Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan & IJF

Hier geht es um einzelne Begriffe und deren wörtliche Übersetzung bzw. deren Bedeutung in verschiedenen Zusammenhängen.
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CasimirC
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Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan & IJF

Beitrag von CasimirC »

Im aktuellen Judo Magazin des DJB ist ein sehr interessanter Artikel erschienen, in dem sich der "israelische Experte Amos Gilad*" sich kritisch zum Technikkanon des Kodokan (und deutlich auch zur Systematik von T. Daigo) äußert [sofern das rechtlich erlaubt ist, könnte ich den Artikel gern hochladen].

Ich weiß nicht, ob der Artikel irgendwo verfügbar ist, ich möchte versuchen, ihn mit wenigen Sätzen zusammenzufassen.

Gilad kritisiert die Festlegung des Kodokan auf 67 Techniken und somit auch auf 67 Technikbezeichnungen, weil somit zahlreiche Würfe als Varianten bereits bekannter Würfe eingeordnet würden, obwohl sie vom Prinzip her den übergeordneten Techniken bereits wiedersprächen. Die störe einerseits die Systematik, andererseits störe dieser enge Kanon das Verständnis für die Techniken und die Kommunikation zwischen Judoka über diese Techniken.

Er nennt 4 Beispiele:
1. Te-guruma vs. Sukui-nage
Seiner Ansicht nach handelt es sich um zwei grundsätzlich verschiedene Würfe (ausheben vs. kippen; Wurfrichtung), die dennoch nach Daigo in die gleiche Gruppe gehören, wobei Te-guruma eine besondere Form von Sukui-nage sei.

2. Tani-otoshi als "Warenkorb"
Er kritisiert, dass zu viele Techniken, die weit von dem von ihm als eben dieser charakterisierten Tani-otoshi abweichen, dennoch als Varianten zu eben diesem Wurf gezählt werden. Er erläutert das am Beispiel eines "Nidan-ko-soto-gake/ -gari" und eines "Katate-sukui-nage". Diese würden aktuell lt. Gilad zu Tani-otoshi gezählt, obwohl es sich um grundsätzlich andersartige Würfe handele.

3. Sasae-tsuri-komi-ashi vs. Hiza-guruma vs. "Ashi-kubi-guruma"
Vorgehen wie oben: Die Form des STKA wird als sehr eindeutig beschrieben, die beiden anderen Techniken werden strikt von STKA getrennt aufgrund von Zugrichtung, Moment des Angriffs,...usw.

4. O-uchi-gari vs. O-uchi-barai
Diese Diskussion sollte bekannt sein.**

Er bezieht sich zudem auf einen weiteren seiner Artikel in Ausgabe 03/2012, den ich jedoch leider nicht mehr nachlesen kann, da mir diese Ausgabe fehlt. Dort habe er sich bereits zur Problematik Seoi-nage vs. Seoi-otoshi geäußert, da Daigo und Kodokan dem ursprünglichen Seoi-otoshi "plötzlich [...] einen neuen Namen" aufzwingen wollten.


Was haltet ihr denn von dieser Kritik?
Beschränkt die Festlegung auf 67 Techniken und Bezeichnungen das Verständnis für Judo und die Techniken? Verhindert diese Maßnahme eine sinnvolle, gelingende Kommunikation zwischen Judoka?
Behindern weitere, genauere Bezeichnungen für jede kleine Abwandlung einer Technik nicht viel eher die Kommunikation über diese Technik?

Ist die aktuelle Kodokan-Systematik zu kompliziert, weil sie zu starr ist, oder wäre eine Erweiterung der Technik-Systematik und -benennen nicht vielleicht doch noch komplizierter, schlicht weil man noch viel mehr Details und entsprechende japanische Terminologie zu den Details wissen müsste?

Ich tendiere für meinen Teil zu letzterem, zumal ich die Benennung der Kodokan-Techniken in erster Linie als sehr bildhafte Namensgebung verstehe, und nicht als wissenschaftlich-analytischer Benennungskodex. Ein Beispiel hierfür ist für mich Kuchiki-taoshi.
Außerdem würde eine zusätzliche weitere Aufdröselung mehrerer Technikvarianten in weitere Würfe wohl einen schier endlosen Rattenschwanz an Wurfneuerfindungen und -benennungen nach sich ziehen, was wohl für nicht geringe Verwirrung sorgen würde.


*ist das der israelische Reserve-General, von dem man häufiger mal hört?

** Gilad übersetzt das Wort "gari" mit "ernten", und eben aufgrund dieser Tatsache sei die deutsche Übersetzung "sicheln" nachvollziehbar, da mit dem Bein quasi eine solche 'Erntebewegung' mit dem Werkzeug Sichel gemacht würde. Er kritisiert jedoch, dass die Bewegung beim O-soto-gari eher dem 'Sensen' gleiche, daher der Begriff "sicheln" falsch sei. Kommt "gari" wirklich von "kari" = "ernten", und kommt die Bezeichnung des "Sichelns" im Judo wirklich hiervon?
Zuletzt geändert von CasimirC am 12.11.2012, 21:04, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von tutor! »

Nichts behindert eine Kommunikation mehr, als eine einseitige/regionale Umdefinition der Bedeutung von Fachbegriffen. Aus diesem Grunde tut Gilad dem Judo keinen Gefallen.

Im Prinzip macht er nichts anderes, als die Leute vor ihm, die uns überhaupt erst eine uneinheitliche Terminologie beschert haben.

Die Benennungen von Techniken folgen bim Judo keinem einheitlichen Konzept, sondern sind historisch gewachsen. Manche beschreiben Aktionen (O-soto-gari, de-ashi-barai usw), manche beziehen sich auf Körperteile (Hiza-guruma, Uki-goshi), manch beschreiben eine äußere Form (Tomoe-nage), andere sind Metaphern aus der Natur (Yama-arashi) usw. Hinter dem Namenssystem steckt nun einmal kein biomechanisches Ordnungssystem. Dies wurde aber oft hineininterpretiert und dann an den Namen herumgebastelt. So entstanden in Europa neue Namen, wie z.B. Ko-uchi-berei. Während in Japan die Einführung des Namens verworfen wurde und alles bei ko-uchi-gari blieb, verwenden einige europäische Verbände ko-uchi-barei.

Auch Amos Gilad gehört zu den Namensbastlern (z.B. Katate-sukui-nage).

Gilad beschwert sich einerseits, dass Techniken, die jahrelang auf eine bestimmte Art bezeichnet wurden nun anders heißen sollen (Beispiel seoi-nage/seoi-otoshi), andererseits will er selber Techniken, die bislang eindeutig bezeichnet sind umbenennen, wenn (ihm) die Namen nicht passen. Seine Ausführungen sind damit leider voller Widersprüche...

Unter dem Strich muss man sagen, dass die Verbände viel zu lange die offiziellen Namen der Techniken ignoriert haben (sie liegen ja seit 30 Jahren vor) und dass man sich nicht zu wundern braucht, dass die Benennungen international auseinander gedriftet sind.

Eine Einheit der Benennungen herzustellen, ist im Zeitalter global verfügbarer Lehrmedien sicherlich wichtiger, als dass jeder "Fürst" seine eigenen Benennung durchsetzen kann.

Ich bin auch sicher, dass es Reaktionen auf die Artikel von A. Gilad im Judo-Magazin geben wird.
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von HBt. »

Hi Casimir,
Du kannst Amos eine PN schicken; Amos Gilad ist registrierter User dieses Forums, mit seinem Realnamen (amgilad).

Gruß,
HBt.


PS Den Artikel kenne ich nicht, möglicherweise kann man ihn irgendwo online lesen oder ist er exklusiv nur fürs JM geschrieben worden?
katana
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von katana »

Ich halte zwar die Technikeinteilungen im "Daigo" auch nicht für ausnahmslos geglückt, wie ich ja bereits vor einiger Zeit schon erwähnte,....
allerdings hat tutor! recht,
denn die Vorschläge von Amos Gilad , und dessen Kritik sind ebenfalls problematisch.
Vor allem muß man bedenken, daß im "Daigo" versucht wurde Technikgruppen unter einem Namen zusammenzufassen,
(leider nicht konsequent und leider nicht immer sinnvoll) , wogegen Amos Gilad für jede Technik einen
Eigennamen
wünscht.
Insofern müssen die Vergleiche, die er anführt, zwangsläufig hinken.
Zudem interpretiert er, wie z.B. bei Sukui Nage völlig andere Wurfprinzipien, als die vom Kodokan verwendeten,
sieht aber bei Seoi Nage und Seoi Otoshi prinzipiell keinen Unterschied..... ???

Es gäbe in der Tat ganz deutliche und berechtigte Kritikpunkte an der Einteilung der "67er", allerdings hat Amos Gilad da bei seinen gewählten Beispielen (meine Meinung) deutlich am Ziel vorbeigeschossen. :dontknow
KK
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von derLichtschalter »

CasimirC hat geschrieben:** Gilad übersetzt das Wort "gari" mit "ernten", und eben aufgrund dieser Tatsache sei die deutsche Übersetzung "sicheln" nachvollziehbar, da mit dem Bein quasi eine solche 'Erntebewegung' mit dem Werkzeug Sichel gemacht würde. Er kritisiert jedoch, dass die Bewegung beim O-soto-gari eher dem 'Sensen' gleiche, daher der Begriff "sicheln" falsch sei. Kommt "gari" wirklich von "kari" = "ernten", und kommt die Bezeichnung des "Sichelns" im Judo wirklich hiervon?
Dazu hat Daigo ja auch was geschrieben. Ich hab das Buch gerade nicht zur Hand, aber wenn ich mich richtig erinnere, steht das im Band 2, Ashi-waza, auf den Seiten 120-122 recht ausführlich beschrieben.
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von tutor! »

Gari/Kari leitet sich aus '"karu" (刈) ab und bedeutet zunächst einmal (werkzeugneutral) so viel wie abschneiden. Erst in Verbindung mit anderen Kanji ergeben sich nähere Bestimmungen, z.B. "sicheln" in Verbindung mit dem Werkzeug Sichel (Kama, 鎌). Mit "Kama" wird z.B. die Fußhaltung bei Ko-uchi-gari beschrieben ("den Fuß sichelförmig nach innen drehen").

(刈): http://www.saiga-jp.com/cgi-bin/dic.cgi ... 8631_81303
(鎌): http://www.saiga-jp.com/cgi-bin/dic.cgi ... 8631_81303

Reaktivator kann das sicher noch ausführlicher erklären.

Das Hauptproblem bei diesen Übersetzungen ist ja immer, dass es kaum 1:1 wortgetreue Übersetzungen aus dem Japanischen ins Deutsche oder Englische gibt. Gari wird im englischen oft mit "reap" übersetzt - woraus man dann auch "ernten" machen kann:

http://dict.leo.org/ende?lp=ende&lang=d ... earch=reap
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von katana »

Ich möchte hierzu noch anfügen, daß die Kritik bzgl. O Soto Gari von Amos Gilad meiner Meinung nach durchaus berechtigt ist.
Denn die "übliche" Bewegung, zumindest beim Uchi Komi erinnert mehr an die große Fege/Sense -Bewegung
wie bei Harai Goshi.
Dieser wird jedoch seltsamerweise als "Harai" bezeichnet, was für meinen Geschmack auch besser gewählt ist.

zu "Gari"
Zumindest bei "Kazuzo Kudo" wurde aber früher noch eine Unterscheidung in "Hebe"- u. "Zug"-Sichel erwähnt.
(welche methodisch von unterschiedlichen Standpositionen von Uke abhängig ist,.... aber das ist eine andere Geschichte)

KK
CasimirC
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von CasimirC »

katana hat geschrieben:Ich möchte hierzu noch anfügen, daß die Kritik bzgl. O Soto Gari von Amos Gilad meiner Meinung nach durchaus berechtigt ist.
Denn die "übliche" Bewegung, zumindest beim Uchi Komi erinnert mehr an die große Fege/Sense -Bewegung
wie bei Harai Goshi.
Dieser wird jedoch seltsamerweise als "Harai" bezeichnet, was für meinen Geschmack auch besser gewählt ist.
Bei deinem zweiten Satz möchte ich dir zustimmen, die Bewegung sieht in der Uchi-komi-Form meines Erachtens in der Tat aus wie bei Harai-goshi.

Der Unterschied ist für mich jedoch folgender: Beim O-soto-gari wird durch die Arbeit der Arme in Zusammenarbeit mit einem Positionswechsel Ukes Gleichgewicht auf ein Bein gestellt, welches anschließend von Toris Bein "weggerissen" wird.
Beim Harai-goshi wird Ukes Gleichgewicht durch ein Aufladen auf die Hüfte von Tori gebrochen, sodass Ukes Bein durch den Beineinsatz von Tori nicht mehr weggerissen, sondern vielmehr nach hinten weggedrückt ("gefegt") wird.

Leider kann ich gerade nicht im Daigo nachschauen, um nachzusehen, wie er beide Würfe erklärt (dabei liegen sie eine Etage über mir; bekomme beide Bände zu Weihnachten geschenkt :crybaby ). Hofmann unterscheidet in seinem Buch* ebenfalls anhand der Kriterien, dass es sich bei OSG um ein Sicheln und bei HG um ein Fegen handelt.

Vielleicht ist der Unterscheidungspunkt wirklich die Fußhaltung. Beim OSB sowie bei anderen Sicheltechniken ist der Fuß von Tori ja in der Regel gedreht und zur Fußsohle hin gekrümmt, während beim HG der Fuß zwar gestreckt, aber meines Wissens nicht gedreht ist.

*JUDO. Grundlagen des Stand- und Bodenkampfes. Niederhausen 1973/ 1985.

@tutor: Danke für die Informationen!
Du hast geschrieben, "dass es kaum 1:1 wortgetreue Übersetzungen aus dem Japanischen ins Deutsche oder Englische gibt". Heißt das, dass solche exakten Übersetzungen schlicht nicht möglich sind, so dass jede Übersetzung (noch stärker als bei anderen Sprachen!) eine Interpretation ist?
Und um mal ganz konkret zu sein: Ist die Herleitung von Herrn Gilad nun falsch oder richtig? Kommt der Begriff "sicheln" von der Fußhaltung, oder vielmehr von der Bewegung her? Falls ersteres zuträfe, wäre das ja nicht unbedingt förderlich für seine Argumentation.
Zuletzt geändert von CasimirC am 14.11.2012, 16:43, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von tutor! »

CasimirC hat geschrieben:(...)@tutor: Danke für die Informationen!
Du hast geschrieben, "dass es kaum 1:1 wortgetreue Übersetzungen aus dem Japanischen ins Deutsche oder Englische gibt". Heißt das, dass solche exakten Übersetzungen schlicht nicht möglich sind, so dass jede Übersetzung (noch stärker als bei anderen Sprachen!) eine Interpretation ist?
Und um mal ganz konkret zu sein: Ist die Herleitung von Herrn Gilad nun falsch oder richtig? Kommt der Begriff "sicheln" von der Fußhaltung, oder vielmehr von der Bewegung her? Falls ersteres zuträfe, wäre das ja nicht unbedingt förderlich für seine Argumentation.
Denkt doch bitte mal daran, dass diese Namen bildhafte Beschreibungen sind, die Ende des 19. Jahrhunderts schon so vergeben waren. Glaubt Ihr denn ernsthaft, dass sich da jemand derartige Gedanken über biomechanische Prinzipien gemacht hat?

Deshalb sind derartige Debatten ja auch so fruchtlos - die Namen werden hoffnungslos überinterpretiert und dann wird überlegt, wie die Technik geht und dann überlegt man, ob der Name "richtig" oder vielleicht doch "falsch" ist.

Es gibt Biomechaniker, die teilen O-Soto-Gari und Harai-goshi in dieselbe Klasse von Wurftechniken ein, weil sie sagen, dass abgesehen von der Richtung die Wurfbewegung und die Kraftwirkung nahezu identisch ist. Recht haben sie - gemäß ihrer Argumentation - aber das macht doch jetzt die Namen nicht richtiger und nicht falscher.....
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von CasimirC »

Gilad spricht in seinem Aufsatz ja davon, dass der Technik- und Namenskanon des Kodokan direkt miteinander zusammenhängen und die Bezeichnungen der Techniken diese somit definieren (das lässt sich ja auch aus seiner Idee, neue Wurfnamen einzuführen, um andersartige Wurfprinzipien zu spezifizieren, herleiten).
Ich verstehe dich, tutor!, so, dass die Namen, übertrieben gesprochen, literarische Interpretationen der Techniken waren und auch bis heute sind. Da wäre ich meiner Einschätzung zu Beginn ja nicht allzu weit von dir entfernt.

Wenn ich mit diesem Gedankengang nun an die anderen Punkte seiner Argumentation herangehe, dann stellen sich mir folgende Fragen:
Sind Technikbegriffe wie Nidan-ko-soto-gake, Katate-sukui-nage und Ashi-kubi-guruma eigene Wortschöpfungen von ihm, oder existieren diese Begriffe in irgendwelchen Quellen?
Handelt es sich hierbei um "neue" Metaphern für Techniken, oder handelt es sich um Formulierungen, die exakt die Vorgänge während der Wurftechnik beschreiben?

Vielleicht wäre das ein Ansatzpunkt für eine persönliche Nachfrage bei Herrn Gilad.
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von tutor! »

CasimirC hat geschrieben:Gilad spricht in seinem Aufsatz ja davon, dass der Technik- und Namenskanon des Kodokan direkt miteinander zusammenhängen und die Bezeichnungen der Techniken diese somit definieren (das lässt sich ja auch aus seiner Idee, neue Wurfnamen einzuführen, um andersartige Wurfprinzipien zu spezifizieren, herleiten)..
Genau an der Stelle liegt sein Fehler - und nicht nur seiner.....
CasimirC hat geschrieben:Ich verstehe dich, tutor!, so, dass die Namen, übertrieben gesprochen, literarische Interpretationen der Techniken waren und auch bis heute sind. Da wäre ich meiner Einschätzung zu Beginn ja nicht allzu weit von dir entfernt.
So ist es! Der Namensvergabe liegen verschiedene Gedanken zugrunde, z.B.:
  • Beschreibung der Bewegung, die ausgeführt wird (z.B. de-ashi-barai, o-uchi-gari)
  • Benennung des Körperteils, mit dem geworfen wird (z.B. hiza-guruma, ashi-guruma (Achtung: mal bezogen auf Uke, mal auf Tori)
  • Richtung in die geworfen wird (z.B. ura-nage, yoko-otoshi)
  • Aussehen der Technik (z.B. tomoe-nage --> "Kreiswurf")
  • "Gefühl" beim Werfen oder Fallen (z.B. yama-arashi, tani-otoshi)
Dass aus diesen unterschiedlichen Ansätzen keine biomechamischen Funktionsprinzipien hergeleitet werden können, dürfte eigentlich jedem klar sein.
CasimirC hat geschrieben:Wenn ich mit diesem Gedankengang nun an die anderen Punkte seiner Argumentation herangehe, dann stellen sich mir folgende Fragen:
Sind Technikbegriffe wie Nidan-ko-soto-gake, Katate-sukui-nage und Ashi-kubi-guruma eigene Wortschöpfungen von ihm, oder existieren diese Begriffe in irgendwelchen Quellen?
Handelt es sich hierbei um "neue" Metaphern für Techniken, oder handelt es sich um Formulierungen, die exakt die Vorgänge während der Wurftechnik beschreiben?

Vielleicht wäre das ein Ansatzpunkt für eine persönliche Nachfrage bei Herrn Gilad.
Oder handelt es sich um kompletten sprachlichen Unsinn.... das sollte man dann einen Japaner Fragen. Und dabei ist dann egal, wer ihn produziert hat. Wenn man schon japanische Namen vergeben möchte, sollte man zuerst die Kanji aufschreiben, denn im japanischen gibt es reichlich viele Homophone (Wörter mit gleicher Aussprache, aber unterschiedlicher Bedeutung).

Ich hab mal hier auf "kata" verlinkt:

http://www.saiga-jp.com/cgi-bin/dic.cgi ... 0225_46127

Merke: japanisch ist immer nur dann eindeutig, wenn es auch japanisch geschrieben wurde!
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von katana »

Oder handelt es sich um kompletten sprachlichen Unsinn.... das sollte man dann einen Japaner Fragen
Möglicherweise ,...
vielleicht handelt es sich aber bereits bei den Japanern um sprachlichen Unsinn,...
zumal die Techniken mit Sicherheit nicht von den Japanern erfunden worden sind, und von den Erfindern wohl ganz anders benannt und systematisiert waren..... :alright

KK
Jupp
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Re: Kritik von Amos Gilad an der Namensgebung bei Kodokan &

Beitrag von Jupp »

Ganz neu ist die von Amos Gil´ad im Judo-Magazin geäußerste Kritik an der Namensgebung (bzw. der systematischen Einordnung der Techniken) des Kodokan nicht. Schon im Judo-Sport Journal 27 (3. Quartal 2001), also vor 11 Jahren schrieb er ziemlich sarkastisch: "Der Gedankengang des Kodokan ist klar: es gibt nichts neues unter der Sonne. Was zu Kanos Zeiten geschaffen wurde - ist gut. Was seither geschaffen wurde, ist nur gut, wenn man es als Teil von der Schaffung Kanos darstellen kann." (S. 10)

Er wettert: "Grundsätzlich werden verschiedene Techniken als Versionen einer Technik gesehen, während verschiedene Namen für Techniken gegeben werden, die eigentlich identisch sind."
Als Beispiele für den zweiten Teil seiner Aussage führt er Ko-soto-gari und Ko-soto-gake an, als Beispiel für den ersten Teil dieser Aussage Ko-uchi-gari, Ko-uchi-barai und Ko-uchi-gake, die alle unter Ko-uchi-gari zusammengefasst werden.

Er fragt dann auch, warum das so ist und antwortet: Darum!

Er schließt seinen Artikel mit der Frage: "Sind wir Judoka da, um den vom Kodokan gewählten Namen zu dienen, oder sind die Namen da, um uns zu dienen, um besseres Verständnis und Kommunikation zu ermöglichen?"

Seine Antwort auf diese Frage ist klar.

Aber ist die Frage überhaupt richtig gestellt?


Jupp
HBt.

Der Kôdôkan und die Namensgebung

Beitrag von HBt. »

Hallo!
Irgendwie überfordert mich dieser Faden. Ich habe keine Probleme mit der offiziellen Benennung der Nage-waza und ihrer Spitznamen. Echte Schwierigkeiten habe ich nur bei Phantasienamen, Eigenkreationen ...

Wo liegt denn nun das eigentliche Problem?



Mit Katate-Sukui-Nage und Ashi-Kubi-Guruma kann ich zum Beispiel nix anfangen???
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