Fritz hat geschrieben: ↑16.05.2020, 02:26
@nur_waza-ari:
Hab ich es recht verstanden, Du rätselst, wie Du Kata an Uninteressierte vermitteln kannst?
Da sage ich mal: Gar nicht.
Nein, so meinte ich das nicht. Es gibt ja auch insgesamt durchaus unterschiedliche Auffassungen dazu, aber anderen den Mund wässrig zu machen ist jedenfalls nicht mein Stil. Ich bin kein guter Missionar. Das hat auch überhaupt nichts exklusives. Es ist nur, wie Du schon sagst, nicht sinnvoll.
Fritz hat geschrieben: ↑16.05.2020, 02:26
Und damit komme ich wieder auf
nur_waza-aris Problem der Vermittlung zurück:
Meiner Meinung nach ist es sinnlos, erfahrenen u. evt. (ehemals) erfolgreichen Wettkämpfern (ohne Übungsleiterambitionen) jenseits von Dan-Prüfungen mit Kata zu kommen. Entweder sie kommen sofort auf Kata-Wettkämpfe oder sie halten es schlichtweg für albern.
Ist ja auch logisch. Die können bereits kämpfen, haben dafür ihre Übungsformen (was ja auch irgendwie Kata ist, aber das wissen sie nicht). Ist ihnen ja auch nicht zu verdenken.
Mir fallen auch durchaus einige Gegenbeispiele ein. Ich kenne ehemalige leistungssportlich ambitionierte Judoka, die sehr wohl auf Kata kamen, ganz ohne größere Prüfungsabsichten. Dass z.B. Tandoku-renshu und Uchi-komi auch als Formen geübt und angesehen werden können, je nach Modifikation, halte ich für plausibel.
Fritz hat geschrieben: ↑16.05.2020, 02:26
Also macht es m.E. deutlich mehr Sinn, den staunenden, lernwilligen Anfänger mittels Kata auszubilden. Hier wiederhole ich mich gern: Die Nage-no-Kata bspw. sind hervorragend geeignet, durch deren Schrittmuster, quasi idiotensicher Würfe gelingen zu lassen.
Analog Katame-no-Kata für den Bodentechnikerwerb, sogar mit gleitendem Übergang zum Randori (wenn man die Sache mit den Befreiungen tatsächlich frei durchgeführt werden). ... Kann der Anfänger die Schritte u. Bewegungen soweit, daß er nicht mehr über jeden Schritt u. Bewegung einzeln nachdenken muß,
kann im nächsten Schritt bspw. durch Uke die Intensität der Angriffe erhöht werden ...
Zumindest wenn die Grundvoraussetzungen geschaffen wurden, geht das wohl. Mein Paradebeispiel an dieser Stelle: Ich habe sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen erlebt, dass es desöfteren nicht möglich ist, eine Kniebeuge auszuführen, geschweige denn einen Schritt in dieser Haltung zu laufen. Es ist manchen noch nicht einmal möglich, den Rücken gerade zu halten. Von einem Körpergefühl, dass einen Wechsel von Spannung, Entspannung und Grundhaltung zulässt, mal ganz zu schweigen. Im Übrigen ist das auch bei vermeintlich Fortgeschrittenen nicht selten zu sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Voraussetzungen "durch", d.h. während des Kata-Trainings adäquat geübt werden können oder schon vorhanden sein sollten.
Fritz hat geschrieben: ↑16.05.2020, 02:26
Über die Arbeit mit u. am Anfänger sollte sich also auch Motivation für den fortgeschrittenere Übungsleiter finden lassen, die Kata zu studieren, denn als Übungsleiter will man ja halbwegs verstehen bzw. wissen, was man wozu vermittelt. Und man ist evt. in der Lage
zu fühlen, was die Kata für einen bewirken (körperlich u. geistig) über das Anfänger-Niveau hinaus.
Das ist bei mir, nun schon länger her, tatsächlich genauso gewesen. Allerdings nur in Bezug auf Nage no kata. Später bei den Erwachsenen auch Katame no kata. Allerdings habe ich die Übungen damals in meiner Kindergruppe und auch später bei den Erwachsenen etwas angepasst. Es ist nicht leicht, Kindern "Schritt für Schritt" trocken etwas beizubringen, zumindest ging das damals in der sehr quirligen Gruppe schlecht. Also habe ich versucht, Bewegungsmuster ausfindig zu machen und Übungsformen zu entwickeln, die ich für passend und auch übergreifend sinnvoll hielt, um das was ich für den Zweck der Kataübungen hielt, auch zu vermitteln. Was funktionierte, habe ich beibehalten. Ich rede aber nicht von Kodomo no kata.
Fritz hat geschrieben: ↑16.05.2020, 02:26
Wie so oft gesagt: Die Idee, Nage-no-Kata mit in die Kyu-Prüfungsordnung zu nehmen, war eine gute Idee, der Erstkontakt mit den Judo-Kata gehört genau dahin, in die Anfängerausbildung. Diese Idee sollten wir in der Zukunft vielleicht noch etwas
ausweiten: Warum Grundformen von Bodentechniken nicht gemäß Katame-no-Kata vermitteln u. prüfen, warum nicht Elemente weiterer Kata (mal abgesehen von Itsutsu- u. Koshiki-no-Kata) mit in der Kyu-Ausbildungs- u. Prüfungsordnung verteilen?
Ich weiß nicht, ob wir damit nicht noch größeres Stückwerk bekämen, als wir sowieso schon haben. Aber schlimmer kann es wohl auch kaum noch werden, was die Prüfungsordnungen anbelangt.
tutor! hat geschrieben: ↑16.05.2020, 16:03
Da sind ja jetzt eine Reihe Punkte zusammengekommen, an denen ich einhaken könnte. Allerdings gibt es auch großes Potential aneinander vorbei zu reden.
Das fördert doch zuweilen ganz interessante Dinge zutage.
tutor! hat geschrieben: ↑16.05.2020, 16:03
Kein Judoka kommt ohne Kata-Training aus, wenn man darunter ein Techniktraining in geschlossenen Situationen versteht - erst recht keine Wettkämpfer. Deren Techniktraining besteht doch gerade darin, Situationen gezielt herzustellen und dann zu lösen. Nichts anderes ist Kata! Standardisierte Kata sind in dem Zusammenhang nichts anderes, als mit "Schwarmintelligenz" zusammengestellte Übungsprogramme.
Grundsätzlich Zustimmung, nur wird man dort bei einigen Leuten wieder eher die binäre Sichtweise antriggern. Kata und Wettkampf - zwei völlig verschiedene Dinge, die durch wenig zusammenzubringen sind. Ich glaube, jeder kennt so die einen oder anderen Personen mit Wettkampfambitionen, für die es eine Beleidigung wäre, wenn man ihn unterstellte, dass sie Kata trainieren würden.
"Standardisierte" Kata sind dann in diesem Sinne aber auch die zahlreichen, tlw. auch in den Ausbildungsprogrammen enthaltenen Uchi-komi-Übungen. So ergibt sich für mich begriffstheoretisch schon noch die, zugegeben etwas nachrangige Frage, wie weit oder eng man den Begriff "Kata" auslegen muss, um auch noch über den gleichen Zweck zu sprechen. Allerdings wurde dies ja hier schon zum Teil beantwortet.
Cichorei Kano hat geschrieben: ↑22.05.2020, 04:29
Die meisten Menschen, die in jûdô Erfolge erzielt haben, haben auch eine solche Liste, aber niemand spricht darüber, weil die Menschen, die scheitern und jûdô verlassen haben, unwichtig und für jûdô-Marketingzwecke unbrauchbar sind.
So ist das und manchmal ist das von diesen Personen aber auch so gewollt. Es gibt auch einige, die einfach auch abschließen wollen, mit Judo. Dass dies oftmals von Verbänden hingenommen wird, ist natürlich kein gutes Zeichen.
Cichorei Kano hat geschrieben: ↑22.05.2020, 04:29
Wie vertrauenswürdig ist jûdô als pädagogisches Instrument, wenn wir selektiv nur über diejenigen sprechen, die Meisterschaften gewinnen, aber nicht über jeden, der ständig verliert ? Sollen wir auch über den Erfolg der COVID-19-Behandlung sprechen, indem wir nur die Anzahl der Menschen erwähnen, die sich erholt haben, aber alle, die gestorben sind, geheim halten ?
Oder über diejenigen, die diese Erfolge mit ermöglicht haben. Es wird schon häufiger sichtbar, dass hinter großen Erfolgen ein ganzes Team steht - aber auch hinter den Misserfolgen. Es gibt schon Geschichten des Scheiterns - allerdings nur, wenn irgendwann dieses Scheitern auch wieder zu Erfolg führt. Das
endgültige Scheitern - es wird gerne verschwiegen, weil niemand einen Gewinn daraus ziehen kann, gleich welcher Art dieses Gewinnen auch sei. Denn dort schließt sich der Kreis wieder - es geht um Gewinn und Maximierung - dies ist der einzige für gültig erklärte Maßstab. Erfolglose Trainierende, medaillenlose Kämpferinnen und Kämpfer werden dann erwähnt, wenn sie ihre neurotisch anmutenden Bemühungen auf eine dann erfolgreiche Weiterverwendung im Leistungssport endlich erlangen konnten. Zum Beispiel als Trainerin oder Trainer. Häufig wird gerade denen das dann als "Stärke" ausgelegt - man kann das aber auch genauso gut als "Schwäche" auslegen, wenn man es denn überhaupt beurteilen will. Vermutlich hatten diese Personen aber einfach keine andere Möglichkeit, die genauso gut hätte schief gehen können.
Hinsichtlich COVID-19 werden ja international ziemlich unterschiedliche Kommunikationsstrategien verfolgt, oft aber mit dem Ziel der Stabilisierung der Gemüter. Ich jedenfalls habe durchaus den Eindruck, dass wenn über daran Verstorbene gesprochen oder berichtet wird, es oftmals nur diejenigen sind, welche nicht im eigenen Land betroffen sind. Ich lesen z.B. von den vielen Toten in den USA - von den hier in Deutschland Gestorbenen liest man wenig und es wird dann auch noch in Frage gestellt, ob denn alles "statistisch richtig" erfasst sei. Ich kann daran - und zum Glück bin ich in der Lage dazu - dieserzeit nur sehr viel über Mensch und Gesellschaft lernen, was ich auch versuchen werde, zu gegebener Zeit wieder auf die Matte zu bringen.
Cichorei Kano hat geschrieben: ↑22.05.2020, 04:29
Doch Wettbewerb ist kein Ziel, genau wie Kata oder Randori kein Ziel von jûdô sind; sie sind nur Werkzeuge.
Dem ist nichts hinzuzufügen und ich könnte unangemessen weit darüber ausschweifen, warum das meiner Meinung nach nicht nur im Judo so sein sollte.
Cichorei Kano hat geschrieben: ↑22.05.2020, 04:29
Verstehen Sie, worauf ich damit hinaus will?
Bei mir ist diese Tür sowieso schon offen. Denn:
Um Kata zu vermitteln, muss man wissen, was sie ist und was sie enthält, und das ist natürlich viel mehr als nur ein Roboter, der versucht, die Muster und Winkel, die jemand anders gerade gezeigt hat, genau zu kopieren.Wenn man genau das tut, lernt man kein jûdô, aber es könnte einen näher daran bringen, ein Papagei zu werden.
Das ist ein Punkt, den ich nicht nur im Judo beobachten kann. Auch z.B. im universitären Alltag bestimmt dieser die Didaktik. Natürlich ist es wichtig, sich nützlicher und sinnvoller Methoden zu bedienen. Ich kenne auch noch ein anderes, vielleicht verständliches Beispiel aus meinem eigenen Leben. So habe ich ein paar Jahre im Nebenberuf als Koch gearbeitet. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben sich gewundert, weshalb die Sauce,n welche sie produzierten, nicht so wie meine werden. Sie hätten sich doch genau an das Rezept gehalten und sich meine Art und Weise der Zubereitung sogar zeigen lassen, wohlgemerkt mit den gleichen Hauptzutaten. Meine Saucen wurden in der Tat häufig deutlich besser, als die der anderen. Ich habe nie irgendwas dabei verheimlicht, nicht die Zusammenstellung der Gewürze, nicht die Reihenfolge der Arbeitsschritte und auch nicht die ungenießbaren Misserfolge, wenn ich etwas Neues ausprobiert hatte. Aber die wollte natürlich niemand sehen und schon gar nicht probieren. Dabei sind diese die interessantesten gewesen, weil ich dann auch für die Zukunft wusste, was für mich unter gar keinen Umständen zusammenpasste oder was vielleicht doch für ein anderes Gericht interessant sein könnte. Aber alle wollten nur sehen, was ich denn mache und wie ich das hinbekomme. Das sagten sie. Was sie eigentlich haben wollten, war ein neues Rezept samt Anleitung, das auch garantiert gelänge und frei von eigenen Mühen sei. Es ist auf der Matte und sonstwo nicht viel anders. Wenn hingegen der Weg deutlich mehr interessieren würde als das Ziel, der wie auch immer definierte Erfolg nur ein zwangsläufiges Ergebnis eines Prozesses und auch noch nicht das Ende wäre - das wäre vielleicht ganz nützlich.
HBt. hat geschrieben: ↑22.05.2020, 13:22
Aber dennoch, COVID-19 (also der Sars-CoV2-Spross!) demonstriert uns momentan, wie es um uns alle bestellt ist.
Es ist eine unangenehme Offenbarung - hoffentlich bekommt die Menschheit noch die Kurve?!
Und es demonstriert auch worauf man es wirklich ankommen lässt. Wenn man das Bild der Kurve beibehalten und auf die Autoindustrie analogisieren will - bei all den Assisstenzsystemen, mit denen selbst mittelpreisige Wagen ausgestattet sind, wird uns, die konsumieren müssen oder auch wollen, mehr und mehr durchaus auch ein Stück Verantwortung abgenommen, die wir eigentlich selbst tragen sollten, im Straßenverkehr, der zahlreiche Gefahren birgt. Es wird das Gefühl vermittelt, dass man gar nicht mehr aus der Kurve fliegen könne oder wenn das passiert, man ja ausreichend gepanzert sei. Zur allergrößten Not wird halt negiert, dass die Kurve überhaupt existiert.
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