Mundschutz

Hier geht es um die Wettkampforganisation und um Fragen zu den Wettkampfregeln
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Fettzi
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Re: Mundschutz

Beitrag von Fettzi »

Jemanden aufgrund einer geringeren Beitragszahl nicht ernst zu nehmen?! Und wenn sich der Herr Peter Frese hier anmeldet, ohne zu sagen wer er ist? Akzeptierst du seine Meinung dann auch nicht?
Ich muss sagen, ich kann Stulle verstehen. Das man nicht alles verbieten sollte, ist uns allen klar, und das ein Mundschutzverbot mehr als fragwürdig ist, ist uns glaube ich allen klar. Aber nur weil man auf seine Schiene, egal ob die traditionell ist, oder eher modern auf Wettkampf only orientiert ist ist, muss man sich doch nicht so anfeinden.
Ich muss ehrlich sagen, in diesem Faden vermisse ich Fritz's Neutralität als Moderator...
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Linowitsch
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Re: Mundschutz

Beitrag von Linowitsch »

Ich möchte mich hier auf keine "Seite" schlagen, weil ich es ohnehin schade finde, dass es "Seiten" gibt, obwohl wir alle, in irgendeiner Form Judo machen.

Aber was sich mir bei der Diskussion aufzwingt ist Folgendes:
Ich erinnere mich noch daran, als Tom Herold hier ins Forum kam und versucht hat uns "Nur-Wettkampf-Sport-Judoka" von der Falschheit dessen was wir tun zu überzeugen, uns zu erklären, was wir alles nicht-tun und nicht-wissen.
Das ist jetzt einige Jahre her. Und wo sind wir jetzt? Wir haben hier Mitglieder, deren historisches Wissen zum Thema Judo ich beneide, die in Japan waren, Zugang zu Originaltexten haben, sich seit mehreren Jahrzehnten mit Judo beschäftigen und im wesentliches zu ähnlichen (teils auch abgeschwächten) Ansichten wie Tom kamen oder schon gekommen sind, die das Forum und IMHO das deutsche Judo bereichern.

Und jetzt wird jedes mal wenn ein neues Forenmitglied kommt und von seinem "Nur-Wettkampf"-Standpunkt aus argumentiert, wieder gegen die Wand argumentiert und diskutiert. Ihr lasst "Stulle" eigentlich gar keine Chance zu verstehen, was sich hier im Forum über Jahre entwickelt hat und was viele über jahrelange Judoerfahrung und Lektüre von Fachliteratur erfahren haben.

Und mit Verlaub, ein Hinweis, man solle doch erst mal lesen, nimmt man doch nicht (mehr) ernst, wenn man erst mal einen verhärteten Standpunkt hat, auch wenn es der richtigere Weg wäre.
Gruß
Lino

Kompetenzen kann man nur weitergeben, wenn man sie hat. (tutor! am 29.10.2008)

Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird.
Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden. (judoka50 am 23.11.2006)
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Fritz
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Re: Mundschutz

Beitrag von Fritz »

otsche hat geschrieben:Jemanden aufgrund einer geringeren Beitragszahl nicht ernst zu nehmen?! Und wenn sich der Herr Peter Frese hier anmeldet, ohne zu sagen wer er ist? Akzeptierst du seine Meinung dann auch nicht?
Ich muss sagen, ich kann Stulle verstehen. Das man nicht alles verbieten sollte, ist uns allen klar, und das ein Mundschutzverbot mehr als fragwürdig ist, ist uns glaube ich allen klar. Aber nur weil man auf seine Schiene, egal ob die traditionell ist, oder eher modern auf Wettkampf only orientiert ist, muss man sich doch nicht so anfeinden.
Ich muss ehrlich sagen, in diesem Faden vermisse ich Fritz's Neutralität als Moderator...
Also der Reihe nach: Ich akzeptiere, daß Stulle eine fachliche Meinung hat. Da diese mir persönlich unlogisch erscheint und aus _meiner_ Sicht
gewisse Lücken enthält, versuche ich, mich mit ihr fachlich und argumentativ auseinanderzusetzen.
Da bin ich auch nicht neutral, das muß ich auch nicht.
Meta-Diskussionen (also Diskussionen über Diskussionen) möchten wir eigentlich in den Fachforen nicht haben.
Diesbezgl. Anläufe von "Stulle" habe ich aber im Sinne der Meinungsfreiheit geduldet.
Stulle hat aber nicht aufgehört, an dieser Stelle nachzubohren und mich direkt anzusprechen.
Darauf hin habe ich ihm geantwortet, neutral als Moderator. Genauso wie ich jeden anderen darauf hinweisen würde. Dafür habe ich
einen hoffentlich nicht allzuhinkenden Vergleich bemüht u. würde diese Thematik ungern weiter ausführen...
Ich kann mich auch nicht erinnern, daß ich Stulle nicht ernst genommen habe, ob seiner geringen Beitragszahl.
Im Gegenteil, ich halte seine Meinung für durchaus (bedenklich) ernstzunehmen, gerade hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Judo
- deshalb siehe oben - habe ich auf Stulles Beiträge auch ernsthaft geantwortet.


Die Unterscheidung zwischen "traditionell" und "modern Wettkampf only" halte ich für künstlich und verfehlt.
Wie tutor! ausführte, gehören Wettkämpfe seit je her mit dazu. Allerdings vertrete ich die Ansicht: Wettkämpfe sollten einen Zweck haben.
Welchen findet man in den einschlägigen Kano-Zitaten. Wettkampfregeln sollten auch einen Zweck haben - für mich den, daß für den echten
Kampf wichtige Eigenschaften geschult werden, die Leute dabei gesund bleiben und schädliche Verhaltensweisen (ein paar Beispiel hatte ich genannt:
Bank, abgebeugt usw..) bestraft / nicht belohnt werden. Bestrafung heißt hier für mich: Möglichst nicht durch den Kari,
sondern inhärent durch den Kampfverlauf.
Bezogen auf den Mundschutz heißt das: Erzeugt ein Mundschutz ein schädliches Verhalten?
Gibt er sportlich einen unfairen Vorteil? Würde ich beides mit nein beantworten.
Dient er der Gesunderhaltung, würde ich mit ja beantworten - gibt es gesundheitliche Nachteile
- mir sind momentan keine bekannt, deshalb meine Frage nach den Statistiken/Studien,
ich kann mich ja täuschen - genügend Daten zum Auswerten sollte es geben, immerhin ist Mundschutz in einigen Sportarten sogar Pflicht.
Nach der jetzigen Faktenlage sehe ich keinen Grund, für ein Verbot.
Ich sehe, allerding auch keine zwingende Notwenigkeit für eine Mundschutzpflicht, unter dem jetzigen Regelsatz.
Also kann man es der Eigenverantwortung überlassen.
Man könnte, wenn man wollte, das absichtliche Herausfallen lassen eines Mundschutzes, als Shido-Grund ansehen,
da es sicherlich zu einer eigentlich unnötigen Kampfunterbrechung führt... Nur so etwas müßte erst ausdrücklich geregelt werden,
wenn sich das "moderne Wettkampf only"-Typen tatsächlich als "Taktik" zur Auflösung mißlicher Situationen überlegen - aber selbst dann
könnten die Karis das mit dem bestehenden Gummiparagraph Artikel 16/Punkt 32 (?) mit dem "Geist des Judo" "austreiben" ;-)
Linowitsch hat geschrieben:Und jetzt wird jedes mal wenn ein neues Forenmitglied kommt und von seinem "Nur-Wettkampf"-Standpunkt aus argumentiert, wieder gegen die Wand argumentiert und diskutiert. Ihr lasst "Stulle" eigentlich gar keine Chance zu verstehen, was sich hier im Forum über Jahre entwickelt hat und was viele über jahrelange Judoerfahrung und Lektüre von Fachliteratur erfahren haben.

Und mit Verlaub, ein Hinweis, man solle doch erst mal lesen, nimmt man doch nicht (mehr) ernst, wenn man erst mal einen verhärteten Standpunkt hat, auch wenn es der richtigere Weg wäre.
Da hast Du sicherlich richtig mit Deiner Einschätzung.
Allerdings ist mein "Standpunkt" da auch "erhärtet": Ums Lesen kommt man nicht drumrum.
Aber wir sind da kompromissbereit und suchen gelegentlich sogar die Fäden heraus oder geben konkrete Suchanregungen.
Wir haben nunmal das Geschichts-Unterforum, wir haben Literatur-Hinweise usw...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Mundschutz

Beitrag von Stulle »

Fritz, das witzige ist, ich habe mittlerweile so viele Diskussionen mit so vielen Leuten geführt, habe Rhetorikseminare besucht und mich in Debatten gemessen. Da ist es mir ziemlich egal, was die Leute vorher gemacht haben, solange das Gesagte einen Sinn für mich ergibt. Was ich dort gelernt habe, war vor allem das, was ich hier schon mehrfach gesagt habe, es wird eigentlich nicht ergebnisoffen und unvoreingenommen über neue Regelungen diskutiert, sondern es werden alte Meinungen erstmal drüber gebügelt, frei nach dem Schema "Regeländerungen sind eigentlich alle schlecht, weil es jetzt schon zu viele Regeln gibt".

Ich habe mehrfach gesagt, dass ich keineswegs mit allem einverstanden bin, was da an Änderungen kommt, doch versuche ich dem offen gegenüber zu stehen, alleine schon weil mich langwierige Diskussionen keinen Schritt näher an eine Änderung bringen, dafür bin ich in keiner Situation. Da arrangiere ich mich und versuch mir eine Meinung zu bilden, mit der ich solche Regeln dann betrachte. Was diesen speziellen Fall betrifft, so habe ich ebenfalls schon gesagt, dass ich persönlich weder sonderlich für, noch gegen ein Verbot bin. Ich bin da sogar ziemlich indifferent, einfach weil es mich nicht betrifft. Zwar habe ich eine Meinung zum Mundschutz im Judo, jedoch hat diese nichts mit dieser Regel und meiner Akzeptanz für diese zu tun. Das ist eine rein persönliche Befindlichkeit und ich kann den Ärger derer, die von der Regel betroffen sind durchaus verstehen. Das früher oder später etwas in der Richtung "Sportler vor sich selbst schützen, aber gegen Mundschutz sein" kommen würde, war mir im übrigen schon im letzten Post klar... doch auch hier kann ich dir sagen, dass es für mich einen klaren Unterschied darstellt, wenn Knochen brechen oder Wirbelsäulenverletzungen provoziert werden, im Vergleich zu einer aufgeschlagenen Lippe oder in schlimmeren Fällen mal eine abgebrochene Schneidezahnecke, wobei letzteres auch nur versehentlich passiert. Ich habe es schon lang und breit ausgeführt, wenn gemäß der Regeln der IJF gekämpft wird, gibt es keine Situation bei der ein Sportler mit der Intention einer Mundraumverletzung in irgendeiner Form seinen Gegner attackiert. Im Gegensatz dazu nimmt es ein Sportler billigend in kauf, dass sein Gegner verletzt wird, wenn er sich bei der Ausführung von Waki-Gatame im Stand auf den Bauch fallen lässt. Ebenso nimmt es ein Sportler billigend in Kauf an den Folgen von Diving - und es gab in der Vergangenheit schon schwere Verletzungen deswegen - zu leiden, wenn er sich dadurch einen Vorteil im Wettkampf erhofft.

Im Übrigen ist es keinesfalls ein Dogma, welches ich aufstelle, wenn ich sage, dass sich Wettkampfjudo deutlich abheben soll von anderen Sportarten. Dies ist wiederum meine persönliche Meinung. Ich persönlich finde es eine richtige Grundherangehensweise mit der ich auch viele zuletzt ausgesprochene Verbote von Techniken für mich selbst rechtfertigen kann. Diese Herangehensweise mag dir, Fritz, nicht gefallen, aber dann müssen wir an dieser Stelle wohl übereinstimmen, dass wir nicht übereinstimmen. Aber genau das vermisse ich hier und auch in der Diskussion mit anderen, wenn es um Regeländerungen geht. Es herrscht viel zu wenig Bereitschaft, sich auch mal die andere Seite anzusehen oder auch nur der Wille diese zu akzeptieren.

Letztlich auch noch einen Satz zu Judotechniken, wenn wir jetzt wirklich 1:1 gucken wollen, was sind Judotechniken und was nicht, dann halte ich das ehrlich gesagt für latent infantil. Willst du jetzt wirklich von mir, dass ich dir eine umfassende Liste mache, nur damit du mir am Ende unter die Nase reiben kannst, dass ich eine Technik vergessen habe? Ich denke jedem der ein paar Jahre Judo macht wird verständlich sein, was Judotechniken sind. Dies selbst in Worte zu fassen, fällt mir sicherlich schwer, gebe ich offen und ehrlich zu. Wenn wir uns aber die zuletzt verbotenen Techniken ansehen, dann kann man schnell feststellen, es sind eigentlich immer Techniken gewesen, die entweder verletzungsgefährlich oder eindeutig aus einer anderen Sportart waren. Ich sage ja auch nicht, dass wir grundsätzlich alles Fremde raus schmeißen sollen, doch wenn sich das Wettkampfgeschehen nur noch auf solche Techniken beschränkt, die nicht mal ansatzweise in Kata oder Dan-Prüfung gezeigt werden bzw. ganz klar verletzungsgefährdend sind, dann läuft etwas falsch. Dein Versuch meine Argumentation bezüglich der Wahrscheinlichkeiten von Verletzungen ad absurdum zu führen halte ich übrigens für recht verzweifelt. Glaubst du wirklich, ich bin nicht in der Lage zu sehen, dass alle Techniken potentiell Gefahren bergen? Bin ich und ich muss dir ganz klar sagen, wenn du nicht in der Lage bist zu unterscheiden zwischen einer Technik und einer gefährlichen Technik, dann bin ich froh, dass du die Wettkampfregeln nicht festlegst. Weil einen Uki-Goshi zu vergleichen mit dem Versuch Uke dadurch zu werfen, dass der gestreckte Arm über die eigene Schulter gehebelt wird, das ist Äpfel mit Motoröl vergleichen. Beide haben Kohlenstoff...

Achso, zu allerletzt noch mal der Hinweis von mir, ich möchte festhalten, dass ich nicht von einem "Nur-Wettkampf"-Standpunkt argumentiere, vielmehr von einem "Wettkampfregeln-sind-für-den-Wettkampfbereich"-Standpunkt. Daß ich mich dort klar von bestimmten Bereichen, die auch zum Judo gehören, abgrenze, ist naheliegend.

Edit: @Linowitsch: Vielleicht auch noch mal direkt an dich, ich habe kein Problem mit der Haltung, die hier viele einnehmen und sagen, Judo ist mehr als das, was im Wettkampf erlaubt ist. Kann ich voll und ganz verstehen, zum Teil sogar nachempfinden. Woran ich mich störe, sind die Ansätze eben den Wettkampfsport komplett zu deregulieren und Regeländerungen schon aus Prinzip zu verteufeln, egal ob man alles über sie weiß oder nicht. Da brauche ich mich gar nicht so sehr in das Forum hier reinfinden und reinlesen, weil ich identische Diskussionen eigentlich bei jedem Wettkampf oder mit den Sportfreunden aus meinem Verein führen kann. Und wenn ich nur zwei oder drei Leute dazu bringe, auch mal aus einer anderen Sichtweise auf solche Fragestellungen zu gucken oder einfach nur etwas mehr Akzeptanz für die blöde Situation der Kampfrichter, die solche Regeln durchsetzen müssen, aufbringen, dann haben sich meine vielen Worte schon mehr als rentiert.
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Makikomi Kid
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Re: Mundschutz

Beitrag von Makikomi Kid »

Laut Kano sollte das Randori den Übenden für erichtigen, echten Kampf vorbereiten:
Der Grund dafür, daß das Randori heute so mißverstanden wird, liegt darin, daß man allgemein vergessen zu haben scheint, daß das Randori den ernsthaften, echten Kampf schulen und auf diesen vorbereiten soll. Wenn aber jemand wirklich ernsthaft kämpft, ist eine Haltung, in der man die Hüften absenkt, die Beine spreizt und den Kopf nach vorn unten absenkt (um nicht geworfen zu werden), extrem unvorteilhaft. Sowohl das Gesicht als auch der Oberkörper sind in einer solchen abgebeugten, defensiven Haltung nämlich leicht zu erreichende Ziele für die Atemi (Tritt- und Schlagtechniken des Jûdô) des Gegners. Auch ist es sehr schwer, sich in einer solchen Haltung schnell genug zu bewegen, um die Attacken des Gegners abzuwehren.
Atemi werden heute nicht mehr ständig im Randori angewandt, da sie sehr gefährlich sind, doch man muß sie trotzdem immer und immer wieder üben, da man stets damit rechnen muß, daß der Gegner mit solchen Techniken angreift.
Der Fehler, darauf nicht genügend zu achten, ist die Wurzel vieler Mißverständnisse in Bezug auf das Jûdô. Darum sollte man unbedingt Wert darauf legen, im Training (und im Kampf) eine natürliche Körperhaltung einzunehmen, ohne den Körper zu beugen oder zu verdrehen. Die Arme und Beine sollten entspannt sein, damit man sich frei und schnell bewegen kann. Manchmal ist es akzeptabel, eine etwas gebeugte Verteidigungshaltung einzunehmen - doch immer nur für einen kurzen Moment. Die natürliche Körperhaltung muß beibehalten werden oder man muß sofort zu ihr zurückkehren, wann immer das möglich ist.
Grob übersetzt aus der Englischen Version von Mind over Muscle.

Ich denke mal, Kano wäre Mundschutz nicht wirklich abgeneigt gewesen.
"Es gibt auf Dan Prüfungen zu höheren Stufen noch Dan-Träger, die noch nicht richtig fallen können" - Judoka50
tutor!
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Re: Mundschutz

Beitrag von tutor! »

Da Du Fass schon aufmachst... Wie ich oben geschrieben habe, hat das Judo seit frühester Zeit (die erste zusammenfassende Darstellung stammt von 1889) drei Zeile:
  • Entwicklung grundlegender Fähigkeiten sich und andere im Bedarfsfall verteidigen zu können
  • körperliche Ertüchtigung / Leibeserziehung
  • geistig-moralische Schulung
Die ursprünglichen Wettkampfregeln sind ein Meisterstück in der Umsetzung dieser drei Ziele durch Wettkämpfe, bzw. durch Wettkampfregeln. Das schon damals praktizierte Nachsteuern (=Einführung neuer Regeln), ist immer wieder der Versuch gewesen, Verhaltensweise zu eliminieren, die zwar einen Sieg bringen konnten, jedoch keinen echten Beitrag zu den obigen Zielen leisteten. Am deutlichsten wird das bei den bereits erwähnten Regelungen zum Verbot verletzungsgefährdender Techniken und Aktionen, die dem Gedanken der Leibeserziehung zuwider liefen.

Eine weitere Regeländerung in Bezug auf die Leibeserziehung war die Beschränkung des Bodenkampfes im Verhältnis zum Standkampf. Für Kano hatte der Standkampf einen höheren Wert als Leibesübung, weswegen er für Schüler bis 1. Dan 20-30% Boden und für Schüler oberhalb 30-40% Bodenkampf empfahl. Die Verschiebung mit der Graduierung kam daher, dass er der Überzeugung war, dass man zunächst Stand, später Bodentechniken lernen sollte.

Ab 1914 gab es die legendären Kosen-Wettkämpfe, in denen einige Universitäten extrem erfolgreich durch Bodenkampf waren. Die Kämpfer setzten sich einfach hin oder zogen ihre Gegner in die Bodenlage und mieden so den Standkampf. Dem wurde dadurch gegengesteuert, dass der Übergang zum Boden nur nach einer Wurftechnik oder durch "besondere Geschicklichkeit" erlaubt wurde. Aber im Wesentlichen ging es um den Aspekt der Leibeserziehung und das Verhältnis Stand/Boden, das Kano austarieren versuchte.

Wie äußert sich der Gedanke des Kämpfens außerhalb des Dojo in den Regeln?

Nun der KR sollte die Kämpfer zu einem aufrechten Kampfstil anhalten, aber aus den obigen Gründen, es wurden zwar keine Atemi gemacht, aber man wollte die Körperhaltung und Bewegung schulen, die erforderlich ist, um sich auch gegen solche Angriffe zu verteidigen. Die größere Betonung des Standkampfes gegenüber dem Bodenkampf rührte neben dem oben aufgeführten auch aus der "SV", nämlich dass man sich mit Wurftechniken besser gegen mehrere Angreifer verteidigen kann, als mit Katame-waza.

Ein weiteres Beispiel ist die Definition des Ippon. Bei Hebeln und bei Würgern ist es eindeutig: der Kampf ist durch Aufgabe beendet, aber wie ist es bei Würfen? Nun, ein Ippon sollte dann gegeben werden, wenn die Technik mit so viel Schwung und Kraft ausgeführt wird, dass in einer Kampfsituation außerhalb des Dojo, der Gegner kampfunfähig wäre. Heute sind die KR hier viel schneller beim Ippon als in meiner WK-Zeit. Leider....

Interessant auch Haltegriffe. Ein Ippon durch einen Haltegriff soll eigentlich nur dann ein Ippon sein, wenn der Gehaltene alles menschenmögliche getan hat, um sich zu befreien. Erst wenn er selbst erkennt, dass es aussichtslos ist, ist es ein "echter" Ippon. Früher war die Haltezeit nicht festgelegt, sondern der KR entschied genau nach diesem Kriterium. Einige Japaner sehen deshalb auch die Verkürzung der Haltezeit sehr kritisch. 30 Sekunden sehen sie als angemessen, um die Wirksamkeit der Technik zweifelsfrei zu testen.

Wie sieht es nun mit der geistig-moralischen Ebene aus. Schlägt die sich in den Regeln nieder? Vielleicht ist es interessant, dass in Japan eine Debatte um Jubelgesten läuft, die viele Traditionalisten gerne einschränken würden. Eine der Lehren des Kampfes, die Kano vermittelt hat war: "Siege bescheiden, verliere mit Würde". Gerade diese Bescheidenheit im Sieg sehen viele heute nicht mehr gegeben und machen dies an den Jubelgesten fest.

Ihr seht an diesen Beispielen, dass es sich vielleicht doch lohnen könnte in Geschichte und Philosophie ein wenig tiefer einzutauchen und Regeln und Regeländerungen vor dem IMHO einzigen bedeutsamen Hintergrund zu diskutieren: der Identität und dem Wesen des Judo.
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werner lachmuth

Re: Mundschutz

Beitrag von werner lachmuth »

Grade habe ich selber nochmal in "Mind over Muscle" hineingeschaut.
Das steht da wirklich.
Kano hat das so gesagt:
Der Grund dafür, daß das Randori heute so mißverstanden wird, liegt darin, daß man allgemein vergessen zu haben scheint, daß das Randori den ernsthaften, echten Kampf schulen und auf diesen vorbereiten soll.
Atemi werden heute nicht mehr ständig im Randori angewandt, da sie sehr gefährlich sind, doch man muß sie trotzdem immer und immer wieder üben, da man stets damit rechnen muß, daß der Gegner mit solchen Techniken angreift.
Der Fehler, darauf nicht genügend zu achten, ist die Wurzel vieler Mißverständnisse in Bezug auf das Jûdô.
Der Wettkampf ist doch sowas wie Randori mit Kampfrichter. Hat Kano das nicht so gesagt? Habe ich mal in einem anderen Forum gelesen glaube ich.

"Tutor!" hat geschrieben:
Wie ich oben geschrieben habe, hat das Judo seit frühester Zeit (die erste zusammenfassende Darstellung stammt von 1889) drei Zeile:

* Entwicklung grundlegender Fähigkeiten sich und andere im Bedarfsfall verteidigen zu können
* körperliche Ertüchtigung / Leibeserziehung
* geistig-moralische Schulung
Die ursprünglichen Wettkampfregeln sind ein Meisterstück in der Umsetzung dieser drei Ziele durch Wettkämpfe, bzw. durch Wettkampfregeln.
Na dann kann das ja nur heißen, dass wir wieder zurück kehren sollten zu den ursprünglichen Regeln.
Dann werden ja so Diskussionen wie die hier überflüssig.
tutor!
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Re: Mundschutz

Beitrag von tutor! »

werner lachmuth hat geschrieben:Na dann kann das ja nur heissen dass wir wieder zurück kehren sollten zu den ursprünglichen Regeln.
Klares Nein, denn Kano hat mit seinen Regeländerungen stets nur auf Probleme reagiert, die dadurch entstanden sind, dass sich Wettkämpfer zwar im Rahmen der Regeln bewegt haben, aber eben doch am Sinn vorbeigeschossen haben. Dieser Prozess - der einem Wettlauf zwischen Hase und Igel gleicht - hält bis heute an. Allerdings sind auch nicht alle Gegensteuerversuche gut verlaufen.

Das Kernproblem ist, dass nicht alle Leute Judo machen, wie es gemäß der obigen Ziel sein sollte. Sie korrumpieren Judo um des Erfolges Willen.

Zurück zu den ursprünglichen Regeln zu gehen, würde bedeuten, dieselben Probleme noch einmal durchzulaufen. Aber man muss den Geist der ursprünglichen Regeln schrittweise wieder etablieren.
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Stulle
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Re: Mundschutz

Beitrag von Stulle »

tutor!, es macht wirklich Spaß deine Posts zu lesen!

Eine kurze Sache sticht mir beim Beitrag von werner lachmuth, jedoch sehr stark ins Auge. Bitte korrigiere mich, wenn ich da einem Irrtum aufsitze, aber soweit ich weiß, wird in der Regel grob in drei Formen des Kampfes unterschieden. Das ist das Randori, der Übungskampf und Wettkampf. Dabei meint Randori ein freies Üben, welches einen Kampfcharakter hat. Der Übungskampf ist eine Simulation des Wettkampfes im Trainingsbetrieb und der Wettkampf dann das aufeinander treffen im Rahmen von Meisterschaften und Turnieren. Von daher halte ich die Formulierung "Der Wettkampf ist doch sowas wie Randori mit Kampfrichter." für ziemlich unglücklich.

Ansonsten kann ich mich tutor! wirklich nur anschließen, besonders mit dem Hintergrund seines geschichtlichen Hintergrundwissen, was meiner Meinung nach die heutigen Entwicklungen großflächig abdeckt. Nicht uneingeschränkt, aber ich sage ja selbst, dass die Regeln z.T. unglücklich sind. Gerade was die Auslegung von Wertungen im DJB bzw. bei uns im Land betrifft bin ich häufig unglücklich mit dem, was die Kommission sich da teilweise als "Konsens" für die Videoanalysen aussucht.
tutor!
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Re: Mundschutz

Beitrag von tutor! »

Stulle hat geschrieben:Eine kurze Sache sticht mir beim Beitrag von werner lachmuth, jedoch sehr stark ins Auge. Bitte korrigiere mich, wenn ich da einem Irrtum aufsitze, aber soweit ich weiß, wird in der Regel grob in drei Formen des Kampfes unterschieden. Das ist das Randori, der Übungskampf und Wettkampf. Dabei meint Randori ein freies Üben, welches einen Kampfcharakter hat. Der Übungskampf ist eine Simulation des Wettkampfes im Trainingsbetrieb und der Wettkampf dann das aufeinander treffen im Rahmen von Meisterschaften und Turnieren. Von daher halte ich die Formulierung "Der Wettkampf ist doch sowas wie Randori mit Kampfrichter." für ziemlich unglücklich.
Das hört sich für die Mehrzahl der heutigen Judoka - vor allem der Jüngeren, die mit Wettkampfjudo groß geworden sind - wirklich etwas merkwürdig an. Ist es aber eigentlich nicht.

Du hast vollkommen damit Recht, dass heutzutage vor allem im Leistungssport eine grobe Dreiteilung existiert, die mit den Begriffen:
  • Randori
  • TWK (Trainings-Wett-Kämpfe)
  • Shiai / Meisterschaft / Turnier
bezeichnet werden. Ich denke, Du sprichst genau diese Einteilung als "drei Formen des Kampfes" an.

Historisch gesehen wurden alle drei Formen als Randori bezeichnet. So hießen die ersten Wettkampfregeln auf deutsch übersetzt etwa so viel wie "Regeln zur Beurteilung von Randori" (Reaktivator hat das hier irgendwann einmal komplett übersetzt und erklärt). Auch finden wir in den Aufzeichnungen des Kodokan aus dem 1890er Jahren im Programm Punkte wie:

Randori:
  • Yoshin-ryu-Katayama Shintaro vs. Keishi-ryu-Nomura Kinsosuke
  • Yoshin-ryu-Yamamoto-Kinsaku vs Kdokan-Judo-Hirose Takeo
etc.

Also Randori, mal mit, mal ohne Kampfrichter - aber eben stets Randori genannt. Ab wann sich der Begriff "Shiai" eingebürgert hat, kann ich ohne weitere Nachforschungen nicht beantworten.

Die gegenwärtig verbreitete Praxis des Randori, wie sie auch in der von Dir angesprochenen Dreiteilung zum Ausdruck kommt, leidet unter dem nicht korrekt austarierten Verhältnis Randori - Shiai (um beide Begriffe zu benutzen).

Im heutigen Wettkampfsport wird Randori in unterschiedlichen Formen meist als Trainingsmittel zur Verbesserung der Ergebnisse im Shiai (miss-)verstanden. Damit wird die Ergebnisoptimierung im Wettkampf zum Ziel des Randori. Das ist vor dem Hintergrund eines Erziehungssystems zu hinterfragen, denn Erfolg im Wettkampf für wenige passt nicht zu einem Erziehungssystem für viele(!) - aber ich bin der Meinung, dass eine Ergebnisoptimierung nur möglich ist über eine Auseinandersetzung mit sich selbst, durch Entwicklung von innerer Stärke, von Kritikfähigkeit, dem Verarbeiten von Rückschlägen, dem Überwinden von Widerständen, dem sich Stellen einer Situation, in der man versagen kann usw. In diesem Sinn kann Leistungssport Charakterbildung sein und hohen erzieherischen Wert haben. Wer diese Qualitäten nicht hat, bzw. nicht entwickelt, den kann ich persönlich nicht als Leistungssportler betrachten und solche Leute kommen zwar teilweise zu einigen Ergebnissen auf z.B. Gruppenebene, aber nicht viel weiter. Eine große Verantwortung tragen jedoch die Trainer, die das Kampfverhalten und die Charakterbildung steuern müssen. Aber an der Stelle geht, wie wir wissen, leider einiges schief....

Trainer im Leistungssport müssen sich IMHO auch als Pädagogen sehen - und die Öffentlichkeit sollte sie und ihre Arbeit auch daran bewerten. Nur leider interessiert es in unserem Sport- und Sportfördersystem keine S**, ob die Leistungssportler charakterlich zwar gut geschult sind, aber mal wieder keine Medaillen gewonnen haben.

Was das Verhältnis Randori <-> Shiai betrifft, müsste aus meiner Sicht die Gegenrichtung viel stärker Berücksichtigung finden. Die Funktion des Wettkampfs als Übung für das (nicht bewertete) Randori. Dem nicht bewerteten Randori fehlt das psychologische Moment der "entscheidenden" Aktion - dem Ippon! Die Fähigkeit zum "Ippon-machen" entwickelt sich nur im Wettkampf. Wenn man dies im Wettkampf gelernt hat, dann kann man es auch auf das Randori übertragen. Irgendwann braucht man dann keinen Wettkampf mehr - man kennt den "Geschmack" des echten Ippon.
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Re: Mundschutz

Beitrag von Fritz »

Stulle hat geschrieben:Da ist es mir ziemlich egal, was die Leute vorher gemacht haben, solange das Gesagte einen Sinn für mich ergibt. Was ich dort gelernt habe, war vor allem das, was ich hier schon mehrfach gesagt habe, es wird eigentlich nicht ergebnisoffen und unvoreingenommen über neue Regelungen diskutiert, sondern es werden alte Meinungen erstmal drüber gebügelt, frei nach dem Schema "Regeländerungen sind eigentlich alle schlecht, weil es jetzt schon zu viele Regeln gibt".
Wo bitte schön wurde jemals über eine (beabsichtigte) Wettkampfregel mit den Betroffenen, also den Wettkämpfern
"ergebnisoffen" diskutiert. Also am konkreten Beispiel: Wo haben IJF/EJU/DJB mit uns Judoka _ergebnisoffen_ diskutiert, ob wir ein
Mundschutz-Verbot wollen oder brauchen? Wo bitte? Wo bitte gibt es als Ergebnis einer solchen "ergebnisoffene" Diskussion das Ergebnis, daß
eine Regeländerung zurückgenommen wurde?
Weißt Du, als potentiell Betroffene sich untereinander jede neue "Zumutung" schönzureden, diese Art "ergebnisoffener Diskussionen" hatten wir
in der DDR bis zur Perfektion üben können... :BangHead
Letztlich auch noch einen Satz zu Judotechniken, wenn wir jetzt wirklich 1:1 gucken wollen, was sind Judotechniken und was nicht, dann halte ich das ehrlich gesagt für latent infantil. Willst du jetzt wirklich von mir, dass ich dir eine umfassende Liste mache, nur damit du mir am Ende unter die Nase reiben kannst, dass ich eine Technik vergessen habe? Ich denke jedem der ein paar Jahre Judo macht wird verständlich sein, was Judotechniken sind. Dies selbst in Worte zu fassen, fällt mir sicherlich schwer, gebe ich offen und ehrlich zu. Wenn wir uns aber die zuletzt verbotenen Techniken ansehen, dann kann man schnell feststellen, es sind eigentlich immer Techniken gewesen, die entweder verletzungsgefährlich oder eindeutig aus einer anderen Sportart waren.
Infantil, also kindlich ja? Leider machst Du nun eine Vermutung zur Gewissheit :-( - Bevor ich darauf etwas näher eingehe, möchte ich noch mal
Deine Argumentation mit einem "Beispiel" unterlegen: Hüftwürfe sind eindeutig Techniken aus dem Ringen (und Ringen ist sehr viel älter als Judo).
Nach Deiner Aussage sollten/könnten sie also im Judo-Wettkampf verboten werden. Also verblieben im Judo-Wettkampf im Extrem nur die Techniken,
die es anderswo nicht gibt, oder? Ok, Du schiebst später noch ein, daß man doch nicht alles Fremde rausschmeißen soll, damit drängt sich
die zwingende Frage auf: Wann sollte Deiner Meinung nach was Fremdes entfernt werden, wann nicht?

Ok, zurück zur "Gewissheit". Es ist kein Zufall, daß Du nicht in Worte fassen kannst, was Judotechniken sind. Es ist auch kein Zufall,
daß Du dabei auf "ein paar Jahre Judo" verweist, weil Du zu spüren glaubst, was eine Judotechnik ist. Der Grund ist nämlich, daß es gar keine
Technik-Listen gibt u. geben kann, wo steht, was Judotechniken sind. Daß man es evt. spürt (glaub mir,
auch diese Gespür kann einen aber böse täuschen), liegt
daran, daß "Judotechniken" aber trotzdem ein Charakteristikum haben: Nämlich daß sie den Judo-Prinzipien unterliegen. Sie ermöglichen
mit minimalen Aufwand ein Maximum an Wirkung zu entfalten. (Und weil dieser Effektivitätsgedanke allein nicht reicht, ist irgendwann
noch die Maßgabe dazu gekommen, daß so geübt werden soll, daß es dem entsprechenden Umfeld (Übungspartner, Gruppe, Volk, Welt)
nützlich ist.) So hat es der Begründer des Judo - Jigoro Kano - festgelegt. Das Effektivitäts-Prinzip wird unter dem Begriff "Seiryoku Zenyo" gehandelt,
das Nützlichkeitsprinzip unter "Jita-Kyoei". Damit sind alle Techniken "Judo", welche diesen Prinzipien genügen.
Der ganze Abgrenzungsgedanke ist Humbug, da Kano selbst Judo aus unterschiedlichen Koryu (allen voran Kito-Ryu und Tenshin-Shinyo-Ryu)
zusammengestellt hat, indem er deren Techniken gemäß der o.g. Prinzipien bewertet hat und sie entsprechend ins Judo aufgenommen hat oder nicht.
Von einigen Techniken bzw. Technik-Varianten kann man z.B. im Daigo dann nachlesen, daß sie von Judoka erfunden wurden, aber der Großteil kommt
von anderswo... Auch darüber haben wir hier im Forum einige sehr informative Fäden.
Meine "Gewissheit" besteht nun leider darin, daß Du Dich noch nicht gründlich genug mit "Judo" - was es ausmacht, wo es herstammt, usw. beschäftigt hast...
Das ist sehr bedenklich, denn gerade als Kampfrichter in heutiger Zeit hast Du die enorme Verantwortung gegenüber "werdenden Judoka",
ihnen auf der Matte sozusagen den richtigen "Weg" zu weisen. Bitte nimm das nicht als persönlichen Angriff, sondern als
ernstgemeinte Bitte, dieser Verantwortung nachzukommen und Dich entsprechend zu bilden. Unser Forum kann Dir dafür eine große Hilfe sein.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Stulle
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Re: Mundschutz

Beitrag von Stulle »

tutor!: Danke für die Einlassung, das war mir in dem Umfang nicht bekannt. :)

Fritz: Bitte lies und würdige doch auch das was ich schreibe. Ich sage doch selbst, dass ich unzufrieden mit einigen Dingen im Bereich der Regeln bin. Das ist für mich aber kein Grund immer direkt zu verteufeln und stur auf einer Meinung zu verharren. Wie will ich denn auch für mehr Dialog bei den Regeländerungen eintreten, wenn ich selbst dafür nicht bereit bin? Dann wäre ich ja nicht besser, als die, die jetzt so manche krumme Regeländerung bringen.

Was die Techniken betrifft, ich denke gerade die Hüftwürfe aus der Kata können wir klar dem Judo zurechnen, auch wenn sie vielleicht nicht innerhalb des Sportes entwickelt worden sind. Kano hat nun mal in vielen Bereichen gelernt, bevor er anfing zu lehren und daher ist dies nicht verwunderlich. Ich wehre mich aber, Techniken uneingeschränkt zu akzeptieren, die nicht dem für mich wichtigsten Grundgedanken des Judos entsprechen, der für mich da wäre, das Ausnutzen der Kraft und Bewegung des Gegners. Noch mehr wehre ich mich dann, solche Techniken zu akzeptieren, wenn sie eben in hohem Maße verletzungsgefährlich sind.

Ansonsten kann ich dir zumindest dahingehend recht geben, dass ich bisher noch nicht genügend Zeit hatte, mich so tief in die Geschichte hinein zu lesen, wie ihr das vielleicht hattet. Das finde ich selbst immer wieder schade, aber ich weiß auch, dass ich auch so schon sehr viel Zeit in diesen Sport investiere bzw. auch schon investiert habe. Irgendwo muss ich aber auch versuchen, meinen eigenen Lebensweg außerhalb des Sportes zu bestreiten und da die Waage zu finden, ist nun mal nicht einfach. Von daher stimme ich zwar zu, dass die Kampfrichter sich sehr viel mit dem Sport auseinandersetzen müssen, jedoch kann man nicht verlangen, dass sie ein eingehendes Studium der Geschichte des Judo gemacht haben, nur damit aus ihnen ein Kampfrichter werden kann. Sie sollten aber stets bestrebt sein, sich weiterzuentwickeln und ihr Wissen zu verbessern. Das versuche ich, soweit ich es einrichten kann, ständig.
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Re: Mundschutz

Beitrag von tutor! »

Mit den Judo-Techniken und den judofremden Techniken sehe ich das etwas anders als Fritz - zumindest, wenn wir über Kodokan-Judo reden.

Techniken des Kodokan-Judo sind IMHO solche Techniken, die der Kodokan lehrt und als "seine" Techniken anerkennt. So einfach - und dafür gibt es durchaus Listen (http://www.kodokan.org/e_waza/index.html)

Zur Überprüfung gibt es bestimmte Kriterien, die Fritz treffend erläutert hat. Das genau hat Kano nämlich getan: geprüft, welche Techniken aus verschiedenen Quellen diesen Kriterien entsprachen und somit in das Kodokan-Judo aufgenommen werden konnten und welche nicht.

In den Regeln von 1899 finden wir aber ein interessantes Detail: Ein Wurf soll auch dann mit Ippon bewertet werden, wenn nicht klar ist, um welche Technik es sich hierbei gehandelt hat. Es gab also sozusagen eine "Öffnungsklausel" - und damit eine Akzeptanz im Wettkampf von Techniken, die nicht dem offiziellen Technik-Kanon zugeordnet werden können.

Das heißt jetzt nun nicht, dass alles, was effektiv ist, Judotechnik ist. Dies gilt nur umgekehrt: Judotechnik kann nur sein, was effektiv ist! So herum wird ein Schuh daraus.

In den "Judo-Memoires of Jigoro Kano" wird er (Kano) zitiert mit:

"The correct way to practice Randori, which was taught in the early days of the Kodokan, has not been taught to the majority of todays trainees. This has resulted in an increase in the "strength versus strength" or wrestling type of practice, which is contrary to the correct Randori practice."

Kano selbst führte das "wrestling-type-of-practice" auf einen Mangel an guten Lehrern und auf die Fokussierung auf das Training für Wettkämpfe zurück - in den 1920er Jahren in Japan! Und ist es nicht exakt dieselbe Situation, die wir heute in Deutschland haben?

Und Kano bezeichnete es als "Detorioration of Randori" gerade weil ihm klar war, dass man im Wettkampf mit einem Kampfstil erfolgreich sein konnte, der seinen Vorstellungen von Randori widersprach.

Im gleichen Text fordert er übrigens, dass die Regeln so einfach sein müssen, dass man sie auch verstehen und anwenden kann, wenn man kein Judoexperte ist...
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Re: Mundschutz

Beitrag von Stulle »

Ich merke schon, im Grunde bin ich mit meinen Vorstellungen gar nicht soweit ab, kann es nur nicht mit den richtigen Hintergrundfakten begründen. Aber schön, dass tutor! dies tut.

Was die Komplexität der Regeln betrifft, muss ich aber klar recht geben. Es gab zwar hier und da Ansätze, dies zu erreichen (Keikoku und Chui zu Shidos zu machen, beispielsweise), aber leider wurde vieles einfach verkompliziert. Wobei ich an dieser Stelle den Faden aufgreifen möchte, den ich schon ein mal anfing, ich denke, dies ist auch dem geschuldet, dass Sportler und Trainer versuchen, das Möglichste für sich rauszuholen und da versuchen, die Herren und Damen Funktionäre mit gesetzestext-ähnlichen Formulierungen beizukommen...
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Fritz
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Re: Mundschutz

Beitrag von Fritz »

@Tutor: Interessante Hinweise...
Das heißt jetzt nun nicht, dass alles, was effektiv ist, Judotechnik ist. Dies gilt nur umgekehrt: Judotechnik kann nur sein, was effektiv ist! So herum wird ein Schuh daraus.
Da haben wir also das Problem notwendiger und hinreichender Bedingungen.
Du sagst also, Effektivität ist eine notwendige Bedingung für eine Judotechnik. Die Frage ist nun, ist es auch eine hinreichende Bedingung?
Und wenn nein? Wann also ist eine effektive Technik keine Judotechnik (vom bereits angesprochenen Dingen wie Selbst- und Übungspartner-Gefährdungspotential mal abgesehen)

Früher hatten also mal Kano und der "Kodokan" festgelegt, welche Techniken sie in den Judo-Lehrplan mit aufnehmen oder eher vernachlässigen.
Wer hat jetzt eigentlich den Kampfrichter-Kommissionen diese Verantwortung übergeholfen ;-)
Stullle hat geschrieben:Fritz: Bitte lies und würdige doch auch das, was ich schreibe. Ich sage doch selbst, dass ich unzufrieden mit einigen Dingen im Bereich der Regeln bin. Das ist für mich aber kein Grund immer direkt zu verteufeln und stur auf einer Meinung zu verharren. Wie will ich denn auch für mehr Dialog bei den Regeländerungen eintreten, wenn ich selbst dafür nicht bereit bin? Dann wäre ich ja nicht besser, als die, die jetzt so manche krumme Regeländerung bringen.
Jetzt bist Du nah dran ;-)
Es gibt doch gar keinen Dialog - "Sie" entscheiden - alle anderen "schlucken". Solange "sie" stichhaltige Argument benutzt haben
- Tod durch Eintauchtechniken, hohe Verletzungsrate, Vereinfachung der Mattenrandsituation, ist das "Schlucken" auch noch erträglich geblieben. "Man" hatte das Gefühl, daß Fachleute
mit Augenmerk und Ruhe "sich schon etwas dabei gedacht haben".
Nur wird es für mich in letzter Zeit immer schwerer, dies "ihnen" noch zu unterstellen. Zuviele Vorschriften,
die auf judofremde Dinge zielen (Rückennummern, Anzuglizenzen), die auf mehr "Attraktivität fürs Publikum" zielen, gepaart mit zu häufigen Eingriffen ins
Judo (erst das Hosengreif-Verbot - gut damit konnte ich leben, ist "für echt" nicht schlecht, ne enge Jeans o.ä. stoffmäßig gegriffen zu bekommen ist schwer - kaum hat es gute Wirkung
gezeigt, wird komplett verboten, dazu jetzt diese alberne Umklammerungs-Verbots-Regel - damit fallen offiziell vom Kodokan gelistete Techniken (also bspw. im Daigo aufgeführte) heraus),
unmotivierte Abbrüche bei der Bodenarbeit usw., dadurch zuviele Bestrafungen und "Bestrafungsgründe" ohne Verhältnismäßigkeit...
Also um Dich zu beruhigen:
Die o.g. Hosengreif-Verbots-Regel, die geänderte Mattenrand-Regel (Kampf läuft weiter solange es noch einer drinnen eine Aktion beginnt), Abschaffung vom Koka (aber nicht die Aufweichung
der Ippon-Kriterien), das Verbot des sich auf den Kopf stellens, sind Beispiele für Regel-Änderungen, die ich nicht "verteufele".
;-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: Mundschutz

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:Wann also ist eine effektive Technik keine Judotechnik (vom bereits angesprochenen Dingen wie Selbst- und Übungspartner-Gefährdungspotential mal abgesehen)
Du führst genau die einschränkenden Elemente auf, die ich bei einer Beurteilung auch zugrunde legen würde :D

Ansonsten muss man sich sicher über den Begriff "effektiv" unterhalten. Ersetzen wir es vielleicht durch "effizient", dann kommen wir meinen - und ich weiß auch Deinen - Vorstellung wohl näher. Effizient - beschränkt auf Nage-waza - ist etwas dann, wenn z.B.:
  • der eigene Krafteinsatz der Bewegung oder der Kraftwirkung des Gegners nicht direkt entgegengesetzt wird - im Idealfall in die gleiche Richtung weist
  • die Hebelgesetze so genutzt werden, dass Tori mit wenig Krafteinsatz eine möglichst große Kraftwirkung erreicht
  • das Gleichgewicht Ukes so gestört ist, dass Uke keinen eigene Kraftwirkung gegen die Toris Kraftwirkung (also keinen direkten Widerstand) aufbauen kann.
  • Uke um die "korrekten" Achsen gedreht wird
  • die zum Wurf erforderlichen Drehmomente durch Kraftwirkung senkrecht zu den Hebeln generiert werden
  • der eigene Krafteinsatz möglichst gleichmäßig auf die gesamte Körpermuskulatur "verteilt" ist.
Ich wüsste jetzt nicht auswendig, wo Kano einmal von Achsen oder von Drehmonenten schreibt, aber die Punkte 1, 2, 3 und 6 finden sich mehr oder weniger explizit auch schon bei ihm.
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Re: Mundschutz

Beitrag von Stulle »

Fritz, schön dass wir hier übereinstimmen. Mein Ausgangspunkt war ja auch nicht, dass ich sage man soll alles hinnehmen, sondern mein Ausgangspunkt war, man solle über Dinge reden, bei denen man genügend Informationen hat und wenn man drüber redet, sollte man nicht mit der Prämisse "die Regeländerung ist Mist" herangehen. Wenn hier über die Informationspolitik gewettert wird, dann ist das zumindest verständlich. Aber wegen der Mundschutz Regeländerung gleich wieder alles zu verteufeln, ohne dass ich auch nur weiß, was hinter der überaus dürftigen Begründung steht, halte ich für falsch. Wenn am Ende rauskommt, es gab bei Judowettkämpfen Vorkommnisse, die die medizinischen Bedenken mit Inhalt unterfüttern, dann wäre ich noch eher bereit auch hinter der Regel zu stehen. Analog bei Beinfassern, viele Sportler behaupten gerne, diese Änderung würde Judo kaputt machen, für mich führt sie erst mal wieder schönes und ansehnliches Judo ein.
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Fritz
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Re: Mundschutz

Beitrag von Fritz »

Stulle hat geschrieben:Wenn hier über die Informationspolitik gewettert wird, dann ist das zumindest verständlich. Aber wegen der Mundschutz Regeländerung gleich wieder alles zu verteufeln, ohne dass ich auch nur weiß, was hinter der überaus dürftigen Begründung steht, halte ich für falsch. Wenn am Ende rauskommt, es gab bei Judowettkämpfen Vorkommnisse, die die medizinischen Bedenken mit Inhalt unterfüttern, dann wäre ich noch eher bereit auch hinter der Regel zu stehen. Analog bei Beinfassern, viele Sportler behaupten gerne, diese Änderung würde Judo kaputt machen, für mich führt sie erst mal wieder schönes und ansehnliches Judo ein.
Irgendwann lernt man, zwischen den Zeilen zu lesen. Wenn es konkrete Gründe für etwas gibt,
dann werden sie auch meist genannt. Wenn konkrete Gründe nicht genannt werden, gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür,
daß es entweder keine konkreten Gründe gibt außer "naja, es könnte ja, vielleicht würde ja..." oder konkrete Gründe vorliegen,
die "man" aber _uns_ nicht nennen möchte, da "sie" sich ziemlich sicher sind, daß diese Art von Gründen bei _uns_ auf wenig Gegenliebe bis
Befremden stößt - weil sie (die Gründe), gegen unsere Interessen verstoßen...

Und solange ich nicht erkennen kann, daß das bisherige Verfahren, von "oben" herab irgendetwas zu verordnen und alle haben gefälligst
abzunicken und mitzumachen, grundlegend geändert wird, solange nehme ich mir auch das Recht raus, auch pauschal u. prinzipiell zu verteufeln,
es nicht toll zu finden usw. usf... ;-)
Akzeptieren würde ich allenfalls dieses Vorgehen, wenn diejenigen, welche im Judo die höchsten Dan-Grade innehaben,
Änderungen höchstselbst verordnen - wenn jemand dazu berechtigt wäre, dann die Ku/Judan-Inhaber...

@tutor!: "Effektiv", "effizient", wir meinen dasselbe, denke ich...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Mundschutz

Beitrag von derLichtschalter »

Fritz hat geschrieben:@tutor!: "Effektiv", "effizient", wir meinen dasselbe, denke ich...
In der Wirtschaft unterscheidet man da sehr streng. Effizient ist, wenn der Aufwand in einem guten Verhältnis zum Ergebnis steht. Das meint ihr, denke ich. Und effektiv ist, wenn man so viel wie möglich von dem erreicht, was man sich vorgenommen hat ;-)
Erzählte mir zumindest unlängst ein Mensch von der Commerzbank...
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Re: Mundschutz

Beitrag von caesar »

www.judobund.de hat geschrieben:Die Bundeskampfrichterkommission informiert:
Heute

Nach neuen Erkenntnissen wird das Verbot des Tragens eines Mundschutzes für alle Bereiche des DJB wieder aufgehoben.
Natürlich, neue Erkenntnisse...
Antworten