Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Ju-no-Kata, Go-no-Kata, Seiryoku-Zen'yo Kokumin-Taiiku-no-Kata
Yannick.Schultze
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von Yannick.Schultze »

Julian hat geschrieben: 15.05.2020, 13:56 Wenn ich nochmal diese vier Übungsaspekte sehe, scheint mir, dass wir vielleicht hier schon einen gewissen Klärungsbedarf haben. Denn vermutlich wird ja das praktische Training nie ausschließlich in Kata und Randori im Sinne von Freikampf bestanden haben? Vorbereitende Übungen, ergänzende Übungen und vor allem auch Techniktraining - sind die daher bei Kata mit erfasst oder bei Randori? Zum anderen könnte man einen guten Unterrichtsablauf eigentlich immer auch als Vortrag und Lehrgespräch beinhaltend ansehen, insofern der Lehrer ja erklärt, was warum wie und zu welchem mittelbaren und längerfristigen Zweck zu üben ist (Vortrag), und die Schüler ja auch darüber sprechen und Fragen stellen (Lehrgespräch).
Hallo Julian,

Abe Ichirô gibt folgende Aufteilung an:
1. Ukemi (受身) - Fallübungen
2. Shin-Tai (身体) - Ausweich Übungen
3. Tandoku Renshû (単独練習) - Solo-Übungen
4. Sôtai Renshû (相対練習) - Partner-Übungen
5. Uchi-Komi (打ち込み) - Wiederholte Übungen
6. Yakusoku Geiko (約束稽古) - Freies üben od. üben ohne große Gegenwehr
7. Kakari Geiko (掛稽古) - Belastungstraining
8. Randori (乱取) - Freies Training/Freikampf
9. Shiai (試合) - Wettkampf

Das Randori kannst du einfach gegen Kôdôkan Kata tauschen... der Rest sollte gleich bleiben. Das Lehrgespräch und den Vortrag würde ich ebenfalls bei Punkt 8 einordnen. Ich gehe davon aus, CK möge mich korrigieren, dass Kanô an dieser Stelle von Fortgeschrittenen Training schreibt.

Kanô hat seine Texte damals für ein japanisches Publikum geschrieben, wobei der Hauptkreis der Leser bereits schon stark im Jûdô bewandert war.

Gruss
Yannick
https://youtu.be/4xgx4k83zzc
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Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean. (Sir Isaac Newton)
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Fritz
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von Fritz »

@Yannick: Danke für den Text.

@nur_waza-ari:
Hab ich es recht verstanden, Du rätselst, wie Du Kata an Uninteressierte vermitteln kannst?
Da sage ich mal: Gar nicht.
Julian hat geschrieben:Aber zum einen ist ja doch so, dass im Judo, Karate und Taekwondo die Wettkämpfer gänzlich ohne Kata auskommen; d. h. um in diesem Setting erfolgreich zu sein, scheint Kata keinen Beitrag zu leisten. (Natürlich kann man jeden Partner- und Solo-Drill z. B. im Boxen auch als Kata bezeichnen, aber ich beziehe mich jetzt explizit auf die so bezeichneten Judo- und Karate-Kata.)
Beim TKD heißen die Dinger Pomse oder Hyeong, beim Boxen redet man von Kombinationen, Pratzenarbeit usw. usf. Gibt ein altes Faustkampf-Buch. wo sogar Würfe u. Griffe aufgeschrieben waren, beim historischen Fechten haben sie "Stücke" ...

Jedenfalls beginnen die wenigsten als Wettkämpfer. Die meisten sind Anfänger.
Julian hat geschrieben: 15.05.2020, 10:54Aber natürlich decken Wettkampf-Situationen nicht alle möglichen gewaltsamen Situationen ab; häusliche Gewalt, Revier-Gewalt, Gewaltmaßnahmen von Polizei und Armee etc. unterscheiden sich davon natürlich in vielen Punkten. Aber hier wird es ja noch schwieriger festzustellen, welchen Nutzen Kata-Training zur Bewältigung solcher Situationen leisten könnte; während auf der anderen Seite 99% aller Akteure in diesen Bereichen ihre Hackordnung und Maßnahmen auch ohne Kata ausmachen
Durch Wettkampf schult man Dinge u.a. wie Umgang mit Siegeswillen, Angst, Stress, der eigenen Unzulänglichkeit usw. usf. Kata (im weitesten Sinn) nimmt man, um Bewegungsabläufe zu automatisieren, Konzentration zu schulen,
halbwegs sicher gefährliche Sachen zu üben, als Stoffsammlung ...
Die karate-artigen Kata sind auch gut fürs Einzeltraining ...
Ok Angst u. Stress kann man natürlich auch mit Kata vermitteln, indem der andere die Angriffsintensität hochfährt. Oder halt mehr oder weniger scharfe Messer genommen werden ;-)
Julian hat geschrieben: 15.05.2020, 10:54Und ob Kata jetzt das probate Mittel ist, um körperlich einseitige Belastungen zu kompensieren, scheint mir fraglich. Hier würde ich eher an Stretching und Lockerungsübungen, Mobility-Training, Pilates, Feldenkreis, Alexander-Technik, Rolfing etc. als erfolgversprechend denken.
Na das eine schließt das andere ja nicht aus ...
Julian hat geschrieben: 15.05.2020, 10:54Daher: wie die Übung von Kata kämpferische Fertigkeiten bemerkenswert entwickelt und verbessert, ist für mich alles andere als ein Scheinproblem.
Meinst Du tatsächlich, daß es für Dich also ein echtes Problem ist? Oder daß es ein Scheinproblem ist?
Julian hat geschrieben: 15.05.2020, 10:54 Wenn ich hingegen andere positive Effekte (z. B. Entwicklung einer bestimmten Körpermechanik; Gedächtnisspeicher für die überlieferten Techniken und Anwendungen; Form der Gymnastik zur allgemeinen körperlichen Fitness) als maßgeblich Aspekte des Kata-Trainings anführe, wäre das für mich plausibel.
Richtig, das ist es ja auch ...

Und damit komme ich wieder auf nur_waza-aris Problem der Vermittlung zurück:
Meiner Meinung nach ist es sinnlos, erfahrenen u. evt. (ehemals) erfolgreichen Wettkämpfern (ohne Übungsleiterambitionen) jenseits von Dan-Prüfungen mit Kata zu kommen. Entweder sie kommen sofort auf Kata-Wettkämpfe oder sie halten es schlichtweg für albern.
Ist ja auch logisch. Die können bereits kämpfen, haben dafür ihre Übungsformen (was ja auch irgendwie Kata ist, aber das wissen sie nicht). Ist ihnen ja auch nicht zu verdenken.

Also macht es m.E. deutlich mehr Sinn, den staunenden, lernwilligen Anfänger mittels Kata auszubilden. Hier wiederhole ich mich gern: Die Nage-no-Kata bspw. sind hervorragend geeignet, durch deren Schrittmuster, quasi idiotensicher Würfe gelingen zu lassen.
Analog Katame-no-Kata für den Bodentechnikerwerb, sogar mit gleitendem Übergang zum Randori (wenn man die Sache mit den Befreiungen tatsächlich frei durchgeführt werden). Ju-no-Kata ist u.a. eine hübsche Reck-u.-Streck-Gymnastik, schult das "Mit-nicht-gegen-den-Partner-Arbeiten", Gleichgewicht, Raumorientierung usw. usf. Und man muß den Anfänger ja auch dabei nicht die kompletten Kata vermitteln, das kann häppchenweise passieren, wie es gerade sinnvoll erscheint. Es sind halt ein paar Übungen, welche zu erledigen sind, wie die Liegestütze beim Aufwärmen oder die Fallübungen. Kann der Anfänger die Schritte u. Bewegungen soweit, daß er nicht mehr über jeden Schritt u. Bewegung einzeln nachdenken muß,
kann im nächsten Schritt bspw. durch Uke die Intensität der Angriffe erhöht werden ...

Über die Arbeit mit u. am Anfänger sollte sich also auch Motivation für den fortgeschrittenere Übungsleiter finden lassen, die Kata zu studieren, denn als Übungsleiter will man ja halbwegs verstehen bzw. wissen, was man wozu vermittelt. Und man ist evt. in der Lage
zu fühlen, was die Kata für einen bewirken (körperlich u. geistig) über das Anfänger-Niveau hinaus.
Damit ergibt es auch Sinn, wenn Kata-Darbietungen bei Dan-Prüfungen abgeleistet werden. Hier kann der zukünftige Schwarzgurt hübsch ordentlich zeigen, daß er die jeweilige Kata auf einem Niveau kennt, mit dem er
a) einem Anfänger was vermitteln kann u. b) eben sich auch selbst u. eigenständig mit beschäftigen kann. Und weil es eine Prüfung ist und gefällig aussehen soll, kommt vorn u. hinten noch die Verbeugungs-Orgie ran u. man achtet auf Minimierung
aller nicht unmittelbar nötigen Bewegungen u. nutzt den Platz auf der Matte sinnvoll aus u. hält die Reihenfolge ein, damit die Prüfer nicht durcheinander kommen ...

Wie so oft gesagt: Die Idee, Nage-no-Kata mit in die Kyu-Prüfungsordnung zu nehmen, war eine gute Idee, der Erstkontakt mit den Judo-Kata gehört genau dahin, in die Anfängerausbildung. Diese Idee sollten wir in der Zukunft vielleicht noch etwas
ausweiten: Warum Grundformen von Bodentechniken nicht gemäß Katame-no-Kata vermitteln u. prüfen, warum nicht Elemente weiterer Kata (mal abgesehen von Itsutsu- u. Koshiki-no-Kata) mit in der Kyu-Ausbildungs- u. Prüfungsordnung verteilen?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von tutor! »

Da sind ja jetzt eine Reihe Punkte zusammengekommen, an denen ich einhaken könnte. Allerdings gibt es auch großes Potential aneinander vorbei zu reden.

Wer von "Kata-Training" schreibt kann meinen:
  • Training einer im Voraus festgelegten Form von Angriff und Verteidigung (das ist Kanos Definition)
  • Training einer der institutionell festgelegten Kata des Kodokan (oder von anderer Seite)
Im ersten Fall kann man von einer Methode sprechen, zu der noch die Inhalte hinzugefügt werden müssen, damit daraus eine Übung wird. Das können die festgelegten Kata sein, oder auch nicht.

Für mich war es ein Schlüsselerlebnis in Bezug auf Begriffsverwendung, als ich mit einer Kodokan-Lehrerin die Aktion der Hände bei Ko-uchi-gari diskutierte. Sie zeigte mir eine Varianten und sagte mir, dass man sich in einem Gremium des japanischen Verbandes darauf geeinigt habe, "this kata" zu lehren.

Als ein bekannter Judobuch-Autor und Judo-Journalist Koji Komata vor einigen Jahren interviewte - ich war zufällig beim Gespräch anwesend - fragte er Komata (Prof. für Judo an der Tsukuba-Uni, Mitglied des Trainerstabs der jap. Nationalmannschaft, Mitglied der IJF-Katakommission) ob es möglich sei, ein Judoexperte zu werden, ohne Kata zu trainieren. Komata war vollkommen verblüfft über diese Frage und meinte nur "wie soll dass denn gehen? - völlig unmöglich". Heute weiß ich, dass die beiden an der Stelle aneinander vorbei geredet haben. Der eine (unser Judobuchautor) meinte ganz offensichtlich die tradierten Kata, Komata hatte ganz offensichtlich ein anderes Begriffsverständnis.

Im April 1960 fand ein Treffen einer im Jahr zuvor eingerichteten Kata-Studiengruppe in Japan unter Leitung von Mifune statt. Dort wurde diskutiert, wie die Kata-Lehre denn weitergehen soll. Zwei Möglichkeiten wurden diskutiert:
  • die Festlegung vollständig neuer Kata
  • die Beibehaltung der bestehenden Kata, jedoch unter Beseitigung einiger Inkonsistenzen
Es schienen sich dem offiziellen Bericht zufolge die Beteiligten einig darüber zu sein, dass die Festlegung neuer Kata besser wäre, jedoch entschied man sich, dieses Projekt auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben (nun ja - das ist nie erfolgt, sieht man von der Kodomo-no-Kata einmal ab, die für die Ausbildung von Kindern entwickelt wurde).

Kein Judoka kommt ohne Kata-Training aus, wenn man darunter ein Techniktraining in geschlossenen Situationen versteht - erst recht keine Wettkämpfer. Deren Techniktraining besteht doch gerade darin, Situationen gezielt herzustellen und dann zu lösen. Nichts anderes ist Kata! Standardisierte Kata sind in dem Zusammenhang nichts anderes, als mit "Schwarmintelligenz" zusammengestellte Übungsprogramme.

Dass Wettkämpfer in aller Regel nicht die tradierten Kata trainieren, sondern eben andere Formen, stimmt natürlich auch (wenngleich z.B. in Japan die Kinder und Jugendlichen durchaus intensiver Nage-no-Kata lernen als in Deutschland). Die Aussage "99% der Judoka kommen ohne Kata-Training aus" stimmt natürlich nur, wenn man unter Kata-Training das Trainieren der im Wesentlichen vor über 100 Jahren festgelegten Formen versteht.

Letztlich ist es aber auch so, dass diese tradierten Kata so konzipiert sind, dass sie im Sinne exemplarischen Lernens immer auf Transfer in andere Situation und Situationslösungen angelegt sind. Die Didaktik des Kata-Trainings muss daher diesen Transfer im Blick haben und Kata auch vor diesem Hintergrund vermitteln. In der Europäischen Judo-Union sind derzeit einige Leute damit beschäftigt, genau hierfür Konzepte zu entwickeln. Leider verzögert sich die Arbeit ein wenig (vermutlich um ein Jahr), bedingt durch Corona und die Reisebeschränkungen.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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K a t a

Beitrag von HBt. »

(...) In der Europäischen Judo-Union sind derzeit einige Leute damit beschäftigt, genau hierfür Konzepte zu entwickeln. Leider verzögert sich die Arbeit ein wenig (vermutlich um ein Jahr), bedingt durch Corona und die Reisebeschränkungen.
Prima.

Zusammenfassung (eine perpetuierte Binsenweisheit):
(...) Letztlich ist es aber auch so, dass diese tradierten Kata so konzipiert sind, dass sie im Sinne exemplarischen Lernens immer auf Transfer in andere Situation und Situationslösungen angelegt sind.
Erzähle uns doch bitte (auch) einmal etwas Neues.
;)

HBt.
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von Cichorei Kano »

nur_wazaari hat geschrieben: 15.05.2020, 18:05
Cichorei Kano hat geschrieben: 11.05.2020, 02:32 Es ist heute schwer, den Menschen zu erklären, dass die SZKT eines der wichtigsten Dinge im Kôdôkan jûdô ist. So viele Menschen in jûdô haben den Wunsch, miteinander zu konkurrieren, das Bedürfnis, zu zeigen, dass sie besser sind als andere, während doch die Vernichtung des Egos eines der wichtigsten Ziele von jûdô ist.
Will man also davon abkommen zeigen zu wollen, dass man besser ist als andere - inwiefern möchte man sich aber dann immer noch selbst beweisen, dass man zur Entwicklung fähig ist? Würde sich ein Egobegriff so wie ihn Kano oder meinetwegen auch wir verstehen auch darauf erstrecken? Angenommen dies wäre so - wofür man vielleicht Hinweise finden könnte - ist dann der Kampf "mit sich selbst" davon auszunehmen? Oder brauchen wir/ich/die meisten von uns/eigentlich niemand diese - ich nenne es mal kompetetive Zweckvorstellung - doch an irgend einer Stelle, um uns motiviert auf das Üben einzulassen? Überspitzt gefragt: Wozu üben wir denn sonst noch? Um des Übens willen? Arbeiten an der Perfektion um der Perfektion willen? In meinen Augen wird es an dieser Stelle schwierig. Und zwar nicht schwierig im Sinne des Übens für denjenigen der weiß warum er übt, sondern im Sinne einer mit dem bloßen Verstand nachvollziehbaren Erklärung. Und das für jene, die bisher möglicherweise keine Erfahrung mit der Wirkung des Übens an sich gemacht haben und gerne eine mehr oder minder rationale Erklärung dafür hätten, was genau denn der Sinn des Übens von Kata sei.

Für mich kann ich sprechen, dass bei mir in einer Rolle als Lehrender infolge einer solchen Reflektion auch Fragen im Selbstverständnis dieser Rolle auftreten - was mache ich eigentlich noch hier, wenn ich den wahren Kern gar nicht an Interessierte vermitteln kann? Und zwar nicht mangels nachlässiger Unfähigkeit, sondern aufgrund der in gewisser Weise natürlichen Art und Weise des Übens von Kata, insbesondere vielleicht der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku? Das hat absolut nichts mit einem Gefühl eigener Minderwertigkeit oder Unzulänglichkeit zu tun - es ist lediglich eine mögliche Schlussfolgerung des Reflektionsprozesses über Sinn, Zweck und Nutzen der Lehre. Diese eine Schlussfolgerung jedenfalls brächte dann auch eine Verstärkung der Aussage mit sich, dass man Kata nicht nur auch ohne Lehrer lernen kann, sondern ab einem gewissen Grad des Fortschritts sogar allein weiterlernen muss, um wiederum die schwer in Worte zu fassende Wirkung des Übens anhand des eigenen Gespürs für Entwicklung zu erfahren. Am Rande sei erwähnt, dass ich mich absolut nicht als Budoromantiker oder Esotheriker bezeichnen würde, falls jemand auf die Idee käme irgendwas "Mysthisches" in diesen Gedanken zu finden.

Mögliches Ergebnis: "Besiege Dich selbst oder einen anderen" etwa, fast schon ein "Wert" unseres dem Kapital nach ausgerichteten Gesellschaftssystems an sich, kann wie mir scheint keine geeignete Motivationsbasis für Katatraining sein; für mich im Übrigen noch nicht mal für das Üben mittels Randori oder irgend eine andere Art ernsthafter Aktivität. Also auch nicht für Judo, so wie ich es verstehen will. Und nun kann man im Abgleich zu dem was die meisten Trainierenden so für Motive mit sich herumtragen überlegen, weshalb ernsthaftes Katatraining zwar schon etwas häufiger Teil der üblichen Judoausbildung ist, aber immer noch und anscheinend auch seit Kanos Zeit eine Art "Herumplagen" abverlangt. Im Übrigen will ich nicht werten, ob das nun eher positive oder negative Konsequenzen für Judo hat. Es soll mir an dieser Stelle genügen, dass es nachvollziehbare Gründe darum gibt, wie die Dinge derzeit liegen.
In Jûdô haben wir viele Erfolgsgeschichten. Wir alle bewundern legendäre Meister, aber zu jeder Geschichte gibt es noch viele weitere unerzählte Geschichten über all jene jûdôka, die keine Meisterschaften gewonnen, sondern immer wieder verloren oder aufgegeben haben. Es ist oder kann ein fantastisches Gefühl sein, hart trainiert zu haben, immense Anstrengungen zu unternehmen, um eigene Fortschritte zu erzielen, und dann wichtige Kämpfe zu gewinnen, eine höhere Qualifikation zu erlangen, was auch immer. In meiner Vorstellung habe ich eine lange Liste von Freunden aus der Vergangenheit, die mich früher zu Wettkämpfen begleitet und sich motiviert haben, mich gewinnen zu sehen. Sie wollten also auch an Wettkämpfen teilnehmen, und sie sind gescheitert, haben es wieder versucht, sind wieder gescheitert, haben wieder versucht, sind wieder gescheitert, haben wieder gescheitert, haben schließlich aufgehört und sind aus meinem Leben verschwunden. Die meisten Menschen, die in jûdô Erfolge erzielt haben, haben auch eine solche Liste, aber niemand spricht darüber, weil die Menschen, die scheitern und jûdô verlassen haben, unwichtig und für jûdô-Marketingzwecke unbrauchbar sind.

Wir können daraus schließen, dass dies alles als Erwachsene eine Frage der Selbstentwicklung usw. ist, aber ich habe auch Dutzende von Kindern im Kopf. Gute Kinder, die Jûdô ausprobieren wollten, die jahrelang Jûdô-Training genossen hatten, es mit Wettkämpfen versuchten, scheiterten, und scheiterten und verschwanden aus Jûdô. Warum gibt es auf der IJF-Website oder der Kôdôkan-Website keine Webseite über alle, die durchgefallen sind ?

Wie vertrauenswürdig ist jûdô als pädagogisches Instrument, wenn wir selektiv nur über diejenigen sprechen, die Meisterschaften gewinnen, aber nicht über jeden, der ständig verliert ? Sollen wir auch über den Erfolg der COVID-19-Behandlung sprechen, indem wir nur die Anzahl der Menschen erwähnen, die sich erholt haben, aber alle, die gestorben sind, geheim halten ?

Als Lehrer haben wir eine wichtige Rolle. Wir müssen besser erklären, dass der Wettbewerb in der Tat ein nützliches Instrument für unsere Selbstentwicklung ist, um uns zu verbessern. Wenn wir an einem Wettbewerb teilnehmen, um einen Gegner zu besiegen, müssen wir besser sein als der Gegner, und nicht nur besser als gestern. Doch Wettbewerb ist kein Ziel, genau wie Kata oder Randori kein Ziel von jûdô sind; sie sind nur Werkzeuge. Wenn wir mit diesen Werkzeugen unser Bestes geben, können wir besser werden, jûdôka, und diese Selbstentfaltung ist gut. Es ist in Ordnung, darauf hinzuarbeiten, ein besserer jûdôka zu werden als wir gestern waren, damit wir anderen besser dienen können. Wenn wir all die Kinder behalten wollen, die scheitern und immer wieder scheitern, müssen wir der pädagogischen Rolle des Wettbewerbs mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir müssen ihnen beibringen, dass es eine Etappe ist, die wir alle durchlaufen, schneller, stärker, besser, reicher, schöner als jemand anders zu sein, aber das sollte nicht das letztendliche Ziel sein. Besser zu sein, als man gestern war, ist nicht dasselbe wie besser als jemand anders zu sein. Ich denke, dass im Laufe der Entwicklung das erste Ziel wichtiger werden sollte als das zweite.
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von Cichorei Kano »

nur_wazaari hat geschrieben: 15.05.2020, 18:05
Ein anderer Aspekt:

Da wir hier im Forum ja schon diverse Diskussionen über mehr oder weniger eigene entwickelte Kata oder Derivaten davon verfolgen durften, stellt sich mir in praktischer Hinsicht dann aber die Frage, was genau man zunächst verstanden haben muss, um a) Kata wirklich und in einer guten Qualität (?) üben zu können und b) evtl. eigene Formen zu entwickeln, aus welchem Grund und für welchen Zweck auch immer. Dazu muss möchte ich anmerken, dass ich Kata keineswegs als "open Source" begreife. Klar ist mir auch, dass es durchaus Unterschiede im Schwierigkeitsgrad gibt, wenngleich ich kein echtes System dabei entdecken kann.

Und auch auf die Gefahr hin, dass es angesichts einer gewissen auch theoretischen Tiefe des Fadens an dieser Stelle ein wenig albern wirkt: Ich kenne aus früheren (Kinder-)Trainingstagen so einige der Bewegungen in der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku wieder und weiß genau, wie ich als Stippke mit geschlossenen Augen versucht habe mir beispielsweise die versch. Arten der Drehung um die eigene Achse mit anschließendem Wurfeingang vorzustellen. Wir haben das relativ isoliert auch v.a. zur Schulung der Koordination und der Orientierung im Raum geübt. Natürlich wurden die Bewegungen völlig außerhalb des Kontextes dieser oder einer anderen Kata gezeigt, sie ähneln sich aber - wie gesagt isoliert betrachtet - recht stark.

Die Aufmerksamkeit auf Kata, die offensichtlich weniger häufig geübt werden, sollte dazu dienen, den Mangel an Jûdô-Fähigkeiten zu vertuschen, indem man verhindert, dass die eigenen Fähigkeiten von anderen beurteilt werden. Es stimmt sicherlich, dass es einige wenige Personen gibt, die dies versucht haben, aber ich würde mir darüber keine allzu großen Sorgen machen. Jeder mit anständiger Jûdô-Erfahrung wird eine wahre Vorstellung von den Jûdô-Fähigkeiten eines Menschen haben, unabhängig davon, ob er einen weißen, einen schwarzen oder einen roten Gürtel trägt. Daigo-sensei hat einmal gesagt, dass er vor der ersten Partnerverlagerung in Koshiki-no-kata fast mit Sicherheit weiß, was das wahre Fähigkeitsniveau eines Jûdôka ist. Das stimmt, das gilt auch für mich, und zwar nicht nur in Koshiki-no-kata. Noch bevor Tori in der nage-no-kata tatsächlich Uki-otoshi geworfen hat, ist mir in der Regel ziemlich klar, welche Jûdô-Fähigkeiten jemand hat. Oder, für diejenigen unter Ihnen, die dem, was ich geschrieben habe, wirklich skeptisch gegenüberstehen ... nehmen wir an, dass es nur sehr wenige Leute gibt, die absolut kein Uki-otoshi beherrschen, aber ansonsten in jûdô völlig brillant sind ... Ich denke, Sie wissen, was ich meine.

Die Kata haben nicht nur ein Werkzeug zum Erlernen von Jûdô, sondern auch eine historische Bedeutung. Sie sind Gemälde der Vergangenheit. Wenn man anfängt, sie zu 'verändern' oder angeblich zu 'standardisieren', fängt man natürlich an, diese Zwecke zu zerstören.

Lassen Sie mich Ihnen ein praktisches Beispiel geben. Nur ein Idiot würde sich ganz auf gô-no-kata konzentrieren und nage-no-kata oder andere jûdô vermeiden. Eine Kata ersetzt jedoch nicht die andere. Das könnte der Fall sein, wenn der Zweck einfach - wieder einmal - darin besteht, zu zeigen, wie man jemand anderem besser ist. Aber das ist nicht der Punkt. Es geht darum, welche Bedeutung die Gô-no-Kata hat, entweder für die Jûdô oder im Hinblick auf die Geschichte. Erstens ist sie die einzige Kôdôkan-Kata, die noch in ihrer primitiven Form existiert, was aus historischer Sicht wichtig ist, wenn man sich ein Bild davon machen will, wie primitiv Kôdôkan jûdô 1887 noch war. Zweitens verstehen nur wenige Jûdôka diesen Prozess richtig, da sich die Randori im Jûdô aus der Kata entwickelt haben. Dieser Prozess ist wichtig, weil die Randori, die in einigen Budôs wie Tenjin Shin'yô-ryû oder Kitô-ryû existierten, nicht die Randori waren, die wir heute in Jûdô kennen. Auch die Kata in der Kitô-ryû wurden auf eine ganz andere Weise geübt als heute, und aus dieser alternativen Form entwickelten sich die Randori des Kôdôkan.Die Art und Weise, wie die Gô-no-Kata vorgetragen wird, ist das einzige existierende Beispiel, das diese Zwischenform der Praxis zwischen den Randori, wie wir sie heute kennen, und den Kata, wie wir sie heute kennen, widerspiegelt.

Was ich gerade geschrieben habe, sind Informationen, die Teil der Botschaft sind, die das Lehren und Lernen dieser speziellen Kata mit sich bringt. Wenn andererseits jemand einfach auf die Tatami treten würde, nur um ein paar Sätze auswendig zu lernen, die andere Jûdôka wahrscheinlich nicht kennen, erscheint das ziemlich lächerlich. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich lohnt, über ein solches Szenario nachzudenken, und ich bezweifle, dass viele Menschen bleiben oder zurückkehren würden, um auf diese Weise zu "lernen". Um Kata zu vermitteln, muss man wissen, was sie ist und was sie enthält, und das ist natürlich viel mehr als nur ein Roboter, der versucht, die Muster und Winkel, die jemand anders gerade gezeigt hat, genau zu kopieren.Wenn man genau das tut, lernt man kein jûdô, aber es könnte einen näher daran bringen, ein Papagei zu werden.

Verstehen Sie, worauf ich damit hinaus will?
Cichorei Kano
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von Cichorei Kano »

Julian hat geschrieben: 14.05.2020, 18:56 Aber ich glaube ich schweife ab; also versuche ich es etwas zuzuspitzen:
Ich würde sagen, die drei Ziele Charakterbildung (moralische Erziehung), Gesundheit (Leibeserziehung) und Kampfkunst schreiben sich viele Kampfkünste auf die Fahne. Mit Blick auf das Taijiquan werden diese ja auch gerne als die drei Säulen des Taijiquan bezeichnet. Weitgehend unstrittig eingelöst scheint mir allerdings nur der gesundheitliche Aspekt; natürlich sehr unterschiedlich, je nachdem wie geübt oder trainiert wird. Der moralische Aspekt führt schnell zu dem Problem, wie man diesen denn feststellen will; zudem scheint es genug fähige Kampfkünstler (und auch Judoka) gegeben zu haben, die jetzt nicht unbedingt moralische Vorbilder waren. Und beim Thema „Kampf“ haben wir eben schnell die Frage, wo und wie denn gekämpft wird, und wie die Kata oder (Taolu) (des Judo, Karate, Taijiquan) etc. da ihren Beitrag leisten...
Alles in allem ein ziemliches Kuddelmuddel.

Julian schrieb: "Der moralische Aspekt führt schnell zu dem Problem, wie man dies feststellen kann; außerdem scheint es genügend fähige Kampfkünstler (und auch Judoka) gegeben zu haben, die nicht unbedingt moralische Vorbilder waren. (...)

Dann entwickelte sich eine weitere interessante Diskussion zwischen Julian und Tutor.

Etwas, denke ich, das Sie vielleicht in Betracht ziehen sollten, ist die Grundlage der Moral von jûdô. Sie ist im Wesentlichen konfuzianistisch. Kanô-shihans erstes Buch (1911) und eine Reihe kleinerer, im Westen eher unbekannter Hefte befassen sich alle mit der auf dem Konfuzianismus basierenden Erziehung. Er hat tatsächlich eine Broschüre darüber geschrieben, wie sich Frauen verhalten sollen, wussten Sie das? Ich denke, es gibt Gründe dafür, dass einige Leute vielleicht bestrebt sind, zu verhindern, dass dies allgemein bekannt wird ...

Sie hat ähnliche Probleme, wie wir sie in der katholischen (oder vielen anderen) Kirche(n) sehen. Wenn sich jeder in der katholischen Kirche an die Bibel halten würde, wäre es eine wunderbare moralische Gesellschaft. Wenn sich jeder in einer konfuzianistischen Gesellschaft an konfuzianistische Regeln halten würde, wäre es ebenfalls eine moralisch funktionierende Gesellschaft. Jûdôs Moral, wie sie von Kanô dargestellt wird, hält sich an dieses Modell. Es ist etwas bemerkenswert für einen Akademiker wie Kanô, dass er den Fallstricken des Konfuzianismus keine Aufmerksamkeit schenkt.

Die Dynastie Zhōu in China (1100-221 v. Chr.) entwickelte sich zu einer weitgehend konfuzianistischen Gesellschaft. Warum ist sie also gescheitert? Offensichtlich gibt es mehrere Gründe im Zusammenhang mit den kriegführenden Staaten und anderen hier nicht so relevanten historischen Ereignissen, aber einer der Gründe hängt mit einer großen Schwäche des Konfuzianismus zusammen. Der Konfuzianismus neigt dazu, die Bevölkerung mit moralischen Mitteln zu bestechen oder zum Gehorsam gegenüber seiner Führung zu zwingen. Während die Bevölkerung sich an diese moralischen Regeln hält, schaffen sie den perfekten Rahmen, der es der Führung ermöglicht, sich zunehmend auf grenzenloses unmoralisches Verhalten einzulassen.

Ich glaube, ich habe das schon einmal geschrieben, aber das ist nichts anderes als die Pädophilen in der katholischen Kirche, die ihren Opfern sagen, dass sie nur für die pädophilen Priester beten und ihnen vergeben sollen, denn "wir sind alle Sünder". Auf diese Weise versucht die Führung mit kriminellen sexuellen Absichten zu verhindern, dass ihre Opfer Kontakt zur Polizei aufnehmen, so dass die religiösen Pädophilen letztlich einfach weitermachen können, was sie ihr ganzes Leben lang getan haben, und sogar neue Opfer machen können.

Die Kampfkünste sind nicht frei von etwas Ähnlichem. Jeder, der die Führung in Frage stellt oder kritisiert, wird mit moralisierendem Druck angegriffen und als "respektlos" oder "mangelnde Bescheidenheit" bezeichnet oder auf andere Weise hinter seinen moralischen Standards zurückbleiben. Man hofft dann, dass der Einzelne durch sozialen Druck neutralisiert wird, so dass die Führung weiterhin ihre Macht halten oder sogar ausbauen und unmoralisches Verhalten an den Tag legen kann. Im Wesentlichen ist dies ein Prozess der intellektuellen Unaufrichtigkeit.

Im Judo gehört dazu typischerweise das Herumwerfen von moralischen Werten wie "Arbeit für den Weltfrieden", "Respekt", "Freundschaft", die sich für die Jûdô-Bevölkerung nett und positiv genug anhören, um an sie zu glauben, während sich die Führung weiterhin in die Bank lacht. Dies ist keine Kritik an der Jûdô- oder Kampfkunstbevölkerung. Denn so wie es viele gläubige Christen gibt, so gibt es auch viele Jûdôka, die ehrlich versuchen, ihr Bestes zu geben. Aber darum geht es eigentlich nicht. Es geht darum, dass der Konfuzianismus aufgrund dieser ihm innewohnenden Schwäche dazu neigt, zu implodieren, sobald es seiner Führung an moralischem Charakter mangelt.

Ich werde davon absehen, über spezifische Judo-Gesellschaften zu sprechen, aber Sie alle wissen, dass es in der Vergangenheit Bedenken hinsichtlich der Führung des Internationalen Olympischen Komitees gegeben hat. Auch das IOC neigt dazu, die Olympischen Spiele als ein Ereignis von großer sportlicher Qualität zu fördern, das moralischen Idealen folgt. Ich bin sicher, dass dies für viele Athleten und einfache Funktionäre wirklich so ist. In Wirklichkeit ist die Führung des IOC jedoch mit vielen Vergünstigungen verbunden, die wenig mit ethischen Idealen zu tun haben und die eine einfache Angelegenheit substantieller finanzieller Belohnungen, privilegierter Reiseangebote und der Unterbringung in 5-Sterne-Hotels sind. Unter dem Reich des 2010 verstorbenen Juan Antonio Samaranch, der von 1980-2001 IOC-Präsident war.

Wenn man einige seiner Nachrufe liest, wird es offensichtlich: dass es erhebliche ethische Bedenken gab:

http://www.reuters.com/article/us-olymp ... DC20100421

http://www.nytimes.com/1999/01/26/sport ... itics.html

Ich gebe zu, dass es hier nicht mehr speziell um jûdô geht, aber es ist ein relevantes Beispiel für eine Sportorganisation, die ständig für ethische Werte und moralisches Verhalten wirbt, während ihre Führung eher durch ihre eigene finanzielle Gier gekennzeichnet war.
Heute gibt es in der katholischen Kirche Veränderungen. Diese Veränderungen sind auf mehr Transparenz und externe Kontrollen und Gleichgewichte zurückzuführen. Wir sehen, dass in jûdô einige Veränderungen in jüngster Zeit auch nur bei den externen Kontrollen und Abwägungen stattgefunden haben, d.h. zum Beispiel die Aufmerksamkeit der Medien und die Einbeziehung der Justizbehörden durch die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von Trainern, die unschuldige Minderjährige sexuell missbraucht haben.

Bis heute scheint es jedoch so zu sein, dass diese Transparenz und gegenseitige Kontrolle nach wie vor nur dann zum Tragen kommt, wenn es um Dinge geht, die so schwerwiegend sind, dass sie nicht nur eine Verletzung der moralischen Regeln des jûdô, sondern auch des Gesetzes darstellen.
HBt.
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Offtopic (der moralische Zeigefinger)

Beitrag von HBt. »

Aber dennoch, COVID-19 (also der Sars-CoV2-Spross!) demonstriert uns momentan, wie es um uns alle bestellt ist.

Es ist eine unangenehme Offenbarung - hoffentlich bekommt die Menschheit noch die Kurve?!

HBt.
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von nur_wazaari »

Fritz hat geschrieben: 16.05.2020, 02:26 @nur_waza-ari:
Hab ich es recht verstanden, Du rätselst, wie Du Kata an Uninteressierte vermitteln kannst?
Da sage ich mal: Gar nicht.
Nein, so meinte ich das nicht. Es gibt ja auch insgesamt durchaus unterschiedliche Auffassungen dazu, aber anderen den Mund wässrig zu machen ist jedenfalls nicht mein Stil. Ich bin kein guter Missionar. Das hat auch überhaupt nichts exklusives. Es ist nur, wie Du schon sagst, nicht sinnvoll.
Fritz hat geschrieben: 16.05.2020, 02:26 Und damit komme ich wieder auf nur_waza-aris Problem der Vermittlung zurück:
Meiner Meinung nach ist es sinnlos, erfahrenen u. evt. (ehemals) erfolgreichen Wettkämpfern (ohne Übungsleiterambitionen) jenseits von Dan-Prüfungen mit Kata zu kommen. Entweder sie kommen sofort auf Kata-Wettkämpfe oder sie halten es schlichtweg für albern.
Ist ja auch logisch. Die können bereits kämpfen, haben dafür ihre Übungsformen (was ja auch irgendwie Kata ist, aber das wissen sie nicht). Ist ihnen ja auch nicht zu verdenken.
Mir fallen auch durchaus einige Gegenbeispiele ein. Ich kenne ehemalige leistungssportlich ambitionierte Judoka, die sehr wohl auf Kata kamen, ganz ohne größere Prüfungsabsichten. Dass z.B. Tandoku-renshu und Uchi-komi auch als Formen geübt und angesehen werden können, je nach Modifikation, halte ich für plausibel.
Fritz hat geschrieben: 16.05.2020, 02:26 Also macht es m.E. deutlich mehr Sinn, den staunenden, lernwilligen Anfänger mittels Kata auszubilden. Hier wiederhole ich mich gern: Die Nage-no-Kata bspw. sind hervorragend geeignet, durch deren Schrittmuster, quasi idiotensicher Würfe gelingen zu lassen.
Analog Katame-no-Kata für den Bodentechnikerwerb, sogar mit gleitendem Übergang zum Randori (wenn man die Sache mit den Befreiungen tatsächlich frei durchgeführt werden). ... Kann der Anfänger die Schritte u. Bewegungen soweit, daß er nicht mehr über jeden Schritt u. Bewegung einzeln nachdenken muß,
kann im nächsten Schritt bspw. durch Uke die Intensität der Angriffe erhöht werden ...
Zumindest wenn die Grundvoraussetzungen geschaffen wurden, geht das wohl. Mein Paradebeispiel an dieser Stelle: Ich habe sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen erlebt, dass es desöfteren nicht möglich ist, eine Kniebeuge auszuführen, geschweige denn einen Schritt in dieser Haltung zu laufen. Es ist manchen noch nicht einmal möglich, den Rücken gerade zu halten. Von einem Körpergefühl, dass einen Wechsel von Spannung, Entspannung und Grundhaltung zulässt, mal ganz zu schweigen. Im Übrigen ist das auch bei vermeintlich Fortgeschrittenen nicht selten zu sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Voraussetzungen "durch", d.h. während des Kata-Trainings adäquat geübt werden können oder schon vorhanden sein sollten.
Fritz hat geschrieben: 16.05.2020, 02:26 Über die Arbeit mit u. am Anfänger sollte sich also auch Motivation für den fortgeschrittenere Übungsleiter finden lassen, die Kata zu studieren, denn als Übungsleiter will man ja halbwegs verstehen bzw. wissen, was man wozu vermittelt. Und man ist evt. in der Lage
zu fühlen, was die Kata für einen bewirken (körperlich u. geistig) über das Anfänger-Niveau hinaus.
Das ist bei mir, nun schon länger her, tatsächlich genauso gewesen. Allerdings nur in Bezug auf Nage no kata. Später bei den Erwachsenen auch Katame no kata. Allerdings habe ich die Übungen damals in meiner Kindergruppe und auch später bei den Erwachsenen etwas angepasst. Es ist nicht leicht, Kindern "Schritt für Schritt" trocken etwas beizubringen, zumindest ging das damals in der sehr quirligen Gruppe schlecht. Also habe ich versucht, Bewegungsmuster ausfindig zu machen und Übungsformen zu entwickeln, die ich für passend und auch übergreifend sinnvoll hielt, um das was ich für den Zweck der Kataübungen hielt, auch zu vermitteln. Was funktionierte, habe ich beibehalten. Ich rede aber nicht von Kodomo no kata.
Fritz hat geschrieben: 16.05.2020, 02:26 Wie so oft gesagt: Die Idee, Nage-no-Kata mit in die Kyu-Prüfungsordnung zu nehmen, war eine gute Idee, der Erstkontakt mit den Judo-Kata gehört genau dahin, in die Anfängerausbildung. Diese Idee sollten wir in der Zukunft vielleicht noch etwas
ausweiten: Warum Grundformen von Bodentechniken nicht gemäß Katame-no-Kata vermitteln u. prüfen, warum nicht Elemente weiterer Kata (mal abgesehen von Itsutsu- u. Koshiki-no-Kata) mit in der Kyu-Ausbildungs- u. Prüfungsordnung verteilen?
Ich weiß nicht, ob wir damit nicht noch größeres Stückwerk bekämen, als wir sowieso schon haben. Aber schlimmer kann es wohl auch kaum noch werden, was die Prüfungsordnungen anbelangt.
tutor! hat geschrieben: 16.05.2020, 16:03 Da sind ja jetzt eine Reihe Punkte zusammengekommen, an denen ich einhaken könnte. Allerdings gibt es auch großes Potential aneinander vorbei zu reden.
Das fördert doch zuweilen ganz interessante Dinge zutage.
tutor! hat geschrieben: 16.05.2020, 16:03 Kein Judoka kommt ohne Kata-Training aus, wenn man darunter ein Techniktraining in geschlossenen Situationen versteht - erst recht keine Wettkämpfer. Deren Techniktraining besteht doch gerade darin, Situationen gezielt herzustellen und dann zu lösen. Nichts anderes ist Kata! Standardisierte Kata sind in dem Zusammenhang nichts anderes, als mit "Schwarmintelligenz" zusammengestellte Übungsprogramme.
Grundsätzlich Zustimmung, nur wird man dort bei einigen Leuten wieder eher die binäre Sichtweise antriggern. Kata und Wettkampf - zwei völlig verschiedene Dinge, die durch wenig zusammenzubringen sind. Ich glaube, jeder kennt so die einen oder anderen Personen mit Wettkampfambitionen, für die es eine Beleidigung wäre, wenn man ihn unterstellte, dass sie Kata trainieren würden.

"Standardisierte" Kata sind dann in diesem Sinne aber auch die zahlreichen, tlw. auch in den Ausbildungsprogrammen enthaltenen Uchi-komi-Übungen. So ergibt sich für mich begriffstheoretisch schon noch die, zugegeben etwas nachrangige Frage, wie weit oder eng man den Begriff "Kata" auslegen muss, um auch noch über den gleichen Zweck zu sprechen. Allerdings wurde dies ja hier schon zum Teil beantwortet.
Cichorei Kano hat geschrieben: 22.05.2020, 04:29 Die meisten Menschen, die in jûdô Erfolge erzielt haben, haben auch eine solche Liste, aber niemand spricht darüber, weil die Menschen, die scheitern und jûdô verlassen haben, unwichtig und für jûdô-Marketingzwecke unbrauchbar sind.
So ist das und manchmal ist das von diesen Personen aber auch so gewollt. Es gibt auch einige, die einfach auch abschließen wollen, mit Judo. Dass dies oftmals von Verbänden hingenommen wird, ist natürlich kein gutes Zeichen.
Cichorei Kano hat geschrieben: 22.05.2020, 04:29 Wie vertrauenswürdig ist jûdô als pädagogisches Instrument, wenn wir selektiv nur über diejenigen sprechen, die Meisterschaften gewinnen, aber nicht über jeden, der ständig verliert ? Sollen wir auch über den Erfolg der COVID-19-Behandlung sprechen, indem wir nur die Anzahl der Menschen erwähnen, die sich erholt haben, aber alle, die gestorben sind, geheim halten ?
Oder über diejenigen, die diese Erfolge mit ermöglicht haben. Es wird schon häufiger sichtbar, dass hinter großen Erfolgen ein ganzes Team steht - aber auch hinter den Misserfolgen. Es gibt schon Geschichten des Scheiterns - allerdings nur, wenn irgendwann dieses Scheitern auch wieder zu Erfolg führt. Das endgültige Scheitern - es wird gerne verschwiegen, weil niemand einen Gewinn daraus ziehen kann, gleich welcher Art dieses Gewinnen auch sei. Denn dort schließt sich der Kreis wieder - es geht um Gewinn und Maximierung - dies ist der einzige für gültig erklärte Maßstab. Erfolglose Trainierende, medaillenlose Kämpferinnen und Kämpfer werden dann erwähnt, wenn sie ihre neurotisch anmutenden Bemühungen auf eine dann erfolgreiche Weiterverwendung im Leistungssport endlich erlangen konnten. Zum Beispiel als Trainerin oder Trainer. Häufig wird gerade denen das dann als "Stärke" ausgelegt - man kann das aber auch genauso gut als "Schwäche" auslegen, wenn man es denn überhaupt beurteilen will. Vermutlich hatten diese Personen aber einfach keine andere Möglichkeit, die genauso gut hätte schief gehen können.

Hinsichtlich COVID-19 werden ja international ziemlich unterschiedliche Kommunikationsstrategien verfolgt, oft aber mit dem Ziel der Stabilisierung der Gemüter. Ich jedenfalls habe durchaus den Eindruck, dass wenn über daran Verstorbene gesprochen oder berichtet wird, es oftmals nur diejenigen sind, welche nicht im eigenen Land betroffen sind. Ich lesen z.B. von den vielen Toten in den USA - von den hier in Deutschland Gestorbenen liest man wenig und es wird dann auch noch in Frage gestellt, ob denn alles "statistisch richtig" erfasst sei. Ich kann daran - und zum Glück bin ich in der Lage dazu - dieserzeit nur sehr viel über Mensch und Gesellschaft lernen, was ich auch versuchen werde, zu gegebener Zeit wieder auf die Matte zu bringen.
Cichorei Kano hat geschrieben: 22.05.2020, 04:29 Doch Wettbewerb ist kein Ziel, genau wie Kata oder Randori kein Ziel von jûdô sind; sie sind nur Werkzeuge.
Dem ist nichts hinzuzufügen und ich könnte unangemessen weit darüber ausschweifen, warum das meiner Meinung nach nicht nur im Judo so sein sollte.
Cichorei Kano hat geschrieben: 22.05.2020, 04:29 Verstehen Sie, worauf ich damit hinaus will?
Bei mir ist diese Tür sowieso schon offen. Denn:
Um Kata zu vermitteln, muss man wissen, was sie ist und was sie enthält, und das ist natürlich viel mehr als nur ein Roboter, der versucht, die Muster und Winkel, die jemand anders gerade gezeigt hat, genau zu kopieren.Wenn man genau das tut, lernt man kein jûdô, aber es könnte einen näher daran bringen, ein Papagei zu werden.
Das ist ein Punkt, den ich nicht nur im Judo beobachten kann. Auch z.B. im universitären Alltag bestimmt dieser die Didaktik. Natürlich ist es wichtig, sich nützlicher und sinnvoller Methoden zu bedienen. Ich kenne auch noch ein anderes, vielleicht verständliches Beispiel aus meinem eigenen Leben. So habe ich ein paar Jahre im Nebenberuf als Koch gearbeitet. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben sich gewundert, weshalb die Sauce,n welche sie produzierten, nicht so wie meine werden. Sie hätten sich doch genau an das Rezept gehalten und sich meine Art und Weise der Zubereitung sogar zeigen lassen, wohlgemerkt mit den gleichen Hauptzutaten. Meine Saucen wurden in der Tat häufig deutlich besser, als die der anderen. Ich habe nie irgendwas dabei verheimlicht, nicht die Zusammenstellung der Gewürze, nicht die Reihenfolge der Arbeitsschritte und auch nicht die ungenießbaren Misserfolge, wenn ich etwas Neues ausprobiert hatte. Aber die wollte natürlich niemand sehen und schon gar nicht probieren. Dabei sind diese die interessantesten gewesen, weil ich dann auch für die Zukunft wusste, was für mich unter gar keinen Umständen zusammenpasste oder was vielleicht doch für ein anderes Gericht interessant sein könnte. Aber alle wollten nur sehen, was ich denn mache und wie ich das hinbekomme. Das sagten sie. Was sie eigentlich haben wollten, war ein neues Rezept samt Anleitung, das auch garantiert gelänge und frei von eigenen Mühen sei. Es ist auf der Matte und sonstwo nicht viel anders. Wenn hingegen der Weg deutlich mehr interessieren würde als das Ziel, der wie auch immer definierte Erfolg nur ein zwangsläufiges Ergebnis eines Prozesses und auch noch nicht das Ende wäre - das wäre vielleicht ganz nützlich.
HBt. hat geschrieben: 22.05.2020, 13:22 Aber dennoch, COVID-19 (also der Sars-CoV2-Spross!) demonstriert uns momentan, wie es um uns alle bestellt ist.

Es ist eine unangenehme Offenbarung - hoffentlich bekommt die Menschheit noch die Kurve?!
Und es demonstriert auch worauf man es wirklich ankommen lässt. Wenn man das Bild der Kurve beibehalten und auf die Autoindustrie analogisieren will - bei all den Assisstenzsystemen, mit denen selbst mittelpreisige Wagen ausgestattet sind, wird uns, die konsumieren müssen oder auch wollen, mehr und mehr durchaus auch ein Stück Verantwortung abgenommen, die wir eigentlich selbst tragen sollten, im Straßenverkehr, der zahlreiche Gefahren birgt. Es wird das Gefühl vermittelt, dass man gar nicht mehr aus der Kurve fliegen könne oder wenn das passiert, man ja ausreichend gepanzert sei. Zur allergrößten Not wird halt negiert, dass die Kurve überhaupt existiert.
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von Cichorei Kano »

nur_wazaari hat geschrieben: 23.05.2020, 12:14
Bei mir ist diese Tür sowieso schon offen. Denn:
Um Kata zu vermitteln, muss man wissen, was sie ist und was sie enthält, und das ist natürlich viel mehr als nur ein Roboter, der versucht, die Muster und Winkel, die jemand anders gerade gezeigt hat, genau zu kopieren.Wenn man genau das tut, lernt man kein jûdô, aber es könnte einen näher daran bringen, ein Papagei zu werden.
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Re: Video der Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku

Beitrag von Fritz »

nur_wazaari hat geschrieben: 23.05.2020, 12:14 Das ist bei mir, nun schon länger her, tatsächlich genauso gewesen. Allerdings nur in Bezug auf Nage no kata. Später bei den Erwachsenen auch Katame no kata. Allerdings habe ich die Übungen damals in meiner Kindergruppe und auch später bei den Erwachsenen etwas angepasst. Es ist nicht leicht, Kindern "Schritt für Schritt" trocken etwas beizubringen, zumindest ging das damals in der sehr quirligen Gruppe schlecht. Also habe ich versucht, Bewegungsmuster ausfindig zu machen und Übungsformen zu entwickeln, die ich für passend und auch übergreifend sinnvoll hielt, um das was ich für den Zweck der Kataübungen hielt, auch zu vermitteln. Was funktionierte, habe ich beibehalten.
Genau so meine ich es ja auch. Das ist m.E. genau das, was unter "Kata als Trainingswerkzeug" zu verstehen ist.
nur_wazaari hat geschrieben: 23.05.2020, 12:14 Mir fallen auch durchaus einige Gegenbeispiele ein. Ich kenne ehemalige leistungssportlich ambitionierte Judoka, die sehr wohl auf Kata kamen, ganz ohne größere Prüfungsabsichten. Dass z.B. Tandoku-renshu und Uchi-komi auch als Formen geübt und angesehen werden können, je nach Modifikation, halte ich für plausibel.
Ja gelegentlich passiert auch das mal, den Typus gibt es natürlich auch, Leute denen Judo sosehr ans Herz gewachsen ist, sie aber einen
neuen Sinn im Training glauben suchen müssen, weil Shiai für sie irgendwie weggefallen ist - denke aber, daß da dann oft wieder diese Vorstellung von mehr oder weniger separaten "Disziplinen" des Judo oft mitschwingt.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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