Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Training

Antworten
Benutzeravatar
Ronin
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1725
Registriert: 22.09.2005, 17:38
Bundesland: Baden-Württemberg

Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Training

Beitrag von Ronin »

Hallo zusammen,

an dieser Stelle bin ich einmal mit einer komplett anderen Problematik konfrontiert.

Ich habe die Anfrage von Eltern eines 13jährigen geistig behinderten Jungen vorliegen (ich habe keine Details, aber er ist wohl auf dem Entwicklungsstand eines 6jährigen), der derzeit im einem sehr guten, auf Behinderte zugeschnittenen Verein trainiert. Auf Grund der räumlichen Nähe ist man auf uns gestoßen, außerdem sind die Eltern stets bemüht, ihren Sohn zu integrieren.

Wir haben bei uns 0,0 Erfahrung mit Behinderten jeder Art und ich weiß ehrlich gesagt nicht so recht, ob das geht. Ob die nicht behinderten Kinder (denn bei diesen müsste er vermutlich mittrainieren), das mitmachen, ob sie ihn mobben würden, letztendlich auch ob ich mir als Trainer das zumuten kann und ganz allgemein, ob das gutgehen kann.

Mit seiner Trainerin im aktuelle Verein werde ich wohl auch mal sprechen, denn die ist sicherlich der absolute Spezialist im Bereich behinderten Judo (mit die erfolgreichste in diesem Sektor in DE, auch regelmäßige Starter bei den Paralympics), aber die Frage mit der Integration in eine normale Gruppe, dass macht in meinem Kopf noch keinen Sinn, obwohl ich grundsätzlich glaube, dass Behinderte schon alleine durch die Integration einen Vorteil haben und auch dass es auch für die Nichtbehinderten eine nützliche und lehrreiche Erfahrung ist. Letztendlich ist das Zusammenführen an sich schon für alle Beteiligten gut (wenn es denn eben funktioniert).

Ich selber war als Kind einmal auf einer integrativen Freizeitwoche, das war eigentlich eine super Erfahrung für alle, aber das ist etwas anderes als eine regelmäßiges leistungsorientiertes Training.

Hat hier jemand Erfahrungen mit so etwas? Kann das funktionieren oder stelle ich da alle Beteiligten vor eine Anforderung an der sie scheitern müssen?
tutor!
Moderator
Moderator
Beiträge: 3878
Registriert: 08.08.2008, 10:41

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von tutor! »

Ich sage mal so: Du gibst allen Beteiligten eine Chance, sich sozial weiter zu entwickeln. Die Argumente dafür, hast Du ja selbst sehr deutlich herausgestellt. Nur zu! Hab(t) den Mut, Euch darauf einzulassen.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
Benutzeravatar
judoka50
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1491
Registriert: 06.11.2006, 13:09
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Kontaktdaten:

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von judoka50 »

Ich meine, im Bereich Judo der Menschen mit Behinderung, ist schon etwas dazu geschrieben worden.
Wichtig ist, dass Du dich zunächst von den Eltern "genau" aufklären lässt, damit Du dich in Ausnahmesituationen passend verhalten kannst.
Die Kinder haben zunächst weniger Probleme damit - meist findet sich innerhalb der Gruppe automatisch ein sozialer Judoka, der sich seiner annimmt.
Allerdings ist ein großes Augenmerk auf den Rest der Gruppe zu werden, nicht dass man ihn nicht akzeptiert. Nein viele Kinder haben, je nach Schwere der Behinderung "Berührungsängste". Da kann eine kleine Gruppe schnell mal überfordert sein.
Ich würde aber immer darauf drängen, dass das Angebot der Integration zusätzlich zu seiner festen "Behindertengruppe" ist. Viele Eltern meinen es manchmal zu gut - denn auch solche Kinder können unbemerkt überfordert werden oder "zu hoch" gehoben um dann überfordert zu sein.
Viele Grüße
U d o
Benutzeravatar
Fritz
Moderator
Moderator
Beiträge: 5164
Registriert: 14.11.2003, 11:06

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von Fritz »

Mich macht das stutzig:
Ich habe die Anfrage von Eltern eines 13jährigen geistig behinderten Jungen vorliegen (ich habe keine Details, aber er ist wohl auf dem Entwicklungsstand eines 6jährigen), der derzeit im einem sehr guten, auf Behinderte zugeschnittenen Verein trainiert. Auf Grund der räumlichen Nähe ist man auf uns gestoßen, außerdem sind die Eltern stets bemüht, ihren Sohn zu integrieren.
Klingt für mich erstmal nicht so, als ob sie umgezogen sind und im Altverein nicht mehr üben können...
Versuch die Motivation für den möglichen Wechsel herauszufinden und nur wenn diese stichhaltig und
schwerwiegend genug ist, würde ich an Deiner Stelle erst anfangen zu überlegen, ob und wie usw...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Benutzeravatar
Ronin
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1725
Registriert: 22.09.2005, 17:38
Bundesland: Baden-Württemberg

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von Ronin »

Die Motivation ist recht einfach. Die wohnen, schon immer, bei uns im Dorf. Der andere Verein ist 30 km entfernt.
Dort hat man, wegen der Behinderung angefangen und nun ist man am überlegen, ob man sich die Fahrerei antun muss und dann eben auch die Integrationssache, das ist den Eltern wohl auch ein Anliegen.

Ist wohl ne Mischung aus beidem
Benutzeravatar
judoka50
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1491
Registriert: 06.11.2006, 13:09
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Kontaktdaten:

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von judoka50 »

Mit seiner Trainerin im aktuelle Verein werde ich wohl auch mal sprechen, denn die ist sicherlich der absolute Spezialist im Bereich behinderten Judo (mit die erfolgreichste in diesem Sektor in DE, auch regelmäßige Starter bei den Paralympics
Paralympics ist ein Erfahrungsbereich, bei dem das für den zu dieser Gruppe gehörenden Judoka erforderliche Training, schon allein aufgrund des sichtbaren Behinderungsgrades oftmals schnell abzustimmen ist. Ebenso verhält es sich bei Blinden.
Für die Menschen mit geistiger Behinderung ist die oberste Ziellinie die Special Olympics. Die Integration ist etwas schwieriger und vor allem auch oftmals langwieriger. Je nach Behinderung kann es sein, dass Du jede Übungsstunde wieder bei 0 anfängst. Sollte aber auch kein Hinderungsgrund sein. Ich würde Dir aber zusätzlich zu dem Gespräch mit den Eltern auch ein Gespräch mit der bisherigen ÜL empfehlen. So hast Du unterschiedliche Sichtweisen in punkto Lernfähigkeit, Belastbarkeit usw.
Auch nicht außer acht lassen solltest Du, in wieweit Du verpflichtet während der Zeit der Trainingsteilnahme auch in Rufbereitschaft befindlichen Arzt zur Hand zu haben. Ist bei Gruppen mit geistig Behinderten verpflichtend, da oftmals die Krankenkassen die Stunden mit finanzieren. Wäre aber auch zu Deiner Sicherheit wichtig.
Einige Informationen bekommst Du auch hier:
http://www.nwjv.de/index.php?mf=behinde ... tionen.htm
Wobei Du dich auch ruhig an W.Janko wenden kannst. Er kann Dir bestimmt auch interessante Literatur usw. empfehlen. Leitet übrigens auch die jährlich stattfindende ÜL Ausbildung für diesen Bereich schon seit Jahren.
Zuletzt geändert von judoka50 am 21.07.2010, 15:34, insgesamt 2-mal geändert.
Viele Grüße
U d o
Benutzeravatar
Fritz
Moderator
Moderator
Beiträge: 5164
Registriert: 14.11.2003, 11:06

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von Fritz »

Ich bin kein Freund von derartigen Vereinswechseleien...

Du sagst, der andere Verein ist gut auf Behinderte zugeschnitten, die dortige
Trainerin ist eine absolute Spezialistin. Bisher hat der Verein also offenbar
dem Jungen und seinen Eltern gute Dienste geleistet.
Und nur weil sie jetzt keine 30km mehr fahren wollen, wird von Dir erwartet,
daß Du Dir einen Kopf machst, wie Du einen geistig Behinderten in eine
nicht auf Behinderte zugeschnittene Gruppe integrieren kannst.
- mit allen Risiken... Tatsache ist doch: Du hast einen Mehraufwand, der Junge wird mehr
Betreuung brauchen - die dann anderen fehlt u. Du kannst Dir nicht sicher sein, wie sich das
hinsichtlich der Gruppe selbst auswirkt - und am Ende steht der nächste Vereinswechsel an.
Oder der Junge kommt nicht mit euch oder einem Vereinswechsel klar
(er wird ja schließlich aus seiner gewohnten Trainingsumgebung herausgerissen) -
diese Seite der Medaille sollte man auch sehen...

Meiner Meinung nach wäre folgendes praktikabel:
- Frag Deine Gruppe nach ihrer Meinung, die sind auch betroffen, sie sollten mitreden können - denk Dir
was aus, wie Du an die tatsächliche Meinung der Gruppe gelangst (nicht daß sie Dir nur eine Gefallen tun wollen)
Denn falls Du ihn bei Euch trainieren lassen wirst, brauchst Du die Unterstützung der anderen Übling!
- Biete gegebenenfalls den Eltern (in Absprache mit der anderen Trainerin) an, daß der Junge bei euch
gelegentlich mitüben kann - oder organisiert gegenseitige Trainings mit dem anderen Verein.
Dann wirst Du merken, ob Du den Anforderungen gewachsen bist. Und
ob der Junge u. Deine Gruppe miteinander klarkommen...
judoka50 hat geschrieben:Für die Menschen mit geistiger Behinderung ist die oberste Ziellinie die Special Olympics.
Und ich dachte immer: Lebensqualität erhöhen, soziale Kontakte entwickeln, den Körper stärken, vielleicht etwas
wehrhafter werden, über das körperliche Training die kognitiven Leistungen verbessern,
das wären so die Ziele...
So kann man sich täuschen - die "Special Olympics" sind also oberste Ziellinie. :eusa_clap
Paralympics ist ein Erfahrungsbereich, welcher aufgrund des sichtbaren Behinderungsgrades auch im Training oftmals schnell abzustimmen.
Dieser Satz ist mir völlig unverständlich... :eusa_think
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Benutzeravatar
judoka50
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1491
Registriert: 06.11.2006, 13:09
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Kontaktdaten:

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von judoka50 »

Berichtigt:
Paralympics ist ein Erfahrungsbereich, bei dem das für den zu dieser Gruppe gehörenden Judoka erforderliche Training, schon allein aufgrund des sichtbaren Behinderungsgrades oftmals schnell abzustimmen ist.
@ Fritz
Und ich dachte immer: Lebensqualität erhöhen, soziale Kontakte entwickeln, den Körper stärken, vielleicht etwas
wehrhafter werden, über das körperliche Training die kognitiven Leistungen verbessern,
das wären so die Ziele...
So kann man sich täuschen - die "Special Olympics" sind also oberste Ziellinie. :eusa_clap

Deine Rückfragen werden langsam albern.
Selbstverständlich ist alles andere zunächst vorrangig und zudem Sinn und Zweck des G-Judo. Aber wenn Du einmal mit denen zu einem G-Judo Turnier warst, da sind viele heißer auf Wettkämpfe als im normalen Bereich. Und die oberste Grenze sind für den einen Bereich die Special Olympics und für den anderen die Paralympics mehr sollte es nicht bedeuten.
Du sagst, der andere Verein ist gut auf Behinderte zugeschnitten, die dortige
Trainerin ist eine absolute Spezialistin. Bisher hat der Verein also offenbar
dem Jungen und seinen Eltern gute Dienste geleistet.
und - soll das aus diesem Grund ewig so bleiben? Integration ist eine darauf aufbauende erstrebenswerte Zielsetzung. Auch wenn sie nicht für jedes Krankheitsbild zu empfehlen ist.
wird von Dir erwartet, daß Du Dir einen Kopf machst, wie Du einen geistig Behinderten in eine
nicht auf Behinderte zugeschnittene Gruppe integrieren kannst.

so etwas findet man, wie man liest, nun nicht so oft......
Fritz - würdest Du solchen Leuten keine Möglichkeit bieten diese Erfahrung
Und ich dachte immer: Lebensqualität erhöhen, soziale Kontakte entwickeln, den Körper stärken, vielleicht etwas wehrhafter werden, über das körperliche Training die kognitiven Leistungen verbessern,
das wären so die Ziele...
zu machen. Dein Abraten klingt fast so.

Anscheinend hatte ich auch nicht deutlich genug darauf hingewiesen - auf keinen Fall ein Wechsel, sondern integrative Einbindung in die Gruppe.
Fragen würde ich definitiv die anderen Kinder - und in diese Gruppe wird er ja kommen - nicht. Damit weckt man nur Voreingenommenheit und eine Vorstellung von der Art der Behinderung haben die auf gar keinen Fall. Also nach Absprache mit den Eltern und klarer Richtungserklärung, dass eine integrative Trainingsbegleitung mit normalen Kindern immer einen Versuch wert ist, sei es für den Alltag wie auch fürs Judo, weitere Rücksprache mit der Trainerin, um deren Erfahren zu hören. Auf keinen Fall nur auf Wunsch der Eltern, da diese eine anderen Vorstellung und Zielsetzung haben als die Trainerin.

Ansonsten, hast Du einmal den Schritt gewagt, wirst Du automatisch innerhalb der Gruppe sozial eingestellte Kinder finden, die sich seiner annehmen.
Ich habe bei mir welche gehabt, die ihre eigene "normale" Kyu-Prüfung um ein halbes Jahr verschoben haben, damit sie dem "Behinderten", mit dem sie trainieren, auf der Prüfung als Uke, mit dem er schließlich lange geübt hat, zur Verfügung zu stehen.
Die Gruppe als solches, gibt Dir ungewollt schnell Rückmeldung, ob es im Ganzen klappt oder nicht.

Egal wie auch die Meinung anderer - einen Versuch ist es Wert - damit machen er und auch Du vollkommen neue Erfahrungen, die zu machen es sich lohnt.
Nicht zu vergessen gibt es dann natürlich auch noch einige Eltern, die die Nase rümpfen - was soll denn so einer in einer Judo-Gruppe...
Obwohl, diese ablehnende Haltung gibt es nicht nur bei den Eltern, sondern leider auch bei vielen schon länger diesen Sport mit anderen Vorstellungen betreibenden Judoka.
Viele Grüße
U d o
Benutzeravatar
Ronin
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1725
Registriert: 22.09.2005, 17:38
Bundesland: Baden-Württemberg

Re: Integration eines geistig Behinderten ins "normale" Trai

Beitrag von Ronin »

Ich habe eure Beiträge nun gelesen und mir so meine Gedanken gemacht. Spricht vieles dafür und dagegen.

Ich versuch es wieder mit Pragmatismus.

Meinen eigenen Nerven wird er nicht gut tun, denn er wird ja nicht das Leistungsniveau der anderen erreichen können, damit müsste mein Cotrainer z.B. oder ich verstärkt nach ihm schauen und das würde den anderen an Aufmerksamkeit fehlen. Die brauchen das aber auch.

Ich kann zwar mit der Gruppe reden und nach ihrer Meinung fragen (und würde das sicher auch tun), aber wenn er dann da ist und sie das Gefühl haben (und das Gefühl reicht ja schon) dass er sie aufhält, dann werden sie einfach mit Judo aufhören, denn die Hemmschwelle ist zur Zeit sehr niedrig.
Das werde ich nicht riskieren

Und dann sind da auch noch die Argumente, die Fritz weiter oben beschrieben hat, die unterschreibe ich voll und ganz.

Integration ist was schönes und wichtiges, aber wenn ich mir damit die Gruppe zerlege oder meine Eigenmotivation reduziere, dann schade ich dem Verein damit mehr als irgendwas. Und solange er nicht Mitglied im Verein ist, gilt meine Verantwortung den Mitglieder, nicht den potentiellen.
Damit hat sich das erst mal erledigt. Auch wenn ich den Gedanken reizvoll finde, sehe ich derzeit nicht das die Vorteile überwiegen.

Auf jeden Fall danke ich euch für die Argumente.
Antworten