Jita Kyoei, Sojo Sojo, Yuko no Katsudo, Bunbu no Michi/Bunbo

Hier geht es um einzelne Begriffe und deren wörtliche Übersetzung bzw. deren Bedeutung in verschiedenen Zusammenhängen.
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Jupp
3. Dan Träger
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Jita Kyoei, Sojo Sojo, Yuko no Katsudo, Bunbu no Michi/Bunbo

Beitrag von Jupp »

Im folgenden habe ich einige Seiten aus Syd Hoare´s Buch über "Die Geschichte des Judo" ins Deutsche übersetzt. Diese Seiten behandeln Kanos späte Gedanken über Judo (also nach seinem Rücktritt aus dem Berufsleben 1920 und während der Zeit, in der er als über 60-jähriger und Mitglieds des Abgeordnetenhauses (House of Peers) überwiegend (sport-) politisch tätig war).
Es ist die Zeit in der er die beiden wichtigen Prinzipien des Judo Jita Kyoei und Seiryoku Zenyo über das Judo hinaus als Prinzipien für das gesammte gesellschaftliche und soziale Leben in Japan und der Welt propagierte.
Im folgenden zeigt sich Kano in all seinen Facetten: als Judoka, als Erzieher und Erziehungstheoretiker sowie als (Sport-) Politiker. In seinen Reden wird deutlich, dass Kano weit mehr war und sein wollte, als "nur" der Begründer des Judo.

Jupp


Jita Kyoei, Sojo Sojo, Yuko no Katsudo, Bunbu no Michi/Bunbu Ryodo

Das Umsetzen in die Praxis (Aktualisierung) der grundlegenden Prinzipien des Judo in das Alltagsleben, wurde von den ersten Tagen des Kodokan Judo betont, aber mit der Gründung der Kodokan Kulturvereinigung (Kodokan Cultural Society) wurde dies noch positiver und konkreter. Kano unterstrich dieses Prinzip in seinen Vorlesungen und Vorträgern in verschiedenen Landesteilen und auch in dem Magazin Sakko (Erwachen), wo er es an Hand täglicher Notwendigkeiten (Essen, Kleidung, Wohnen usw.), den sozialen Beziehungen, der Arbeit und der Körpererziehung verdeutlichte. Er bemühte sich, dies alles positiv mit einem geeigneten Spezialisten zu lehren.

Damit die Kulturvereinigung diese Prinzipien in der Gesellschaft umsetzen konnte, hob Kano die Schlagworte „Sojo Sojo“ (gegenseitiger Respekt und gegenseitige Hilfe) sowie Jita Kyoei (gegenseitiges Wohlergehen und Nutzen) (1) besonders hervor. Die endgültigen Prinzipien des Kodokan-Judo kristallisierten sich in den beiden Parolen Seiryoku Zenyo und Jita Kyoei („Moralischer Einsatz von Geist und Körper“ und „gegenseitiges Wohlergehen und Nutzen“).

Man glaubt, dass diese Betonung von „Sojo Sojo“ und „Jita Kyoei“ auf Kanos ursprünglichen Studien basiert und auch durch seine Beobachtungen der Erzieherischen Praxis während seiner Europareise von 1920-1921 – gerade mal zwei Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges – beeinflusst worden ist. Nach seiner Rückkehr von dieser Reise nach Japan, sagte Kano in einem Vortrag mit dem Titel „Japans innere und äußere Strategien“ vor der „Freitagsgesellschaft“ (Kinyo-kai):
„Auf dieser Reise habe ich Material zusammengetragen, nach dem Japans zukünftige Position in der Welt reiflich bedacht sein will. Japan sollte kulturelle Aktivitäten mit anderen Ländern betreiben, indem es sich von seinem ursprünglich ausschließenden und nur an sich interessierten Trend abwendet. Mit anderen Worten: für den Zweck freundschaftlicher Beziehungen ist ein „Give-and-take Spirit“ erforderlich. Um aus einer solchen „Give-and-take Situation“ einen Gewinn zu erzielen, ist die Nation gefordert, ihre Effektivität in allen Bereichen zu steigern. Der Rückschritt in der Effektivität ist einer der Gründe von Konflikten und daher müssen internationale Konflikte mit aller Macht vermieden werden. Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch sind sowohl die Autorität der Regierung als auch die Autorität der alten religiösen Moral zusammengebrochen.“

Eines der Ergebnisse von Kanos erster „Erziehungsforschungsreise“ nach Europa im Jahre 1889 war, dass diese die Richtung seines Lebens hin zur Erziehung und Moral festigte. In Japan war er von dem mächtigen budhistischen Higashi-Hongan-Ji Tempel in Kyoto sehr beeindruckt gewesen. In Europa war es für ihn sehr interessant, erstmalig die Macht der organisierten Kirche und Religion (vornehmlich dem Katholizismus) zu beobachten. Aber im Ergebnis kam er zu der Einsicht, dass die Kirchen wie leere Hüllen waren und dass es Erziehung und Moral waren, worum es ging. Später schrieb er, dass Religion oder Erziehung die beiden grundlegenden Wahlen seien, vor denen ein junger Man stehe.

Kano fuhr fort: „Um diese Übel der Zeit zu heilen, ist es erforderlich die Hauptprinzipien des Judo – bester Einsatz von Geist und Körper (Shinshin no Chikara o Yuko ni Suru) – auf geeignete Weise in allen Bereichen des Nationalen Lebens anzuwenden.“ (2)

Hier betont Kano effektive Aktivitäten (yuko katsudo shugi), indem er darauf hinweist, dass um den Effekt der moralischen Erziehung zu vergrößern notwendig ist, dies auf der Grundlage der Moral (des Prinzips) des gegenseitigen Nutzens zu tun. Diese Formulierung entstand 1923 zusammen mit der Gründung der Kodokan-Kulturvereinigung.

Im Dezember desselben Jahres hielt Kano den folgenden Vortrag vor der Freitagsgesellschaft (Friday Society) mit dem Titel „Jita Kyoei Seiryoku Saizen Katsuyo-ron“ (Ein Essay über gegenseitiges Wohlergehen und Nutzen und die höchste Anwendung von Geist und Körper):
„Lassen Sie mich über die Trainingsgrundsätze sprechen, die wir Judoka die meiste Zeit über bedenken sollten. Zunächst einmal sollten die Judostudenten des Kodokan den Unterschied zwischen Judo und Jujitsu kennen. Das alte Jujitsu war in viele verschiedene Schulen (ryu) unterteilt und war eine Art militärischen Trainings, entwickelt vom jeweiligen Gründer. Seine geistigen und spirituellen Grundlagen wurden zumeist durch einfache Regeln und Vorschriften für die Kriegerklasse vermittelt. Die Studenten müssen jedoch auch wissen, dass Kodokan-Judo Methoden von Angriff und Verteidigung im Licht (moderner) wissenschaftlicher Prinzipien vermittelt, welche eine durchdachte Methode der Körpererziehung ermöglichen innerhalb des Gerüsts von Bunbo no Michi, dem Weg von Frieden und Krieg. Zusammengenommen verbinden die Studenten die Entwicklung einer Kampfkunst mit einem körperlichen und moralischen Erziehungssystem.
Um unser Trainingssystem zu verstehen, muss ich zunächst erläutern, wie der Weg des Pinsels und des Schwertes (Bunbo no Michi) gelehrt werden soll. Wie ich schon häufiger gesagt habe ist das grundlegende Prinzip des Judo Seiryoku (no) Saizen Katsuyo (die bestmögliche Anwendung von Geist und Körper). Mit anderen Worten, mit zen (Gutes, gut) als unserem Ziel muss der Geist/der Kopf (sei) und der Körper (ryoku) auf möglichst effektive Art arbeiten. Wenn Sie mich nun fragen, was zen (Gutes, Gütigkeit) bedeutet, antworte ich Ihnen, dass es etwas ist, was hilft, das soziale Leben (Gruppenleben/dantai seikatsu) zu entwickeln und aufrecht zu erhalten und hilft zu verhindern, dass es schlecht (aku) wird.
Seit es in unserem Lande die (konfuzianischen) Werte Ehrfurcht vor dem Kinde (filial piety) und Treue (chuko shingi) über einen langen Zeitraum gepredigt wurden und eine starke Kraft für die Entwicklung und Aufrechterhaltung des Sozialen Lebens (group life) geworden sind, ist dies zen (gut) und das Gegenteil ist schlecht (aku) (3). Weil also dieses Gruppenleben oder soziales Leben durch Sojo Sojo und Jita Kyoei aufrechterhalten und entwickelt wird, sind diese beiden Prinzipien also zen (gut). Das ist das fundamentale Prinzip des Judo.

Wenn dieses fundamentale Prinzip an Angriff und Verteidigung angepasst wird, materialisieren sich sowohl Kata als auch Randori. Wenn dieses Prinzip daran angepasst wird, den Körper zu entwickeln wird es Körpererziehung (tai-iku) und wenn es dazu verwendet wird, die Intelligenz zu verbessern und Werte zu fördern wird es eine Methode der Kulturmoral zur Förderung von Intelligenz und Werten (chitoku no shuyo-ho). Wird dieses Prinzip auf die Millionen Dinge angewendet, die die Menschen in der Gesellschaft tun, z.B. im täglichen Leben, bei der Sozialisierung, der Arbeit, dem Geschäft usw. wird es eine Methode des sozialen Lebens. Daher endet das heutige Judo nicht beim einfachen Üben einer Kampfkunst im Dojo. Das Üben der Kata und des Randori im Dojo ist nichts weiter als die Anwendung des Judoprinzips auf eine Kampfkunst und eine Körperbildung, wobei die Übertragung der Vermittlungsprinzipien auf die vielen Dinge bedacht werden, die Menschen in der Gesellschaft tun.
Ich habe schon gesagt, dass die Menschen fragen: „Warum bevorzugen die meisten Leute das Üben der Judo-Prinzipien durch Kata und Randori – und beachten aber außerhalb von Kata und Randori diese Prinzipien nicht?“ (4) Ich antworte diesen Leuten: „Es gibt verschiedene Pfade zum Gipfel des Berges Fuji. Genau so kann man die Judo-Prinzipien auf unterschiedliche Weise verstehen, nämlich indem man sich ihnen von einem philosophischen Standpunkt aus annähert oder einem politischen oder geschäftlichen Blickwinkel.

Ich selber jedoch habe Judo durch die Praxis des alten Jujitsu und in seinen Kata und Freikämpfen für mich entdeckt und seine inneren Geheimnisse erfahren. Aus diesem Grund habe ich mich auch für das Unterrichten an diesen mühsamen Pfad gehalten. Ich habe dies deswegen getan, weil ich den Wert erkannte, der darin liegt, Menschen durch Kata und Randori eine Kampfkunst und Körpererziehung zu vermitteln und weil ich viele Menschen dazu bringen wollte, ein vernünftiges Leben zu führen, durch die Anwendung der Prinzipien von Kata und Randori. Dies ist die grundlegende Trainingsmethode des Judo, das ich entwickelt habe.

Allerdings gibt es überall auf der Welt eine Vielzahl von Menschen die ein soziales Lebens führen und den Prinzipien des Judo folgen, ohne dass ihnen klar wird, dass es tatsächlich Judo ist, was sie tun. (5) Fall das Judo, von dem ich spreche, in der Welt mehr verstanden werden sollte, dann glaube ich, dass das was bis jetzt nicht als Judo angesehen wird, dann als Judo erkannt wird und gewöhnliche Menschen ihr soziales Leben mehr und mehr an den Prinzipien des Judo orientieren werden. Setzen Sie sich alle dafür ein, diese Gelegenheit in der Gesellschaft zu nutzen indem Sie eine Vorreiterrolle übernehmen.“ (6)

(1) Die beiden jo in diesem Begriff werden mit unterschiedlichen Zeichen geschrieben
(2) aus: Kano Sensei Den (Geschichten von Professor Kano)
(3) In diesem Satz stellt er ausgesprochen deutlich konfuzianische Tendenzen heraus
(4) In anderen Worten: außerhalb der Judomatte!
(5) Man beachte, dass das alte Han-Chinesische Wort jou-tao (jap. judo) einen eine nachgiebige und bewegliche Einstellung/Haltung bedeutete, keine Kampfkunst! In mancher Hinsicht scheint sich hier bei Kano der Kreis vollständig geschlossen zu haben.
(6) aus: Judo Zasshi Magazin 1935, in einem Artikel mit dem Titel: „Kagamibiraki Kunwa yori“
(die hier gemachten Anmerkungen stammen von Syd Hoare!)
aus: Syd Hoare: „A History of Judo“, London 2009, S. 135-139
(Übersetzung von mir, ohne jede Gewähr aus Richtigkeit, auch wenn ich mir alle denkbare Mühe gegeben habe; Jupp)
Jobi
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Re: Jita Kyoei, Sojo Sojo, Yuko no Katsudo, Bunbu no Michi/B

Beitrag von Jobi »

Vielen Dank für Deine Mühe, Jupp, das ist für mich der des englischen nur unzureichend mächtig ist, sehr hilfreich. Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Jobi


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Re: Jita Kyoei, Sojo Sojo, Yuko no Katsudo, Bunbu no Michi/B

Beitrag von tutor! »

Auch von mir ein herzlicher Dank für die Mühen. Zwei wesentliche Gedanken kommen in diesem Text besonders klar zu Geltung:

1) die moralische Dimension von seiryoku-zenyo, das so gesehen nicht das "technische Prinzip" des Judo ist, obwohl alle Techniken diesem Prinzip folgen. Es geht aber weit über Technik hinaus, so dass wir durch den oft vorgenommenen Umkehrschluss:

"alle Techniken folgen seiryoku-zenyo <-> seiryoku-zenyo ist das technische Prinzip des Judo"

eine unzulässige Verengung vornehmen.

2) wird die universalistische Denkweise Kanos deutlich, wonach Judo nicht (mehr) die Kampfkunst ist, sondern die Anwendung von seiryoku-zenyo und jita-kyoei in allen Lebensbereichen. Die "Kampfkunst Judo" ist somit nur noch eine Anwendung des "größeren Judo" - an anderer Stelle benutzt er die Begriffe "Judo im engeren Sinn" und "Judo im weiteren Sinn". Andere Kampfkünste sind danach ebenfalls Anwendungen von Judo (im weiteren Sinn), aber eben nicht nur Kampfkünste, sondern auch andere Tätigkeiten.
Allerdings gibt es überall auf der Welt eine Vielzahl von Menschen die ein soziales Lebens führen und den Prinzipien des Judo folgen, ohne dass ihnen klar wird, dass es tatsächlich Judo ist, was sie tun.
Die Kampfkunst (oder meintwegen auch die Kampfkünste) sind damit ein Mittel, um "zum Judo" zu gelangen:
Ich selber jedoch habe Judo durch die Praxis des alten Jujitsu und in seinen Kata und Freikämpfen für mich entdeckt und seine inneren Geheimnisse erfahren. Aus diesem Grund habe ich mich auch für das Unterrichten an diesen mühsamen Pfad gehalten.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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