Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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Deshi
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Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Deshi »

Hallo zusammen,

mit dem Abschlagen bei den Fallübungen handhabe/erläutere ich es bis dato gern so, wie ich es bei Horst Wolf gelesen habe (für ein Zitat habe ich das Buch leider nicht zur Hand).
Demnach soll z.B. beim Sturz seitwärts ein kräftiger, gepeitschter Schlag zum Boden (aber nah am Körper) mit der flachen Hand ausgeführt werden, der dem Auftreffen des restlichen Körpers einen Moment vorausgeht. Natürlich sind noch andere Dinge bei der Fallübung zu beachten, aber um die soll es hier nicht gehen.

Jedenfalls klappt das auch ganz prima, aber ich würde gern wissen, warum man überhaupt abschlägt. Bislang ging ich davon aus, dass der Sinn darin besteht, den Sturz etwas abzubremsen. Aber leistet diese Geste mit der Hand überhaupt einen nennenswerten Beitrag dazu? Mein -vollkommen subjektiver- Eindruck ist ja, ich falle sanfter, wenn der Arm auf die beschriebene Weise eingesetzt wird. Aber ein solcher Eindruck kann täuschen. Die physikalischen Rahmenbedingungen sind für mich schwer einschätzbar.

Im Raum stehen andere Theorien, die stattdessen / zusätzlich gelten sollen/können:
1. Es soll einfach nur das Schmerzempfinden auf die Hand gelenkt werden, der Sturz wird aber nicht gebremst. (Habe ich neulich gehört, weiß nicht, was ich davon halten soll)
2. Der Judoka lernt so, keine anderen, gefährlicheren Gesten auszuführen, z.B. auf den Ellenbogen zu fallen. (Ob alleiniger oder zusätzlicher Zweck weiß ich nicht, macht aber Sinn für mich)
3. Dadurch das der Judoka sich auf das Abschlagen fokussiert wird die Fallübung präziser. (Ein subjektiver Eindruck von mir)

Mich würde interessieren ob Ihr mehr darüber wisst, ob es Studien oder Experimente dazu gibt (und was dabei herauskam) oder worin ihr den Zweck seht bzw. vermutet.
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Fritz
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Fritz »

Es hängt auch irgendwie mit Impuls u. Impuls-Erhaltung zusammen...
Letztendlich legt man damit einen Großteil der Wucht auf den Arm, der es offensichtlich ganz gut wegstecken
kann und nimmt damit die Stoßwirkung vom restlichen Körper...

Und durch den Schlag entsteht zwangsläufig eine gewisse Spannung im Körper, d.h. innere Organe schlackern
nicht im Körper umher und reißen an ihren Bändern, die durch die Anspannung festen
Muskeln bieten den Knochen zusätzlichen Schutz...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von tutor! »

Fritz hat die wichtigen Punkte schon zusammengefasst. Als Zweiter habe ich die Chance, das aufzugreifen und zu ergänzen.

Die Wucht des Aufpralls - gegeben durch die kinetische Energie - hängt vom Wurf ab und wird vom Körper des Fallenden zu absorbieren sein. Da Uke auch die Matte nicht beeinflussen kann, kann er nur ein paar Dinge tun, die den Aufprall für ihn erträglicher machen.

1.) Kinetische Energie nicht vollständig abbauen --> weiterrollen, was aber nur bei einigen Techniken geht.

2.) Aufprallfläche vergrößern --> genau das tut er mit dem Abschlagen

3.) Aufprallwucht im Körper auf für ihn günstige Stellen verlagern --> je stärker er auf die Matte schlägt, desto mehr wird die Aufprallwucht auf den Arm - und damit vom Körper weg - verlagert

4.) "Bremsweg" verlängern --> indem er einen Moment vor dem Aufprall auf die Matte schlägt, wird der Oberkörper schon etwas abgebremst, bevor er auf die Matte kommt.

5.) Oberkörper stabilisieren --> Durch das Abschlagen kommt - wie Fritz das richtig beschrieben hat - Spannung in den Oberkörper, der diesen stabilisiert.
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Juiz
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Juiz »

Hallo,
ich hab mich auch schonmal mechanisch und biomechanisch mit dem Thema auseinandergesetzt, bin aber leider nur mechanisch wirklich qualifiziert ;-)
Bei der Mechanik muss ich leider sagen, dass der Bremseffekt minimal ist, aber:
Die Alternative wäre, den Arm nicht auf den Boden zu schlagen, dass ist, wenn man es schafft, wunderbar, wenn man den Arm nicht halten kann, ist aber wahrscheinlich der Ellbogen hinüber. Durch das Strecken des Armes wird der Ellbogen durch die Handfläche und den angespannten Trizeps geschützt. Ausserdem wird bei der Bewegung des Armes nach hinten die Latissimusmuskulatur angespannt, wodurch man die eigenen Rippen schützt. Auch die stabilisierende und kontrollierende Wirkung ist nicht zu leugnen.
Aber wie gesagt, das sind nur meine Überlegungen und sie basieren auf fundiertem Halbwissen und Erfahrung ;-)
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Deshi »

Danke für Eure Beiträge soweit! :danke

Ich stelle fest: Die Aussage, dass es (nur) darum geht, das Schmerzempfinden auf die Hand zu verlagern, findet soweit keine Unterstützung (was mich nicht überrascht).
Mir fällt dagegen auf, dass all Euren Antworten einiges gemeinsam ist, z.B. dass der Körper unter eine schützende Spannung versetzt wird. Ich kann nur sagen, dass sich das mit meinem persönlichen Empfinden deckt.

Eine Frage die bleibt ist: Wie groß ist der Bremseffekt? Kann man das zumindest grob quantitativ ausdrücken?
Ich stelle fest, dass ich ein einfaches Experiment mit einer nahen Wand machen kann. Lasse ich mich seitlich dagegen fallen und schlage dagegen ab, kann der Arm mich komplett auffangen, sofern ich nicht zu weit weg bin. Es ist allerdings nicht sehr krafteffizient sich so aufzufangen. Falle ich stattdessen seitlich auf den Boden (z.B. nach einem ordentlichen Okuri-Ashi-Harai) habe ich deutlich mehr kinetische Energie wenn aufschlage... spielt der Bremseffekt da noch eine nennenswerte Rolle?
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Juiz »

Interessante Diskussionen hatte ich zu dem Thema schon viele mit befreundeten Maschinenbauern, leider fast nie nüchtern :-D

Unsere letzte Meinung war, dass durch das Abschlagen (durch den Schlag auf die Matte) dem System noch Energie hinzugefügt wird (potentielle + kinetische Energie des Wurfes + kinetische Energie des Abschlagens) es also zwar einen bremsenden Effekt auf den Körper hat, jedoch auf Kosten eines deutlich härteren Aufprall des Armes. Es ist also eigentlich ein härteres Fallen mit dem Abschlagen, allerdings ist die Landung dafür kontrollierter und die "Landemuskeln" angespannt. Sagen wirs wies ist: Erfahrung schlägt Wissenschaft. Aber wenns eine Uni gibt, die mich meine Promotion zu dem Thema schreiben lässt, könnte man das ja mal ändern ;-)
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Deshi »

Juiz hat geschrieben:... Unsere letzte Meinung war, dass durch das Abschlagen (durch den Schlag auf die Matte) dem System noch Energie hinzugefügt wird (potentielle + kinetische Energie des Wurfes + kinetische Energie des Abschlagens) es also zwar einen bremsenden Effekt auf den Körper hat, jedoch auf Kosten eines deutlich härteren Aufprall des Armes. Es ist also eigentlich ein härteres Fallen mit dem Abschlagen, allerdings ist die Landung dafür kontrollierter und die "Landemuskeln" angespannt. ...
Das schlüsselt es physikalisch schon mal etwas weiter auf. Daran, dass man den Aufprall durch das zusätzliche Beschleunigen des Armes noch verstärkt, habe ich gar nicht gedacht. Und dennoch wird der Sturz dadurch angenehmer und sicherer. Die schon mehrfach angeführte Körperspannung ist dabei sicherlich ein entscheidender Faktor.

Eine Frage die man vielleicht stellen könnte ist: Wo bleibt eigentlich die Energie? Sie wird ja wohl in plastischer oder elastischer Verformung umgesetzt. Eine elastische Verformung liegt natürlich vor: Der Körper wird kurzzeitig etwas zusammengedrückt, ebenso die Matte darunter (das geht dann nachfedernd in immer diffuserer Weise hin und her, bis die Energie sich "verliert"). Aber liegt womöglich auch eine plastische (also bleibende) Verformung vor, durch die geänderte Stellung des Armes nach dem Abschlagen (der Arm erreicht den Boden vor dem Rest der Körpers, liegt aber nach dem Sturz direkt daneben) ?
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von tutor! »

Deshi hat geschrieben:
Juiz hat geschrieben:... Unsere letzte Meinung war, dass durch das Abschlagen (durch den Schlag auf die Matte) dem System noch Energie hinzugefügt wird (potentielle + kinetische Energie des Wurfes + kinetische Energie des Abschlagens) es also zwar einen bremsenden Effekt auf den Körper hat, jedoch auf Kosten eines deutlich härteren Aufprall des Armes. Es ist also eigentlich ein härteres Fallen mit dem Abschlagen, allerdings ist die Landung dafür kontrollierter und die "Landemuskeln" angespannt. ...
Das schlüsselt es physikalisch schon mal etwas weiter auf. Daran, dass man den Aufprall durch das zusätzliche Beschleunigen des Armes noch verstärkt, habe ich gar nicht gedacht. (...)
Ist auch physikalisch nicht korrekt. Die kinetische Energie eines Systems kann nicht "von innen heraus" erhöht werden, sondern nur durch äußere Krafteinwirkung. Es findet lediglich eine Verlagerung statt. Der Arm hat mehr kinetische Energie - um diesen Betrag reduziert sich die kinetische Energie des Körpers. Allerdings aufgrund der Massenverhältnisse nur in sehr bescheidenem Maße.

Ansonsten ja, die kinetische Energie des Fallens wird als Verformungsarbeit geleistet.
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Juiz »

Da sind sie wieder die beiden klassischen Parteien ;-)

Ich kann dein Argument mit dem geschlossenen System nachvollziehen, aber es wird ja im Körper biochemisch Energie erzeugt, um die Bewegung zu ermöglichen. Das System hat also eine Energiequelle. Der praktische Test war bei der letzten Party ein Skateboard, bei dem wir durch gezieltes Zappeln vorwärts gekommen sind, es wurde also definitiv eine vorwärts gerichtete Kraft ohne Einwirkung von außen erzeugt.

Allerdings hab ich mir tatsächlich noch nie echte Gedanken zum Thema gemacht (inklusive jetzt, da ich mit den Gedanken komplett bei meiner Masterthesis bin), aber ich dachte mir, dass ich mal unsere Partyerkenntnisse hier einwerfe. Allerdings kann ich, wie gesagt, auch verstehen, dass man erstmal an den Baron Münchhausen denkt.
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von tutor! »

Juiz hat geschrieben:(...) aber es wird ja im Körper biochemisch Energie erzeugt, um die Bewegung zu ermöglichen. Das System hat also eine Energiequelle.
Damit wird tatsächlich Bewegungsenergie erzeugt, aber es gilt nach wie vor das 3. Newton´sche Gesetz. Auf jede Actio folgt eine Reactio gleichen Betrages in entgegengesetzter Richtung. Damit ist die Summe wieder Null.

Ein geschlossenes Sstem kann sich nun einmal nicht selbst beschleunigen (folgt aus dem 1. Newton´schen Gesetz).
Juiz hat geschrieben:Der praktische Test war bei der letzten Party ein Skateboard, bei dem wir durch gezieltes Zappeln vorwärts gekommen sind, es wurde also definitiv eine vorwärts gerichtete Kraft ohne Einwirkung von außen erzeugt.
Ein Skateboard ist nicht reibungsfrei gegenüber dem Boden. Jemand, der auf einem Skateboard steht, bildet also mit diesem kein geschlossenes System.

Ich hoffe, Du schreibst Deine Maserarbeit nicht in Physik....
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Juiz »

Nein, nein, keine Angst, das letzte Mal, dass ich mich mit Dynamik beschäftigt habe, ist tatsächlich schon 10 Semester her und auch wenn ich meinen Abschluss in Maschinenbau mache, habe ich keinen Anspruch darauf, dass auch nur irgendwas von dem, was ich hier schreibe, stimmt. Aber: In der Sekunde, in der ich in den Kontakt mit dem Boden komme (abschlage), ist mein System ja nicht mehr geschlossen. Sprich ich kann die erzeugt biomechanische Energie über die knietische Energie in Verformungsarbeit umwandeln (in etwa identisch mit dem Gedanken, dass ich nach dem Wurf ohne Abschlagen aufkomme und aus Wut danach auf die Matte schlage). Beim Skateboard muss ich dir absolut recht geben, aber das ist halt der Unterschied zwischen am Schreibtisch trüber nachdenken oder in der WG-Küche nix besseres zu tun haben :-D In Zukunft werd ich wohl noch einen Filter zwischen die Partyüberlegungen und dem, was ich hier schreibe, setzen ;-)

P.S.: Ich hatte bei meiner Aussage auch tatsächlich nicht an Newton gedacht, sondern eher an die Thermodynamik: Wonach die Summe aller Energieformen innerhalb des Systems (abgesehen von den Minimalgrößen, die abgehen, weils halt eigentlich kein geschlossenes System ist (Wärme, Schweiß...)) gleich bleiben muss. Ergo: Die chemische Energie, die im Muskel in kinetische gewandelt wird, darf doch nicht verpuffen...

Ich lass mich aber gerne widerlegen. Ich wollte nur, dass du verstehst, dass der Gedanke nicht ganz aus dem luftleeren Raum kam.
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von tutor! »

Juiz hat geschrieben: P.S.: Ich hatte bei meiner Aussage auch tatsächlich nicht an Newton gedacht, sondern eher an die Thermodynamik: Wonach die Summe aller Energieformen innerhalb des Systems (abgesehen von den Minimalgrößen, die abgehen, weils halt eigentlich kein geschlossenes System ist (Wärme, Schweiß...)) gleich bleiben muss. Ergo: Die chemische Energie, die im Muskel in kinetische gewandelt wird, darf doch nicht verpuffen...

Ich lass mich aber gerne widerlegen. Ich wollte nur, dass du verstehst, dass der Gedanke nicht ganz aus dem luftleeren Raum kam.
Das entscheidende ist, dass kinetische Energie eine gerichtete Größe ist und Du zwar innerhalb eines sich bewegenden geschlossenen Systems den Betrag der kinetischen Energie vergrößern kannst - dazu muss es im System Teilsysteme geben (in unserem Fall vereinfacht Arm und Körper) - die Summe der Vektoren sich aber nicht verändert. Oder auf deutsch: die kinetische Energie des Gesamtsystems, also das Fallen des Körpers bleibt unbeeinflusst davon. Das folgt unmittelbar aus dem 3. Newton'schen Gesetz.

Beispiel dafür: Ein Astronaut im Weltraum kann zappeln so viel er will - an seinem Gesamtbewegungszustand wird das nichts ändern. Und für den kurzen Moment des Fallens ist Uke genau diesem vergleichbar (weswegen man ja zu Trainings- und Forschungszwecken Parabolflüge durchführt.)

Beim Aufprall wird die kinetische Energie in Verformungsarbeit umgesetzt. Will man wissen, wie stark jeder Körperteil betroffen ist, muss man die Körperteile als Teilsysteme betrachten. Und da gilt dann ganz einfach: je mehr Verformungsarbeit der Arm leistet - je kräftiger also abgeschlagen wird - desto weniger bleibt für Körper. Das meinte ich weiter oben mit "Aufprallwucht verlagern".
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Deshi »

Da hab' ich ja was losgetreten... ;)
Ich denke aber, wir kommen dem Sachverhalt so immer näher. Wiederum vielen Dank für Eure Beiträge!

Wenn ich Tutor's Ausführungen jetzt richtig deute, ist es mit dem Abschlagen etwa so, als würde man in der Schwerelosigkeit die Masse teilen und einen Teil davon mit einem gewissen Impuls in eine Richtung aussenden, wodurch der Rest mit dem selben Impuls in die entgegengesetzte Richtung geschickt wird, nur das die beiden Teile der Masse noch immer irgendwie verbunden sind. Der in Bewegungsrichtung ausgesandte Teil der Masse wird dadurch beim Aufprall einer stärkeren Verformung ausgesetzt als der andere Teil der Masse.

Nach wie vor interessiert mich der quantitative Aspekt hierbei. Nur fürchte ich, dass das schwer erfassbare Daten sind und die zugehörigen Formeln reichlich kompliziert ausfallen würden.
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Juiz »

Hallo Deshi,
auch wenn ich mittlerweile fürchte, dass ich von tutor wieder eines besseren belehrt werde, so ist die Betrachtung als geschlossenes System unter bestimmten Vereinfachungen eigentlich ziemlich einfach (geiler Satz):
Gehen wir ausschließlich von kinetischer Energie in 2 Systemen aus (Arm + Rest) so gilt:
(1/2)*m(Judoka)*v(Schwerpunkt(Judoka))^2= (1/2)*m(Arm)*v(Schwerpunkt(Arm))^2 + (1/2)*m(Rest)*v(Schwerpunkt(Rest))^2

Daraus folgt dann direkt, dass die Aufschlagsenergie des restlichen Körpers um den Betrag der Masse deines Armes mal der Hälfte deiner Abschlagsgeschwindigkeit zum Quadrat reduziert wird. Um das jetzt noch konkreter quantifizieren zu können müsstest du jetzt die Schwerpunktsgeschwindigkeit deines Arms im Verhältnis zur Fallgeschwindigkeit und die Masse deines Arms im Bezug zum restlichen Körper abschätzen, dann könnte man das ganze auch in % angeben.

Richtig so? 8)
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von tutor! »

Deshi hat geschrieben:Da hab' ich ja was losgetreten... ;)
Ich denke aber, wir kommen dem Sachverhalt so immer näher. Wiederum vielen Dank für Eure Beiträge!
Ich habe hier (http://dasjudoforum.de/forum/viewtopic. ... 413#p71413) die wesentlichen Aussagen zusammengefasst. Qualitativ kann man das nur durch Messungen erfassen. Ich wüsste aber nicht, wer das schon mal gemacht haben könnte.

Ansonsten gilt, dass Biomechanik eine äußerst komplexe Angelegenheit ist. Bei der biomechanischen Betrachtung von Judotechniken werden im Allgemeinen vereinfachte Modelle verwendet, z.B. dass menschliche Körper feste Gebilde sei, mit einem unbeweglichen Schwerpunkt. Dies hat aber mit der Realität wenig zu tun. Je tiefer man einsteigt und je weniger man diese Vereinfachungen akzeptiert, desto schwieriger werden die mathematischen Modelle, die zur Beschreibung benötigt werden.

Letztlich müsste man z.B. anstatt der Gesamtmasse eines fallenden Uke zu betrachten, jeden einzelnen Massenpunkt betrachten. Da kann man sich wunderbar in Details verlieren, 100% ankommen wird man wohl nie. Nur wird man seine mathematischen Grenzen finden.

Allein der simple Vorgang des Gehens oder des Stehens ist hochkomplex - eine Fallübung ist es umso mehr.

Vielleicht interessiert sich jemand hierfür:
http://www.erzurum.edu.tr/images/F4.pdf
Oder mehr über Techniken:
http://arxiv.org/pdf/1206.1135.pdf

Zu Juiz:

Wenn ich einmal das Actio/Reactio-Wechselspiel des abschlagenden Arms anschaue, und dies quantifizieren will, dann habe ich ein dickes Problem. Vom Betrag her entspricht die Zunahme der kinetischen Energie des Armes genau der Abnahme der kinetischen Energie des übrigen Körpers. Da der Arm aber an der Schulter aufgehängt ist, ist es gar nicht so einfach, dessen kinetische Gesamtenergie zu bestimmen, da sich die Finger z.B. schneller bewegen als der Oberarm. Dann kommt nach noch hinzu, dass der Ellbogen sich ja auch bewegt, so dass Ober- und Unterarm auch in deutlich unterschiedlicher Winkelgeschwindigkeit gestreckt werden.

Aber ihr könnt euch ja mal mit der Körperseite auf eine Waage legen und den Arm wie zum Abschlagen nach unten führen. Dabei müsst ihr dann nur schauen, um wieviel die Waage weniger anzeigt.
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Juiz »

Hallo tutor,

deshalb ja meine Einleitung mit den Vereinfachungen. Im Grunde genommen bin ich sogar von ziemlich vielen Vereinfachungen ausgegangen: Starrer Arm und starrer Körper, körperfeste Schwerpunkte, die Konzentration der Gesamtmasse in Schwerpunkt und so weiter und so fort, daher auch der Bezug auf die Schwerpunktsgeschwindigkeiten und nicht auf getrennte Betrachtungen von Fingern und Oberarm. Allerdings wollte Deshi ja auch nur eine quantitative Betrachtung und keine genaue Bestimmung (diese ist sicher nur experimentell oder in annehmbarer Näherung mittels numerischer Berechnung möglich).

Auf Anhieb hab ich zu dem Thema Fallen noch eine pseudowissenschaftliche Fernsehserie im Angebot, aber bitte wirklich nur reingucken, wenn ihr mir keinen Vorwurf draus macht ;-) :

Kumamoto
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Kumamoto »

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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Fritz »

Sehr schön, daß auch die Messung belegen, daß Abschlagen richtig und wichtig ist :-)
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von tutor! »

Kumamoto hat geschrieben:http://fss.plone.uni-giessen.de/fss/fbz ... ofmann.pdf

ab Seite 78
Superklasse! Danke für den Link. Ein Physiker... ;)
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Re: Ukemi - Der Zweck des Abschlagens

Beitrag von Deshi »

Kumamoto hat geschrieben:http://fss.plone.uni-giessen.de/fss/fbz ... ofmann.pdf

ab Seite 78
Exzellent! Das ist genau wonach ich gesucht habe. :danke :danke :danke
Es ist auch beeindruckend zu sehen, wie groß der Effekt des Abschlagens ist. Offenbar wird die Kraft, die auf die Schulterpartie wirkt, um mehr als die Häflte verringert.
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