Aktuelle Veränderungen im Wettkampf

Hier geht es um die Wettkampforganisation und um Fragen zu den Wettkampfregeln
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troi
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Aktuelle Veränderungen im Wettkampf

Beitrag von troi »

Ich habe die letzten Monate viel Zeit zuhause verbracht und infolgedessen so ziemlich jedes Judoturnier der letzten Wochen verfolgt. Höchstwahrscheinlich ist meine Perspektive sehr subjektiv, aber ich wollte dennoch mal nachfragen:

Mir ist aufgefallen, das bei ich bei Turnieren in letzter Zeit sehr viele Sutemi-Waza-Ansätze (inbesondere Yoko-Tomoe-Nage) mit anschließendem Bodenkampf sehe. Von den "Standard"-Wettkampfwürfen, Uchi-Mata, Seoi-nage, Tai-otoshi, O-sotogari sehe ich eigentlich nur noch (Ashi-) Uchi-matas, von einzelnen abgeknieten Seoi-nages mal abgesehen.

Meine Frage: Liege ich mit meiner Einschätzung richtig? Werden tatsächlich mehr Sutemi-Waza gemacht? Wenn ja woran liegt das? Vermehrtes Training/Überraschungsmoment, das bei "Standard"-Wettkampfwürfen nicht mehr vorhanden ist / sportliche Entwicklung?

Ich fände es spannend darüber zu reden und vielleicht von jemand Erfahrenes hier Infos zu bekommen, ob es schon früher Phasen gab, indem bestimmte Techniken aufgrund von bestimmten Faktoren Auftrieb erhielten und andere nicht. Gibt es bestimmte alltime Wettkampfwürfe und bestimmte "Mode-Würfe"? Vielleicht kennt ja auch jemand eine Statistik mit Jahresippons nach Würfen geordnet oder so etwas?

Ich freue mich auf eure interessanten Infos.
tutor!
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Re: Aktuelle Veränderungen im Wettkampf

Beitrag von tutor! »

Ich kann Deine subjektive Wahrnehmung zur Häufigkeit der Sutemi-waza nicht durch Zahlen untermauern, auch nicht durch eigene Beobachtungen, aber ich kann Dir versichern, dass es in jeder Periode Modetechniken gab und gibt, die vermehrt auftauchen und dann wieder verschwinden, um irgendwann später wieder aufzutauchen.

Techniken, die im Wettkampf inflationär gemacht werden, verlieren irgendwann ihre Wirksamkeit, weil nun auch wirklich der letzte lernt, wie man sich dagegen verteidigen kann.

Irgendwann taucht aber auch immer jemand auf, macht etwas, was man nur selten sieht und ist damit erfolgreich - u.a. weil sich die Gegner zunächst nicht so gut darauf einstellen können. Findet er dann Nachahmer, dauert es nicht lange, bis sich die Techniken, aber auch die entsprechenden Verteidigungen verbreiten und im wahrsten Sinne des Wortes "totlaufen".

Einige Techniken scheinen von diesen Trends vollkommen unberührt, vor allem diejenigen Techniken, die in besonderer Vielfalt variiert werden können. Hier tauchen nicht neue Techniken, sondern immer wieder neue Wege auf, diese Techniken zur Anwendung zu bringen. Beispiele sind sicherlich Uchi-mata, Seoi-nage, O-soto-gari u.a.m.

Diese an sich natürlichen Entwicklungen werden durch äußere Einflüsse mit gesteuert - teilweise bewusst, teilweise unbewusst. Als in den 1980er Jahren die Jackenärmel immer enger wurden - weil die Judoka die Regeln durch Sonderanfertigungen ihrer Anzüge auf den cm ausgereizt haben - wurde sehr viel im Doppelreversgriff gekämpft. Als später die Regeln für die Jackengrößen geändert wurden, verschwand der Doppelreversgriff wieder weitgehend. Stattdessen tauchten Techniken wie Sode-tsuri-komi-goshi vermehrt auf.

Mit immer dicker werdendem Stoff der Revers wurde es zunehmend schwieriger, Morote-seoi-nage zu machen. Jetzt werden die Revers wieder weicher und Morote-seoi-nage wird wohl wieder mehr in Praxis kommen.

Die letzte große Regeländerung betraf die Beingreiftechniken. Diese wurden aber häufig gemacht, weil man nicht mit beiden Händen zum Griff kam und von daher mit der freien Hand das Bein des Gegner (an-)griff. Mit Einschränkung der Beingreiftechniken, wurde der Griffkampf noch wichtiger. Sutemi-waza, gar nicht mal so unbedingt mit Wurfabsicht ausgeführt, sondern als Übergang in den Bodenkampf, kann man aber auch aus einem suboptimalen Griff machen. Hierdurch kann man den Gegner in seinem Griffaufbau stören und vielleicht selbst die Chance am Boden suchen.

Insofern würde es mich nicht weiter verwundern, wenn sich Deine Beobachtung an Zahlen erhärten ließe.

Du siehst: die Dinge sind in einem permanenten Fluss
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troi
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Re: Aktuelle Veränderungen im Wettkampf

Beitrag von troi »

Vielen Dank für die Anwort. Der Punkt, daß der Griffkampf durch die Regeländerungen wichtiger geworden ist, deckt sich auch mit meinen Beobachtungen der letzten Zeit. Teilweise geht der Griffkampf sehr lang. Ob sich daraus wohl weitere Trends für die nächste Zeit ablesen lassen? Ko-uchi-maki-komi scheint ja auch gerade groß zu kommen. Oder irre ich mich und der war schon immer so weit verbreitet?
tutor!
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Re: Aktuelle Veränderungen im Wettkampf

Beitrag von tutor! »

Er war schon immer eine eher übliche Technik. Aber durch die Einschränkungen bei den Beingreiftechniken ergibt sich - was das Ziel war - dass die Kämpfer wieder etwas aufrechter kämpfen. Dadurch sind die Füße wieder näher zusammen, was allgemein Ashi-waza entgegen kommt.

Das konkrete Beispiel kann ich jetzt weder dementieren noch bestätigen, aber der Trend zu mehr Ashi-waza entspricht auch meiner Wahrnehmung.
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