neue Kyu-Prüfung ab 2022

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Julian
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Re: neue Kyu-Prüfung ab 2022

Beitrag von Julian »

Judo im Verein habe ich zwar nur von 1980-1986 und dann nochmal 2012/13 gemacht. Seit 1986 habe ich aber im TKD bis ca. 2005 die Veränderungen in der Prüfungsordnung verfolgt, und insgesamt auch in vielen anderen Kampfkünsten die Einführung und Änderungen von irgendwelchen Graduierungssystemen miterlebt.
Die Probleme sind m. M. n. immer die gleichen:

- In den großen Verbänden sind oftmals Funktionäre tätig, die sportlich/kampfkunst-mäßig eher im Mittelfeld anzusiedeln sind.
- Es wird vorrangig versucht, Mitglieder zu gewinnen.
- Man meint, man könne durch Prüfungsordnungen auch nur halbwegs so etwas wie einheitliche Befähigungen bei den Praktizierenden erzeugen.

Meiner Erfahrung ist die Kampfkunst-Realität einfach viel zu komplex. Es gibt den Leistungssport, der von den Organisationen im Hintergrund vor allem für nationalen Stolz und zum Geldverdienen herhalten muss. Es gibt die Masse der Menschen, die sich einfach ein bisschen bewegen will - wenn der Trainer nicht gerade aktiv gesundheitsschädigendes Zeugs macht, ist der Rest weitestgehend egal. Manche wollen Gewaltkompetenz erlernen. Wieder andere wollen die Geselligkeit. Das schöne an den ganzen Kampfkünsten ist ja, dass jede Kampfkunst all diese Bereiche abdecken kann. Aber alles gleichzeitig gelingt praktisch nie. Es gibt 30 oder 40 mal so viele (oder noch mehr) Sportangebote wie in den 80, 90er-Jahren. Und und und...

Die Prüfungsordnungen können noch hundertmal verändert werden, das ist doch den allermeisten Leuten völlig schnuppe. Oder gibt es seriöse Untersuchungen dazu, wie das Prüfungsverhalten und die Verweildauer der Mitglieder in einem Verband durch die Prüfungsordnungen beeinflusst werden?
(Wenn überhaupt hätte man sich überlegen sollen, ob man die Wettkampfregeln immer weiter vermurkst.)
tutor!
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Re: neue Kyu-Prüfung ab 2022

Beitrag von tutor! »

Julian hat geschrieben:
28.05.2023, 16:57
(....) Oder gibt es seriöse Untersuchungen dazu, wie das Prüfungsverhalten und die Verweildauer der Mitglieder in einem Verband durch die Prüfungsordnungen beeinflusst werden?
Die Mitgliederzahlen der Verbände sind nichts weiter als die summierten Mitgliederzahlen der Vereine. Deren Entwicklung verläuft jedoch individuell sehr unterschiedlich und ist von sehr vielen Faktoren abhängig. Korrelationen zwischen verschiedenen Items lassen sich vielleicht halbwegs seriös erfassen, aber mit Kausalitäten wird es dann schon schwieriger.

Ein Graduierungssystem ist im Rahmen der Vereinsentwicklung nichts weiter als ein Teil der Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung der inhaltlichen Arbeit. Daneben gibt es weitere, wie die materiellen Bedingungen (Trainigszeiten und -orte) oder personelle Bedingungen (Anzahl und Qualifikation der Trainerinnen und Trainer) u.v.a.m. die einen deutlich unmittelbareren Einfluss auf die Mitgliederentwicklung der Vereine nehmen dürften.

Bislang - also seit Jahrzehnten - gibt es keine systematische Evaluation. Ich habe aber weiter oben die Ziele notiert, die mit der Neugestaltung des Kyu-Bereichs verfolgt werden:
tutor! hat geschrieben:
24.05.2023, 11:40
Es wird z.B. den Auftrag einer fortlaufenden Evaluation des Graduierungswesens geben. Dies setzt strategische Ziele voraus, die natürlich formuliert sind. Für den Kyubereich sind das z.B:

1. Neumitglieder auch außerhalb der Vereinsstrukturen abholen
2. Erleichterung der alltäglichen Trainingsarbeit durch flexiblere Inhaltsvorgaben bei Graduierungen
3. alltägliches Training soll zielgerichteter als bisher zur nächsten Graduierung führen
4. die Passung zum Nachwuchsleistungskonzept soll optimiert werden (GKKZ / IKKZ)
5. flexiblerer Einstieg in Kodokan Kata als bisher
6. Entfernung nationaler Sonderwege bei der Nomenklatur
7. Steigerung der Ausführungsqualität wichtiger Grundtechniken
8. verstärktes Denken in Situationslösungen anstatt in abschließenden Techniken
9. einfach zu handhabendes und verständliches Konzept für ehrenamtliche Trainer.
Zur Neugestaltung des Graduierungssystems gehört nicht nur das Verschieben und Neuformulieren von Prüfungsaufgaben, sondern auch das Aufsetzen verbindlicher Prozesse einer fortlaufenden Weiterentwicklung. Ausgangspunkt jeder seriösen Entwicklung muss daher eine solide Evaluation des IST-Stands und eine darauf aufbauende Formulierung von überprüfbaren Zielen sein. Die oben aufgeführten Ziele lassen sich ohne Zweifel mit geeigneten Werkzeugen evaluieren. Da das Kyu-Programm erst ab dem 1.1.2024 verbindlich im gesamten Bundesgebiet gilt, kann eine flächendeckende Evaluation etwa ab 2025 zu validen Ergebnissen führen.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
HBt.
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Die ersten validen Ergebnisse

Beitrag von HBt. »

"Da das Kyu-Programm erst ab dem 1.1.2024 verbindlich im gesamten Bundesgebiet gilt, kann eine flächendeckende Evaluation etwa ab 2025 zu validen Ergebnissen führen." [Zitat tutor!]

Zwei Jahre sollte der erste Zyklus schon betragen, also ab dem 01. Januar 2026 rechne ich mit richtungsweisenden Ergebnissen. Bleibt die Welt- u. Wetterlage stabil und treten keinerlei Störungen auf, zum Beispiel: Naturkatastrophen, weitere Kriege, neue Viren, politische Umwälzungen, neue Ordnungen ..., dann werden die ersten Evaluationsergebnisse zeigen, dass weiterhin die Ziele nicht erreicht wurden - eventuell wird dann bereits nachgesteuert.

Pfingstgrüße,
HBt.
(der heilige Geist wird ausgegossen)

#
Julian fragt:
(...) gibt es seriöse Untersuchungen dazu, wie das Prüfungsverhalten und die Verweildauer der Mitglieder in einem Verband durch die Prüfungsordnungen beeinflusst werden?
Mir ist keinerlei Analyse dieser Frage bekannt. Sie existiert einfach nicht - behaupte ich, aus dem Bauch heraus.
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Frage - Analyse - Ergebnisse - Maßnahme - Evaluierung

Beitrag von nur_wazaari »

Julian hat geschrieben:
28.05.2023, 16:57
Oder gibt es seriöse Untersuchungen dazu, wie das Prüfungsverhalten und die Verweildauer der Mitglieder in einem Verband durch die Prüfungsordnungen beeinflusst werden?
Offenbar mangelt es grundsätzlich an präsentierbaren Ergebnissen von Analysen, was, wie suggeriert, wird nicht an denjenigen lag, die nun ein neues Programm in den Ring werfen. Die Frage ist berechtigt, denn auf welcher Basis leitet man Maßnahmen von gewisser Tragweite ab? Die Antwort kam ja schon häufiger von "tutor!" - man etabliert eine Grundlage, experimentiert damit, sammelt, was man kriegen kann und leitet dann weiter ab, in der Hoffnung auf Ergebnisse und nachhaltige Verbesserungen. Allerdings bin ich in der Erwartungshaltung daran ganz bei "Hbt".

Bei den Wettkampfregeln sind Änderungen meistens nachvollziehbar*, wenngleich die Vorstellungen davon, wie ein Judokampf aussehen soll und was erlaubt sein soll, meilenweit auseinanderklaffen - hier geht es um Deutungshoheit bestimmter Gremien. ;)

*Verstehen muss man das dann aber ganz gewiss nicht.
.
Julian
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Re: neue Kyu-Prüfung ab 2022

Beitrag von Julian »

Für echte Studien ist das ganze vermutlich viel zu aufwändig. Bei meiner Frage bin ich ja auch gar nicht davon ausgegangen, dass es solche Untersuchungen gibt. Sondern wollte darauf hinweisen, dass es m. M. n. kaum möglich ist, wirklich flächendeckend noch mehr Leute in die Vereine zu bringen.
(Außer man vergibt Prämien für die Mitgliedschaft und es kostet nichts mehr, dann könnte es vielleicht klappen...)

Das Thema, wie man Leute in (Sport)Vereine und andere Gruppierungen bringt und dort hält, ist ja für alle Bereiche höchst spannend.

Vielleicht kann man über diesen generellen Ansatz ein bisschen was Interessantes herausfinden. Wobei mein Eindruck ist, dass allerorten geklagt wird - von der freiwilligen Feuerwehr über den Sportverein bis zur Rotary. Vermutlich ist das Angebot einfach zu groß, und wer schon lange dabei ist, muss halt jetzt zwangsläufig Federn lassen...

Hier könnte man auch mal ein bisschen stöbern, vielleicht finden sich da Anregungen:
https://www.sportwissenschaft.de/kkk/ka ... ommission/
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nur_wazaari
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Re: neue Kyu-Prüfung ab 2022

Beitrag von nur_wazaari »

Julian hat geschrieben:
29.05.2023, 20:45
Für echte Studien ist das ganze vermutlich viel zu aufwändig. Bei meiner Frage bin ich ja auch gar nicht davon ausgegangen, dass es solche Untersuchungen gibt. Sondern wollte darauf hinweisen, dass es m. M. n. kaum möglich ist, wirklich flächendeckend noch mehr Leute in die Vereine zu bringen.
(Außer man vergibt Prämien für die Mitgliedschaft und es kostet nichts mehr, dann könnte es vielleicht klappen...)
Da habe ich andere Beobachtungen gemacht und irgendwo hier im Forum schon mal etwas ausführlicher dazu berichtet. Es ist von mehreren Faktoren abhängig, ob die Leute in Vereine kommen und explizit beim Judo bleiben. Das Kyu-Programm an sich aber hat wohl in der Tat eher geringen Einfluss darauf. Es gibt auch nicht wenige, denen die Gürtelfarbe völlig schnurz ist und die trotzdem regelmäßig dabei sind. Andersherum habe ich auch schon Leute mit dem Tag der bestandenen ersten Dan-Prüfung den Judopass liegenlassen sehen.

Man kann die Leute schon gewinnen und halten, man darf aber nicht einfach im Trüben fischen. Klare Angebote und Strukturen sind gefragt, was bieten wir an und warum passt ihr hierher? Darüber hinaus könnte man versuchen, möglichst viele Bedürfnisse und Zielstellungen abzudecken, Gruppen zu binden, Leute zusammenzuhalten - vom Wettkampf bis hin zur Altersfitness (mit Judo). Allerdings sind die Erwartungen wohl gestiegen, das ist richtig - aber das ist auch eine Chance.
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Julian
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Re: neue Kyu-Prüfung ab 2022

Beitrag von Julian »

nur_wazaari hat geschrieben:
29.05.2023, 21:18
Julian hat geschrieben:
29.05.2023, 20:45
Für echte Studien ist das ganze vermutlich viel zu aufwändig. Bei meiner Frage bin ich ja auch gar nicht davon ausgegangen, dass es solche Untersuchungen gibt. Sondern wollte darauf hinweisen, dass es m. M. n. kaum möglich ist, wirklich flächendeckend noch mehr Leute in die Vereine zu bringen.
(Außer man vergibt Prämien für die Mitgliedschaft und es kostet nichts mehr, dann könnte es vielleicht klappen...)
Da habe ich andere Beobachtungen gemacht und irgendwo hier im Forum schon mal etwas ausführlicher dazu berichtet. Es ist von mehreren Faktoren abhängig, ob die Leute in Vereine kommen und explizit beim Judo bleiben. Das Kyu-Programm an sich aber hat wohl in der Tat eher geringen Einfluss darauf. Es gibt auch nicht wenige, denen die Gürtelfarbe völlig schnurz ist und die trotzdem regelmäßig dabei sind. Andersherum habe ich auch schon Leute mit dem Tag der bestandenen ersten Dan-Prüfung den Judopass liegenlassen sehen.

Man kann die Leute schon gewinnen und halten, man darf aber nicht einfach im Trüben fischen. Klare Angebote und Strukturen sind gefragt, was bieten wir an und warum passt ihr hierher? Darüber hinaus könnte man versuchen, möglichst viele Bedürfnisse und Zielstellungen abzudecken, Gruppen zu binden, Leute zusammenzuhalten - vom Wettkampf bis hin zur Altersfitness (mit Judo). Allerdings sind die Erwartungen wohl gestiegen, das ist richtig - aber das ist auch eine Chance.
Hmm, flächendeckend wohl schon, zumindest wenn die Zahlen halbwegs stimmen:
Im DJB von 267K (2002) auf 116K (2022). (https://de.statista.com/statistik/daten ... Mitglieder.)
Beim Karate und Taekwondo sieht es, soweit ich es ergoogeln konnte, auch nicht viel besser aus.

Ich kenne auch einzelne Verbände oder Vereine, die florieren. Manche schon länger, manche noch nicht so lange. Zeit ist dabei ja entscheidendes Element, immer weiterwachsen wird halt immer schwerer. Und entspricht ja auch nicht dem Dao, wie ja eigentlich gerade die Betreiber von solchen Verbänden wissen sollten :D

Ergänzung: Gerade wenn es um das Prosperieren z. B. nur eines einzigen Vereins oder Clubs geht, ist das ja in der Regel dem Engagement des jeweiligen Leiters, der Trainer, und der weiteren Mitwirkenden geschuldet (Helfer für Feiern, jemand der bisschen Pressearbeit macht usw.). Eine bestimmte Prüfungsordnung dürfte da der geringste Grund sein. Das lässt sich aber halt auch nicht für andere Vereine verordnen.
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