Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Hier geht es um einzelne Begriffe und deren wörtliche Übersetzung bzw. deren Bedeutung in verschiedenen Zusammenhängen.
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Jupp
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Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Jupp »

Syd Hoare schriebt in seinem sehr lesenswerten Buch über die Geschichte des Judo auch einige Zeilen über "Seiryoku Zenyo".
Dabei geht er auch kurz auf den Begriff "geistig" (spiritual) ein, den Kano in diesem Zusammenhang verwendete. Da auch hier im Forum heftig über diesen Begriff gestritten wurde, mag dies ein kleiner Beitrag zu einem besseren Verständnis sein.
Außerdem erschien es mir sehr interessant, dass Kano den Begriff "Seiryoku Zenyo" in dieser Form wohl nicht (oder nur sehr selten) verwendet hat, wie Hoare schreibt.
Also lassen wir Syd Hoare sprechen (Übersetzung ohne Gewähr von mir)

Jupp

Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo
Auf der technischen Seite waren die Prinzipien des Ju (Nachgiebigkeit), Kuzushi (Gleichgewichtbrechen), Shisei (Haltung), die sechs Kata, Randori, Kogi (Vorträge), Mondo (Frage-Antwort, Diskussion), die Gokyo (40 Würfe) und die drei Ziele (geistiges Training, körperliches Training und Kampftraining) schon ziemlich früh formuliert (wohl schon vor 1890). Aber die darüber liegenden moralischen und geistigen Prinzipien Seiryoku Zenyo und Jita Kyoei benötigten mehr Zeit, um deutlich zu werden und sich zu setzen (Seishin ist das gebräuchliche japanische Wort für „Spirit“ (Geist). Als Adjektiv bedeutet es „spiritual“ (geistig) jedoch nicht notwendigerweise in einem religiösen Sinn).
Im der ersten Ausgabe des Kodokan Judo Magazins vom Januar 1915 antwortete Kano auf seine eigene Frage „Was ist Judo?“: „Judo wa shinsin no chikara o mottomo yuko ni shiyo suru michi de aru“, was übersetzt so viel heißt wie: „Judo ist der Weg, seine geistigen und körperlichen Kräfte am effektivsten zu nutzen.“ Kano fuhr fort:

„Judotraining schult durch das Üben von Angriff und Verteidigung den Geist und den Körper, wodurch das Wesen des Weges verstanden wird. Durch diese Methode wird das Selbst perfektioniert und der Einzelne ist in der Lage, einen Beitrag für die Welt zu leisten, worin das letzte Ziel des Judotrainings besteht.“

Diese Definition des Judo als „der Weg, Geist und Körper am effektivsten zu nutzen“ wurde später umgewandelt in „die höchst mögliche („most moral“) Anwendung von Geist und Körper“ (Seiryoku Saizen Katsuyo). Der Unterschied zwischen diesen beiden Definitionen war die Einführung des Wortes „zen“, das als Zeichen für „gut“ (in einem moralischen Sinne) geschrieben wurde (und nichts mit Zen-Religion zu tun hat). Katsuyo bedeutet „praktische Anwendung“. In den unterstrichenen Abschnitten von Seiryoku Saizen Katsuyo kann man den Ursprung der heute vom Kodokan verwendeten Parole Seiryoku Zenyo erkennen („Bester Einsatz von Geist und Körper“). Kano selbst jedoch scheint den Sinnspruch Seiryoku Saizen Katsuyo eher benutzt zu haben als Seiryoku Zenyo.“
(entnommen aus: Syd Hoare, 8. Dan: „A History of Judo“, London 2009, S. 130ff.)
Lin Chung
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Lin Chung »

Durch diese Methode wird das Selbst perfektioniert und der Einzelne ist in der Lage, einen Beitrag für die Welt zu leisten, worin das letzte Ziel des Judotrainings besteht
...genau das ist der Punkt.
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Jupp »

Auf Kanos Zitat:
"Durch diese Methode wird das Selbst perfektioniert und der Einzelne ist in der Lage, einen Beitrag für die Welt zu leisten, worin das letzte Ziel des Judotrainings besteht"
antwortete Lin Chung (mit von ihm herausgehobenen Selbst):
Lin Chung hat geschrieben:"...genau das ist der Punkt."
Das ist der eine Punkt. Das ist das Ziel!

Aber dieses Ziel wird einem ganz bestimmten Zweck untergeordnet, der eben nicht nicht einem grenzenlosen Individualismus (wie heute!) endet, sondern der den Einzelnen verpflichtet, sich mit seiner Bildung und seinen Fähigkeiten in den Dienst der Gesellschaft zu stellen und zwar nicht einer nationalistischen, eng begrenzten Gesellschaft, sondern eben "der Welt", wobei man bei Kano davon ausgehen darf, dass er durch seine zahlreichen Auslandsreisen nicht nur die kleine begrenzte "Welt" um jeden Einzelnen meinte (die wohl auch!), sondern über nationale Grenzen hinweg die ganze Welt im Auge hatte.

Deswegen genügt es nicht, wenn man durch Judo "nur" sein Selbst, sich selbst ausbildet, man muss seine erworbenen und ererbten Fähigkeiten auch in den Dienst der Gesellschaft stellen - möglichst über die engen Grenzen nationaler Interessen hinaus!

Das war Kanos letztes Ziel der Judoausbildung: ein selbständig denkender, selbständiger handelnder, sich selbst verteidigen könnender Mensch, der sich für die Gesellschaft einsetzt, nicht für seine eigenen egoistischen Interessen.

Kano war in erster Linie Erzieher (aktiver Lehrer aber auch Erziehungstheoretiker!), dann Begründer und Entwickler und Verbreiter des Judo und schließlich (und durchaus auch parallel zu den beiden anderen Bereichen) (Sport-) Politiker für lange Jahre seines Lebens!

Jupp
Lin Chung
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Lin Chung »

der sich für die Gesellschaft einsetzt, nicht für seine eigenen egoistischen Interessen
...sind wir denn nicht egoistsisch, wenn wir das unbedingte Gewinnen im Sport als das Ziel sehen?
Mit selbst meinte ich nicht, dass man seine Erfahrung nicht weitergeben soll.
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von tutor! »

Beim Aufräumen meiner Festplatte bin ich auf einen Aufsatz von Sid Hoare gestoßen, bei dem es um die "Key Principles of Judo" geht. Dazu gehört natürlich auch Seiryoku Zenyo.

Download: http://www.sydhoare.com/Key%20Principle ... 20Judo.pdf

Dort kann jeder ein wenig mehr nachlesen, auch wenn das Buch nicht zur Hand ist.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
HBt.

Differenzieren bitte

Beitrag von HBt. »

Jupp hat geschrieben:Kano war in erster Linie Erzieher (aktiver Lehrer aber auch Erziehungstheoretiker!), dann Begründer und Entwickler und Verbreiter des Judo und schließlich (und durchaus auch parallel zu den beiden anderen Bereichen) (Sport-) Politiker für lange Jahre seines Lebens!
Lieber "Jupp",
magst Du deine abschließende Schlußfolgerung noch ein bißchen untermauern? Es wäre prima, wenn Du diesbzgl. noch einige Zeitzeugen zitieren könntest oder noch besser, Jigoro Kano selbst. An dem Dokument, in dem Jigoro Kano resümierend von sich selbst behauptet, "ich sehe mich zurückblickend als Erzieher (...und Erziehungstheoretiker)" - bin ich sehr interessiert. Vielleicht habe ich's bisher überlesen, kann ja sein ;).

Gruß
Helge

PS
Lin Chung hat geschrieben:...sind wir denn nicht egoistsisch, wenn wir das unbedingte Gewinnen im Sport als das Ziel sehen?
Selbstverständlich sind wir egoistisch, ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen.

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Fritz
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Fritz »

HBt. hat geschrieben:Es wäre prima, wenn Du diesbzgl. noch einige Zeitzeugen zitieren könntest oder noch besser, Jigoro Kano selbst. An dem Dokument, in dem Jigoro Kano resümierend von sich selbst behauptet, "ich sehe mich zurückblickend als Erzieher (...und Erziehungstheoretiker)" - bin ich sehr interessiert. Vielleicht habe ich's bisher überlesen, kann ja sein ;).
@HBt.: Wo liegt das Problem Deiner Meinung nach:
Daß Kano ein Erzieher war, ist unbestreitbar, wenn Du in Watsons "Memoiren" liest,
dann merkst Du doch, daß Kano einige Schulen gegründet/unterhalten hat, mit klaren pädagogischen Zielen...
Und das komplette Niehaus-Buch beschäftigt sich mit der Rolle von Kano als Erzieher - und da Kano offensichtlich
nicht nur erzogen hat, sondern auch Vorträge drüber gehalten hat, hat er sich damit auch mit Erziehungstheorien
befaßt...
Sport-Politiker war er auch, oder als was würdest Du seine Arbeit im Olympischen Komitee bewerten (und
das vor dem Hintergrund, daß er wohl sogar dagegen war, daß Judo olympisch wird)?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
HBt.

Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von HBt. »

@Fritz,
ich sehe in der simplen Verwendung des Satzes "Kano war in erster Linie ein Erzieher", vor allen Dingen in undifferenzierten Internetdiskussionen, etc pp. ... ein bewußtes Ablenkungsmanöver. Mit dieser unzulässigen Vereinfachung* wird nur all zu leicht von der 1. Ebene des Kodokan Judo abgelenkt, oder?
Training for defence against attack, siehe 'mind over muscle' ab S. 90
(..) By rights, spears, naginata, and other weapons used for the purpose of defending against attack should be included in Judo (..)
Abgelenkt deshalb, weil wir eben gar nicht wissen, was Judo ist, oder zur Jahrhundertwende war?

Die Sportart Judo, ja, die ist uns bekannt und wird ständig weiterentwickelt ... sie darf sich in meinen Augen nicht auf J. Kano beziehen, weder als Erzieher noch als ...




*auch wenn sie gefällig ist und wahrscheinlich sogar zutrifft, wissen wir es? Können wir J. Kano fragen? Ab wann sah er sich zeitlich als Erzieher? Kann man eine klare Trennung überhaupt durchführen?
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kastow
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von kastow »

Allerdings sollten wir nicht vergessen, was eine Seite zuvor nachzulesen ist (in meiner Ausgabe Seite 95):
When we divide jûdô into these three levels, we can see that it must not be limited to training for fighting in the dôjô [...] I urge all practitioners of jûdô to recognize that it consits of these three levels and to undergo their training without undue emphasis of one aspect over another.
frei übersetzt:
Wenn wir Jûdô in diese drei Ebenen unterteilen, können wir erkennen, dass es nicht auf das Kampftraining im Dôjô begrenzt werden darf [...] Ich dränge alle Praktizierenden des Jûdôs, anzuerkennen, dass es aus diesen drei Ebenen zusammengesetzt ist und sich ihrem Training zu unterziehen ohne übermäßige Betonung eines Aspektes über den anderen.
Lenkt Jupp wirklich von der ersten Ebene ab oder überbetont HBt. diese? Wenn ich mir Syd Hoares Beitrag zu den diskutierten zwei Begriffen in Erinnerung rufe, komme ich persönlich eher zu Jupps Einschätzung.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Lin Chung »

Dann bleibt doch auch die Frage: "Praktizieren wir wirklich alle 3 Level?"
Ich glaube nicht.
Grüße
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von tutor! »

Kano hatte vor allem neben dem Kodokan und dem Judo noch einen Beruf und eine berufliche Laufbahn. Bei den meisten Positionen, die er bekleidet hat, hat er immer auch versucht, Judo mit zu fördern und einzubringen, aber das waren eher "MItnahmeeffekte". Wer sich in der Biografie Kanos auskennt, weiß dies auch. Für alle anderen schreibe ich noch einmal die wesentlichen Stationen ab 1882 (dem Jahr der Gründung des Kodokan) bis zu seiner Pensionierung 1920 auf:

1882-1889 Lehrer für Politik und Volksökonomie an der Adelsschule Gakushuin
Dort nahm er teilweise auch Leitungsaufgaben war. Meines Wissens hat er in der Schule auch ein Dojo eingerichtet.

1882 Gründung des Kano-juku, Betrieb bis 1919, eines privaten Internats, das ursprünglich für Kinder von Verwandten und Bekannten gedacht war.
Die Schüler des Kano-juku trainierten alle im Kodokan, jedoch waren die Studien in keiner Weise auf Judo beschränkt.

1882-1889 Gründung und Leitung einer Sprachschule für Englisch (parallel zu den anderen Aufgaben - kein Judobezug)

1884-1887 Unterricht in Ökonomie an der Komaba Agrarschule (kein Judobezug)

1889-1890 Studienreise durch Europa, Inspektion des europäischen Bildungswesens (kein Judo)

1890-1891 Regierungsrat im Erziehungsministerium

1891-1893 Direktor der 5 Höheren Mittelschule in Kumamoto
dort richtet er in der Schule ein kleines Dojo ein

1893 (nur wenige Monate) Abteilungsleiter im Erziehungsministerium mit der Aufgabe Lehrbücher auszuwählen, genehmigen, Richtlinien für den Druck zu erlassen usw.

1893 (auch nur wenige Monate) Direktor der 1. Höheren Mittelschule in Tokyo

1893 bis 1920 (mit kurzen Unterbrechungen) Direktor der Lehrerbildungsanstalt in Tokyo: Kano ist für die Ausbildung von Lehrern verantwortlich. In diese Zeit fällt der Eingang des Judo in den Schulsport und die systematische Ausbildung von Judo-Lehrern für die Schulen.

1896-1909 Direktor des Kobun Gaukuin, einer Schule für Chinesen (keine Judoaktivitäten bekannt)

Kano war also beruflich Erzieher und Erziehungstheoretiker im besten Sinn. Interessant ist dabei auch, dass er zwischen 1889 und 1893 nur kurze Zeit in Tokyo war und der gesamte Betrieb am Kodokan von anderen geleitet wurde.

Und nun zum Judo als Erziehungssystem....

Judo hatte für Kano drei Ziele: die Fähigkeit zum Kämpfen zu erwerben, körperliche Erziehung und geistig-moralische Erziehung. Seine Vorträge und Aufsätze über den Beitrag des Judo zur Erziehung sind hoffentlich allgemein bekannt. Letztlich war auch das "sich verteidigen-können" ein Erziehungsziel Kanos. Judo war für ihn schlicht ein Erziehungssystem - und genau dieser Gedanke zieht sich wie ein rotes Seil durch die gesamte von Kano gesteuerte Entwicklung des Judo bis zu seinem Tod 1938!

Und deshalb kann man mit Fug und Recht sagen:
Jupp hat geschrieben:Kano war in erster Linie Erzieher!
... auch wenn seine Bedeutung für uns natürlich eine ganz andere ist.
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Lin Chung »

Ist jemand, der eine Kampfkunst kreiert und diese unterrichtet, kein Erzieher?
In gewissem Sinne ja. Meine Meinung.
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Fritz
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Fritz »

Lin Chung hat geschrieben:Ist jemand, der eine Kampfkunst kreiert und diese unterrichtet, kein Erzieher?
In gewissem Sinne ja. Meine Meinung.
Was willst Du ausdrücken:
Ein Kampfkunst-Begründer/Lehrer ist kein Erzieher?

Wie kommst Du zum dieser Erkenntnis?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Lin Chung »

Hallo Fritz
bitte noch einmal lesen. ;)
In gewisser Weise ist ein Kampfkunstlehrer ein Erzieher.
Wer sich mit dem "DO" beschäftigt und den Regeln, wird das erkennen.
Grüße
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Jupp »

Lin Chung schreibt:
"In gewisser Weise ist ein Kampfkunstlehrer ein Erzieher."

Da hat er natürlich recht.

Jeder, der unterrichtet, erzieht auch.

Jedoch war es bei Kano völlig anders. Er hat sein Kodokan-Judo nicht nur einigen wenigen, handverlesenen, direkten Schülern zukommen lassen (wie in den Koryu), sondern bis zur Jahrhundertwende (1900) einige zehntausend Judo-Schüler direkt, vor allem aber indirekt durch seine Lehrer nach seinen Grundsätzen erzogen bzw. erziehen lassen.

Darin - in der zielgerichteten Erziehungsabsicht (durch Judo!) und der Erziehung von zehntausenden Schülern des Kodokan-Judo - liegt der Unterschied zu den Meistern der Koryu.

Kano hat sein Kodokan-Judo - und das ist unstrittig! - in erster Linie als Erziehungssystem gesehen, so für sich verstanden und angewendet und auch verbreitet. Dies macht den Erfolg des Judo aus - auch heute noch, wo in den vielen tausenden Vereinen weltweit Millionen von Kindern in Judo ausgebildet und durch Judo erzogen werden (auch wenn dies einige Kampfkünstler dem heutigen Judo nicht zugestehen mögen).

Jupp

P.S. Kano hat übrigens durch seine Tätigkeiten als Erzieher sein Kodokan-Judo überhaupt erst möglich gemacht. Viel von dem Geld, dass er als Erzieher verdiente, hat er in sein Kodokan-Judo gesteckt, über lange Jahre, vor allem zu Beginn des Kodokan. Nur dadurch konnten seine Schüler in der Anfangszeit (d.h. bis aus dem Kodokan eine Stiftung wurde) bei ihm wohnen und Judo kostenlos (für die Schüler!!) lernen.
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von tutor! »

Weil es so schön passt. Bei der Vorstellung der Seiryoku-Zen'yo Kokumin-Taiiku-no-Kata erklärt J. Kano auch den Unterschied zwischen Kodokan Judo und dem "alten Jujutsu" (Hervorhebung von mir)..
J. Kano aus Niehaus S. 305-306 hat geschrieben:Aber das Kodokan Judo unterscheidet sich sowohl vom Zweck als auch größtenteils in der Methode vom alten Jujutsu. Es existieren zwar Verbindungen und Ähnlichkeiten, aber der Kern ist ein anderer. Im alten Jujutsu geht es, wie bei den anderen Kampfkünsten auch, letztlich um Angriff und Verteidigung. Seit alten Zeiten war es so, dass der Lehrer dem Schüler mit dem Unterrichten der Technik zugleich auch entsprechende Erläuterungen zum Weg gab und wohl auch die Gesinnung für den Alltag lehrte. Wenig Aufmerksamkeit aber wurde auf die Verantwortung des Menschen verwendet. Die Substanz der Erziehung war das lehren der Technik. Im Kodokan wurde die Lehre begründet, dass das Lehren des Weges die Substanz, und die Technik die Anwendung des Weges ist.
Der "Weg der vorteilhaftesten Anwendung von Körper und Geist" (Seiryoku-Zenyo) durchzieht idealerweise die Kampfkünste und alle Verrichtungen des täglichen Lebens. Kano weiter:
So betrachtet ist Judo ein universales Grundgesetz, das man auf alle Dinge anwenden kann. Budo oder Bujutsu sind nur eine Möglichkeit der Anwendung dieses Prinzips. Jujutsu wurde immer als eine Form der Kampfkünste betrachtet. Aber judo ist keine Form der Kampfkünste, sondern die Kampfkünste sind eine Form des Judo.
Später schrieb Kano (Jupp hat es dankenswerter Weise hier http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 76&start=0 aus Syd Hoares History of Judo zitiert):
Allerdings gibt es überall auf der Welt eine Vielzahl von Menschen die ein soziales Lebens führen und den Prinzipien des Judo folgen, ohne dass ihnen klar wird, dass es tatsächlich Judo ist, was sie tun. Fall das Judo, von dem ich spreche, in der Welt mehr verstanden werden sollte, dann glaube ich, dass das was bis jetzt nicht als Judo angesehen wird, dann als Judo erkannt wird und gewöhnliche Menschen ihr soziales Leben mehr und mehr an den Prinzipien des Judo orientieren werden. Setzen Sie sich alle dafür ein, diese Gelegenheit in der Gesellschaft zu nutzen indem Sie eine Vorreiterrolle übernehmen.
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Lin Chung »

Aber judo ist keine Form der Kampfkünste, sondern die Kampfkünste sind eine Form des Judo.
...bitte zweimal lesen. Was heißt das? Das was Tom schon immer schrieb, dass das Judo alles beinhaltet und was bisher immer wieder abgestritten wird / wurde, angefangen mit den Atemi und weiter zu den Waffen, usw.
Grüße
Norbert Bosse
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Re: Seiryoku Zenyo und Seiryoku Saizen Katsuyo

Beitrag von Jupp »

Lin Chung schreibt: "...dass das Judo alles beinhaltet und was bisher immer wieder abgestritten wird / wurde, angefangen mit den Atemi und weiter zu den Waffen, usw."

Man muss unterscheiden zwischen
1. "Judo im engen Sinne" (= Kodokan-Judo als Kampfkunst, Sport/Leibeserziehung und Erziehungssystem) und
2. "Judo in einem weiten Sinne" (als Anwendung der Judoprinzipien "Seiryoku-zenyo und Jita-Kyoei" auf alle Lebensbereiche).

Im Kodokan-Judo ("Judo im engen Sinne") gab und gibt es Atemi-waza, aber keine Waffenlehre und Verwendung anderer Waffen (außer denen, die in den Kata zu Angriffszwecken eingesetzt werden).

Die Verwendung von Waffen in den Kampfkünsten ( der verschiedenen Arten, Schulen und Länder...) kann (nicht muss!) "Judo in einem weiten Sinne" sein, wenn ihre Anwendung, Handhabung und Vermittlung (also der Unterricht!) den beiden oben genannten Prinzipien, die Kano in den Jahren nach 1920 entwickelt hat, folgt. Denn: alles Leben kann Judo sein!

Dies ist der Unterschied (enger/weiter Sinn) und der Zusammenhang (Judo als Erziehungsmittel und die Anwendung der Prinzipien als Erziehungssystem!).

Jupp
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