Faustschlag oder doch ein Schwert?

Nage-no-Kata, Katame-no-Kata, Gonosen-no-Kata und verwandte Kata
tutor!
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Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tutor! »

Also ich Nage-no-Kata als 12jähriger zum ersten Mal lernte, musste Uke beim Seio-nage ein imaginäres Schwert ziehen und Tori den Schädel spalten. Später bei meiner Prüfung zum 1. Dan habe ich selbstverständlich ein Schwert abgewehrt. Als ich dann Anfang der 80er Jahre bei Dan-Vorbereitungslehrgängen als Referent eingesetzt war, vermittelte ich den Teilnehmern, sie müssten mit einem imaginären Schwert schlagen.

Das war die verbreitete Lehre in Westdeutschland bis in die 80er Jahre.

Als mein Interesse für Kata weiter wuchs, kaufte ich mir Mitte der 80er Jahre - kurz nach Verfügbarkeit in Deutschland - das Buch von Otaki/Draeger. Ich suchte natürlich das Schwert in der Nage-no-Kata - und fand es nicht. Wie mir ging es vielen anderen auch und so langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass ein Schlag ein Schlag ist, was Otaki/Draeger ja auch eindeutig beschreiben. Als dann noch zunehmend Kodokan-Lehrer in Deutschland Nage-no-Kata unterrichteten und es auch in den 90er Jahren erste Angebote gab, direkt im Kodokan Kata zu trainieren, verschwand die Lehre von Schwertschlag aus dem DJB - nicht aber aus dem deutschen Judo.

Auch hier im Forum wurde darüber debattiert und alte Fäden zeugen davon, dass es die Überzeugung gab (und vermutlich noch gibt), dass historisch gesehen der Angriff bei Seoi-nage ein Angriff mit einer Waffe darstellen würde. Einen Beleg gab es nie - alle schriftlichen Quellen sagten ohnehin immer das Gegenteil - dennoch hielt sich diese Auffassung wohl noch bis heute.

Katana hat beim Lesen des englischen Forums eine Übersetzung eines Artikels von 1906 (dem Jahr der Kata-Festlegung durch die Butokukai) gefunden, in dem durch Kano autorisiert die Hintergründe für den Angriff bei Seoi-nage erläutert werden.

Ich zitiere aus dem englischen Forum (http://JudoForum.com/index.php?s=&showt ... t&p=486238):
sam hat geschrieben:Now this seems to be more important ... In 1906 for about one year Great Masters like Murakami, Nagaoka, Yamashita contributed their article in the magazine JUDO on the NNK, fully delegated by Jigoro Kano. And in the first page on Seoinage, I find the following sentence.
"There can be many ways to strike, diagonally, sideways or vertically. In this case I chose one to strike vertically. The reason for it is, different ways to strike mean a shift in the weight distribution, and in this case I decided to apply a vertical strike which fits best to explain the principle of Seoi Nage. So which way of striking is more efficient is irrelevant now. The best opportunity to execute Seoi Nage is when Uke attacks with a vertical strike, so I chose this case."
What it says is, then, we are learning how to throw and not how to strike.
Nun, die Quelle ist benannt, Yamashita und Nagaoka waren sogar bei der Kata-Standardiseirung der Butokukai dabei, J. Kano hatte alles abgesegnet. Die zentrale Aussage ist: der Angriff wurde danach ausgewählt, dass sich für den Seoi-nage eine günstige (Lern-)Gelegenheit ergibt. Die Frage der Selbstverteigung und des effektiven Angriffs war zurückgestellt ("So which way of striking is more efficient is irrelevant now")

Ich bin in einem früheren Faden aufgefordert worden, eine Quelle von Kano zu liefern. Ich bitte diese als solche zu akzeptieren.

Dennoch möchte ich auf einen Beitrag von gestern verweisen, denn an dessen Sinnhaftgkeit habe ich keinen Zweifel:
tutor! hat geschrieben:Ich lasse z.B. ab einem bestimmten Stadium die Schlagabwehr bei Seoi-nage mit einem Stock üben. Damit gebe ich Uke ein Gewicht in die Hand, wodurch die Schlaghand mehr Schwungmasse bekommt, die Tori ausnutzen kann. Uke kann zusätzlich den Schlag nicht mehr so einfach abbrechen und seine Hand "stehen" lassen. Der Seoi-nage funktioniert so in vielen Fällen subjektiv und objektiv "besser"- was auch denke ich einleuchtend ist. Der Stock ist in diesem Fall also von mir als methodisches Hilfsmittel gedacht.

Zweifellos handelt es sich bei einer Stockabwehr auch um eine mögliche Anwendung dieser Technik der Nage-no-Kata, wobei sicherlich noch zusätzlich andere Details berücksichtigt werden müssten, wie z.B. veränderte Abstände usw.

Wir haben also eine ausgesprochen nützliche methodische Hilfe, die gleichzeitig auch noch eine sinnvolle Anwendung darstellt. Das ist doch prima und das mache ich mir auch gerne zu Nutze.

Aber deshalb ist der Ursprungsgedanke nach wie vor ein Schlag mit der Faust von oben auf den Kopf, was sehr gründlich belegt ist.
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tom herold »

Aber deshalb ist der Ursprungsgedanke nach wie vor ein Schlag mit der Faust von oben auf den Kopf, was sehr gründlich belegt ist.
Nach dem (mir bisher ebenfalls unbekannten) Kanô-Zitat handelt es sich also "lediglich" um eine "Hilfsbewegung", die WEDER einen Angriff mit einer Waffe darstellt NOCH eine Technik der Atemi-Waza.
Ich habe inzwischen von Vertretern der Koryû (dabei auch jemand, der sehr intensiv Tenshin Shinyo Ryû trainiert) die Auskunft erhalten, daß die Schlagbewegung des so zwar in einigen Kata einiger Koryû vorkommt, dort aber denselben Zweck erfüllt wie Kanô das für seine Nage-no-Kata beschrieb.
Das gilt also auch für Tenshin Shinyo Ryû.
Eine "Atemi-Waza"-technik ist es NICHT und WAR ES AUCH NIE.
Nachdem du, lieber Tutor, so deutlich darauf verwiesen hast, daß es sich bei Ukes Schlagbewegung NICHT vordergründig um einen Angriff mit einer Waffe handelt, dachte ich, daß es doch der Vollständigkeit halber gut wäre, auch darauf zu verweisen, daß deine These von der "Atemi-Technik" ebenfalls NICHT stimmt.
Denn es gibt eine solche Schlagtechnik einfach nicht. Sie wäre sinnlos und ineffektiv.
Sämtliche Vertreter der "schlagenden Zunft", die ich dazu befragte, haben erheitert reagiert ...
Wir lagen also BEIDE falsch.
Kein "Schwertangriff", aber auch kein ernstgemeinter "Faustschlag" im Sinne eines echten Angriffs mit der Faust.
Nur eine Hilfsbewegung, deren einziger Sinn es ist, die gewichtsverlagerung eines Angreifers darzustellen, auf die mit dem Prinzip "Seoi-Nage" reagiert wird.
There can be many ways to strike, diagonally, sideways or vertically. In this case I chose one to strike vertically. The reason for it is, different ways to strike mean a shift in the weight distribution, and in this case I decided to apply a vertical strike which fits best to explain the principle of Seoi Nage
Gut, nun wissen wir es.
Darüber kann es nun keine Debatte mehr geben.

Ich habe das drüben im anderen Forum gestern ebenfalls richtiggestellt.
Denn wie ich schon sagte - mir geht es darum, zu wissen.
kanou65m
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von kanou65m »

Also weder Faustschlag noch Schwert/Stockangriff, sondern lediglich ein Hilfsmittel, um den Wurf genauer zu beschreiben?
Ist das vielleicht ein Unterschied zwischen dem einfachen Erlernen der Technik (Hilfsmittel) und der Ausführung in der Kata (Schwert)?
HBt.

Allein mir fehlt der Glaube

Beitrag von HBt. »

Was ist, wenn es dem "Hilfsmittel" an Ersthaftigkeit fehlt oder fehlen sollte?
"There can be many ways to strike, diagonally, sideways or vertically. In this case I chose one to strike vertically. The reason for it is, different ways to strike mean a shift in the weight distribution, and in this case I decided to apply a vertical strike which fits best to explain the principle of Seoi Nage. So which way of striking is more efficient is irrelevant now. The best opportunity to execute Seoi Nage is when Uke attacks with a vertical strike, so I chose this case."
Ohne Waffe, einfach so ... :crybaby
tutor!
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tutor! »

böser tom hat geschrieben:Nachdem du, lieber Tutor, so deutlich darauf verwiesen hast, daß es sich bei Ukes Schlagbewegung NICHT vordergründig um einen Angriff mit einer Waffe handelt, dachte ich, daß es doch der Vollständigkeit halber gut wäre, auch darauf zu verweisen, daß deine These von der "Atemi-Technik" ebenfalls NICHT stimmt.
Nur der Vollstängkeit halber: es ist nicht meine These, sondern ich habe mich stets auf Otaki/Draeger bezogen, die da geschrieben haben:
Otaki/Draeger, S 443 hat geschrieben:The form of this blow was taken by the founder from jujutsu tactics of atemi-waza, the most effective of which positions the fist directly overhaed preporatory to downward delivery to the top of the enemy´s head.
Dass dieser Schlag in der NNK keine "Atemi-Technik" sei, geht auch aus dem Zitat von "sam" gar nicht hervor. Dort steht doch ausdrücklich, dass es viele Arten zu schlagen gibt - auch von oben. Es steht weiter dort, dass die Frage der Effektivität für die Auswahl des Angriffs zu seoi-nage keine Rolle spielte, was ein eindeutiger Hinweis ist, dass es zumindest Zweifel daran gab, ob dieser Schlag eine effektive Angriffsform darstellen würde. Ungeachtet dessen gibt es aber unter den Atemi-Waza des Kodokan-Judo tatsächlich einen entsprechenden Schlag (Uchi-oroshi) (zum Nachschlagen Kodokan-Judo S. 136 dt Ausgabe), der BTW als Angriff in der Ju-no-Kata vorkommt, dort jedoch mit dem Faustrücken "geschlagen" wird.

Ich habe stets geschrieben - und Du kannst es gerne raussuchen - dass dieser Angriff eine Modellfunktion hat, die auf andere Situationen übertragbar ist. Ich nehme Dir die Arbeit aber gerne einmal ab:
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 866#p40866
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 878#p40878
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 034#p41034
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 898#p40898
und als Abschluss vielleicht noch:
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 920#p40920

Wo ich schrieb:
... außer der - vielleicht sogar zutreffenden - Anmerkung, ein derartiger Faustschlag sei nicht effektiv....
Lieber Tom, bitte mache Dir doch einmal die Mühe und lies meine Beiträge etwas gründlicher, gerne auch die vielen anderen, die ich hier im Forum dazu geschrieben habe. An keiner Stelle wirst Du von mir eine Behauptung finden, die darin mündest, dass ich diese Art des Schlagens als effektiven Angriff bezeichnet habe. Ich habe in diesem Punkt Otaki/Draeger zitiert (und als Zitat kenntlich gemacht) und ich habe - s.o. - Deine Anmerkungen bezüglich Effektivität auch erst genommen.

Wenn Du meinst, feststellen zu müssen, dass ich mich geirrt hätte, dann suche doch bitte die entsprechende Textstelle heraus und (poste sie hier), in der ich etwas anderes geschrieben habe, als aus dem Beitrag von "sam" hervorgeht.
kanou65m hat geschrieben:lso weder Faustschlag noch Schwert/Stockangriff, sondern lediglich ein Hilfsmittel, um den Wurf genauer zu beschreiben?
Ist das vielleicht ein Unterschied zwischen dem einfachen Erlernen der Technik (Hilfsmittel) und der Ausführung in der Kata (Schwert)?
NEIN - ein Faustschlag, so wie es überall steht! Der Grund dafür, dass genau diese Form des Schlagens gewählt wurde und keine andere liegt darin, dass sich dieses Beispiel besonders gut dafür eignet, um den Seoi-nage zu lernen/üben. Aber es ist und bleibt ein Schlagen!

Was aber an diesem Beispiel sehr schön deutlich wird, ist der Zweck, der mit der Nage-no-Kata verfolgt wird. Nämlich ein möglichst optimales Studium der Wurftechniken zu ermöglichen. Von daher ist die Auswahl der "Situationen" - wenn ich das einmal verallgemeinern darf - so gewählt worden, dass optionale Lernvoraussetzungen für die jeweiligen Techniken bestanden, die natürlich auf andere Situationen übertragbar sein mussten und müssen.

Es heißt Abschied nehmen von anderen Vorstellungen.... so wie ich selbst es schon vor 25 Jahren tun musste. Und schon damals musste ich (im DJB bzw damals noch DDK) harte Nüsse knacken.
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tom herold »

Also weder Faustschlag noch Schwert/Stockangriff, sondern lediglich ein Hilfsmittel,um den Wurf genauer zu beschreiben?
Laut Kanôs Aussage: JA.
Ist das vielleicht ein Unterschied zwischen dem einfachen Erlernen der Technik (Hilfsmittel) und der Ausführung in der Kata (Schwert)?
Ich persönlich sehe das durchaus so, ja.
Aber das ist meine ganz persönliche Interpretation, der man nicht zustimmen muß.
Es geht vordergründig darum, den Seoi-Nage zu erlernen, eine Technik, die bspw. in der Tenshin Shinyo ryû enthalten war. Dort gehörte sie, wie andere Wurftechniken auch, zum Nahkampf.
Wobei Nahkampf nicht zwangsläufig bedeutet (wie oft angenommen), daß es sich dabei um eine "waffenlose" Distanz gehandelt hätte.
In den Suhada Bujutsu (den "zivilen", also nicht für das Schlachtfeld konzipierten Schulen) wird genau wie in den Katchu Bujutsu (den "Schlachtfeld-Schulen") sehr viel Wert auf den Umgang mit Waffen gelegt. Der "unbewaffnete" Nahkampf (der eigentlich gar nicht unbewaffnet war, man konnte wurden die Langwaffen nicht zum Einsatz bringen in dieser Distanz) war sozusagen ein "Abfall-Produkt" des Waffentrainings. ;)
Und selbstverständlich ging es dabei vor allem um den Kampf gegen einen oder mehrere bewaffnete Gegner.
Die Prinzipien des "waffenlosen" Nahkampfs (Ringkampf-Distanz, in den Katchu Bujutsu auch als Yoroi-Kumi-Uchi bezeichnet, = Ringen in Rüstungen) leiten sich also in allen Koryû Bugei vom Umgang mit den Waffen ab, den man zuerst erlernte.
Alles, was danach an "waffenlosen" Techniken gelehrtwurde, gehörte zum Mutô Dori (soviel wie "ohne Schwert"). Um aber im Mutô Dori bestehen zu können, mußte man den Umgang mit den Waffen (Schwert usw.) zuerst erlernt haben und beherrschen.
Nur wer wußte, was ihn bei einem Angriff mit Schwert oder Dolch erwartete, war auch in der Lage, das abzuwehren - heute glaubt man oft, das sei nicht mehr nötig.
Ich persönlich habe schon sehr vielen "Könnern" bewiesen, daß sie - weil sie bspw. keine Ahnung vom Umgang mit dem Messer hatten - eben nicht in der Lage sind, einen ernstgemeinten Angriff mit einer Waffe zu überstehen.
Einige wenige Koryû verwenden heutzutage die zu ihrem Curriculum gehörenden Waffen kaum noch. Die beiden bekanntesten "Zweige" der Tenshin Shinyo ryû gehören dazu - möglicherweise (Spekulation) beherrscht dort einfach niemand mehr die Waffentechniken. Oder es gibt andere Gründe, die ich nicht kenne.
Nichtsdestotrotz gehören Odachi und Kodachi laut "Bugei Ryûha Daijiten" zum Curriculum der Tenshin Shinyo ryû.
Und damit zu dem, was Kanô definitiv erlernt haben muß ...

Ich persönlich (!) gehe durch meine Kontakte und Erfahrungen mit und in den Koryû davon aus, daß es tatsächlich zwei Stufen gab/gibt, wenn es um solche Schlagbewegungen wie die des Uke geht - einmal, so sagt ja Kanô, ist es eine Hilfskonstrukion, damit man die Wurftechnik versteht und erkennt, wann und wie sie auszuführen sei.

Zum anderen aber ist es in den Koryû, die ich erlebt habe so, daß eine solche Bewegung stets noch einen weiteren Zweck verfolgt - sie schult den Uke in einer Angriffsbewegung, die mit stumpfen oder scharfen Waffen elementar ist (Shômen Uchi).
Diese Angriffsbewegung existiert nicht als "waffenlose Technik der Atemi-Waza", weil sie dort völlig sinnlos und ineffektiv wäre. (Bud Spencer läßt grüßen) :P

Wir haben bislang von Kanô die Aussage, daß NICHT geübt wird, wie man schlägt, sondern wie man wirft - Uke übt also laut Kanô nicht gleichzeitig das, was in den Koryû selbstverständlich war.
Das irritiert mich ein wenig, vor allem, da Kanô an anderer Stelle sinngemäß sagt, daß jede Bewegung im Jûdô "nützlich" sein und möglichst mehrere Aufgaben erfüllen solle - ich nehme es aber so hin (was kann man gegen Kanô sagen?) ;)

Ich persönlich habe aber die Erfahrung gemacht, daß es sehr sinnvoll ist, die Bewegung Ukes im Sinne der Koryû zu interpretieren und auch so zu üben.
Schwertbewegungen sind Wurfbewegungen. Das versteht man sicher nur, wenn man sich den Koryû, vor allem dem Kenjutsu widmet. Die Handwürfe etwa habe ich erst wirklich anzuwenden gelernt, als ich begann, mit dem Iaitô zu trainieren.
Nein, es ist nicht zu erwarten, daß heute jemand mit dem Katana angreift ... aber wenn man im Mutô Dori gelernt hat, ein Schwert zu umgehen, hat man mit einem Angreifer, der bspw. eine Baseballkeule führt, auch kein Problem.

Wir halten fest: für das Erlernen des Prinzips "Seoi-Nage" genügt es laut Kanô zunächst, daß Uke einen Schlag von oben her gegen Tori führt, weil auf diese Weise das Gewicht Ukes am besten nach vorn kommt und man so am besten Seoi-Nage üben kann.
Kein Schwert in dieser Phase des Übens, aber eben auch kein ernstgemeinter Atemi, den man unbedingt abwehren muß, weil er sonst Schaden anrichtet ...

Gut, ich denke, daß wir alle nun etwas gelernt haben.

Mein Dank gilt vor allem Katana, der das Zitat fand, welches wir ALLE übersehen hatten.
:D

PS: Lieber Tutor, deine Aussagen bzgl. der Schlagbewegung Ukes wurden nicht nur von mir so interpretiert, daß du sie als Atemi verstanden und als solchen verteidigt hast. Du hast sogar geschrieben, daß es diesen Atemi noch heute in der Tenshin Shinyo ryû gäbe ...
Kannst du nicht einfach, so wie ich auch, mal von deinem hohen Roß runterkommen und zugeben, daß auch du dich ganz einfach geirrt hast?
Du hast - ich hab jetzt keine Lust, das rauszusuchen - geschrieben, daß dieser Schlag möglicherweise nur ineffektiv sei, weil er heutzutage falsch ausgeführt werde - oder etwa nicht?

Komm wieder runter. Laß gut sein, hör auf dich zu rechtfertigen und vergangene Aussagen als "aber doch irgendwie richtig" darstellen zu wollen.
Ich tu's auch.
Ich gebe zu: ICH HABE MICH GEIRRT.
So.
Laß uns endlich aufhören,uns gegenseitig Irrtümer und Fehler vorzuwerfen.
Bringt doch nichts.
Ich hab mich geirrt (und nicht nur einmal), du hast dich geirrt.
Ist doch gut, das zu wissen - kann man doch dann künftig vermeiden, oder?
Ist doch gar nicht so schwer ...
:alright
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tutor! »

böser tom hat geschrieben:Ich gebe zu: ICH HABE MICH GEIRRT.
Ich könnte jetzt leicht die entsprechenden Quellen heraussuchen, auf die ich mich bezogen habe. Sie würden ein etwas anderes Bild ergeben, aber ich lasse das mal bleiben.

Allerdings wünsche ich mir von Dir eine Aussage, wie Du zu all den Leuten stehst, denen Du teilweise in sehr beleidigender Art Dinge wie "Inkompetenz", "Verbohrteit", "mangelnden Lernwillen" usw. unterstellt hast, obwohl sie lediglich nicht jenen Positionen gefolgt sind, von denen Du heute sagst, dass Du im Irrtum warst.

Ich finde, Du bist diesen Menschen noch etwas schuldig. Wie siehst Du das?
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Vorsicht bei Zitaten !

Beitrag von Reaktivator »

Ich freue mich natürlich immer wieder, wenn ich sehe, daß andere endlich auch zu der Erkenntnis gelangen, die ich schon lange hatte... ;-)
Reaktivator hat geschrieben:Kann nicht ein Faustschlag von oben ...... einfach nur ein Faustschlag von oben sein?
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 893#p40893

Deshalb möchte ich den Enthusiasmus auch nur ungern bremsen...

...aber andererseits gehöre ich zu den Leuten, die alles kritisch hinterfragen - und wollte deshalb die zitierte Fundstelle einmal nachprüfen, zumal mir wegen der Jahreszahlen direkt spontan Zweifel kamen:
tutor! hat geschrieben:Katana hat beim Lesen des englischen Forums eine Übersetzung eines Artikels von 1906 (dem Jahr der Kata-Festlegung durch die Butokukai) gefunden, in dem durch Kano autorisiert die Hintergründe für den Angriff bei Seoi-nage erläutert werden.
Ich zitiere aus dem englischen Forum (http://JudoForum.com/index.php?s=&showt ... t&p=486238):
sam hat geschrieben:Now this seems to be more important ... In 1906 for about one year Great Masters like Murakami, Nagaoka, Yamashita contributed their article in the magazine JUDO on the NNK, fully delegated by Jigoro Kano. And in the first page on Seoinage, I find the following sentence.
(...)
What it says is, then, we are learning how to throw and not how to strike.
Nun, die Quelle ist benannt, Yamashita und Nagaoka waren sogar bei der Kata-Standardiseirung der Butokukai dabei, J. Kano hatte alles abgesegnet. Die zentrale Aussage ist: der Angriff wurde danach ausgewählt, dass sich für den Seoi-nage eine günstige (Lern-)Gelegenheit ergibt. Die Frage der Selbstverteigung und des effektiven Angriffs war zurückgestellt ("So which way of striking is more efficient is irrelevant now")

Ich bin in einem früheren Faden aufgefordert worden, eine Quelle von Kano zu liefern. Ich bitte diese also solche zu akzeptieren.
In dieser Form kann man das definitiv nicht als "Quelle von Kano" akzeptieren!

Zur Begründung:

1) Die Zeitschrift "Jūdō" gab es erst ab 1915 (bis 1918, dann wurde sie eingestellt - und erst später, ab 1930, wieder regelmäßig herausgegeben).

2) Im angegebenen Jahr gab es interessanterweise überhaupt keine der bekannten Kōdōkan-Zeitschriften:
a) "Kokushi" erschien zwar schon ab 1898, wurde aber im Dezember 1903 eingestellt.
b) "Yūkō no katsudō“ gab es erst ab 1915
c) Und "Sakkò" gab es erst ab 1922
(Nachzulesen u.a. auch in der Dissertation von Andreas Niehaus - wenn auch mit leicht anderen Jahreszahlen, da er dort nur den Zeitraum angibt, in dem Kanō selbst dort veröffentlicht hat.)

3) Die auf Japanisch verfügbare Bibliographie der Schriften Kanōs weist für das ganze Jahr 1906 nur eine einzige Veröffentlichung Kanōs aus - wo es nicht um konkrete Techniken, sondern um das mehr übergeordnete Thema "Jūdō als Leibeserziehung" geht.

Vielleicht ist die zitierte Passage einfach nur unklar formuliert? Vielleicht ist durch einen Schreibfehler eine falsche Jahreszahl hineingekommen? Vielleicht wurden Jahreszahl und Name der Publikation vertauscht? Vielleicht stammte der Artikel aber auch gar nicht von Kanō sondern von "Great Masters like Murakami, Nagaoka, Yamashita"...? Wobei sich dann allerdings auch die Frage stellt, wann und wo er denn nun erschienen ist...

Vielleicht ist es aber ja auch möglich, diese Fragen zu klären - z.B. indem jemand den dortigen User "sam" kontaktiert und ihn bittet, seine Literaturangabe etwas zu präzisieren... ;-)
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(Alte Internet-Weisheit, frei nach "Reaktivator")
tom herold
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tom herold »

Ich denke nicht, daß ich mich nun undifferenziert bei aller Welt zu entschuldigen habe.
Es mag sein, daß ich dem einen oder anderen tatsächlich Unrecht getan habe.
Ich will nun aber nicht belegen müssen (was ich könnte) wer mir alles die gleichen oder ähnliche Dinge unterstellt hat, wer dabei sehr, sehr persönlich geworden ist ... und wer tatsächlich verbohrt an unsinnigen, widerlegten Vorstellungen festhielt / festhält.
Ich sagte, daß ich von meinem hohen Roß runterkomme und zugebe, mich an einigen Stellen geirrt zu haben.
Ich sage nicht, daß ich mich nun prinzipiell und überall und immer geirrt hätte.
Ich mache keinen Kotau, nur um Ruhe zu haben ...
Ich habe den ersten Schritt getan - nun wären einige andere dran, nicht wahr?

Was Entschuldigungen angeht, so wollen wir es erst einmal dabei belassen, daß wir ALLE uns zu entschuldigen hätten, wenn es um gegenseitige Kränkungen geht, nicht wahr?
Nochmal - ich habe mich hier und da geirrt und nehme das Recht in Anspruch, mich als fehlbarer Mensch irren zu dürfen.
Ich habe - und bisher sehe ich mich da allein auf weiter Flur - auch ÖFFENTLICH ZUGEGEBEN, daß ich mich an einigen Stellen geirrt habe.

Sollte es nun so sein, daß niemand anders das Bedürfnis hat, ebenfalls zuzugeben, daß er sich geirrt hat?
Das wäre aber sehr schade ...


@Reaktivator: damit wäre die Debatte wieder offen ... ;)
Nee, ich denke schon, daß wir das erstmal so gelten lassen müssen, auch wenn's vielleicht nicht von Kanô selbst stammt.
:D
kanou65m
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von kanou65m »

Hallo Tom,
Das ist ja wirklich sehr ernüchternd, wenn Kano diese Vorwärtsbewegung lediglich als Hilfsmittel verwendet wissen wollte. Ich fand die Idee mit dem Schwert irgendwie schöner und auch anschaulicher.
Deine Übertragung eines Schwertangriffs auf einen heutigen Angriff mit einem Baseball-Schläger finde ich sehr gut - kann man gut ins Training integrieren.Schön vorsichtig natürlich.

Hallo Tutor
Diesen - wie tom schreibt - "Bud Spencer Schlag" zu verwenden, paßt irgendwie auch nicht so schön wie ein Schwert.
Vielleicht dachte Kano an sowas:

[ externes Bild ]
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tom herold
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tom herold »

Hallo Kanou65,
wie wir dank Reaktivator nun wissen (nochmal danke dafür, Reaktivator!) ist nicht sicher, daß das Zitat, welches mich mehr oder weniger zum Einlenken bewog, wirklich von Kanô stammt ... ;)

Ich denke, daß wir nur weiterkommen wenn wir

1) ... konzedieren, daß Kanô möglicherweise diese "Schlagbewegung" so in die Kata eingebaut hat, weil man dadurch de Uke am besten mit Seoi-Nage werfen und so das Wurfprinzip schnell verstehen konnte, (mit dieser Idee könnte ich gut leben)

2) ... konzedieren, daß es einen solchen Schlag (Shomen Uchi) gegen den Schädel als Atemi (Tettsui)nicht gibt, weil er total ineffektiv ist, was nicht nur ich bis zum Überdruß empirisch bewiesen habe,

3) ... uns daran erinnern, was Kanô (Katana hat das ja extra nochmal zitiert) über die "Nützlichkeit" von Bewegungen im Jûdô schrieb,

4) ... konzedieren (was ja selbst Tutor getan hat) daß die Schlagbewegung Ukes durchaus auch als Angriffsbewegung mit einer Waffe verstanden werden kann.

Ich weiß nicht, ob es tatsächlich Kanôs Absichten entsprochen hat, den Schlag des Uke "nur" als Hilfsbewegung verstanden wissen zu wollen.
Möglicherweise sind das wirklich zwei Schritte: zuerst vernachässigt man, was diese Schlagbewegung alles sein kann, damit man sich darauf konzentrieren kann, das Wurfprinzip "Seoi-Nage" zu üben und zu verstehen, um danach zu eruieren, was denn konkret als Angriff "von oben vorn" dienen könnte, um gegen solche Angriffe bspw. mit Seoi-Nage oder Ura-Nage usw. zu reagieren.
Das wiederum würde der Lehrmethode einiger Koryû (soweit ich das beurteilen kann) durchaus entsprechen.
Ich denke, daß man Schritt 1 zuerst gehen sollte, aber daß man Schritt 2 dann nicht weglassen darf mit der Begründung, daß ja in Schritt 1 (noch) gar nicht wichtig ist, welchen konkreten Anwendungshintergrund Ukes bewegung hat ... ;)

In jede Fall bleibt das Kuriosum (oder ist es gar keins?) daß selbst in sehr alten Filmaufnahmen der Nage-no-Kata hin und wieder deutlich zu sehen ist, daß Uke insgesamt eine Bewegung ausführt, die identisch ist mit dem Ziehen, dem ersten Schnitt und dem daran anschließenden Ausholen des Schwertes zum Schlag - übrigens durchaus auch einhändig (das Katana muß nämlich nicht zwangsläufig beidhändig geführt werden, wie ich aus meinem intensiven Training mit dem Iaitô weiß).

Die zeitliche Nähe der Erstellung der Nage-no-Kata zu den Koryû ist imho kein Zufall.
Aber wie gesagt - das darf jeder anders sehen.

Eines noch - es gibt in den Koryû, in denen ich bisher trainieren konnte, ähnliche Dinge.
Es gibt in einigen Kata dort eine exakt gleiche Schlagbewegung Ukes wie in Nage-no-kata.
Nur daß eben in den Koryû niemand auf die Idee kommt, das als Atemi zu interpretieren.
Dort ist absolut eindeutig klar, daß es sich um einen Angriff mit dem Schwert bzw. einer Blankwaffe handelt. Wenn Yamamoto Lust hat, wird er vielleicht als traditioneller, in Japan ausgebildeter Schwertlehrer noch etwas dazu sagen - oder auch nicht.

Bleiben wir vorläufig bei dieser Erklärung: die Bewegung in Nage-no-Kata an sich dient zuerst dem besseren Verständnis von Ukes Gewichtsverlagerung, der mit dem Seoi-Nage-Prinzip (oder Ura-Nage oder Yoko-Guruma oder Uki-Goshi) begegnet wird. Der späteren Umsetzung dieser Prinzipien im Kampf (UND NUR DARUM GEHT ES DOCH, ODER?) ist es mehr als förderlich, wenn die Bewegung Ukes dann konkretisiert wird - wenn man also ernsthafte Angriffe sucht, bei denen diese Bewegung eine entscheidende Rolle spielt, und das sind nunmal ausschließlich Waffenangriffe.

So sehe ich das.
tutor!
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tutor! »

Ich hatte schon gesehen, dass das nicht von Kano selbst war.... aber eben - nach Aussage von "sam" von ihm autorisiert. Jedenfalls habe ich bereits alles in die Wege geleitet, um nicht nur diese eine Stelle zu bekommen, sondern die ganze Artikelreihe. Ich brauch dann nur noch jemanden, der mir altjapanisch übersetzt :? Aber ich hab da so eine Idee :D
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tom herold »

Gut, dann denke ich, daß für den von mir so benannten "Schritt 1", also das Erlernen des Prinzips "Seoi-Nage" eine "Hilfsbewegung" zu konzedieren ist.
Die zunächst einmal nichts anderes ist als das.
Soweit Konsens?
tutor!
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von tutor! »

böser tom hat geschrieben:Gut, dann denke ich, daß für den von mir so benannten "Schritt 1", also das Erlernen des Prinzips "Seoi-Nage" eine "Hilfsbewegung" zu konzedieren ist.
Die zunächst einmal nichts anderes ist als das.
Soweit Konsens?
Hilfsbewegung ist ein Begriff, der mir so gar nicht liegt. Wenn Du damit meinst, dass diese Situation aus methodischen Gründen ausgewählt wurde, dann haben wir Konsens.

Wobei mir noch nie so deutlich wurde, dass für die Auswahl der Situationen, die Frage des Lernens ganz offensichtlich im Vordergrund stand.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
pmhausen

Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von pmhausen »

tutor! hat geschrieben:
böser tom hat geschrieben:Gut, dann denke ich, daß für den von mir so benannten "Schritt 1", also das Erlernen des Prinzips "Seoi-Nage" eine "Hilfsbewegung" zu konzedieren ist.
Die zunächst einmal nichts anderes ist als das.
Soweit Konsens?
Hilfsbewegung ist ein Begriff, der mir so gar nicht liegt. Wenn Du damit meinst, dass diese Situation aus methodischen Gründen ausgewählt wurde, dann haben wir Konsens.

Wobei mir noch nie so deutlich wurde, dass für die Auswahl der Situationen, die Frage des Lernens ganz offensichtlich im Vordergrund stand.
Womit wir dann wieder bei der Frage wären, wie wir in den Vereinen die NNK vom Sockel der feierlichen Demonstration heruntergeholt und in das methodisch durchdachte Trainingswerkzeug verwandelt kriegen, das sie augenscheinlich ist. Ich hab' da aber durchaus Hoffnung ... ;)

Grüße,
Patrick
Reaktivator
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von Reaktivator »

tutor! hat geschrieben:Wobei mir noch nie so deutlich wurde, dass für die Auswahl der Situationen, die Frage des Lernens ganz offensichtlich im Vordergrund stand.
Interessant im Zusammenhang mit dieser Diskussion ist vielleicht auch noch etwas anderes:

Es gab im Tenjin Shin'yō-ryū (nachfolgend: TJSYR) mehrere Wurftechniken, bei denen der Angreifer zunächst mit einem Schlag von oben zum Kopf angegriffen hat, die als Kata geübt wurden (Folgt man einem der ersten Links in diesem Faden zum englischsprachigen Judoforum.com, finden sich auch einige alte Abbildungen), wie z.B. "Shumoku" (auch "Shimoku"), "Karisute" und "Kuchikitaoshi".

Andererseits gab es auch einen "Seoinage" - allerdings nicht als Bestandteil einer Kata, sondern als Randori-Technik. Er wurde demzufolge im TJSYR nicht mit besagtem Angriffsschlag geübt.

Kanō hat also hier - wie an vielen anderen Stellen auch - eine Synthese gemacht, konkret also den ohnehin im TJSYR vorhandenen Angriff mit einer anderen Technik kombiniert.

Ähnlich verhält es sich u.a. auch mit "Yokoguruma": Zwar keine explizite Randori-Technik, sondern - genau wie die drei oben genannten Beispiele - Bestandteil der Lerngruppe "Nagesute" ("Würfe"), die als Kata geübt wurden, wurde in der TJSYR aus einer anderen Situation heraus geübt (Uke steht versetzt neben/hinter Tori und greift in den Gürtel - ähnlich wie bei Tai etc. in der Koshiki-no-kata).
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katana
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von katana »


den Link hat Hofi im anderen Faden gepostet.
ich finde er passt auch hier sehr gut. Bei ca 1.04 ist ein Angriff mit Dolch zu sehen,
der vom Bewegungsmuster und Schrittfolge wie der "Schlagangriff" in der NNKata ausgeführt ist.
Wlad
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von Wlad »

Zu der These, ob es sich bei diesem Schlag von oben um Atemi-waza handelt oder nicht: ich hatte vor kurzem das Glück einen Menschen kennen zu lernen, der sich mit Atemi-Punkten sehr gut aus kannte. Dieser Mensch ist Arzt und hat eine wirklich fundierte Ausbildung (praktisch und theoretisch), was solche Punkte angeht. Es gibt tatsächlich an dieser Stelle einen Atemipunkt. Dieser wird allerdings NICHT mit der Bewegung aus der KNK angegriffen (obwohl entsprechendes Atemi in bestimmten Phase durchaus eine Ähnlichkeit mit der Bewegung aufweist)! Deswegen könnte es hier meiner Meinung nach zur Vermischung von zwei Techniken kommen - einer vom äußerlichen Ablauf ähnlichen aber nicht gleichen(!) Atemi-waza und der Bewegung in der Kata, welche zufällig auf die gleiche Region zielt.
Handelt es sich bei der Bewegung um einen Schlag/Waffentechnik? Meine wenige Erfahrung mit den Formen aus Taichi zeigt - es ist egal. Diese Bewegung ist eine Illustration für eine Situation. Für Tori ist es einfach eine sinnvolle Ausgangssituation für Seoi-nage, nicht mehr und nicht weniger.
Allerdings macht für Uke diese Bewegung in meinen Augen nur als eine Waffentechnik einen Sinn! Wer behauptet, dass man so mit einem dünnen Handknochen etwas gegen die bestgepanzerte Stelle des menschlichen Körpers ausrichten kann, hat einfach keine Ahnung vom Schlagen, von dem unwahrscheinlichen Fall mal ausgenommen, dass es tatsächlich ein Detail vergessen worden, welches diese Technik effektiv machte. Es gibt zwar einige Experten, die extreme Abhärtungsmethoden benutzen und so auch mit solchen Techniken Schaden anrichten können, das läuft aber gegen das Prinzip Seiryoku Zenyo und auch Judo ichidai.
Lin Chung
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von Lin Chung »

Hallo Wlad

da du einen Atemipunkt ins Spiel gebracht hast, würde ich gerne wissen,
wo dieser Vitalpunkt sitzt. Vielleicht kann dir dein Freund etwas dazu sagen,
denn es ist meiner Meinung nach wichtig.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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kastow
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Re: Faustschlag oder doch ein Schwert?

Beitrag von kastow »

Im Buch "Kôdôkan-Jûdô" (dt. Ausgabe 2007) wird dieser Punkt auf Seite 138 als "Tentô" bezeichnet. Anscheinend handelt es sich um die Stirnfontanelle (Fonticulus anterior) am Schnittpunkt zwischen Kranznaht (Sutura coronalis) und Pfeilnaht (Sutura sagittalis). Fontanellen sind die Lücken im Schädel, die dem Schädel die nötige Flexibilät für die Geburt geben. Die Stirnfontanelle schließt sich innerhalb der ersten zwei Lebensjahre. Während z.B. das Stirnbein (Os frontale) also sehr stabil und ein Schlag auf dieses nutzlos ist, ist die Stirnfontanelle eher z.B. der Seitenfontanelle (Fonticulus sphenoidalis) vergleichbar, die umgangssprachlich häufig als Schläfe bezeichnet wird.

Wieviel Kraft für eine ernsthafte Schädigung, z.B. Hirn-Schädel-Trauma nötig wäre, habe ich leider noch nicht gefunden.
Zuletzt geändert von kastow am 08.11.2009, 14:18, insgesamt 2-mal geändert.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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