit schwieriger, die Kinder bei der Stange zu halten. Aber doch nicht so!
Wir machen am Anfang des Trainings gemäß Etikette eine kurze Ruhe-/Meditations-Phase (Mokuso), um den Teilnehmern zu ermöglichen bzw. klar zu machen, jetzt ist alles vor und nach dem Judo uninteressant. Jetzt versuchen wir uns nur auf Judo zu konzentrieren. Die innere Ruhe für das Training zu finden etc.
Und dann haben wir Angst, dass uns ein Kind wegläuft, wenn es nicht nach 2 Wochen die erste Prüfung ablegt.
Kinder die deswegen weglaufen, bleiben auch mit Prüfung nur noch max. ein Jahr da. Nämlich genau so lange, bis sie merken, dass es nicht in diesem Hopplahopp Tempo weitergeht, sondern mit der Zeit viel mühsamer wird.
Gruß

McDüse

Konzentriere Dich auf das Wesentliche!
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau?

Beitrag von Lin Chung »

Vielleicht sieht ein Uchi-mata aber auch einfach aus anatomischen Gründen bei jemandem wie Andreas Tölzer anders aus als bei Michaela Baschin - ohne dass man sagen könnte, Andreas oder Michaela würden da etwas "falsch" machen...
...wenn der Uchi-Mata wie einer aussieht und man die körperlichen Begebenheiten berücksichtigt, ist er auch einer. Es ging um Würfe, die nicht annähernd denen der Gokyo entsprechen also anders ausgeführt werden.
Nochmal, eine Kampfkunst muss sich demjenigen anpassen, der sie ausführt und nicht umgekehrt, sonst ist es keine Kampfkunst. Aber im Kampfsport sieht man das wieder anders.
Genau so klingen viele der Statements hier im Forum. Man gewinnt den Eindruck, dass es sich bei den Forumsmitgliedern ausschließlich um Top-Judoka handelt, um erfolgreiche Trainer von Top-Judoka, um promovierte Historiker mit ausgewiesenem Judohintergrund, um Japanologen mit direktem Draht zu Kano, mindestens aber zu den Nachfolgern Kanos, die man (also der jeweilige Schreiber) für berechtigt hält, sich kompetent über das einzig "wahre" Kodokan-Judo zu äußern.
Hallo Jupp. Übertreibst du nicht ein bisschen?
Manchmal denke ich das von dir.
Aber nein, das nehme ich sofort wieder zurück ;)
Sicher gibt es Leute hier im Forum, die Kontakt nach Japan haben und sei es nur nach Daigo und das ist auch gut so oder meinst du nicht?
Grüße
Norbert Bosse
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Fritz
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau?

Beitrag von Fritz »

kastow hat geschrieben:Weil ein Kind im Weißgelbgurt beim Ô-soto-otoshi nicht sichelt, muss ja nicht gleich alles andere auch unvollständig oder nachlässig ausgeführt werden
Beim O-Soto-Otoshi wird ja auch nicht gesichelt... ;-)
Ansonsten verstehe ich, was Du meinst und muß dir beipflichten... Darum wäre durchaus hilfreich, wenn es schon Materialien zur Prüfungsvorbereitung
gibt, wenn dort die Techniken "normal" dargestellt u. erklärt werden und nicht schon unter dem "Kinder-Gesichtspunkt", wie: "Wir stellen das Bein hinter
Ukes Bein und drücken ihn um" (um beim O-Soto-Otoshi zu bleiben, k.A. wo ich es so gelesen habe)...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Gokyo als Richtschnur für langfristigen Unterrichtsaufbau?

Beitrag von tutor! »

Ich möchte noch ein paar Kleinigkeiten ergänzen.

Die Mitgliederstatistik des DJB weist aus, dass die Vereine durchschnittlich weniger 100 Mitglieder haben, zumindest an den Landesverband melden. Schaut man sich die Homepages der zahlreichen Vereine an, die ihre Trainingszeiten im Internet veröffentlichen - und weiß man auch ein wenig aus dem eigenen Umfeld - stellt man fest, dass es in der Regel 3 Altersgruppen gibt, die eventuell noch nach Anfängern, Fortgeschrittenen und "Wettkämpfern" unterteilt sind.

Eine weitere Differenzierung ist in den meisten Vereinen gar nicht möglich - weder aufgrund der Trainingsstätten/Hallenzeiten, noch aufgrund der Mitgliederzahl. Das bedeutet in der Praxis, dass allenfalls bei den Anfängern so etwas wie ein "Kurs" mit einer festgelegten Reihenfolge von Inhalten durchzuhalten ist. Die "Fortgeschrittenen" umfassen eine relativ weite Bandbreite unterschiedlicher Vorkenntnisse, so dass - egal welche Reihenfolge der Vermittlung von Techniken man als ideal ansieht - dies in der Praxis kaum durchzuhalten ist.

Bei der Vermittlung einer Technik müssen die jeweiligen Lernvoraussetzungen berücksichtigt werden. In gemischten Gruppen sind die aber sehr inhomogen. Es kommt also in der Praxis auf das Geschick des Übungsleiters an, einen Weg zu finden mit diesem Problem umzugehen. Dies kann durch "innere Differenzierung" geschehen - also dass innerhalb der Gruppe unterschiedlich gearbeitet wird - oder indem es ihm gelingt, Lernwege zu finden, die für alle Lernenden trotz unterschiedlicher Voraussetzungen gangbar sind. Der Übungsleiter muss also eine Vielzahl von möglichen Methoden/Lehr-/Lernwegen beherrschen, aus denen er die jeweils der Gruppenkonstellation angemessene auswählen kann. Wer nur eine Methode bzw. nur einen Weg kennt/kann, ist eindeutig zu schwach aufgestellt.

Nehmen wir also z.B. an, man hat eine Gruppe von Gelbgurt bis Blaugurt und man möchte Hane-goshi (ist im Programm für grün) vermitteln. Was also tun? Die Gelbgurte bis Orangegurte etwas anderes üben lassen (wenn ja was?), für die Orange-Grüngurte eine Einführung in Hane-goshi machen und für die Grün- und Blaugurte Übungen zur Verbesserung der Technik?

Ob man nun nach der Reihenfolge der APO oder nach der Reihenfolge der Gokyo unterrichten - stets steht man in dieser typischen Gruppenkonstellation vor exakt demselben Problem, weil man eben außer im reinen Anfängerbereich und auch nur dann, wenn man zu einem festen Zeitpunkt mit einem Anfängerkurs beginnt, keine vorgegebene Reihenfolge in der Trainingspraxis durchhalten kann.

An diesem Problem - so meine Beobachtung - scheitern die meisten Übungsleiter. Es gelingt nicht, das jeweils erforderliche und auch erreichbare technische Niveau der Lernenden anzusteuern.

Kastow hat es oben deutlich gemacht: ein falsches Verständnis von "kindgerecht" gleich bei den Anfängern ist eine Wurzel des Übels. Die fehlende regelmäßige Wiederholung und Verbesserung der bereits gelernten Techniken das zweite Problem. Beides führt in die Stagnation des Lernens und damit zwangsläufig zu Frust und zum Fernbleiben vom Training.

Letztlich ist der eigene (Lern-)Fortschritt die wichtigste Quelle der langfristigen Motivation. Wer aber nur einmal in der Woche zum Training kommt - also vielleicht über das ganze Jahr 30-35 Trainingseinheiten mitmacht - wie soll da der Übungsleiter neben der Neuvermittlung von Stand- und Bodentechniken auch noch die regelmäßige Wiederholung und Festigung sicherstellen - geschweige denn eine Anwendbarkeit im Randori? Und wie soll dann sichergestellt werden, dass am Ende eines Jahres, das Programm für den neuen Gürtel gelernt wurde und gleichzeitig die Vorkenntnisse aufpoliert wurden?

Hierzu bedarf es mindestens einer sorgfältigen Jahrestrainingsplanung, aber so professionell arbeiten die allerwenigsten ÜL. In der Regel kommt der nächste Prüfungstermin genauso überraschend wie der erste Schnee. Dann redet man die Leistungen der Kinder schön und vergibt die nächsten Gürtel. Da dann anschließend die Defizite nicht abgebaut werden - warum sollte sich auch etwas verbessern - wiederholt sich dasselbe Spiel im nächsten Jahr.

Aber auch mit der besten Trainingsplanung allein werden wir nicht substantiell etwas verbessern, wenn es uns nicht gelingt, spätestens nach einer Anfängerphase die Kinder zweimal in der Woche beim (Judo!)-Training zu haben. Lesenswert hierzu auch http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 569#p50569
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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